Die Karten des Ptolemaius - Orte

fingalo schrieb:
Das halte ich für ganz unwahrscheinlich. Denn Expeditionen waren dazu da, Erkenntnisse zu sammeln. Dass der orbis terrarum eine ziemlich lange Küste nach Norden hatte, passte so wenig ins damalige Weltbild, dass ich nicht davon ausgehen kann, dass das unerwähnt geblieben wäre. Und ein "Ausflug" ist die Fahrt an der Jammerbucht nicht. Davon kann ich ein Lied singen.
Fingalo
Die Römer hatten ein anderes Verständnis für Zeit und Raum als wir. Dies zeigt sich z.B. bei Tacitus. Dort sind schon mal 100 km in der Nähe und hunderte von Jahren "nuper", kürzlich. Deshalb verwendete ich "Ausflug". Die Flottenexpedition ging im wesentlichen bis zur Elbe, mit einem Abstecher zum Kap Hagen. Dieser brachte politisch, außer den "erpressten" Freundschaftsbekundungen, nichts. Er findet deshalb nur in einer Randnotiz Erwähnung. Sinn der Expedition war auch nicht geographisch, wissenschaftliche Erkenntnisse zu sammeln. Sinn und Zweck dieser Fahrt war die Einschüchterung der germanischen gentes und die Gewinnung von Informationen zu militärisch, politischem Nutzen. Die Geographen profitierten da nur sekundär.

fingalo schrieb:
Welche Unstimmigkeiten meinst Du? Und wie kommst Du auf Desinteresse bei den damaligen Geographen, die nun möglichst vollständig den Erdkreis beschreiben wollen? Immerhin bestätigt Valejus die Schilderung. Auch er erwähnt keine Ausflüge. Strabo habe ich mit der gleichen Info zitiert.
Fingalo
Velleius bestätigt nur die Flottenfahrt, zudem in kurzen Worten. Bei Plinius findet sich dagegen etwas mehr. "Das kimbrische Vorgebirge bildet, indem es sich weit ins Meer hinaus streckt, die Halbinsel Tastris. Von da sind den Römern durch die Heere 23 Inseln bekannt geworden, deren bekannteste Burcana ist..." Dies bezieht sich mit Sicherheit auf die Flottenfahrt. Zwischen Rhein und Elbe lagen niemals 23 Inseln, diese Zahl kann nur für die Küste zwischen Rhein und dem Kap Skagen zutreffen.
Strabo verfaßte sein Werk, so vermutet z.B. Ludwig Schmidt, bereits kurz vor der Zeitenwende. Daher konnte er die Flottenexpedition auch noch gar nicht berücksichtigen. Er sagt, man kennt nur die Germanen zwischen Rhein und Elbe. Die bekanntesten seien Sugambrer und Kimbern. Ebend solche Bemerkungen sind für mich die von mir erwähnten groben Verallgemeinerungen. Strabo weiß nicht wo die Kimbern wohnen! Sie wohnen für ihn irgendwo da oben am Ozean. Die Sugambrer waren zu seiner Zeit, ebenso wie die Kimbern nicht mehr führend in ihrer Region. Die Sugambrer waren 8v. ausgeschaltet worden, von den Kimbern hatte man zu Strabos Zeiten seit 100 Jahren nichts Großes mehr gehört. Ihre Erwähnung beruht also lediglich auf ihrer historischen Bedeutung.

fingalo schrieb:
Zwar ist das argumentum e silentium zugegebenermaßen gefährlich. Aber umgekehrt kurzerhand die Quellen "zu ergänzen" und Fahrten anzunehmen, für die es keinen Beleg gibt, halte ich für methodisch noch fragwürdiger.

Fingalo
(Mon.ancyr.,26) "Meine Flotte segelte über den Ozean von der Mündung des Rhein weg in östliche Gegenden bis zum Gebiet der Kimbern, wohin weder zu Lande noch zu Wasser irgend ein Römer bis zu diesem Zeitpunkt je gelangt war. Die Kimbern, Haruden und Semnonen und andere germanische Stämme dieses Gebietes baten durch Gesandte......"
Der Zug ging also nicht unbedingt nur bis zur Elbe. Er ging bis zum Gebiet der Kimbern. Zugegeben, die Kimdern könnten zur Zeit des Augustus an der Elbe gesessen haben, darüber haben wir aber nirgends eine Information. Wann immer die Sitze der Kimbern erwähnt werden, deuten sie auf das nördliche Jütland hin. Dies gilt ebenso für die Haruden. Die Nennung der drei gentes im mon. ancyr. beruht lediglich auf der herausgehobenen Bedeutung der gens der Semnonen im östlichen Elbegebiet und aufgrund der historischen Bedeutung der Kimbern z.Z. des Marius und der Haruden (siehe Ariovist) zur Zeit Cäsars. Er bedeutet nicht, daß diese drei gentes die führenden gentes der unteren Elbe waren.
 
Nach Ptolemaios wohnten die Bataver im unteren Rheingebiet, Rheindelta.
Dies paßt sehr gut zu anderen Informationen über diese gens. Sie wurden wahrscheinlich um 39/38 v. hier angesiedelt, bzw. ihre Ansiedlung hier zugelassen (dazu Wolters, R., Römische Eroberung..., 1990, 146). Ich sehe in ihnen möglicherweise einen Teil der Germanen, die Cäsar als Hilfstruppen dienten bzw. für seine Politik gegen die rheinnahen Kelten angeheuert wurden.
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Rechts vom Rhein folgen die Friesen bis zur Ems. Auch dies deckt sich mit anderen Informationen. Allerdings fehlen bei Ptol. eine Reihe noch von Plinius und Tacitus erwähnter Völkerschaften. Betrachtet man allerdings die Größe ihrer Gebiete scheinen sie für Ptol. vernachlässigbar gewesen zu sein. Eine große Schwierigkeit bei der Lokalisierung dieser gentes ist der stete Wandel der Nordsee- und Rheinküste. Für Marsacer und Sturier bleibt also nur der Sitz irgendwo im Rheindelta, für die Canninefaten das Kennemerland. Südlich der Ijssel saßen vermutlich die von Tacitus erwähnten Frisiavonen bzw. die kleinen Friesen. Sie sind eine Abspaltung, eine Untergens der Hauptgruppe nordöstlich der Zuidersee.
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Östlich der Ems, bis zur Weser, sitzen die kleinen Chauken, von der Weser bis zur Elbe die größeren Chauken. Dies ist auch unbestritten. Fraglich ist lediglich ihre Südausdehnung. Im Emsbereich werden sie möglicherweise begrenzt von den Amsivariern. Zwar werden diese um 58n von den Chauken vertrieben, im 4. Jhd werden sie aber wieder von röm. Autoren erwähnt. Es ist deshalb nicht ganz sicher, ob die Nachricht über ihre Vertreibung übertrieben ist oder im 4. Jhd lediglich fränkische oder chaukische Gruppen nur mit diesem Namen bezeichnet werden. Anders ist dies an der Hase. Die Chasuarier werden nach 58n. hier nicht mehr erwähnt, so daß die Chauken z.Z. des Ptol. auch südlich der Hase saßen. Ihre Sitze im Wesertal sind auch unsicher. Die Angrivarier erscheinen nach 100n. zumindest z.T. verdrängt. Da es sich bei Chauken und Angrivariern aber um Nordseegermanen handelt, sind sie archäologisch schwer auseinanderzuhalten. Eine interessante Idee stammt von Tacitus. Nach ihm grenzten Chatten und Chauken aneinander, so daß die Angrivarier um 100 vermutlich ganz ins ehemalige Bruktererland abgewandert waren. Im Osten begrenzten wohl Elbe, Ilmenau und spätestens die Aller das Chaukengebiet.
 
Lieber Beorna, dass Chatten in Nordhessen saßen und deren Nachfahren heute noch sitzen ist völlig klar. Was ist aus den Chauken geworden, sind diese in den späteren Sachsen aufgegangen? :confused:
 
heinz schrieb:
Lieber Beorna, dass Chatten in Nordhessen saßen und deren Nachfahren heute noch sitzen ist völlig klar. Was ist aus den Chauken geworden, sind diese in den späteren Sachsen aufgegangen? :confused:

Leider liegen die Jahrhunderte zwischen dem Abzug der Römertruppen und dem frühen Mittelalter überwiegend im Dunkeln. Die Chauken scheinen sich Ende 2. bzw. im 3. Jhd als zusammenhängende gens aufzulösen. 170 werden sie das letzte Mal erwähnt. Zum Teil werden sie mit den nördlicheren (Jüten, Warnen, Heruler etc.) gentes zum Rhein gewandert sein, die zurückbleibenden Teile werden später in den saxones aufgegangen sein. Noch problematischer ist der Verbleib der binnenländischen Chauken. Zum einen wissen wir nicht wie weit sie südwärts wanderten, zum zweiten, Tacitus Aussage die Chatten grenzten an die Chauken, muß sich nicht auf eine Siedlungsgrenze beziehen, sondern kann auch eine Einflußzone oder regnum-Grenze meinen. Auch wer vor den Sachsen die späteren sächsischen Gebiete südlich der Porta Westfalica bis zur Diemel besiedelte ist unklar. Es findet sich so z.B. elbgermanische Keramik im oberen Wesergebiet, so daß chaukische Besiedlung eher auszuschließen ist.
Kurz und gut, die Chauken wanderten z.T. ab, zum anderen gingen sie in den nachdrängenden Sachsen auf
 
Na klar findet sich an der Oberweser elbgermanische Keramik. Die "Herminonen" waren hier durch die Thüringer vertreten. Das Gebiet geriet erst im 8. Jh. unter sächsischen Einfluß. Die Chatten teilten sich schonfrühzeitig unter dem fränkischen und thüringischen Stammesverband auf.
Das Sachsen sind keineswegs die einzigen Träger des Niederdeutschen. Innerhalb des fränkischen und thüringischen Stammesverbandes gab es sowohl hochdeutsch, als auch niederdeutsch sprechende Stämme.
 
Lieber Strupanice, dass sich Chatten in dem Thüringerreich und dem Frankenreich aufgeteilt wurden ist mir neu. Welche Gebiete des Chattenlandes sollen denn im Thüringerreich gewesen sein? :confused:
 
heinz schrieb:
Lieber Strupanice, dass sich Chatten in dem Thüringerreich und dem Frankenreich aufgeteilt wurden ist mir neu. Welche Gebiete des Chattenlandes sollen denn im Thüringerreich gewesen sein? :confused:
Mit dem Erstarken der Strukturen im Frankenreich sowie im Thüringerreich wurden alle umliegenden kleineren Stämme mehr oder minder aufgesogen. Die Kontaktzone lag in etwa an der Wasserscheide zwischen Rhein und Weser. Den Kampf um die Salzquellen hatten die Chatten ja urkundlich gegen die Hermunduren verloren. Eine Einbindung dieser Gruppen in den späteren Stammesverband der Thüringer ist daher sehr wahrscheinlich. Die Bezeichnung Thüringen bis galt für den zentralhessischen Raum noch bis weit ins Mittelalter. Erst durch die Teilung der Landgrafschaft Thüringen 1243 wurde für den westlichen Teil den Namen Hessen verwendet, um die Einbindung in die anderen hessischen Landschaften und eine klare Trennung von Thüringen zu manifestieren.
So sind für die Zeit von ca. 400 bis ins 6. Jh. die Bewohner in den Flußtälern der Fulda und Werra, sowie deren Nebenflüssen dem Thüringerreich zuzuordnen, dagegen die in den Nebentälern des Rheins und des unteren Mains dem Frankenreich. Einen eigenständigen Stamm der Chatten dürfte es nicht mehr gegeben haben.
 
Lieber Strupanice,
dann hätte es eine Spaltung, welche durch hessen ging gegeben und die gebiete an Schwalm, Eder und Diemel hätten zu dem Thüringerreich gehört. Wird nicht umgekehrt ein Schuh daraus, dass das Thüringer Reich zwischen Franken und Sachsen aufgeteilt wurde? :confused: Ausweislich des großen Ploetz hat 531 Theuderich und Clothar mit Hilfe der Sachsen (Schlacht in der Unstrutgegend) das Thüringerreich unter König Erminfried erobert.Der nordteil bis an die Unstrut fällt an die Sachsen. Die Slawen rücken ungehindert bis zur Saale vor.
Der Ploetz schreibt weiter über die Thüringer, Grenze gegen die franken im Westen und Süden jenseites der Werra und auf dem Rennsteig, dem Kamm des Thüringerwaldes, im Osten gegen die Slawen die Saale bis zur Mündung der Unstrut, im Norden ist der Südhang des Harzes noch thüringisch. Unter den späteren Karolingern haben Markgrafen oder Herzöge aus verschiedenen Geschlechtern die grenzhut gegen die Sorben. :(
 
heinz schrieb:
Lieber Strupanice,
dann hätte es eine Spaltung, welche durch hessen ging gegeben und die gebiete an Schwalm, Eder und Diemel hätten zu dem Thüringerreich gehört. Wird nicht umgekehrt ein Schuh daraus, dass das Thüringer Reich zwischen Franken und Sachsen aufgeteilt wurde? :confused: Ausweislich des großen Ploetz hat 531 Theuderich und Clothar mit Hilfe der Sachsen (Schlacht in der Unstrutgegend) das Thüringerreich unter König Erminfried erobert.Der nordteil bis an die Unstrut fällt an die Sachsen. Die Slawen rücken ungehindert bis zur Saale vor.
Der Ploetz schreibt weiter über die Thüringer, Grenze gegen die franken im Westen und Süden jenseites der Werra und auf dem Rennsteig, dem Kamm des Thüringerwaldes, im Osten gegen die Slawen die Saale bis zur Mündung der Unstrut, im Norden ist der Südhang des Harzes noch thüringisch. Unter den späteren Karolingern haben Markgrafen oder Herzöge aus verschiedenen Geschlechtern die grenzhut gegen die Sorben. :(
Hallo Heinz,
zunächst einmal müssen wir drei unterschiedliche Zeiträume betrachten. Die Zeit der Bildung der Stammesverbände bis ca. 500. In Mitteleuropa gab es zu diesem Zeitpunkt nur noch 2 große germanische Stammesverbände, denen sich je nach Interessenlage eine vielzahl von Stämmen und sogar Teile von Stämmen anschlossen, bzw. gewaltsam integriert wurden. Diese expansive Politik führte zu ständig wechselnden Militärbündnissen angrenzender Stammesverbände im Süden (Ostgoten, Langobarden usw.)
Dieser Expansion waren natürlich Grenzen gesetzt, da es ab einem bestimmten Zeitpunkt einen direkten räumlichen Kontakt zwischen Frankenreich und Thüringerreich gab. Dieser muß ca. 400 entstanden sein. Die vielfältigen verwandtschaftlichen Verbindungen zwischen beiden Königshäusern bekräftigen diesen Umstand.
In diesem Zeitraum ist die Aufteilung der heute zum Bundesland Hessen gehörenden Gebiete in Franken und Thüringer zu sehen.

Natürlich waren beide Stammesverbände von unterschiedlicher innenpolitischer Stabilität gekennzeichnet. So gab es immer wieder mehrere Könige, die relativ unabhängig voneinander die sogenannten Teilreiche regierten.

Diese inneren Widersprüche verstärkten sich im 1. Drittel des 6. Jh. im Thüringerreich, welches zu dieser Zeit aus 3 Teilreichen bestand.
In diesen Konflikt griff dann das fränkische Königshaus ein und nutzte die Schwäche, um den immer mehr zur Bedrohung werdenden Konkurenten im Osten auszuschalten.
Es handelt sich dabei um mehrere Schlachten, von denen einige auf dem Gebiet von Hessen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen stattfanden. Die heute als entscheidende Schlach an der Unstrut angesehene, ging ins Leere. Dort fand man nur Hilfstruppen vor, die allerdings starken Widerstand leisteten. Nach dem Sieg der Franken und der Einnahme einer der Königsburgen musste man feststellen, daß das Königshaus Herminafrieds gar nicht anwesend war.
Die Königsmacht wurde erst durch einen diplomatischen Trick ausgeschaltet, in dem man Herminafried unter Geleitschutz nach Zülpich einlud (wo er sicher schon vorher desöfteren als Gast war) und dort umbringen ließ.

Von Sachsen bei diesen ganzen Schlachten ist sicher auszugehen, da die im nördlichen Reichsgebiet unterworfenen Gebiete schon um 500 unter dem fränkischen Heerbann standen. Die dezentrale Struktur der Sachsen war ein leichtes Fressen für die Franken. Daher sind auch die Schlachten bei Hannover und Braunschweig sicher mit aus Sachsen bestehenden fränkischen Hilfstruppen durchgeführt worden.
Davon zu sprechen, daß es sich um Sachsen als Kriegspartei gehandelt habe, kann nur aus der Vermischung Rudolf von Fuldas und Widukind von Corveys Geschichtswerken entstanden sein. Die zeitgenössischen Quellen schweigen zu der Beteiligung der Sachsen.

Das das Frankenreich einen dauerhaften Sieg über Sachsen und Thüringen errang ist schwerlich anzunehmen. Die den Sachsen und den Thüringern auferlegten Strafzahlungen waren alle paar Jahre Anlaß zu Aufständen in beiden Landschaften. Der letzte große Aufstand in Thüringen, bei dem das fränkische Heer schwere Verluste einfuhr, wurde 595 niedergeschlagen. Der Widerstand in den nordthüringischen und sächsischen Gebieten, die ja rein theoretisch als zum fränkischen Reich gehörig angesehen wurden, flammte alle paar Jahre bis zu der endgültigen Unterwerfung durch Karl den Großen immer wieder auf.

Das eine Vielzahl heutiger Geschichtswerke dieses Bild anders schreiben, liegt an dem durch die Romantiker des 19. Jh. (Grimm, Leo usw.) geschaffenen Bild, der "freien" Sachsen, die ruhmvoll gegen die Franken kämpften und nur 100 Jahre später nach der Ostfränkischen Krone griffen. Das ist alles zu einfach gestrickt.
Übrigens, archäologisch sind sächsische Einflüsse im Gebiet südlich von Hannover erst ab dem 7. Jh., im Göttinger Raum und in der Altmark erst ab dem 9. und 10. Jh. zu verzeichnen.

Die Slawen kamen in mehreren Schüben vor allem die Urstromtäler und die Flußtäler entlang. Dabei nutzten sie vor allen die Elbe stromabwärts und die Zuflüsse Mulde und Saale von der Mündung stromaufwärts und siedelten beidseitig dieser Flüsse. Dabei trafen sie natürlich eine Vielzahl vorhandener Bevölkerung an. Im Elbtal um Dresden bis nach Decin und Usti wird es schon im 6. Jh. zu intensiven Kontakten zwischen thüringischen Siedlern und Slawen gekommen sein.
Karl der Große und seine Nachfolger nutzten die "Neuankömmlinge", die er unter seine Lehnsoberhoheit zwang, zum Landesausbau in allen thüringischen Gebieten, sogar bis ins heute Hessische hinein. Im Raum westlich der Altmark und weiter Elbabwärts wurden auch eine ganze Reihe "sächsischer" Gebiete durch Slawen besiedelt.

Was der Ploetz schreibt ist in soweit schon sachlich falsch, als daß er mit den Grenzen die heutigen Sprachgrenzen (fast 1500 Jahre nach der Schlacht) beschreibt und nicht die Grenzen des heutigen Sprachraumes mit den dynastischen Grenzen der Herzogtümer, bzw.der heutigen Bundesländer vermischt.
 
Lieber Strupanice,
vielen Dank für Deine ausführliche Schilderung. Dass Du den Ploetz nicht als Geschichtswerk anerkennst, ist für mich schon erstaunlich. Ich kenne kein umfassenderes Nachschlagewerk.

In dem heutigen nord- und osthessischen Sprachraum kenne ich mich ein Wenig aus, da ich gebürtiger Kasseläner bin und dort auch meine Jugendzeit verbracht habe. Es ist wahr, dass das Südhessische sich sehr vom Nordhessischen unterscheidet. Aber das Nordhessische unterscheidet sich auch von dem Thüringischen. :(
 
Hallo Heinz,
nun ein gesamtes Geschichtswerk nicht anzuerkennen, das wäre vermessen. Es gibt nur eine ganze Menge an Forschungsmaterial, Dissertationen, Forschungsberichte, Ausgrabungen usw. die erst in den letzten Jahren die Interpretation der alten Geschichtsquellen neu definiert. Die vergleichende Forschung der verschiedensten Wissenschaftszweige der Mediävistik lassen es vieleicht in den nächsten 20-30 Jahren zu ein viel umfassenderes Bild der damaligen Vorgänge zu erzeugen. Das viele schon in der Vergangenheit wichtige Forschungsarbeiten nicht in die großen Geschichtswerke eingeflossen sind, hat auch etwas mit Politik zu tun. Es gibt zu den verschiedensten Themen viele Theorien und eben eine ganze Reihe von Strömungen, denen sich die jeweiligen Geschichtswissenschaftler angeschlossen haben. In den letzten ca. 60 Jahren hatte die "sächsische" Strömung in der allgemeinen Geschichtswissenschaft Einzug gehalten und so ziemlich alle Grundlagenwerke vom Lexikon bis zum Schulbuch beeinflusst. Eine andere Strömung, ich nenne sie mal die "fränkische" Strömung ist dadurch völlig in den Hintergrund getreten und es gehört für einen anerkannten Historiker eine ganze Menge an Mut dazu, sich gegen die "sächsische" Strömung zu stellen. Da gibt es in der Historiker-Welt eine ganze Menge an Eitelkeiten, die es einem da schwer machen, mit einer alternativen Theorie als seriös anerkannt zu werden.
Beide "Strömungen" haben sicher ihre Berechtigung und viele Ansatzpunkte scheinen durchaus plausibel.
Ich habe mir dabei zur Grundlage gemacht, beide nebeneinander her zu betrachten.
Da ich nicht die nötige Zeit, noch die nötigen Grundlagen habe, mich so tief mit der Materie zu befassen, um selbst der einen oder anderen Strömung Rückhalt bieten zu können, bleibt mir nur, auf die unbekanntere "fränkische Lehre" gegenüber der allgegenwärtigen "sächsischen Lehre" immer wieder hinzuweisen.

Die Gründe Rudolf von Fuldas und Widukind von Corvey, als die ältesten Überlieferungen der "sächsischen Lehre" sind eindeutig klar. Sie war einerseits zwar ortsnah, aber doch zeitfern zu den Geschehnissen zwischen Franken und Thüringern. Die fränkische Geschichtsschreibung ist wiederum viel allgemeiner und natürlich auch auf den eigenen Ruf bedacht, ist aber zeitnah zu den Vorgängen entstanden.

Noch eine Bemerkung zu den Dialekten. Es gibt zwar von der Sprachwissenschaft die Einteilung in bestimmte Sprachgruppen, doch sind die Grenzen fließend und haben sich auch in den letzten 1500 Jahren stark verändert. Der Dialekt in der Werra-Hörsel-Gegend um Eisenach ist ein ganz anderer Dialekt, als der im Thüringer Becken, oder in der goldenen Aue, anders als auf der Saale-Ilm-Platte oder im Osterland und im Mansfeldischen. Doch alle zählen sie zum "Thüringischen" Dabei ist auch gut zu erkennen, daß die Übergänge fließend sind. Die sprachlichen Unterschiede zwischen dem "Nord-Hessischen" und dem "Werra-Thüringisch" sind kaum zu untescheiden. Die Unterschiede zwischen dem "Werra-Thürinigsch" und z.B. dem "Altenburgischen" fallen sogar dem ungeübten Ohr auf.
Eine starke Sprachgrenze ist natürlich der Thüringer Wald. So finden sich südlich des Kammes vor allem mainfränkisch-Itzgründische Dialekte vor.

Das ganze wiederum vor 1500 Jahren betrachtet, muß man ganz klar sagen, daß es innerhalb eines Stammesverbandes durchaus auch gravierende sprachliche Differenzen gab. Die Kommunikation der einzelnen Siedlungsgefilde untereinander war vorrangig den Grafen und dem Königshaus vorbehalten. So wird es im Thüringisichen Reich sowohl Niederdeutsche als auch Hochdeutsche Dialekte gegeben haben. Die Durchdringung der Thüringischen Oberschicht durch Warnen und Angeln (beide aus dem Ostseeraum zugewandert) hat für den heutigen Dialekt kaum sprachliche Spuren hinterlassen. Sieht man allerdings die Siedlungstätigkeit und die Praxis bei der Benennung solcher Siedlungen an, gab es noch vor 500 doch eine ganz gravierende Durchmischung solcher sprachlichen Elemente (z.B. Ortsnamen auf -LEBEN).
 
Lieber Strupanice,
ich kann nur bewundernd und mit Dank Deine Ausführungen begleiten. Bei mir ist es halt so, dass ich von allen nur ein Bißchen weiß und so tief in die Materie nicht einsteigen kann.
Nur eins kann ich schreiben, Ortsnamen, welche auf -Leben enden haben wir nicht im Hessischen. :(
 
heinz schrieb:
Lieber Strupanice,
ich kann nur bewundernd und mit Dank Deine Ausführungen begleiten. Bei mir ist es halt so, dass ich von allen nur ein Bißchen weiß und so tief in die Materie nicht einsteigen kann.
Nur eins kann ich schreiben, Ortsnamen, welche auf -Leben enden haben wir nicht im Hessischen. :(
Hallo Heinz, während die -leben-Orte vor allem auf den anglo-warnischen Einfluß hinweisen (gleichlautende Namensformen finden sich nur noch im Ursprungsgebiet in Jüttland und auf dem dänischen Inseln), sind Ortsgründungen auf -ungen und -ingen (suebisch = ,,die Leute von..."), sowie auf -stedt oder -städt (althochdeutsch ,,stadi" = Ort, Stätte) rings um den Harz reine thüringische Gründungen des dritten und vierten Jahrhunderts.
Im Gegensatz hierzu stehen die Ortschaften mit Endungen auf -aha, -mar, -loh, -er, -ari und -ede, die als Gründungen der Hermunduren aus dem ersten und zweiten Jahrhundert angesehen werden können.

Die Leben-Orte finden sich vor allem in "Nordthüringen" (Wendland, Altmark, Börde) über das Mansfelder Land hinein in das Thüringer Becken. Vereinzelt finden sich solche Ortsnamen in Mecklenburg, im Elbtal bei Dresden und in Franken bei Würzburg.

Somit deckt sich also die Verbreitung der Leben-Orte nicht unbedingt mit dem Gebiet, welches von den Thüringern beansprucht wurde. Große Teile Thüringens sind also auch völlig Leben-frei. Im Saale-Gebiet (also einem doch relativ zentral in Thüringen liegendem Gebiet) zwischen dem Fichtelgebirge und Halle fehlen diese Ortsnamen völlig. Hier treten wiederum mehr die -mari, -aha Orte auf.

Aber wie gesagt, allein anhand der Ortsnamenforschung kann und darf man diese Fragestellung nicht beurteilen. Vielmehr ist es nur ein Steinchen im Mosaik.
 
Kommt hin, die Endung -stedt (Upstedt, Drispenstedt) kommt hier sehr häufig vor, aber auch -mar (Bettmar) und -leben (Fallersleben). Scheint hier ein komplettes Mischgebiet zu sein. Aber hier gibt es auch eine sehr grosse häufigkeit von lateinähnlichen Endungen, wie zum Beispiel: Silium, Borsum, Harsum. Irgendwie alt klingende Ortsnamen die auf einen S-laut und e enden. Wie: Thüste, Sibesse, Despe oder Segeste.
Kann man die auch erkären?
 
Eine kurze Zwischenfrage an Beorna, der sich mit dieser Thematik wohl bestens auskennt. Wie unterscheiden sich bitte die Angaben von Tacitus und Ptolemäus zu den germanischen Stämmen und wessen Angaben sind verlässlicher? In Geschichtsatlanten verortet man meist die geografischen Sitze nach Tacitus.
 
Dieter schrieb:
Eine kurze Zwischenfrage an Beorna, der sich mit dieser Thematik wohl bestens auskennt. Wie unterscheiden sich bitte die Angaben von Tacitus und Ptolemäus zu den germanischen Stämmen und wessen Angaben sind verlässlicher? In Geschichtsatlanten verortet man meist die geografischen Sitze nach Tacitus.
Das ist aber eine sehr unfaire Frage. Im allgemeinen wird tatsächlich eher Tacitus gefolgt als Ptolemäus. Es gibt eine gewissen Anzahl von Nennungen des Ptolemaios, die an seinem Wissen zweifeln lassen. So erwähnt er die Sigambrer am Rhein, die doch 8v vernichtet wurden. So erwähnt er auch Langobarden am Rhein, in Niedersachsen und Westfalen, um mal die heutigen Namen zu verwenden, die Angeln, die Teutonen in Meck-Pomm etc. Vielfach wird deshalb angenommen, er hätte sogar Informationen in seine Karte eingebaut, die mehr als hundert Jahre veraltet waren.
Ich halte beide für gleich zuverlässig ohne dies präzisieren zu können/wollen. Tacitus behandelt eine Zeit um 100n, Ptolemaios eine um 160 n. Trotzdem sollte man jede Angabe einzeln auch ihre Richtigkeit überprüfen, da beiden Fehler unterlaufen sein könnten, genauso wie späteren Kopisten.

Zu den Ortsnamen: Die -stedt-Namen finden sich nicht nur im alten Thüringergebiet, teilweise bis nahe an die Weser, sie finden sich ebenso in Nordniedersachsen, zwischen Unterweser und Unterelbe. Westlich der Weser erscheinen sie vereinzelt als -stede-Orte. Auch in Jütland haben wir diese Orte als -sted. Es erscheint daher nicht so eindeutig sie als suebisch oder thüringisch zu bezeichnen, zumal sie eher mit den -leben-Orten verbunden scheinen und weniger mit den -ingen-Namen. Zum Verhältnis Hermunduren-Thüringern komme ich später, wenn wir uns bis Mitteldeutschland durchgekämpft haben.
Die -um-Namen, Borsum, Harsum etc kommen, so glaube ich, von -heim, da bin ich mir aber gerade nicht ganz sicher.
 
Danke Beorna, für die Auskunft. Kannst du mir nun noch sagen, woher Tacitus (und auch Ptolemäus) ihre Informationen zu den Sitzen germanischer Stämme bezogen haben? Wie verlässlich ist denn so etwas?
 
Dieter schrieb:
Danke Beorna, für die Auskunft. Kannst du mir nun noch sagen, woher Tacitus (und auch Ptolemäus) ihre Informationen zu den Sitzen germanischer Stämme bezogen haben? Wie verlässlich ist denn so etwas?

Mir wurde erst vor kurzem gesagt, dass auch Tacitus nicht allzu wörtlich genommen werden sollte, da er wohl auch nur aus vorhandenen Informationen und bekannter Literatur schöpfte und seine Absicht nicht die Auflistung von Germanenstämmen war sondern eher politische und moralische Absichten hatte.

Ich denke mal die Frage trifft auch das "Grundproblem" der Germanenforschung:
Die meisten Stämme werden erst "sichtbar" wenn sie in kontakt mit der literarischen Welt (= Rom) treten, vorher sind sie nur vage, wenn überhaupt, bekannt. Dieses in Verbindung mit der Struktur der einzelnen gentes ( Familie, Sippe, Stamm) macht es extrem schwer ihrer habhaft zu werden.
 
Das habe ich mich auch schon oft gefragt, wie die Autoren zu ihrem Wissen kamen. Zum Beispiel, das wissen über die "Fenni" (Finnen oder Saami) . Hatte es irgendein römisches Handelsschiff in die nördliche Ostsee verschlagen? oder gab es erbeutete Sklaven die von fernen Völkern berichteten usw?
 
Von Tacitus vermütet man, daß er eine Station seiner politischen Laufbahn als Legat in Germanien verbracht habe. Er könnte daher die Informationen aus erster Hand haben. Die Anwesenheit des Ptolemaios in Germanien ist mir hingegen nicht bekannt.

Ptolemaios erwähnt zwischen kleinen Chauken und Sueben die großen Brukterer, unter diesen die Chaimer und zwischen großen Chauken und Sueben die Angrivarier, danach die Langobarden und Dulgubnier. Von den binnenländischen Völkern sind die größten die Angilen-Sueben, sie erstrecken sich nördlicher als die Langobarden nordwärts bis zur Mittelelbe, dann folgen Semnonen und Burgunten.
 
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