Guillotine = "Sense der Gleichheit"

Das ist wiederum richtig. Zu Arbeiten an der Hinrichtungsstätte war es auch schon im 17./18.Jh. (wahrscheinlich bereits davor) schwer irgendeinen Handwerker zu bewegen, eben wegen dem Ruf einer solchen Arbeit. Manchmal wurden dann deswegen einfach sämtliche Handwerker eines Ortes, wo das Schafott stand zusammengerufen, dass sich zumindest formell alle daran beteiligen mussten, damit es zumindest innerhalb der Handwerkerschaft schwierig war, sich gegenseitig die Schuld/den schwarzen Peter zuzuschieben.

Bei der Gelegenheit half es auch nichts sich krank zu melden, man wurde zur Not herbeigetragen und hatte wenigstens einen Nagel einzuschlagen...
 
Klar und... Na ja, gerade, weil Scharfrichter zumeist verachtet waren, war ihre Stelle auch schwer zu besetzen. So übernahm z.B. 1767 in Memmingen die Witwe des verstorbenen Scharfrichters Widemann, Maria Juditha, rein formel dessen Amt. Bei der Ausübung des Amtes musste sie auf die Hilfe des ulmener, lindauer oder ravensburger Scharfrichters zurückgreifen. Das war mit Mehrkosten verbunden. Fünf Jahre später übernahm dann ihr Sohn Heinrich, der auswärts in die Lehre ging, das Amt. Ähnlich war 1819 der Fall des Berliner Scharfrichters Krafft, dessen Witwe den Brandenburger Scharfrichter, August Hellriegel, zu Hilfe holen musste.
Andererseits, Goethe traf mehrere Male den egener Scharfrichter Karl Huß. Davon berichtet er z.B. am 23. April 1820 in einem Brief an seinen Sohn August. Zugegeben, Karl Huß war eine große Ausnahme seiner Zunft.

Es gab auch Scharfrichter, die sich großer Bekanntheit und geradezu Beliebtheit erfreuten, so z.B. Julius Krautz. Krautz vollzog 1878 die Enthauptung von Max Hödel, der versucht hatte, Kaiser Wilhelm I. zu erschießen. Anschließend versandte er Briefe an die Justizministerien aller deutschen Länder, in denen er seine Dienste anbot, samt Attest, das ihm bei der Hinrichtung Hödels größte Ruhe, Sicherheit und Umsicht bescheinigte.

Ein Autor names Victor von Falk veröffentlichte einen Fortsetzungsroman mit dem Titel "Der Scharfrichter von Berlin", angeblich "nach Acten, Mittheilungen u. Aufzeichnungen des Scharfrichters Jul. Krautz", tatsächlich voll frei erfundener Schauergeschichten. Das Werk wurde ein kolossaler Erfolg. In einer populären Moritat ließ man die Opfer der von Krautz enthaupteten Mörder jubeln: „Es blinkt das Beil, der Menge graut's, / Ein Blitz, ein Schlag, hochspringt das Blut, / Wir sind gerächt! - Hoch Meister Krautz!“.

Krautz führte auch die im Kaiserreich übliche Bekleidung für Scharfrichter - schwarzer Frack, Zylinder, weiße Handschuhe - ein, die deutlich die Achtbarkeit seines Standes betonte. Schließlich überspannte er in seiner Geschäftstüchtigkeit allerdings den Bogen, als er sein Henkersbeil im Gruselkabinett eines Panoptikums ausstellte. Dies wurde vom preußischen Innenminister unterbunden. Das Ende seiner Karriere kam, als er in betrunkenem Zustand bei einer Wirtshausschlägerei seinen Gehilfen tötete. Zwar erkannte das Gericht auf Notwehr und sprach ihn frei, aber er wurde nicht mehr als Scharfrichter engagiert. Er eröffnete in Berlin ein Restaurant - er war gelernter Konditor - und verscherbelte die Geschäftsbücher aus seiner Scharfrichterzeit.
 
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Das ist wiederum richtig. Zu Arbeiten an der Hinrichtungsstätte war es auch schon im 17./18.Jh. (wahrscheinlich bereits davor) schwer irgendeinen Handwerker zu bewegen, eben wegen dem Ruf einer solchen Arbeit. Manchmal wurden dann deswegen einfach sämtliche Handwerker eines Ortes, wo das Schafott stand zusammengerufen, dass sich zumindest formell alle daran beteiligen mussten, damit es zumindest innerhalb der Handwerkerschaft schwierig war, sich gegenseitig die Schuld/den schwarzen Peter zuzuschieben.

In einem fränkischen Ort zitiert Ernst Schubert, dass beim Bau eines Galgens 365 1/2 Männern, soviele wie Tage im Jahr mitwirken mussten, als halber Mann fungierte der städtische Trommelschläger. In Göttingen heftete man als ehrenstrafe das Abbild eines Studenten, der nach dem tödlichen Ausgang eines Duells vor der Justiz flüchtete. Die Scharfrichter trugen meist Berufskleidung, um Unglücksfälle zu vermeiden. So gab es den Fall eines Mannes, der unwissentlich mit dem Scharfrichter getrunken und sich damit nach dem Verständnis der Zeit mit dessen "Unehrlichkeit" infiziert hatte, worauf er sich das Leben nahm. Die Arbeit an Galgen oder anderen Werkzeugen war durchaus nicht ehrenrührig. Die Arbeit des Scharfrichter war "unehrlich" aber sein Amt übte er im Namen der Justiz aus, wie z. B. Luther betonte. Der galgen oder Pranger war ein Instrumentarium der Strafgerichtsbarkeit und des Gesetzes. Gerade die Beteiligung von Richtern, Schöffen und ehrbaren Handwerkern sollte unterstreichen, dass es ein Instrument war, das den gebrochenen Rechtsfrieden wiederherstellen sollte. Alle Handwerksbetriebe schlugen wenigstens einen Nagel ein. Die Mitwirkung am Bau hatte für die Beteiligten keine entehrenden Folgen. Im gegenteil dürfte man den auftrag gerne angenommen haben. Hinrichtungen waren im 18. Jahrhundert tatsächlich so etwas wie eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für das ansässige mittelständische Handwerk. Der Barbier, der den Delinquenten rasierte, der Geistliche, der ihn tröstete, und natürlich auch die Handwerker und Gastwirte sie alle hielten die Hand auf vom Ratsherren bis zu den Gerichtsdienern und dem "Meister Hans" und seinen Gehilfen. exekutionen konnten mit allem Klimbim leicht 200 fl und mehr kosten. Zur Abnahme der Todesstrafe und Humanisierungstendenzen in der Justiz im 18. Jahrhundert mögen humanitäre aufklärerische Gedanken beigetragen haben, dass sie vielerorts Ende des 18. Jhds de facto abgeschafft bzw in Festungsbau umgewandelt wurde, dürfte auf die Tatsache zurückzuführen sein, dass Exekutionen kostspielig waren und der Aufwand sich für viele Delinquenten nicht lohnte
 
Hinrichtungen waren im 18. Jahrhundert tatsächlich so etwas wie eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für das ansässige mittelständische Handwerk. Der Barbier, der den Delinquenten rasierte, der Geistliche, der ihn tröstete, und natürlich auch die Handwerker und Gastwirte sie alle hielten die Hand auf vom Ratsherren bis zu den Gerichtsdienern und dem "Meister Hans" und seinen Gehilfen. exekutionen konnten mit allem Klimbim leicht 200 fl und mehr kosten.
Ganz davon abgesehen war es oft auch die größte Show des Jahres... Es konnte durchaus vorkommen, daß man einem anderen Ort einen Delinquenten abkaufte, weil man schon lange keine Hinrichtung mehr hatte. Richard van Dülmen hat sein Buch zum Thema ganz bewußt "Theater des Schreckens" betitelt.
 
Warum wurde die Guillotine (Fallbeil) eigentlich als "Sense der Gleichheit" bezeichnet?
meiner privaten Ansicht nach beantwortet Heinrich Heine diese Frage nicht nur erschöpfend, sondern obendrein nicht nur stilistisch brillant:
CAPUT XVI

Das Stoßen des Wagens weckte mich auf,
Doch sanken die Augenlider
Bald wieder zu, und ich entschlief
Und träumte vom Rotbart wieder.

Ging wieder schwatzend mit ihm herum
Durch alle die hallenden Säle;
Er frug mich dies, er frug mich das,
Verlangte, daß ich erzähle.

Er hatte aus der Oberwelt
Seit vielen, vielen Jahren,
Wohl seit dem Siebenjährigen Krieg,
Kein Sterbenswort erfahren.

Er frug nach Moses Mendelssohn,
Nach der Karschin, mit Intresse
Frug er nach der Gräfin Dubarry,
Des fünfzehnten Ludwigs Mätresse.

"O Kaiser", rief ich, "wie bist du zurück!
Der Moses ist längst gestorben,
Nebst seiner Rebekka, auch Abraham,
Der Sohn, ist gestorben, verdorben.

Der Abraham hatte mit Lea erzeugt
Ein Bübchen, Felix heißt er,
Der brachte es weit im Christentum,
Ist schon Kapellenmeister.

Die alte Karschin ist gleichfalls tot,
Auch die Tochter ist tot, die Klencke;
Helmine Chézy, die Enkelin,
Ist noch am Leben, ich denke.

Die Dubarry lebte lustig und flott,
Solange Ludwig regierte,
Der Fünfzehnte nämlich, sie war schon alt,
Als man sie guillotinierte.

Der König Ludwig der Fünfzehnte starb
Ganz ruhig in seinem Bette,
Der Sechzehnte aber ward guillotiniert
Mit der Königin Antoinette.


Die Königin zeigte großen Mut,
Ganz wie es sich gebührte,
Die Dubarry aber weinte und schrie,
Als man sie guillotinierte."
- -

Der Kaiser blieb plötzlich stillestehn,
Und sah mich an mit den stieren
Augen und sprach: "Um Gottes will'n,
Was ist das, guillotinieren!"


"Das Guillotinieren" - erklärte ich ihm
"Ist eine neue Methode,
Womit man die Leute jeglichen Stands
Vom Leben bringt zu Tode.


Bei dieser Methode bedient man sich
Auch einer neuen Maschine,
Die hat erfunden Herr Guillotin,
Drum nennt man sie Guillotine.

Du wirst hier an ein Brett geschnallt; -
Das senkt sich; - du wirst geschoben
Geschwinde zwischen zwei Pfosten; - es hängt
Ein dreieckig Beil ganz oben; -

Man zieht eine Schnur, dann schießt herab
Das Beil, ganz lustig und munter; -
Bei dieser Gelegenheit fällt dein Kopf
In einen Sack hinunter."

Der Kaiser fiel mir in die Red':
"Schweig still, von deiner Maschine
Will ich nichts wissen, Gott bewahr',
Daß ich mich ihrer bediene!

Der König und die Königin!
Geschnallt! an einem Brette!
Das ist ja gegen allen Respekt
Und alle Etikette!


Und du, wer bist du, daß du es wagst,
Mich so vertraulich zu duzen?
Warte, du Bürschchen, ich werde dir schon
Die kecken Flügel stutzen!

Es regt mir die innerste Galle auf,
Wenn ich dich höre sprechen,
Dein Odem schon ist Hochverrat
Und Majestätsverbrechen!"

Als solchermaßen in Eifer geriet
Der Alte und sonder Schranken
Und Schonung mich anschnob, da platzten heraus
Auch mir die geheimsten Gedanken.

"Herr Rotbart" - rief ich laut -, "du bist
Ein altes Fabelwesen,
Geh, leg dich schlafen, wir werden uns
Auch ohne dich erlösen.

Die Republikaner lachen uns aus,
Sehn sie an unserer Spitze
So ein Gespenst mit Zepter und Kron';
Sie rissen schlechte Witze.

Auch deine Fahne gefällt mir nicht mehr,
Die altdeutschen Narren verdarben
Mir schon in der Burschenschaft die Lust
An den schwarzrotgoldnen Farben.

Das beste wäre, du bliebest zu Haus,
Hier in dem alten Kyffhäuser -
Bedenk ich die Sache ganz genau,
So brauchen wir gar keinen Kaiser."
aus: Heinrich Heine (1797–1856) Deutschland, ein Wintermärchen (1844)
 
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