Entwicklung kleinrussische Sprachen

Anfang des 20. Jahrhunderts gab es noch keine einheitlichen Regeln für die ukrainische Orthografie. (Woher sollten sie auch kommen? Ukrainisch wa

Die Bolschewisten nahm sich dieses Problems im Rahmen der Korenisazija-Politik an.

Der sowjetisch-ukrainische Kulturpolitiker Nikolai/Mykolo Skrypnyk lud zahlreiche Linguisten und ukrainische Dichter zu einer Orthografie-Konferenz in Charkiw ein. Zu der Konferenz kamen auch Experten aus Galizien, das damals zur Republik Polen gehört. Darüber, wie ukrainisch geschrieben werden sollte, herrschte überhaupt keine Klarheit. Diskutiert wurde sogar, ob das kyrillische und das lateinische Alphabet zu verwenden sei. Ergebnis der Konferenz war eine einheitliche Orthographie mit kyrillischen Buchstaben, die 1928 offiziell in der Ukrainischen Sowjet-Republik eingeführt wurde, 1929 im polnischen Galizien. Diese Orthographie wurde auch als Charkiw-Orthografie oder Skrypnyk-Orthografie bekannt.

Die Charkiw-Orthografie unterscheidet sich stark von der damals neuen, vereinfachten russischen Orthografie von 1918. Das ukrainische Alphabet verfügt über weitaus mehr Buchstaben, ähnelt daher eher der vorrevolutionären Schreibweise der großrussischen Sprache.

Bereits 1933 wurde eine neue ukrainische Orthografie eingeführt. Ukrainisch sollte nun mit genauso wenigen Buchstaben geschrieben werden wie Russisch seit der großen Rechtsschreibreform von 1918. Auch die Interpunktionsregeln wurden an die Regeln des Russischen von 1917 angeglichen. Unterschiede zwischen beiden Schriftsprachen bestanden fast nur noch auf lexikalischer Ebene.
Die an der Entwicklung der Charkiw-Orthografie beteiligten Politiker, Dichter und Linguisten wurden während des Großen Terrors größtenteils umgebracht. Mykolo Skrypnyk wurde in den Selbstmord getrieben. Im ukrainischen Geschichtsbewusstsein wird diesbezüglich von einer erschossenen Renaissance gesprochen.

In Galizien wurde weiterhin an der Charkiw-Orthografie festgehalten, bis diesen Gebiet ebenfalls der Ukrainischen Sowjet-Republik angeschlossen wurde.
Die Charkiw-Orthografie wurde weiterhin von der ukrainischen Diaspora gepflegt.

Nach 1989 wurde die ukrainische Orthografie in kleinen Schritten immer weiter an die Charkiw-Orthografie angeglichen - zuletzt wurde 2019 die Charkiw-Orthografie weitgehend wiederhergestellt.

Im 20. Jahrhundert entstanden jedenfalls zwei klar unterscheidbare Schriftsprachen für das Ukrainische. Die Schriftsprache von 1933 betont die Gemeinsamkeiten mit der Russischen Schriftsprache von 1918, während die Charkiw-Orthografie größere Gemeinsamkeiten mit der vorrevolutionären russischen Orthografie aufweist.

Eine wirkliche Besonderheit der ukrainische Schriftsprache ist der Buchstabe Ґ. Dieser neu entwickelte Buchstabe wurde mit der Rechtsschreibreform von 1933 wieder abgeschafft.
Den Buchstaben Ґ gibt es nur für das Ukrainische. Er gilt als Umschrift für [g] und wird nur in Fremdworten verwendet. Das [g] kommt sonst im Ukrainischen nicht vor. Г wird auf ukrainisch immer als [h] gesprochen, auf russisch jedoch als [g] (außer bei den südrussischen Dialekten).
Keine Version der ukrainischen Orthografie nimmt auf die unterschiedliche Aussprache des Buchstaben Г Rücksicht. Erst mit lateinischen Buchstaben wird der kleine Unterschied zwischen Lugansk/Luhansk, Igor/Ihor, Golodomor/Holodomor usw. sichtbar.
 
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