Hallo Ning,
leider konnte ich Dir nicht eher darauf antworten :sorry:
Doch auch mit Verspätung möchte ich es dennoch tun :winke:
Es mag sich härter lesen als es gemeint ist, und ich versichere Dir aufrichtig, daß ich Dich mit meiner Antwort keineswegs attackieren will o.ä. :fs:
ning schrieb:
Um Tib. und Timo an dieser Stelle zu antworten: Ich glaube nicht(!), dass es als "unmöglich" ist, Emotion und Verfassung einer Gesellschaft anno 50 oder anno 1260 n. Chr. nachzuzeichnen. Und hier bin ich wieder am Anfang meines "Begehrs": Es ist bloß sehr aufwendig, interdisziplinär und
man darf sich nicht beirren lassen:
Z. B. vom Unsinn, der reinen Unvernunft, dass viele Leute sich heutzutage bereits in den Zeiten wähnen, die über die Bildschirme flackern, im Weltall und in der Matrix, im Liquid einer Computergrafik, einer animierten, einer Science Fiction -Wirklichkeit.Die passt wohl eher zu ihren abstrakten "Beschäftigungen". (Kochen und Gemüseanbauen gehen allerdings nicht so abstrakt)
Emotional sind sie jedoch einen Mückenschiss vom Befinden eines mittelalterlichen Bauern entfernt und der war einen Mückenschiss weit weg von der Wirklichkeit eines Lyders 1000 Jahre zuvor.
Und ohne grundlegende Moral (Philosophie) hätte menschl. Gesellschaft NIE einen - und immer wieder - Halt gefunden.
Da Tib bereits für die römische Antike den Sachverhalt reflektiert hat, möchte ich dies für das europäische Hochmittelalter tun...
Ich persönlich glaube nämlich nicht, daß es uns möglich ist, uns in entsprechender Tiefe in die Welt um 1250 (ich erlaube mir den Vorgriff um ein Jahrzehnt) hineinzuversetzen. Wer das kann, verdiente allen Respekt; ich selbst versuche es ein ums andere Mal, doch muß erkennen, daß ich nur Aspekte, nein, vielmehr nur Facetten verstehen oder nachvollziehen kann.
Dafür gibt es zu viele Dinge, die relevant sind...
Selbst den katholischen Christen von heute trennen Welten bezüglich des Glaubensbildes bzw. des Glaubensverständnisses vom Menschen des westlichen Europa im Hochmittelalter. Und glaube mir; das liegt bestimmt am wenigsten an der Liturgie in Latein!
Wer heutzutage von sich behauptet, daß sein Glaube oder seine Weltanschauung absoluten Wahrheitsanspruch besitzt, wird - IMHO nicht zu Unrecht - als überheblich, intolerant, größenwahnsinnig o.ä. angesehen. Das Weltbild der Menschen damals ist ohne dies aber gar nicht denkbar!
Heute verstehen wir unter christlichem Handeln bspw. auch, daß wir hungerleidenden Menschen auf anderen Kontinenten oder Opfern von Naturkatastrophen mittels Geldspenden o. dgl. helfen. Auf derartige Ideen wäre damals niemand gekommen!
Heutzutage stellt die Vertreibung von Menschen aus ihrer angestammten Heimat ein Verbrechen gegen das Völkerrecht dar. Damals machte sich niemand Gedanken, ob so etwas nun verwerflich ist oder nicht, und es war legitim, in einem solchen Fall andere Menschen nicht nur zu vertreiben, sondern auch zu erschlagen!
Dergleichen Beispiele ließen sich noch mehr finden, doch belasse ich es an der Stelle dabei...
Bezeichnenderweise hat Tib bereits die Sache mit der Kindersterblichkeit angesprochen, ein Sachverhalt, der im Mittelalter genauso galt. Es gibt Aufzeichnungen aus Adelsfamilien, wo der Hausherr rückblickend sagte, seine Frau habe ihm fünf oder sechs Kinder geboren, von denen aber zwei oder drei bereits im ersten Lebensjahr gestorben seien. Derart wenig Emotionalität bezüglich des Todes der eigenen Kinder (deren genaue Zahl er nicht einmal mehr weiß) ist uns wohl vollkommen unverständlich...
Und weil es zu diesem Thema bzw. Tibs entsprechender Antwort passend ist, will ich noch etwas zu den Kreuzfahrern im Heiligen Land anmerken...
Mittlerweile ist sich die Mehrzahl der Historiker darüber einig, daß die meisten Kreuzfahrer nicht vordergründig aus Habgier in den Nahen Osten zogen, sondern wahrhaftig davon überzeugt waren, die Heiligen Stätten der Christenheit aus den Händen der Ungläubigen zu befreien. Sie wußten Gott auf ihrer Seite, und das genügte als Zweck, der nahezu alle Mittel heiligte - wie wir heute sagen würden. Ob und wieviele "Ungläubige" sie erschlugen, darüber machten sich die meisten wohl keine oder nur wenig Gedanken, denn für sie war es ein gottgefälliges Werk, in bewaffneter Pilgerfahrt Jerusalem etc. zu befreien!
Anm.: Ich will hier keine Bluttaten der Kreuzzüge verharmlosen o.ä., sondern versuche lediglich, ein Stimmungs- und Empfindungsbild der Menschen jener Zeit anzudeuten (was natürlich unvollkommen bleiben muß und nur ansatzweise geschehen kann)!
Wenn Du daraus jetzt aber liest, daß sich Emotion und Verfassung der Gesellschaft um 1250 doch nachzeichnen lassen, so mißverstehst Du mich.
Es mag in einzelnen Punkten gelingen, einiges davon zu erfassen, aber ein umfassendes Bild (und ich spreche noch nicht einmal von einem halbwegs vollständigen Bild) liegt jenseits unserer eigenen Grenzen.
Denn ob zum Beispiel - um in dem Bild zu bleiben - die Kreuzfahrer die regelmäßig wiederkehrenden kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Muslimen bzw. bestimmten Gruppen der Muslime als befriedigenden oder eher unglücklichen Umstand ansahen oder sich einfach damit abfanden, darüber maße ich mir kein Urteil an...
In diesem Sinne
Timo
PS: Ich weiß, daß die Diskussion inzwischen weitergelaufen ist; dennoch war ich Ning noch eine Antwort schuldig...