Diese Kriege zwischen den Stadtstaaten scheinen aber anders gewesen zu sein, als die Kriege Roms.
Anfangs nicht. Auch Rom war jahrhundertelang nur ein Stadtstaat, erst im 4. Jhdt. v. Chr. begann eine ausgedehntere territoriale Expansion. In der frühen Republik führte Rom, wenn man den sagenhaften Überlieferungen bei Livius und Dionysios von Halikarnassos Glauben schenken will, auch fast jährlich Kleinkriege gegen seine Nachbarn.
Was machte Rom so anders als die Griechischen Stadtstaaten?
Eine schwierige Frage, auf die ich Dir keine endgültige Antwort geben kann. Einen "Masterplan" hatte Rom auch nicht, also keinen Plan "Wir wollen von einem Stadtstaat zum Weltreich werden". Das war eine allmähliche Entwicklung. Ein paar Unterschiede gab es aber tatsächlich. Zunächst errang Rom die Vorherrschaft im Latinerbund, was allein aber noch kein echter Unterschied zu Griechenland war, denn auch dort gab es derartige Städtebünde. Ein wichtiger Punkt war aber, dass Rom damit begann, besiegten Gegnern stückchenweise Land abzunehmen und darauf Kolonien anzulegen. Diese waren zwar zunächst als "latinische" Kolonien autonom, fungierten aber doch als Außenposten der römischen Macht, und später kamen dann noch "römische" Kolonien dazu. (Bei diesen Kolonien handelte es sich also nicht wie bei den griechischen Kolonien um neue unabhängige Stadtstaaten.) Auf diese Weise konnte Rom allmählich Mittelitalien durchdringen und mit seinem System von Stützpunkten kontrollieren. Im 4. Jhdt. wurden dann auch zunehmend kleinere Nachbarvölker unterworfen und meist auch rasch integriert, außerdem konnte Rom einen Aufstand der Latiner niederschlagen und somit seine Herrschaft in Latium festigen. So wurde Rom im Laufe von zwei Jahrhunderten allmählich zur Hegemonialmacht Mittelitaliens. Rom verstand es auch, seine neuen Untertanen an sich zu binden, indem es ihnen scheibchenweise zusätzliche Rechte gewährte, letztlich manchmal das volle Bürgerrecht, sodass sich die Unterworfenen im Laufe der Zeit als Teilhaber der Herrschaft fühlen konnten. Andererseits aber respektierte Rom die innere Selbstverwaltung der neuen Untertanen seines Machtbereiches, sodass seine Herrschaft meist als einigermaßen erträglich empfunden wurde.
Die größeren griechischen Stadtstaaten hingegen versuchten zwar auch, eine Hegemonialstellung zu erringen. Aber erstens waren ihre "Kolonien" unabhängige neue Stadtstaaten. Erst später gab es mit den "Kleruchien" Versuche vor allem seitens Athens, neue Städte anzulegen, die unter der Herrschaft der Mutterstadt blieben. Zweitens integrierten die Griechen Unterworfene nicht. Die Spartaner z. B. eroberten zwar nach und nach große Teile des südlichen Peloponnes, blieben aber trotzdem unter sich und behandelten die Unterworfenen mit harter Hand als Untertanen. Generell wachten die Bürger der griechischen Stadtstaaten eifersüchtig über ihr Bürgerrecht und waren kaum bereit, es anderen zu verleihen. Umgekehrt aber hatten die griechischen Stadtstaaten ein ausgeprägtes Souveränitätsbewusstsein und ordneten sich nur höchst widerwillig anderen Stadtstaaten unter. Städtebund ja, aber bitte nur auf gleichberechtigter Basis. Alles andere musste erzwungen werden.
Wieso strebten die Griechen nicht nach der Weltherrschaft?
Manche taten das durchaus. Athen kontrollierte per Attischem Seebund die Ägäis und Westkleinasien, intervenierte in Ägypten, versuchte Sizilien zu erobern und visierte Etrurien und Karthago als Fernziele an. Aber seine Kräfte reichten dafür einfach nicht. Es wollte zu viel auf einmal, expandieren, ohne den Attischen Seebund (dessen Mitglieder nur auf eine Gelegenheit zum Abfall warteten) integriert zu haben.
Die meisten Stadtstaaten waren aber in erster Linie auf Wahrung ihrer Unabhängigkeit bedacht und wollten nach Möglichkeit noch eine Hegemonialstellung in ihrer Umgebung erringen.
Und warum endete die Ära der Stadtstaaten? War es die Schuld Roms, oder was hatte sich verändert?
Die Ära der Stadtstaaten endete nicht wirklich. Noch unter römischer Herrschaft existierten viele griechische Stadtstaaten auf dem Papier weiter und behielten zumindest innere Selbstverwaltung.
Verändert hatte sich das politische Umfeld: Jahrhundertelang waren die Griechen in Griechenland unter sich gewesen und konnten sich auf ihre Kleinkriege konzentrieren, ohne von ausländischen Mächten behelligt zu werden. Die persischen Angriffe konnten durch eine Koalition verschiedener Stadtstaaten abgewehrt werden. Aber im 4. Jhdt. stieg Makedonien zur neuen Großmacht auf, später machten dann die Diadochenreiche und zuletzt noch Rom seinen Einfluss geltend. Die Griechen schafften es meist nicht, eine einheitliche entschlossene Politik zu verfolgen, sondern ließen sich im Gegenteil oft gegeneinander ausspielen. Es gab zwar im 3. und 2. Jhdt. Versuche einer griechischen Integration wie der Aitolische oder der Achaiische Bund, aber diese Städtebünde blieben regionale Angelegenheiten, die letztlich meist selbst auf die Unterstützung fremder Mächte angewiesen waren, um sich gegen andere fremde Mächte durchsetzen zu können. Wirklich eigenständige Machtfaktoren waren sie nur selten, dazu waren sie zu schwach.
Wieso gab es im Mittleren Osten schon länger größere Reiche, und in Europa meistens Stadtstaaten?
Auch in Ägypten, Syrien, Palästina und Mesopotamien gab es ursprünglich Stadtstaaten, und ein gewisser Partikularismus blieb bestehen und kam in Zeiten der Schwäche der großen Reiche immer wieder zum Vorschein.
Wieso dort die Reichsbildung schon früher funktionierte, kann ich auch nicht wirklich sagen. Ein wesentlicher Punkt war meiner Meinung nach, dass sich die Untertanen nicht so als Bürger fühlten wie in den griechischen Städten und Rom. Ein Grieche war kein Untertan in seiner Stadt, er identifizierte sich mit ihr und hatte vielfach auch mehr oder weniger teil an der politischen Macht. Für den Bewohner einer orientalischen Stadt hingegen war es vermutlich relativ egal, ob er von einem lokalen Potentaten regiert wurde oder von einem in einer anderen Stadt. Ein weiterer Punkt war wohl, dass sich im Orient früher Verwaltungsapparate entwickelten, ohne die man kein größeres Reich dauerhaft regieren kann.