Gab es (seit dem Mittelalter) östlich der Oderlinie bis zum 1. Weltkrieg mehr/öfters grausamere Herrscher als in Westeuropa?

rrttdd

Mitglied
Ich frage mich, ob man hierzu schon einmal Untersuchungen angestellt hat.

Kandidaten für östliche Gewaltherrscher, entsprechend ihres Rufs:


(Vorbild für Dracula)
(Der schreckliche Iwan)
Auch im 19. Jh. schien Russland z.T. einen Ruf zu haben wie Nordkorea, mit leibeigenen geknechteten Bauern und der berüchtigten Geheimpolizei des Zaren...

Kandidaten für evtl westliche Gewaltherrscher:

Allerdings frage ich mich, ob die osteuropäischen Herrscher teilweise entweder vom Westen dämonisiert wurden, oder ob ihnen in ihren Gesellschaften eine gewisse Blutrünstigkeit mehr Autorität verleihen sollte. Bei westlichen Herrschern wird der blutrünstige Aspekt zum Teil eher ausgeklammert oder wird wie bei Heinrich VIII sogar als lustiges Kuriosum verharmlost (vor allem in Bezug auf seine Frauen...).
 
Erstmal welche Oderlinie?

Die meiste Zeit vom ausgehenden Mittelalter, bzw. vom Beginn der Neuzeit an, markierte die Oder überhaupt keine Grenze, sondern floss mitten durch Schlesien, mitten durch Brandenburg und mitten durch Pommern.

Bei westlichen Herrschern wird der blutrünstige Aspekt zum Teil eher ausgeklammert oder wird wie bei Heinrich VIII sogar als lustiges Kuriosum verharmlost (vor allem in Bezug auf seine Frauen...).
Das kommt sehr darauf an, wer die Quellen zu welchem Zweck verfasst hat.

Wirf mal einen Blick in Machiavellis "Il principe" und schau dir mal an, was der gute Mann über das teils grausame Handeln etwa von Cesare Borgia so zu sagen hatte.

Da wird nicht die Grausamkeit eines Herrschers aus der eigenen Gegend ausgeklammert oder zum Kuriosum erlärt, sondern explizit als vorbildliche Anwendung von Herrschaftstechniken gelobt.
Ist aber eben nicht in die Populärliteratur eingegangen.

Der Unterschied ist eben, dass populäre Geschichtsbilder sehr gerne mit der Exotik des Fremden spielen (auch wenn es oft bei Lichte betrachtet so fremd eigentlich nicht ist) und dafür eignet sich halt zum Teil besser, was irgedwie außerhalb des eigenen, gewöhnlichen Horizonts passiert oder passiert ist.
 
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Östlich der Oder!?
Darfs auch ein bissel weiter sein?

Da fallen mir so manche ein.
Unter anderen auch der Mongole Khorloogiin Choibalsan oder auch Chorloogiin Tschoibalsan
(* Februar 1895/Dornod-Aimag, eine Provinz im äußersten Osten des Landes - † Januar 1952/Moskau).
Er war ein kommunistischer Führer der Mongolei von 1932 bis zu seinem Tod.
Er löste den Staatspräsident und Premierminister Peldschidiin Genden ab und lies ihn 1937 hinrichten.
Er war ein Freund J.W. Stalin und auch Georgi Schukow.

Die Herrschaft von Tschoibalsan gilt allgemein als die tyrannischste Phase der modernen mongolischen Geschichte. Unter seiner Führung wurden viele Säuberungen gegen sog. Volksfeinde durchgeführt (religiöse Persönlichkeiten, die ehemalige Aristoktatie und politische Dissidenten).
 
Ich würde diese Frage nicht an der Geographie festmachen wollen, auch nicht an der Kultur, sondern am Vorhandensein stabiler Herrschaftsstrukturen und allgemein akzeptierter mäßigender Einflüsse (dabei denke ich etwa an die Kirche mit ihrem Gottesfrieden).
 
Nach welchen Kriterien soll "grausam(er)" gefasst werden? Nach Gesamttoten pro Herrschaftszeit? Toten pro Herrschaftsjahr? Anteil der Toten an der Gesamtbevölkerung des Herrschaftsbereichs? Anteil der Toten in anderen Herrschaftsbereichen? Willkürliche Rechtsprechung u. -beugung? Besondere Brutalitäten? Unter der Herrschaft geduldete Grausamkeiten anderer? Not u. Elend verursachende Ausbeutung? ...
 
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Nach welchen Kriterien soll "grausam(er)" gefasst werden? Nach Gesamttoten pro Herrschaftszeit? Toten pro Herrschaftsjahr? Anteil der Toten an der Gesamtbevölkerung des Herrschaftsbereichs? Anteil der Toten in anderen Herrschaftsbereichen? Willkürliche Rechtsprechung u. -beugung? Besondere Brutalitäten? Unter der Herrschaft geduldete Grausamkeiten anderer? Not u. Elend verursachende Ausbeutung? ...
Ich schlage die statistische Anzahl an Enthauptungen pro Kopf als Kriterium vor ;)
 
Dann dürften allerdings die Machthaber der französischen Revolution (in der Zeit der Terrorherrschaft) ziemlich unübertroffen sein.
Och, wenn man jetzt die höchsten kolportierten Zahlen nimmt (was natürlich Bullshit ist, aber es wäre unterhaltsam), was die angebliche Hinrichtungsorgie Karls d. Großen bei Verden an der Aller angeht, wäre es möglich dass da in Relation zur Bevölkerung Sachsens noch deutlich mehr Blut vergossen wurde.:p

Eigentlich ging es mir aber nur um das Wortspiel.
 
In Anbetracht der kulinarischen Grausamkeit des aktuellen Oktoberfestes gebe ich zu bedenken, dass die größten diesbezüglichen Grausamkeiten südlich des Weißwurstäquators begangen werden.

Ich erwarte eine baldige Analyse, zumindest eine sinnstiftende Umfrage unter den Mitdiskutierenden.
 
Auf der Verlautbarungsebene wirkte der Westen humaner, weil dort in der Theorie stärker auf das Individuum und seine Rechte abgestellt wurde, aber in der realen Herrschaftsausübung waren die Unterschiede wohl geringer oder gar nicht objektiv feststellbar.

Ein erkennbares Zivilisationsgefälle gab es nur Richtung osmanisches und tartarisches Herrschaftsgebiet, wo der fürstliche Absolutismus zum Despotismus gesteigert war. Einziger Mitigationsfaktor war hier der Gleichheitsimpuls des Islam, der aber andererseits im Außenverhältnis zu anderen Religionen zusätzliche Brutalität hineinbrachte.
 
Ein erkennbares Zivilisationsgefälle gab es nur Richtung osmanisches und tartarisches Herrschaftsgebiet, wo der fürstliche Absolutismus zum Despotismus gesteigert war. Einziger Mitigationsfaktor war hier der Gleichheitsimpuls des Islam, der aber andererseits im Außenverhältnis zu anderen Religionen zusätzliche Brutalität hineinbrachte.
Das ist eine steile These. Nicht etwa, dass ich die osmanischen Sultane verharmlosen wollte, aber in ihren Herrschaftsbereichen konnten Christen und Juden leben. Als Dimmiûn zwar, also nicht mit denselben Rechten ausgestattet, aber sie konnten dort leben. Osmanische Sultane sogrten sogar dafür, dass jede christliche Konfession Zugang zur Grabeskirche in Jerusalem bekam, den diese sich gegenseitig verwehrten, indem sie die Schlüsselhoheit einer nichtchristlichen Familie übergaben (die bis heute jeden Morgen die Grabeskirche öffnet und jeden Abend verschließt).
Als 1212 Kastilien zum Kreuzzug aufrief, schlossen sich dem nicht nur Aragón und Navarra an, sondern auch französische oder kärntnerische Truppen (die Kärtner kamen aber erst in Spanien an, als die Sache schon gelaufen war). Die "Spanier" waren entsetzt, als die "Franzosen" in ihrere morerías eindrangen, also in die Viertel der Muslime in den christlich beherrschten Städten. Also auch hier zusätzliche Brutalität, die gegen Muslime ging, die z.T. seit Jahrhunderten dort lebten, zum Teil aber auch vor den Almohaden, gegen die der Kreuzzug ging, in christliches Territorium geflüchtet waren.
"Absolutismus zum Despotismus gesteigert": Robbespierre war - in unserem Sinne - ein Despot*. Die frz. Könige davor absolutistisch.

*War Despot nicht mal ein offizieller Titel?
 
@ El Quijote

Das ist keine steile These, nur ein Affront gegen die relativierende, multikulturalistische Geschichtsschreibung, die immer alles gleichsetzen muß. Der Faden bezieht sich laut Titel nicht auf das Mittelalter, sondern die gesamte Frühzeit und darüber hinaus. Habe gerade die "Belagerung von Wien" (1683) von John Stoye zuende gelesen und die Unterschiede in der Menschenführung zwischen Osmanen und der Habsburger-Koalition waren offenkundig. Wenn es bei den Osmanen nicht lief, rollten sofort die Köpfe. Wenn die Truppen nicht spurten, wurde sofort kurzer Prozess gemacht.

Und die Tartaren waren nur zerstörerisch unterwegs. Die sesshafte Bevölkerung ausplündern, berauben, versklaven und ermorden, das war über Jahrhunderte ihre Lebensgrundlage. Das haben zwar auch die größten Zivilisationen wie die Römer getan, aber die haben danach den Lebensstandard der besiegten Völker auf ein ganz neues Niveau gehoben. Die Tartaren nicht, da steht nichts Positives auf der zivilisatorischen Habenseite und dafür trägt die Führung die Hauptverantwortung.
 
die relativierende, multikulturalistische Geschichtsschreibung, die immer alles gleichsetzen muß.
Aha.
die Unterschiede in der Menschenführung zwischen Osmanen und der Habsburger-Koalition waren offenkundig. Wenn es bei den Osmanen nicht lief, rollten sofort die Köpfe. Wenn die Truppen nicht spurten, wurde sofort kurzer Prozess gemacht.
Ich halte ja an und für sich nichts von Aufrechnerei, weil diese tatsächlich schnell wie Relativierung wirkt. Aber drakonische Strafen (Drakon war Grieche) gab es durchaus auch im Westen, ich denke da an so Dinge wie Spießrutenlaufen oder Kielholen, die im Normalfall tödlich endeten. Und das waren keine schnellen Tode, sondern langsame. Ich würde also nicht meinen, dass man sich über die Osmanen erheben sollte, sie seien besonders grausam gewesen, grausame Todesurteile einer Militärgerichtsbarkeit waren auch im "Westen" üblich. Das macht die im "Osten" nicht besser, macht den "Osten" aber auch nicht grausamer als den "Westen".
 
Aber drakonische Strafen (Drakon war Grieche) gab es durchaus auch im Westen
Ein paar kurze Anmerkungen zu seiner Ehrenrettung:
Drakon führte – trotz seines sprichwörtlich schlechten Rufes – drei wesentliche Neuerungen ein:
- Seine Gesetze wurden schriftlich festgehalten und veröffentlicht.
- Er unterschied zwischen vorsätzlicher und nicht vorsätzlicher Tötung. Vor allem das war ein wesentlicher Fortschritt. In älteren Rechtsordnungen wurde häufig nur auf den „Erfolg“ abgestellt (also dass jemand tot war), aber nicht danach differenziert, ob der Täter vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hatte. Dem unvorsätzlichen Täter ließ Drakon einen gewissen gesetzlichen Schutz angedeihen.
- Überhaupt versuchte er Selbstjustiz und Blutrache zugunsten eines geregelten Verfahrens und einer geregelten Gerichtsbarkeit zurückzudrängen.
Grausam waren Drakons Strafen, aber ansonsten waren seine Gesetze durchaus fortschrittlich und zivilisiert.

Aber auch bei der Grausamkeit muss man bedenken, dass viele frühe Rechtsordnungen harte Strafen vorsahen. Das muss man nicht auf Grausamkeit zurückführen, sondern es war wohl auch dem Versuch, dem Staat bei der Strafverfolgung eine stärkere Rolle einzuräumen und letztlich so etwas wie ein staatliches Gewaltmonopol durchzusetzen, geschuldet: Bürger, die es gewohnt waren, das „Recht“ selbst in die Hand zu nehmen und selbst durchzusetzen, werden staatliche Eingriffe nur akzeptieren, wenn sie davon ausgehen können, dass der Täter dann auch nicht milder davonkommt. An eine Milderung der Strafen kann erst gedacht werden, wenn die Bürger gelernt haben zu akzeptieren, dass die Strafverfolgung nach vom Staat vorgegebenen Regeln ablaufen soll.
 
Wenn es bei den Osmanen nicht lief, rollten sofort die Köpfe. Wenn die Truppen nicht spurten, wurde sofort kurzer Prozess gemacht.
Ich weiß nicht inwieweit das für das Osmanische Reich tatsächlich zutreffend ist, allerdings solche Attitüden gab es auch im Westen.

Das revolutionäre Frankreich hatte während der Revolutionskriege eine Vorliebe dafür eigene Generäle mit wenig Schlachtenglück als Verräter zu verdächtigen und teilweise hinrichten zu lassen.

In Italien sollen während des 1. Weltkriegs an die 700 Mann von Kriegsgerichten zumm Tode verurteilt und tatsächlich auch hingerichtet worden sein.

Und da sind wir jetzt noch nicht unbedingt bei den großen Diktatoren des 20. Jahrhunderts angekommen.
 
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