Falsch. Ich erteile keine Generalabsolution. Ich verwahre mich einfach nur gegen eine unterschiedslose Pauschalverurteilung von Menschen, die nun zufällig in dieser Zeit gelebt haben, und die vielleicht einfach nur zu dämlich und/oder zu feige waren, um über’n Tellerrand zu gucken (eine Eigenschaft, die der Mehrheit der Zeitgenossen beiderlei Geschlechts übrigens auch heute noch zueigen ist). Wir Spätgeborenen haben doch gut Reden. Wir können uns in die Brust werfen und prahlen, was wir für tolle Widerstandskämpfer gewesen wären. Das ist auch so schön einfach. Wir müssen’s nämlich nicht beweisen. Wieviel Prozent der Bevölkerung haben heutzutage das Kreuz, gegen den Strom zu schwimmen? Sich offen mit ihrem Chef anzulegen? Sanktionen herauszufordern? Und vor allem: sich als Minderheit offen gegen die Meinung der überwiegenden Mehrheit zu stellen? (Vorausgesetzt, sie haben überhaupt eine andere Meinung.) Wer hat wirklich den Mut, wenn’s darauf ankommt? Du als Fachfrau (Soziologin?) weißt es vielleicht. Wieviel Prozent der Menschen sind in dieser Hinsicht wirklich mutig? Fünf?
Nein, ich erteile keine Generalabsolution. Ich plädiere einfach nur für Differenzierung.
Doch, in gewissem Sinne schon. Anders als dir geht es mir inzwischen so was von gegen den Strich, wenn bekannte Argumente fallen, die ich jetzt beileibe nicht noch einmal durchkauen möchte, warum man nichts wußte, oder nichts tun konnte. Mir schwillt vor allem deshalb der Kamm, weil die Argumente immer fallen, wenn eigene Handlung und Aktion gefordert wird.
Und du hast vollkommen recht, es sind immer die Gleichen, die handeln oder auch nicht.
Quer durch die Geschichte kann man sogenannte "Zivilcourage" ausmachen, ebenso wie die große Summe der Feigen oder Angepassten.
Man mag für sich selbst gute Gründe angeben, warum man lieber schweigt (Selbstschutz), aber das ändert nichts an der Tatsache dass es immer Menschen, oder vielmehr Grundcharaktere gibt, die altruistischer reagieren und Gemeinwohl eben über Selbstwohl stellen.
Ich will gar nicht einmal so weit gehen, und behaupten ich wäre eine Widerstandskämpferin geworden; vielleicht hätte auch ich Kinder gehabt und versucht diese zu schützen, diese zur Anpassung erzogen, in dem Wahn sie würden damit besser durchs Leben kommen. Ich will's für mich und meine Tochter nicht hoffen, aber ich kann nicht beschwören, dass ich nicht auch "feige" gewesen wäre.
Tatsache ist jedoch, dass mich diese Argumente nicht meiner Verantwortung entzogen hätten, der Verantwortung für mein Handeln oder eben NIchthandeln. Falsch. Ein Nichthandeln gibt es ja nicht wirklich. Wenn ich zuschaue, oder wegschaue, Tatsachen schlicht nicht zur Kenntnis nehme, ist auch das eine Handlung und Teil meiner Verantwortung.
Wie mein Vater (geboren 1932) immer zu mir sagte, wenn ich mich auf die Mehrheit bezog "Und wenn die anderen in den Brunnen springen, springst du nach, oder wie? Und wenn du am Jüngsten Tag nach deinen Taten gefragt wirst, sagst du dann, aber es sind alle gesprungen?"
Was ich tue, oder nicht tue, unterliegt meiner eigenen und persönlichen Verantwortung, nicht der eines Lebenspartners, eines Vaters, eines Chefs, eines Politikers usw.
Glaubst du man kann besser schlafen, wenn man sinnlos quält und tötet, weil man sich auf einen Befehl von Oben beziehen kann? Wenn man es gegen das eigene Ich tut, quält man sich selbst damit ein Leben lang, und dabei ist es völlig egal, ob man in diesem Fall vor ein Kriegsgericht kommt, oder nicht.
Die Frage für mich lautet eher, wieviele haben sich ihrer Verantwortung gestellt, hatten Alpträume und schlaflose Nächte und wieviele haben sich mit Argumenten wie "Ich war unschuldig. Ich habe gar nichts getan", herausgeredet?