Die Frage die mich beschäftigt ist, warum die französische Marine bei Gefechten mit der englischen meist den Kürzeren zog? [...] Immer wieder wird in der Literatur die Qualität der französischen Schiffe hervorgehoben – also bleibt nur die Mannschaft als Ursache übrig. Insbesondere aber die Offiziere, die wohl eher wegen der Herkunft ihre Posten bekamen und weniger aufgrund des Könnens.
Dafür gibt es nicht einen Grund, sondern mehrere. Ich beschränke mich hierbei auf die Zeit zwischen 1756 und 1815 und da wir das Thema an anderer Stelle hatten, eine grobe Zusammenfassung:
Politisch - Strategisch: Die handelsorientierte englische (Kaufmanns-)Politik blickte auf die See: Kontrolle der Seewege und der überseeischen Rohstoffquellen und Absatzmärkte. Die agrarisch orientierte französische (Adels-)Politik dachte in eher festländischen Kategorien. Daraus leitet sich ab: die britische Flotte diente: 1. zur Verteidigung der Sicherheit Großbritanniens, 2. zur Sicherung der Herrschaft in den überseeischen Kolonien - von Irland bis Indien und der Seeverbindungen dorthin und 3. der Aufgabe, den französischen, spanischen und niederländischen Konkurrenten eine ähnliche Nutzung der See zu verwehren. Die französische Flotte diente dazu, 1. die nassen Landesgrenzen Frankreichs gegen britische Raids zu verteidigen und 2. französische Truppen nach Übersee zu transportieren und deren Landoperationen dort zu flankieren und zu unterstützen. Während für die französische Flotte daher wichtig war, ihre Kampfkraft zu erhalten - also einer Schlägerei mit den Briten eher aus dem Weg zu gehen, war es den Briten wichtig, die Konkurrenz vom Wasser zu vertreiben. Dieses britische Dogma gipfelte im Vernichtungsgedanken, der wiederum bei Aboukir und Trafalgar besonders zum Ausdruck kommt. Die daraus abgeleitete taktische Vorgabe für die Franzosen war konsequent positiv: das eigene Schiff einsatzfähig erhalten (um an einem anderen Tag wieder präsent zu sein); das britische Gegenstück ebenso konsequent negativ: das gegnerisch Schiffe zu durch Eroberund oder Vernichtung aus dem Verkehr ziehen. Daher fochten die Franzosen tendenziell defensiv, zielten auf die Takelage um den Gegner manövrierunfähig zu machen und positionierten sich in Lee, um jederzeit ablaufen zu können. Die Briten positionierten sich in Luv, um jederzeit dem Gegner das Gefecht - und zwar den Nahkampf - aufzwingen zu können und zielten auf die Rümpfe, um die Besatzung zu dezimieren, zu demoralisierten und die gegnerischen Schiffe unschädlich machen oder noch besser erobern zu können. Die Franzosen bevorzugten es, diese Gefahr nicht zuzulassen und fochten auf Distanz, wozu sie zielen lernten (und das sehr gut) während die Briten ohnehin nah ran wollten, also ungezieltes Schnellfeuer auf kurze Distanz übten. Generell stiegen die Briten in ein Gefecht wesentlich aggressiver ein als die Franzosen, weshalb sie auch meistens (nicht immer) siegten.
Hier ist den Franzosen der Vorwurf zu machen, dass ihnen dieser Umstand jahrzehntelang bekannt war und sie, mit Ausnahme des Kommandanten der
Redoutable bei Trafalger nichts taten, um ihre strukturell bedingte Niederlagengarantie zu beseitigen.
Technik: Die französischen Schiffe mögen häufig gut (für ihre o. a. genannten operativen Zwecke, nämlich groß und bei gutem Wetter schnell) designt gewesen sein. Die englischen Eigenentwürfe waren deswegen aber noch lange nicht grottenschlecht. Darüberhinaus waren diese wesentlich stabiler und dauerhafter konstruiert und in der Regel aus hochwertigerem Material, das auch für die Nachversorgung eher zur Verfügung stand. Merke: die beste Blaupause auf dem Papier bringt nix, wenn das Produkt nicht adäquat gebaut und versorgt werden kann.
Noch mehr Technik: Die Rümpfe der britischen Schiffe waren früher konsequenter gekupfert worden. Folge: Längere Stehzeit in See zwischen dem Docken und weniger bremsender Bewuchs. Die Geschützrohre waren von höherer Qualität und ließen eine höhere Feuergeschwindigkeit zu, das britische Schwarzpulver auch (die Briten hatten Zugang zu indischen Salpetervorkommen, die Franzosen mussten ihres mühsam von Kellerwänden kratzen). Die Takelagen waren von besserer Qualität und belastbarerer.
Wirtschaftlich: Die britische Regierung war finanzkräftiger und hatte mehr Geld, um ihre Schiffe einsatzklar zu machen. (Auf Grund der desolaten Finanzsituation konnten die Franzosen in den letzten Jahren des Siebenjährigen Krieges bei weitem nicht mehr alle vorhandenen Schiffe ausrüsten!)
Medizin und Hygiene: Ernährung, medizinische Versorgung und Hygiene an Bord der Briten waren weniger schlecht als bei den Franzosen. Folge: höhere körperliche Fitness und geringerer Krankenstand bei den Briten.
Fazit: Man sieht halt, wie geographische, soziale, politische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Verhältnisse sich zu einem Gesamtbild verbinden.