Hannibals Massaker im Tempel der Hera Lakinia an zurückbleibenden Italikern

Grundsätzlich können doch Historiker auch nichts anderes als wir: Nämlich die Quellen lesen.

Es ist schon ein wenig mehr, was Historiker tun können, nämlich die Quellen auf ihre Glaubwürdigkeit abklopfen, sowohl in der Kontrastierung mit anderen Quellen als auch auch aufgrund textimmanenter Widersprüche. Oder eben auf Möglichkeiten, auf das Interesse des Verfassers, auf bestimmte Narrative etc.

Nur weil Diodor z.B. die Geschichte anders erzählt als Appian und Livius, kann er nicht gleich als Bestätigung herangezogen werden. Ein schwerwiegenderes Argument ist allerdings, dass er kein Interesse an einer prorömischen Geschichtsschreibung gehabt habe. Wenn das stimmt, wäre das zumindest ein gutes Argument für einen wahren Kern des Massakers.
 
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Und was Livius' "Entlarvung" betrifft, erkläre mir doch einmal, was daran "schwach" sein soll, wenn ich vermute, wenn ein Censor den Heratempel ausraubt und ihn die Senatoren dafür kritisieren, indem sie sagen, er habe einen Tempel verletzt, den nicht einmal Pyrrhos und Hannibal verletzt hätten, dass sie dann damit meinten, dass ihn nicht einmal Pyrrhos und Hannibal ausgeraubt hätten, und nicht dass sie meinten, er habe einen Tempel verletzt, den Hannibal nicht durch ein Massaker entweiht hatte.
Das sagt Livius aber nicht. Er sagt „verletzt“ nicht ausgeraubt, jetzt, wo es Dir nicht passt, weil „verletzt“ Hannibals angebliche Tat einschließt, wird ruminterpretiert, sonst willst Du die Quellen wörtlich nehmen. Das „Worte in Mund legen“ ist meiner Ansicht nach keine seriöse Quellenkritik.

Ich muss allerdings zugeben, dass ich nur ein paar Worte Latein spreche und daher Livius nicht im Original lesen kann.


Diodor(os) (altgr.: Διόδωρος; latinisiert Diodorus [Siculus]) war ein antiker griechischer Geschichtsschreiber, der im 1. Jahrhundert v. Chr. lebte. Über sein Leben ist fast nichts bekannt. Er stammte aus Agyrion auf Sizilien und hat sich längere Zeit in Rom sowie in Ägypten (in der Zeit der 180. Olympiade, also im Zeitraum 60/59 bis 57/56 v. Chr.) aufgehalten.

Das Problem mit der Quellenlage zu Hannibal ist dass nur Polybios als zeitnahe Primärquelle erhalten ist, das auch leider nicht vollständig. Die anderen genannten lebten später, so auch Diodor. Die Texte der Geschichtschreiber Hannibals (er hatte zwei davon in seinem Heer) und andere Zeitzeugen sind verschollen.

Diodor stand, wie auch wir, vor dem Problem die Geschichte aus dem was übrig ist, womöglich auch aus mündlichen Überlieferungen zu rekonstruieren. Auch wenn er vielleicht keine einseitige Geschichtsschreibung betreiben wollte, stand ihm nur einseitiges Material zur Verfügung. Dieser Umstand der einseitigen Quellenlage wird von allen modernen Historikern anerkannt und entsprechend gefolgert.




Gerade ein Quellenliebhaber wie Du müßte das alles eigentlich wissen.


[FONT=&quot]Haben historische Persönlichkeiten eigentlich die selben Rechte wie Tatverdächtige aus der heutigen Zeit?[/FONT]
[FONT=&quot]Wenn Hannibal in der heutigen Zeit beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen der Anschuldigungen mit der vorliegende Beweislage als Kriegsverbrecher angeklagt wäre, würde er in diesem Punkt aus Mangel an Beweisen freigesprochen. [/FONT]
[FONT=&quot]Im Zweifel für den Angeklagten. Sollte dieser Maßstab nicht auch für historische Persönlichkeiten gelten?[/FONT]

[FONT=&quot]Nach einem solchen Prozess, würden sich Hannibal’s Anwälte um Dich kümmern. Du würdest mit Rufmordklagen überzogen werden, wahrscheinlich erfolgreich und Schadensersatz zahlen müssen.
[/FONT]

[FONT=&quot]Das ist natürlich nicht als Drohung gemeint, sondern nur einmal als Vergleich um aufzuzeigen, auf welch wackeligen Füssen die Anschuldigungen stehen.
[/FONT]
 
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Aber grundsätzlich stimme ich Dir zu: Als Hannibal Italien verließ, ließ er ein paar Garnisonen zurück. Das könnte in der Tat darauf hindeuten, dass er einen Brückenkopf behalten wollte, um nach der Vernichtung Scipios zurückzukehren. Es könnte aber auch bedeuten, dass er bloß den Römern noch ein bisschen Arbeit hinterlassen wollte. Vielleicht wollte er auch einen Kleinkrieg in Süditalien anzetteln.

Das mit den Garnisonen nach Abzug aus Italien ist mir neu. Woher hast Du das?

Würde das nicht wieder dafür sprechen, dass kein Massaker stattfand? Wäre es nicht dann sinnvoll gewesen, diese Garnisonen mit den Leuten zu verstärken, die es Deiner Aussage nach vorzugen in Italien zu bleiben?
 
Es ist schon ein wenig mehr, was Historiker tun können, nämlich die Quellen auf ihre Glaubwürdigkeit abklopfen, sowohl in der Kontrastierung mit anderen Quellen als auch auch aufgrund textimmanenter Widersprüche. Oder eben auf Möglichkeiten, auf das Interesse des Verfassers, auf bestimmte Narrative etc.

All das können sie nur auf Grund der Quellen. Aber du hast schon recht. Es ist ein bisschen wie mit dem Klavierspielen:

Letzlich hat man die gleichen Tasten vor sich, egal ob man Profi oder Amateur ist. Ein Profi hat halt einfach mehr Zeit zum Ueben. Trotzdem kommt es öfters vor, dass ein Amateur besser spielt als ein Profi.
 
Wird eigentlich außer in den genannten Quellen auch noch in anderen Werken von Hannibals Rückzug berichtet?
 
Wird eigentlich außer in den genannten Quellen auch noch in anderen Werken von Hannibals Rückzug berichtet?

Auf Anhieb finde ich in meinen immerhin 9 Werken nichts weiter. Womöglich ist die nicht Erwähnung ein Indiz, dass die entsprechenden Autoren die Episode für unhistorisch oder nicht gesichert genug halten, um sie zu erwähnen.
 
Bei Polybios fehlt sie, meine ich, einfach weil wir dazu grade kein Fragment haben. Polybios' Schweigen ist also vielseitig interpretierbar.
 
Ich muss mich korrigieren, konnte doch etwas finden. Dodge schreibt auf seite 593 seiner Biographie wörtlich: " Hannibal had been obliged to kill his horses for lack of transportation. That he killed those Italians in his army who refused to accompany him to Africa is not to be credited. He could presuade many and force the rest abroad, and did in fact do so. That many went against their will is an additional reason for his having such poor material in his ranks at Zama. Hannibal reached the African continent with some twenty-four thousand men, disembarked at Leptis towards the end of the year 203 BC".

Gabriel schreibt dass Hannibal keine ausreichende Transportkapazität hatte seine Pferde mitzunehmen, und dass er die körperlich schwächsten als Garnision zurückließ um seinen Rückzug zu decken.
Es wird davon ausgangen dass der Waffestillstand des Scipio Afrikanus für Hannibals Rückzug nicht galt und er seinen Rückzug also decken mußte.
 
Das sagt Livius aber nicht. Er sagt „verletzt“ nicht ausgeraubt, jetzt, wo es Dir nicht passt, weil „verletzt“ Hannibals angebliche Tat einschließt, wird ruminterpretiert, sonst willst Du die Quellen wörtlich nehmen. Das „Worte in Mund legen“ ist meiner Ansicht nach keine seriöse Quellenkritik.
Genaugenommen sagt Livius natürlich nicht "verletzt", sondern "violassent" bzw. "violare". Wie ich oben schon erläutert habe, ist das ein von "vis" (Gewalt) abgeleitetes Verb, das somit etwa so viel wie "Gewalt antun", "Gewalt ausüben", "mit Gewalt behandeln", "eine gewalttätige Handlung setzen" bedeutet. Welches deutsche Wort man für "violare" konkret nimmt, hängt vom Kontext ab und ist somit oft auch etwas Interpretationssache.

Das Problem mit der Quellenlage zu Hannibal ist dass nur Polybios als zeitnahe Primärquelle erhalten ist, das auch leider nicht vollständig. Die anderen genannten lebten später, so auch Diodor. Die Texte der Geschichtschreiber Hannibals (er hatte zwei davon in seinem Heer) und andere Zeitzeugen sind verschollen.

Diodor stand, wie auch wir, vor dem Problem die Geschichte aus dem was übrig ist, womöglich auch aus mündlichen Überlieferungen zu rekonstruieren. Auch wenn er vielleicht keine einseitige Geschichtsschreibung betreiben wollte, stand ihm nur einseitiges Material zur Verfügung. Dieser Umstand der einseitigen Quellenlage wird von allen modernen Historikern anerkannt und entsprechend gefolgert.
Diodor war nicht Herodot. Herodot reiste in der Tat herum und hörte sich - neben dem Studium (bzw. sich Übersetzenlassen) örtlicher Aufzeichnungen - teilweise mündliche Überlieferungen an. Diodor reiste zwar auch, aber eher um die Originalschauplätze kennenzulernen. Sein Wissen nahm er aus älteren schriftlichen Quellen, die er zu einem umfassenden Werk zusammenfasste. (Er erhob sogar den Anspruch, durch seine Universalgeschichte würde das Lesen anderer Geschichtsbücher überflüssig, da man alles Relevante in seinem Werk finden würde.) Gerade dieser Aspekt des Verwertens älterer Quellen wurde und wird noch normalerweise von der Diodor-Forschung (über?-)betont, indem er gerne als simpler Kompilator ohne Sinn und Verstand abgestempelt wurde. (Mommsen nannte ihn gar den "elendsten aller Skribenten".)

Dass heute nur Polybios als zeitnahe Quelle zu Hannibal erhalten ist, ist unser Problem, nicht das von Diodor, denn zu seiner Zeit war schließlich noch viel mehr an zeitnaher Literatur erhalten.Seine Quellenlage war viel besser als unsrige. Insofern verstehe ich nicht, wie Du darauf kommst, ihm sei nur einseitiges Quellenmaterial zur Verfügung gestanden.

Haben historische Persönlichkeiten eigentlich die selben Rechte wie Tatverdächtige aus der heutigen Zeit?
Wenn Hannibal in der heutigen Zeit beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen der Anschuldigungen mit der vorliegende Beweislage als Kriegsverbrecher angeklagt wäre, würde er in diesem Punkt aus Mangel an Beweisen freigesprochen.
Im Zweifel für den Angeklagten. Sollte dieser Maßstab nicht auch für historische Persönlichkeiten gelten?
Nein, dann könnte die gesamte Geschichtswissenschaft einpacken.
Bei Strafprozessen geht es um Menschenschicksale, und es wird davon ausgegangen, dass bei Zweifeln an der Schuld eines Angeklagten es allemal besser sei, einen eventuell Schuldigen laufen zu lassen als einen Unschuldigen zu verurteilen. Das bedeutet, dass auch Personen freigesprochen werden, bei denen durchaus einiges für ihre Schuld spricht.
Bei der Geschichtswissenschaft geht es nicht um Schuld oder Unschuld, sondern um eine Annäherung an die Wahrheit. Streng juristische Maßstäbe kann man da nicht anlegen - zumal wenn mehrere tausend Jahre zwischen der Tat und dem "Prozess" liegen und viel an ursprünglich vorhandenem relevantem Material verlorengegangen ist.

Nehmen wir z. B. Caesars Ermordung: Woher wissen wir eigentlich davon? Von keinem von Caesars Mördern ist ein schriftliches Geständnis erhalten. (Und wenn, könnte man immer noch die beliebte Argumentation bringen, es sei von mittelalterlichen Mönchen gefälscht worden.) Es ist auch nicht ganz sicher, ob Cicero (der als Zeitgenosse und Senator das Attentat in seinen Schriften öfters erwähnte) beim Attentat im Senat anwesend war, doch selbst wenn, dann konnte er vermutlich nicht wirklich etwas sehen, da Caesar von diversen an der Verschwörung beteiligten Senatoren umringt war. Seine "Zeugenaussage" ist somit angreifbar. Forensische Beweise sind natürlich auch nicht mehr erhalten. Als Verteidiger der Angeklagten würde ich argumentieren, dass es keinen Zeugen gibt, der die Tat gesehen hat. Man könne auch nicht einfach davon ausgehen, dass alle Caesar umringenden Senatoren an der Tat beteiligt waren, manche standen vielleicht auch einfach nur gerade zufällig dort herum. Somit könne man nicht wissen, wer (im Sinne einer Mittäterschaft) an der Verschwörung wirklich beteiligt war und wer tatsächlich zustach. Also Freispruch für sämtliche Angeklagten? Dürfen Brutus und Cassius somit künftig nicht mehr als Caesarmörder bezeichnet werden?

Außerdem sind uns nun einmal Quellen verloren, die frühere Historiker noch hatten. Wir wissen z. B. nicht, ob nicht Hannibals beide begleitenden Historiker über das Massaker berichtet haben und sie für spätere Autoren als Quelle dienten. (Wenn jetzt der Widerspruch kommt, dass sie wohl kaum etwas geschrieben hätten, das Hannibal schlecht dastehen ließe: Das wäre eine moderne Interpretation, keine antike Wertung eines Massakers an Abtrünnigen. Auch Caesar hat in seinem eigenen Werk über Taten in Gallien geschrieben, die wir heutzutage als Kriegsverbrechen beurteilen würden. Kritische (allerdings oft durch politische Gegensätze motivierte) Stimmen gab es zwar durchaus schon in der Antike - auch bei Caesar - aber sie waren nicht allgemein.)

Das mit den Garnisonen nach Abzug aus Italien ist mir neu. Woher hast Du das?
Livius 30,20
Appian, Hannibalischer Krieg 60

Würde das nicht wieder dafür sprechen, dass kein Massaker stattfand? Wäre es nicht dann sinnvoll gewesen, diese Garnisonen mit den Leuten zu verstärken, die es Deiner Aussage nach vorzugen in Italien zu bleiben?
Wenn Hannibal die Besatzungen wirklich wichtig gewesen wären, wäre es vor allem sinnvoll gewesen, die Garnisonen mit disziplinierten und zuverlässigen Leuten zu besetzen, die nicht gleich abhauen, sobald Hannibal weg ist - also nicht unbedingt mit Leuten, die sogar schon die Gefolgschaft verweigern, solange Hannibal noch vor ihnen steht.

Allerdings scheint Hannibal keinen sonderlich großen Wert auf die Besatzungen gelegt zu haben, denn er ließ nur die untauglichsten seiner Truppen als Besatzung zurück. Das Auswahlkriterium war also wohl nicht: Wer will in Italien bleiben?, sondern: Wen kann ich in Afrika ohnehin nicht brauchen? Somit kann es für Hannibal nicht akzeptabel gewesen sein, dass sich seine Soldaten selbst aussuchen, wer bleiben und wer nach Afrika gehen will, sofern unter den Bleibewilligen taugliche Männer waren, sondern er selbst musste diese Entscheidung für sich beanspruchen - und Widerspenstige bestrafen.
 
Dass heute nur Polybios als zeitnahe Quelle zu Hannibal erhalten ist, ist unser Problem, nicht das von Diodor, denn zu seiner Zeit war schließlich noch viel mehr an zeitnaher Literatur erhalten.Seine Quellenlage war viel besser als unsrige. Insofern verstehe ich nicht, wie Du darauf kommst, ihm sei nur einseitiges Quellenmaterial zur Verfügung gestanden.
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Die Einseitigkeit der Quellen ist die Ansicht praktisch aller modernen Historiker, dem kann ich mich nur anschließen. Als Hauptgrund für die Einseitigkeit wird die Vernichtung Karthagos und seiner Aufzeichnungen im dritten punischen Krieg genannt. Da Diodor etwa hundert Jahre später lebte, war er auch davon betroffen. Es ist möglich, dass er Texte kannte, die wir nicht kennen. Woher Du wissen willst, dass sie nicht einseitig waren, entzieht sich mir.

Ich hätte noch ein Argument, die Transportkapazität.
Wenn wir annehmen Hannibal hätte genug Transportkapazität gehabt, um fragliche Italiker mit nach Afrika zu nehmen ist immer noch unwahrscheinlich, dass er Leute, die ihm bis zu diesem Zeitpunkt treu gedient haben abschlachtet anstatt sie zu zwingen mit ihm zu kommen, wie er es vorher so oft tat.
Wenn er Sie abgeschlachtet hätte, was hat er dann mit der freien Transportkapazität gemacht? Wäre es nicht sinnvoll gewesen den Grossteil seiner Kavalleriepferde mitzunehmen?
Das hat er nicht, was mich zu der höheren Wahrscheinlichkeit bringt, dass er nicht zuviel sondern zuwenig Transportkapazität hatte. Das kann man auch aus den Äußerungen der meisten modernen Historiker schließen und daraus, dass er bei Zama zuwenig Kavallerie hatte.
Wenn er aber zuwenig Transportkapazität hatte, dann können Leute, die er ohnehin nicht mitnehmen könnte auch nicht abtrünnig werden.
Es macht doch viel mehr Sinn diese als Garnision zurück zu lassen. Er ließ ja auch laut den Quellen Garnisionen zurück.
 
Die Einseitigkeit der Quellen ist die Ansicht praktisch aller modernen Historiker, dem kann ich mich nur anschließen. Als Hauptgrund für die Einseitigkeit wird die Vernichtung Karthagos und seiner Aufzeichnungen im dritten punischen Krieg genannt. Da Diodor etwa hundert Jahre später lebte, war er auch davon betroffen. Es ist möglich, dass er Texte kannte, die wir nicht kennen. Woher Du wissen willst, dass sie nicht einseitig waren, entzieht sich mir.
Mich interessiert nicht, dass es "praktisch alle" sagen, sondern warum sie es sagen.
Die Aufzeichnungen Karthagos hätten mangels Punischkenntnissen vermutlich ohnehin nur den wenigsten antiken Autoren etwas gebracht. Von der Zerstörung der Stadt waren aber nicht die Aufzeichnungen griechischer Historiker betroffen, und die schrieben keineswegs alle prorömisch. Zu nennen wären nicht nur Hannibals Hofhistoriker Sosylos und Silenos, sondern z. B. auch der von Polybios als prokarthagisch bezeichnete Philinos, der von Diodor mehrmals ausdrücklich als Quelle genannt wurde. Zwar ist unklar, wie weit Philinos' Werk zeitlich reichte, aber seine Verwendung zeigt zumindest, dass Diodor nicht nur einseitig prorömische Quellen verwendete. Ein weiterer griechischer Historiker, der offenbar prokarthagisch geschrieben hat, war Chaireas, der zusammen mit Sosylos von Polybios (3,20) kritisiert wurde.
Mit Philinos hat Diodor somit zumindest einen prokarthagischen Historiker als Quelle verwendet. Laut dem Wikipedia-Artikel über Diodor soll er sogar Silenos selbst als Quelle benützt haben, allerdings ist mir unklar, worauf sich diese Annahme stützt; als Quelle nennt er ihn meines Wissens nie. (Aber da sich der Verfasser des entsprechenden Abschnitts im Artikel das nicht selbst ausgedacht haben wird, kann die Einseitigkeit der Quellen doch nicht die Ansicht "praktisch aller modernen Historiker" sein.)
Und ja, natürlich kannte Diodor Texte, die wir nicht kennen. Sein Werk ist voll von Nennungen von Autoren, deren Texte heute ganz oder großteils verloren sind, als Quellenangaben.

Ich hätte noch ein Argument, die Transportkapazität.
Wenn wir annehmen Hannibal hätte genug Transportkapazität gehabt, um fragliche Italiker mit nach Afrika zu nehmen ist immer noch unwahrscheinlich, dass er Leute, die ihm bis zu diesem Zeitpunkt treu gedient haben abschlachtet anstatt sie zu zwingen mit ihm zu kommen, wie er es vorher so oft tat.
Wenn er Sie abgeschlachtet hätte, was hat er dann mit der freien Transportkapazität gemacht? Wäre es nicht sinnvoll gewesen den Grossteil seiner Kavalleriepferde mitzunehmen?
Das hat er nicht, was mich zu der höheren Wahrscheinlichkeit bringt, dass er nicht zuviel sondern zuwenig Transportkapazität hatte. Das kann man auch aus den Äußerungen der meisten modernen Historiker schließen und daraus, dass er bei Zama zuwenig Kavallerie hatte.
Wenn er aber zuwenig Transportkapazität hatte, dann können Leute, die er ohnehin nicht mitnehmen könnte auch nicht abtrünnig werden.
Es macht doch viel mehr Sinn diese als Garnision zurück zu lassen. Er ließ ja auch laut den Quellen Garnisionen zurück.
Dass Hannibal zu wenig Transportkapazitäten hatte, steht ausdrücklich bei Appian als Grund für das Abschlachten etlicher Pferde und Packtiere. Auch Diodor erwähnt die Tötung von Pferden und Lasttieren. Ohne Notwendigkeit wird er nicht zu dieser Maßnahme gegriffen haben.

Wenn er aber zuwenig Transportkapazität hatte, dann können Leute, die er ohnehin nicht mitnehmen könnte auch nicht abtrünnig werden.
Es macht doch viel mehr Sinn diese als Garnision zurück zu lassen. Er ließ ja auch laut den Quellen Garnisionen zurück.
Ja, nur ließ er laut Livius in den Garnisonen Männer zurück, die er als untauglich einstufte.
Dass Hannibal überhaupt Garnisonen zurückließ (denn dass sie sich wohl kaum würden dauerhaft halten können, wird ihm wohl klar gewesen sein), kann natürlich daran gelegen haben, dass er zu wenig Transportkapazitäten für alle seine Männer hatte.
Nur: Hannibal ließ nicht die Männer zurück, die nicht mitkommen wollten, sondern die, die er am ehesten entbehren zu können glaubte. Das müssen doch nicht dieselben gewesen sein. Natürlich wollte Hannibal die besten seiner Männer mitnehmen. Somit kann es für ihn nicht akzeptabel gewesen sein, dass sie sich selbst aussuchen, wer mitkommen will, und die, die nicht wollen, lässt er als (vermutlich ohnehin relativ nutzlose) Garnison in Italien. Was, wenn gerade die besten bleiben wollen? (Appian schreibt übrigens ausdrücklich, dass Hannibal die italischen Soldaten wegen ihrer hohen Qualität mitnehmen wollte.) Eine solche Vorgehensweise hätte nicht nur sein Heer geschwächt, sondern auch seine Feldherrnautorität. Für einen Feldherrn kann es niemals akzeptabel sein, dass sich seine Krieger selbst aussuchen, was sie machen wollen. Notfalls wird hart durchgegriffen.
 
Auch die Römer haben wenn Legionen gemeutert haben, nicht die ganze Legion abgemetzelt. Es wurde dezimiert also etwa jeder 10. hingerichtet. Die anderern wurden so wieder "auf Kurs" gebracht.
Die vollständige Hinrichtung macht einfach keinen Sinn! Wenn eine Disziplinierung erfolgt wäre, dann so dass einige Wenige dezimiert wurden, damit die anderen gehorchen und nach Afrika mitkommen.
Aber wenn ohnehin zuwenig Transportkapazität da war, dann ist fraglich worin der Ungehorsam überhaupt bestanden haben soll, weil ja ohne hin nicht alle mitkommen können.
Ich finde es trotzdem sehr schade, dass die Ansichten moderner Historiker einfach vollständig ignoriert werden.
Warum greift das angebliche Massaker keiner von diesen auf? Können promovierte Historiker die Quellen nicht lesen?
Oder hält keiner von diesen die Quellen in diesem Punkt für zuverlässig?

Mit stellt sich die Frage ob Du Deine These auch aufstellen würdest, wenn Du nicht anomym unter einem verdeckten Namen auf einem Forum schreibst, sondern unter Deinem eigenen Namen das ganze als Forschungsbericht oder gar als eigenes Buch über den zweiten punischen Krieg veröffentlichen würdest?
 
Lieber Udo,

du vergreifst dich hier gegenüber Ravenik ein wenig im Ton. Ich bin auch nicht davon überzeugt, was er schreibt, aber die Argumentation ist sauber und logisch!
 
Auch die Römer haben wenn Legionen gemeutert haben, nicht die ganze Legion abgemetzelt. Es wurde dezimiert also etwa jeder 10. hingerichtet. Die anderern wurden so wieder "auf Kurs" gebracht.
Die vollständige Hinrichtung macht einfach keinen Sinn!
Auch Hannibal ließ ja nicht alle hinrichten.

Außerdem hätte das Beispiel der Abtrünnigen, wenn Hannibal es akzeptiert hätte, natürlich Schule machen können: Was hätte nach der Überfahrt die afrikanischen Soldaten (seien es noch solche, die schon 218 dabei waren, seien es solche, die mit den mageren Verstärkungen gekommen waren) hindern sollen, einfach ihre Sachen zu packen und nach Jahren endlich wieder in ihre Heimatorte zurückzukehren, wenn Hannibal so ein disziplinloses Verhalten bei ihren italischen Kameraden akzeptiert hätte?
Die Hinrichtungen könnten also auch dazu gedient haben, die anderen abzuschrecken und ihnen zu demonstrieren, dass ein Kommen und Gehen, wie es jedem passt, nicht toleriert wird.

Aber wenn ohnehin zuwenig Transportkapazität da war, dann ist fraglich worin der Ungehorsam überhaupt bestanden haben soll, weil ja ohne hin nicht alle mitkommen können.
Um es noch ein drittes Mal (nach #29 und #31) zu erklären: Der Ungehorsam bestand darin, dass sich nicht die, die Hannibal ohnehin zurücklassen wollte, weigerten mitzukommen, sondern etliche derjenigen, die er schon mitnehmen wollte. Hannibal wollte offenbar die Besseren seiner Soldaten mitnehmen, so viele auf die Schiffe passten, und den weniger brauchbaren Rest als Garnisonen zurücklassen. Allerdings weigerten sich so manche dieser Besseren, die er sehr wohl mitnehmen wollte. Somit waren sie ungehorsam.

Ich finde es trotzdem sehr schade, dass die Ansichten moderner Historiker einfach vollständig ignoriert werden.
Warum greift das angebliche Massaker keiner von diesen auf? Können promovierte Historiker die Quellen nicht lesen?
Oder hält keiner von diesen die Quellen in diesem Punkt für zuverlässig?
Schon wieder diese Allgemeinplätze: Die Historiker sagen dies, alle Historiker sind sich über jenes einig, somit haben sie alle recht ... Mich interessiert trotzdem immer noch, mit welchen Gründen sie etwas sagen. Dass die angebliche Behauptung "praktisch aller modernen Historiker", Diodor habe nur einseitiges (prorömisches) Quellenmaterial benützt, inhaltlich nicht stimmt, habe ich bereits im letzten Beitrag nachgewiesen. Warum also ignorieren "alle modernen Historiker", dass Diodor auch mindestens einen prokarthagischen Historiker benutzt hat?

Mit stellt sich die Frage ob Du Deine These auch aufstellen würdest, wenn Du nicht anomym unter einem verdeckten Namen auf einem Forum schreibst, sondern unter Deinem eigenen Namen das ganze als Forschungsbericht oder gar als eigenes Buch über den zweiten punischen Krieg veröffentlichen würdest?
Ein Troll zu sein, wurde mir noch nie unterstellt. So langweilig ist mir nun wirklich nicht, dass ich in einem Forum über 6.000 Beiträge schreibe, nur um herumzutrollen.
Natürlich würde ich diese These auch "real" vertreten. Im Übrigen kennen mich zwei Mitglieder dieses Forums persönlich, also ganz so anonym bin ich gar nicht.
 
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Ein Troll zu sein, wurde mir noch nie unterstellt. So langweilig ist mir nun wirklich nicht, dass ich in einem Forum über 6.000 Beiträge schreibe, nur um herumzutrollen.
Natürlich würde ich diese These auch "real" vertreten. Im Übrigen kennen mich zwei Mitglieder dieses Forums persönlich, also ganz so anonym bin ich gar nicht.

Ich hatte keineswegs vor, Dir zu unterstellen ein Troll zu sein. Wenn das so rüberkam, tut es mir leid.
Im Quellenstudium liegt nicht meine Stärke, daher orientiere ich mich an den Werken moderner Historiker und da liegt dann der Unterschied zwischen uns. Ich muss zugeben, dass ich selber mangels Latein- und Griechischkenntnissen das zumindest nicht an Originaltexten kann.
Mir stellt sich aber immer wieder die Frage, warum man in modernen Geschichtsbüchern entweder liesst, dass Hannibal das Massaker nicht begangen habe oder es unglaubwürdig sei. Die meisten aber schreiben gar nichts. Nicht einer schreibt, dass es stattgefunden hat, oder habe ich da was übersehen? Die haben zweifellos ebenfalls die Quellen gelesen.
Dann habe ich mich gefragt warum das so ist. Promovierte Historiker haben einen Ruf zu verlieren, sie würden nicht aufgrund einer solch bestenfalls schwammigen Beweislage eine derartige Behauptung in die Welt setzen.
 
Nun sind aber auch Historiker durchaus nicht gegen Parteilichkeit gefeit. Wenn sich jemand sein Leben lang mit einer historischen Figur beschäftigt hat, dann wächst die auch einem sorgfältigen Quellenkenner irgendwann ans Herz, und man geht vielleicht nicht mehr ganz so objektiv ans Werk.

Ravenik argumentiert lückenlos, auch wenn ich persönlich es da mit den eventuell parteiischen modernen Historikern halte. Auslegung ist legitim, auch unter Historikern und unter Laien erst recht. Nur muss einem wohl klar sein, dass die Gegenposition durchaus eine starke Argumentation auf ihrer Seite hat.

Von seinem Papa hat Hannibal immerhin aus erster Hand miterlebt, wie man als karthagischer Heerführer mit Leuten umspringt, die nicht spuren. Er scheint das insgesamt etwas weniger drastisch gehandhabt zu haben als Hamilkar, aber von der Hand zu weisen sind solche Greueltaten nicht (die tatsächlich im antiken Rahmen nicht als solche angesehen worden wären, sondern als vertretbare Härte gegenüber Untreuen - siehe Rom).
 
Zuletzt bearbeitet:
Das stimmt. Allerdings hatte auch Hamilkar es im Söldnerkrieg zunächst mit Milde versucht, indem er aufständischen Söldnern, die in seine Gefangenschaft gerieten, anbot, in sein Heer einzutreten, oder sie andernfalls ungestraft ziehen ließ. Damit bezweckte er wohl, dass die weniger radikalisierten Teile der Aufständischen sich von den Radikalen unter Spendius, Mathos und Autaritus lösen und ergeben oder einfach abziehen würden. Erst als er damit nichts erreichte, sondern eher das Gegenteil, ging er zu gnadenloser Härte über und gewährte kein Pardon mehr.
Hannibal mag daraus seine Schlüsse gezogen haben, wie man mit aufmüpfigen Söldnern umgehen müsse, und dass man mit Nachgiebigkeit nur Undank ernte. Aber das ist jetzt natürlich nur Spekulation.
 
Mir stellt sich aber immer wieder die Frage, warum man in modernen Geschichtsbüchern entweder liesst, dass Hannibal das Massaker nicht begangen habe oder es unglaubwürdig sei. Die meisten aber schreiben gar nichts. Nicht einer schreibt, dass es stattgefunden hat, oder habe ich da was übersehen? Die haben zweifellos ebenfalls die Quellen gelesen.

Letzteres ist leider nicht immer der Fall. Im Falle Hannibals kenne ich mich nicht aus, aber in Sachen Caesar habe ich schon die abenteurlichsten Sachen gelesen. (Der Nazi Oppermann bspw. behauptet in seiner Caesarbiographie, dass Caesar nicht eigentlich Gallien erobern wollte sondern Germanien.)

Promovierte Historiker haben einen Ruf zu verlieren, sie würden nicht aufgrund einer solch bestenfalls schwammigen Beweislage eine derartige Behauptung in die Welt setzen.

Das mag sein, aber noch viel mehr stehen sie heute unter dem Druck etwas zu publizieren. Das Interesse Europas an Rom und Griechenland ist nun schon 500 Jahre alt.
Wieviel wirklich spektakuläres Neues findet sich da noch?

Letzlich hilft da nur die Erich von Däniken-Methode: Alles, was man nicht genau versteht, kann nicht gewesen sein und hat daher die Ursache irgendwo im Weltall, resp. es ist halt alles anders gewesen als die Quellen sagen.

So wird man publik.
 
Hoyos stellt das angebliche Massaker an den Schluss der Schilderungen über die Friedensgespräche in Rom mit den karthagischen Unterhändlern.

Offenbar scheinen dieses Gespräche schon in Rom heftig umstritten gewesen zu sein, was wohl nach dem jahrelangen Krieg nachvollziehbar ist. Leicht vorstellbar ist da, dass da auch reichlich Polemik im Spiel war, um karthagische Hinterhältigkeiten und Widerwärtigkeiten, Vertragsbrüche, Verbrechen, absichtliches In-die-Länge-ziehen der Verhandlungen wegen Hannibals und Magos Rückholung und begrenztem Transportraum etc.

Das Massaker passt da ganz gut als nachträgliche Bestätigung für die Friedensgegner ins Bild, als Legende möglicherweise aufgebaut auf dem Abschlachten der Pferde und vereinzelten Unruhen in der Truppe (größere Unruhen schließt Hoyos aufgrund der vorherigen Verläufe trotz der Heterogenität der Mannschaften aus).

Er läßt den Umfang des Massakers aber offen, wenngleich seine Skepsis gegen einen großen Umfang deutlich wird.
 
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