Günter Grass

Zur Freiwilligkeit bei der Waffen-SS: Auch schon vor 1944 gab es Fälle, wo der junge Mann vor die Alternative Zuchthaus oder Waffen-SS gestellt wurde. Einem Onkel ist das passiert bei einem Behörden-Mißverständnis über sein Geburtsjahr (1922, der Beamte dachte er sei 22 und habe sich dem Waffendienst bisher entzogen, war vermutlich 1940). Wer wäre da lieber ins Zuchthaus gegangen?
Gruß, Galadriel
 
beorna schrieb:
Was ich noch vergessen hatte. Am schändlichsten sind wohl die Kommentare aus Polen, während vom PEN aus der Tschechei bislang moderate Töne zu hören waren. Abgeordnete der PiS-Partei (Ich glaub' hier fehlt ein 's' und dann wirds Programm) fordern die Rückgabe der Ehrenbürgerwürde. Lächerlich. Was man so hört, liegen diese PiS-Herren moralisch näher an Grass' Jugendjahren, wenn ich es mal durch die Blume sagen darf.

Mit freundlicher Genehmigung von Martas:winke:
Ich bin vollkommen deiner Meinung.
Die Ehrenbürgerwürde zurücknehmen...die haben alle ein Rad ab...nicht nur die PiS, auch Samoobrona...:mad:
 
Cherusker schrieb:
Schließlich kritisierte Grass damals Kohl, daß er mit Reagan einen Soldatenfriedhof besuchte, auf dem auch Mitglieder der Waffen-SS lagen. Das nenne ich peinlich....

hyokkose schrieb:
Mit welchen Worten kritisierte Grass damals Kohl?

Ich konnte nichts darüber finden, daß Grass überhaupt jemals Kohl für den Besuch auf dem Soldatenfriedhof kritisiert haben soll.

Das war wohl nichts weiter als ein gescheiterter Versuch, ein Gerücht in die Welt zu setzen. Das nenne ich peinlich...
 
El Quijote schrieb:
Moment mal, die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend kann nach 1936 niemandem mehr vorgeworfen werden, denn am 1. Dezember 1936 wurde die Mitgliedschaft in dieser Organisation verpflichtend - es sei denn man wurde ausgeschlossen.

Ich habe das nochmal nachgeguckt, habe aber die Textstelle(n) im Buch nicht gefunden, die ich eigentlich haben wollte. Es ging aber sicher darum, dass die HJ die ehemaligen Mitglieder der "Schar" nicht akzeptierte/nicht aufnahm (im Klartext also verprügelte). Außerdem existierte die "Schar" bis 1939 und dann habe ich im Index das gefunden:

Aus "Unter der Asche die Glut" von Willi Fährman, S. 562

"Sturmschar= oft kurz Schar genannt, bildete sich aus den Wandergruppen innerhalb des Katholischen Jungmännerverbandes ab 1928, in ganz Deutschland verbreitet, verstand sich als Kern der KJMV, nach 1933 bekämpft, örtlich behindert und verboten, insbesondere die Kluft, das Banner, die Wimpel, Fahrten, Lager, Treffen, Wanderungen, schließlich nur noch relifiöse Veranstaltungen geduldet, Verhöre, Haussuchungen, oft Schutzhaft und Gefängnis besonders der Leute der Führung, die Organisation wurde im Februar 1939 endgültig verboten, aber viele Mitglieder hielten Kontakt und verweigerten sich der Gleichschaltung."

Das Leben in der "Schar" mag zwar nicht angenehm gewesen sein, aber man musste nicht in die HJ (ab 1936). Das war jetzt allgemein, nicht auf den Papst bezogen:scheinheilig: . Das sprang mir ins Auge, als ich das Buch laß.
 
Zu Bitburg ein Auszug aus faz-online:

Wie wäre die Bitburg-Debatte verlaufen, wenn er sich damals erklärt hätte - und sei es im selbstbezweifelnden goetheschen Sinne, daß er noch nie von einem Verbrechen gehört habe, das er nicht auch selbst hätte begehen können? Statt dessen nannte er den Besuch von Reagan und Kohl auf dem Soldatenfriedhof, wo, wie wir nun wissen, womöglich Angehörige seiner eigenen Division lagen, „eine Geschichtsklitterung, deren auf Medienwirkung bedachtes Kalkül Juden, Amerikaner und Deutsche, alle Betroffenen gleichermaßen verletzte“.


Der gesamte Text steht unter
http://www.faz.net/s/Rub7FC5BF30C45B402F96E964EF8CE790E1/Doc~E405E110A92BE45B7A76B55CF4698239D~ATpl~Ecommon~Scontent.html
 
Bitter sein schweigen und verletzend sein so spätes Offenbaren. Seine Kritik und seine Reden ins "deutsche" Gewissen, sind sie jetzt unwahr? Sicher nicht!
 
Erstmal ein Lob an alle Beteiligten, eine sehr schöne und sachliche Diskussion. Lange nicht mehr so viel Freude an einer Diskussion gehabt.

Meine Gedanken zu dem Thema:
1. Grass verdient großen Respekt, dass er freiwillig (ob nun vor oder in seinem Buch) mit etwas herauskam, dass in Dtl. in weiten Teilen immer noch als Schandfleck gilt. Und das, obwohl wir uns in dieser Gesellschaft doch eigentlich der Differenziertheit rühmen, der Tatsache einen jeden Menschen als Persönlichkeit zu betrachten ohne zu pauschalisieren.
Möglicherweise hat Grass damit auch eine Diskussion erneut angestoßen, die eigentlich in die Vergessenheit geriet oder niemals wirklich geführt wurde.
Ein wenig paßt dies dann doch wieder ins Bild seines "Moralapostels".

2. Ich finde es keineswegs verwerflich, das er "erst" jetzt damit rauskommt. Auch hier will man scheinbar nicht wissen, wie viele nie zugaben und zugeben werden, bei Waffen-SS oder Schlimmeres gedient haben.
Warum auch? Gab man ihnen Anlaß? Selbst wenn sie, wie Grass, nicht mal einen Schuß abgaben oder nachweislich nur irgendwo Post verteilten oder Kaffe kochten wurden sie für die Runen auf der Uniform angefeindet.
Auch Grass wird gewußt haben, was für eine Welle er da lostritt, und trotzdem hat er sich ihr jetzt gestellt.

3. Eines der Dinge die ich nicht verstehe in Deutschland und nie verstehen werde ist die Art mit der Vergangenheit umzugehen. Es scheint mir manchmal, es gibt vorwiegend zwei extreme: totale Verdrängung und Leugnung / Hochjubeln und resolute und unerbittliche Ablehnung und Verfolgung.
Ich bin in erster Linie glücklich, nicht in der Haut derjenigen gesteckt zu haben, die dies alles miterlebten.
Ich sehe heute das Leid auf der Welt und schäme mich (selten genug) nichts dagegen zu unternehmen, im Gegenteil, äußere mitunter recht kaltblürige Sätze wie "Frieden wirds da unten erst geben, wenn eine der Seiten vernichtet ist" in sachlichem Ton. Und dann lese ich wieder von der Mitschuld aller Deutschen oder der Kollektivschuld der SS Angehörigen, oder den Kriegsverbrechern Wehrmachtssoldaten usw. usf.
Kurzum, ich bin ein wenig dankbar für diese Welle, denn sie regt wieder zum nachdenken an, wer und was ist Schuld.

Und letztlich ein Gedanke eines Militärhistorikers: die Wahrscheinlichkeit, dass er als Flakhelfer beitrug zum Tode von Menschen ist mindestens genauso hoch wenn nicht höher als bei einer mehrwöchigen Tätigkeit als Kanonenfutter.
 
hyokkose schrieb:
Ich konnte nichts darüber finden, daß Grass überhaupt jemals Kohl für den Besuch auf dem Soldatenfriedhof kritisiert haben soll.

Das war wohl nichts weiter als ein gescheiterter Versuch, ein Gerücht in die Welt zu setzen. Das nenne ich peinlich...

Das stand in der NZZ am Sonntag vom 13. August 06:

"Geschichtsklitterung

Grass' literarische Bedeutung ist durch sein verspätetes Geständnis nicht in Frage gestellt, wohl aber sein Status als moralische Instanz der Bundesrepublik Deutschland. Die Glaubwürdigkeit des Mannes, der immer Wahrhaftigkeit verlangte und zugleich ein entscheidendes Faktum seiner Biografie verheimlichte, hat Schaden gelitten. Als 1984 der damalige Bundeskanzler Kohl mit US-Präsident Reagan den Soldatenfriedhof in Bitburg in der Eifel besuchte, auf dem auch Angehörige der Waffen-SS bestattet liegen, sprach Grass laut der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» von einer «Geschichtsklitterung, deren auf Medienwirkung bedachtes Kalkül Juden, Amerikaner und Deutsche, alle Betroffenen gleichermassen verletzte». "
 
hyokkose schrieb:
Ich konnte nichts darüber finden, daß Grass überhaupt jemals Kohl für den Besuch auf dem Soldatenfriedhof kritisiert haben soll.

Das war wohl nichts weiter als ein gescheiterter Versuch, ein Gerücht in die Welt zu setzen. Das nenne ich peinlich...

Du unterstellst mir also, daß ich Gerüchte in die Welt setze?:grübel:
Interessant....aber anscheinend solltest Du einmal einen Nachrichtensender im Radio hören oder Dir eine Zeitung zu Gemüte führen. Das hilft manchmal ....und nicht nur immer aus WIKIPEDIA abkupfern. HYOKKOSE , Deine "roten Sterne" sind peinlich, wenn sie wieder auf Unwissenheit ruhen. :rofl:
 
Cherusker schrieb:
....und nicht nur immer aus WIKIPEDIA abkupfern.

Und ich hatte Dich in Verdacht mich rot bzw. blau besternt zu haben (Du warst der einzige, der heute morgen als um die entsprechende Zeit als online gekennzeichnet war). Der Verdacht hat sich hiermit erhärtet. Die Fragen, ide ich an dich stelle, kannst Du Dir im entsprechenden Thread durchlesen.
 
Cherusker schrieb:
Du unterstellst mir also, daß ich Gerüchte in die Welt setze?:grübel:

Allerdings. Ich hatte Dich nach dem Zitat gefragt und keine Antwort erhalten, daher habe ich diesen Fehlschluß gezogen.

Nachdem Jacobum und Ursi das Zitat geliefert haben, möchte ich mich für diese - für mich peinliche - Unterstellung entschuldigen.
 
Ohne hier jetzt irgendwas gelesen zu haben, denke ich, dass es eine riesen Sauerei seinerseits ist. Man kann ihm ja viel unterstellen, an manchem wird auch was dran sein, aber ich finde es eine schwache Aktion von ihm.

Aber eins zeigt es, dass wirklich das Volk zu sehr großen Teil, wenn nicht zum Größten an der ganze Misere Schuld ist und es nicht begriffen hat.

Ich bin echt enttäuscht, aber wenn er mal der buh-Mann wäre, also die Kommentare einiger zeiungen waren ja echt lächerlich als ob er in einen Wanderverein eingetreten ist, als er besoffen war.
 
Wieger schrieb:
Ohne hier jetzt irgendwas gelesen zu haben, denke ich,

Wenn ich "Die Untiefe der eigenen Biografie" im ND von gestern und den Beitrag "Literarischer Kriegserotiker" in der jW von morgen gelesen habe, werde ich auch dich verstehen.
 
Naja, der jW-Artikel ist etwas mager, gefällt mir nicht, obwohl ganz interessante Ansätze zu finden sind. Aber der ND-Artikel holt zwar ein wenig weit aus, ist aber um Längen besser.
 
Ohne den Spielverderber mimen zu wollen,aber was hat das späte Bekenntnis des Günther Grass-noch lebt er ja, und ich wünsche ihm noch viele Jahre hinzu- für einen geschichtlichen Wert ( außer den kleinen Exkurs zur Geschichte der Waffen- SS) ?

Es wird doch sonst immer, zu Recht, peinlichst darauf geachtet das die Diskussionen sich im historischen Rahmen bewegen und fernab aktueller Ereignisse und politischer Bekenntnisse stehen.

Gruß

Philippos

P.S. Wo ich schonmal da bin :scheinheilig: : Wie kommt es überhaupt, dass sich keiner seiner ehemaligen Kameraden, Bekannten, Freunde oder Familienangehörigen sich jeh dazu geäussert haben ? Hat es keiner gewusst, hat sich keiner daran erinnert, keiner ihn aus der Jugendzeit wiedererkannt... ?
 
Philippos II schrieb:
P.S. Wo ich schonmal da bin :scheinheilig: : Wie kommt es überhaupt, dass sich keiner seiner ehemaligen Kameraden, Bekannten, Freunde oder Familienangehörigen sich jeh dazu geäussert haben ? Hat es keiner gewusst, hat sich keiner daran erinnert, keiner ihn aus der Jugendzeit wiedererkannt... ?

ist es nicht eher seltsam, dass so wenige "prominente" dazu bekannt haben, obwohl zu vermuten ist, dass von den mehreren hunderttausend waffen-ss-soldaten ein paar nach dem krieg karriere gemacht haben (ich kenn die namen aus wikipedia)?

ich beantworte die frage gleich selbst: nein, bis weit in die sechziger war das kein thema und danach, bis heute, wie man merkt, ein makel.

und kameraden? sofern sie noch leben/lebten, hätten sie sich ja dem gleichen misstrauen gegenüber gesehen, also schweigt/schwieg die masse lieber.
 
Und nun tauchen auf einmal Dokumente auf, aus denen hervorgeht, dass Grass in der SS war.

Anscheinend wäre es also auch möglich, dass alles ohne Grass' Eingeständnis ans Tageslicht gekommen wäre. Wenn man bedenkt, dass dafür nur einige Tage nötig waren, dann kann man all den Leuten die über Grass geschrieben haben wohl doch eine gewisse Unkenntnis vorwerfen.

Was ist eigentlich an den Vorwürfen dran, Fest habe sich von Speer hinters Licht führen lassen? Das einzige was ich bislang zum Thema wusste, war das was ich aus einer Sendung (glaube phoenix) hatte, die allerdings den Menschen Fest und die nicht die Speer-Legende zum Mittelpunkt hatte.
Fest räumte dort ein, vielleicht auf Speer hereingefallen zu sein, bekräftigte aber, dass man ihm niemals etwas über Speers Verwicklung in den Holocaust nachweisen konnte.
 
Nur mal kurz ein "Gedankeneinwurf" zu der Kritik an Grass, dass er, der jetzt einen Teil seiner Vergangenheit preisgab, so vieles in Deutschland kritisierte:

Kann nicht gerade ein Mensch wie er, der es halt miterlebt hat, es am besten kritisieren. Er dürfte wissen wovon er spricht. Wer weiß, inwiefern er sich selbst im Stillen kritisiert ?

Ich habe nicht viel zu dem Thema gelesen, nur die Beiträge hier. Es ist also kein Statement, sondern eine Idee.
 
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