Und dass die "Entspannungspolitik" eine 'angebliche' gewesen sei, somit also wohl eine Fehlwahrnehmung, ist nicht erkennbar und sollte nicht ohne Begründung in einem Nebensatz behauptet werden.
Das ist völlig korrekt. Im Prinzip löste die "Neue Ostpoltik" die alte Poltik von Adenauer im Rahmen der "Hallstein-Doktrin" ab. Und ersetzte die Konfrontation durch den Versuch einer Annäherung durch Diplomatie. Und erzeugte damit eine Dreiecksbeziehung zwischen dem WP, der BRD und der Nato. Dass die "Neue Ostpolitik" über Moskau lief war Brandt und Bahr bewußt. (vgl. Bahr: Erinnerungen an Willy Brandt)
In disem Sinne kam Brandt mit seiner Politik den Forderungen nach Anerkennung des Status quos durch den WP nach und senkte den Grad der politischen und militärischen Konfrontation. Nicht zuletzt war das auch deswegen sinnvoll, da die beiderseitige Feindbilder ein nicht unerhebliches Maß an "Unberechenbarkeit" aufwiesen, die via gegenseitigem Mißverstehen in die Eskalationsspirale eines atomaren Krieges einmünden konnte (vgl. zur sowjetischen Sicht beispielsweise G. Wettig: Frieden und Sicherheit in Europa. Probleme der KSZE und MBFR. 1975)
Diese neue Ostpolitik kam aber auch den Erwartungen der Nato entgegen, die eine nachhaltge Entspannung des Konfliktherds "Deutschland" erwartete, in Kombination mit einer zuverlässigen Integration der BRD in die westlichen Kooperationsstrukturen. Da eigentlich kein Partner in der Nato letztlich bereit war, einen Atomkrieg in Mitteleuropa zu führen.
In diesem Sinne hat Brandt teilweise die Adenauersche Politik der Westintegration fortgeführt und zumindest temporär und vordergründig durch die faktische Anerkennung der Teilung Europas als außenpolitisches Instrument ergänzt.
Allerdings, und das ist der eigentlich Effekt der Akzeptanz der Teilung, dass diese Anerkennung nur vordergründig war. Im Prinzip war die Konzeption des "Wandels duch Annäherung" ein durchaus "subversives" Konzept, das die Wandlungsfähigkeit von Gesellschaften im Friedenszustand im Osten für wahrscheinlicher hielt, wie ein Wandel im Osten im Rahmen eines permanenten indirekten Kriegszustands.
Eine an pazifistischen Werten orientierte Entspannung erschwerte die Aufrechterhaltung der inneren Militarisierung der östlichen Gesellschaften und erschwerte die Legitimation von hohen Rüstungsbudgets. Und genau an diesem Punkt brach der WP auseinander, weil die UdSSR die Kosten für die militärische Repression des WP nciht mehr aufbringen konnte.
Und genau diesen Punkt der "Umarmungsstrategie", die auf die Auflösung auch der traditionellen Feinbilder im WP hinausliefen, haben die "Kalten Krieger", wie Wolf, im Osten natürlich gefürchtet.
Dieses Verständnis von politischem und kulturellem Wandel ist die eigentlich intellektuelle Leistung von Brandt und Bahr. Und ihre politische Leistung war es, sie erfolgreich umgesetzt zu haben.
vgl. beispielsweise dazu:
P. Bender: Die "Neue Ostpoltik" und ihre Folgen. 1995, S. 155 ff
G. Schöllgen: Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. 2004, S. 138 ff
L. Colschen: Deutsche Außenpolitik, 2010, S. 167 ff