"haud procul" und seine Bedeutung bei Tacitus

El Quijote

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Ein wichtiges Argument der Kalkriese-Gegner ist immer wieder der Tacitus. Er gibt den einzig regionalen Hinweis auf die Schlacht: unweit des Gebietes zwischen Ems und Lippe.

Dieser kleine Nebensatz erhitzt ja wohl die Gemüter. Kalkriese ist ja wohl eher weiter davon entfernt - oder nicht?

Das schöne ist ja, dass nah/weit so relative Begriffe sind, dass sie alles und nichts aussagen. Was ist weit für Tacitus? Ein Tagesmarsch? Zwei Tagesmärsche? n Tagesmärsche? 50 Meilen? 100 Meilen? n Meilen?

Ist das Schlachtfeld innerhalb dieses Gebietes zu suchen? Dann wäre wohl wirklich das Münsterland oder das nördliche Sauerland das Gebiet wo man suchen müßte! Aber die Fundlage ist ja wohl spärlich. Oder liegt es wirklich am Geld? Aber man kann ja auch nicht einfach so in der Gegend rumsuchen.

Das Münsterland wäre ja das Gebiet zwischen Ems und Lippe, nicht "unweit" davon. Kalkriese/das Wiehengebirge ist im Übrigen nicht weiter vom Gebiet zwischen Ems und Lippe, als das Sauerland. Aber wie gesagt, Tacitus Angaben sind viel zu relativ, um darauf Spekulationen zu stützen.
 
Das schöne ist ja, dass nah/weit so relative Begriffe sind, dass sie alles und nichts aussagen. Was ist weit für Tacitus? Ein Tagesmarsch? Zwei Tagesmärsche? n Tagesmärsche? 50 Meilen? 100 Meilen? n Meilen?


Wolfgang Lippek führt an, dass Neubourg den Sinnzusammenhang des „haud procul“ bei Tacitus konsequent untersucht hat:
„Die Formulierung „haud procul“ findet sich nach Neubourg 3x in den Historien und 7x in den Annalen. Neubourg kommt zu dem Ergebnis „…, dass haud procul eine Entfernung von höchstens 3-4 Stunden, meistens aber eine viel geringere – oft nur wenige Fuß weit- bedeutet.“ Mit „Stunden“ sind bei Neubourg 3-4 Marschstunden gemeint. Daraus ergibt sich eine Entfernung vom Standpunkt der Legionen des Germanicus bis zu dem Teutoburgiensi saltu von ca. 15-20 km. Mit Standpunkt sind hier „…die abgelegensten (Gebiete) der Brukterer zwischen (!) Ems und Lippe gemeint, die von den Legionen verwüstet worden waren.“

Wolfgang Schlüter ,Wolfgang Lippek (Hrsg.), Die Schlacht – Plausible Gründe zur Varusschlacht , Bielefeld 2008, S. 41
 
Wolfgang Lippek führt an, dass Neubourg den Sinnzusammenhang des „haud procul“ bei Tacitus konsequent untersucht hat:
„Die Formulierung „haud procul“ findet sich nach Neubourg 3x in den Historien und 7x in den Annalen. Neubourg kommt zu dem Ergebnis „…, dass haud procul eine Entfernung von höchstens 3-4 Stunden, meistens aber eine viel geringere – oft nur wenige Fuß weit- bedeutet.“ Mit „Stunden“ sind bei Neubourg 3-4 Marschstunden gemeint. Daraus ergibt sich eine Entfernung vom Standpunkt der Legionen des Germanicus bis zu dem Teutoburgiensi saltu von ca. 15-20 km. Mit Standpunkt sind hier „…die abgelegensten (Gebiete) der Brukterer zwischen (!) Ems und Lippe gemeint, die von den Legionen verwüstet worden waren.“

Wolfgang Schlüter ,Wolfgang Lippek (Hrsg.), Die Schlacht – Plausible Gründe zur Varusschlacht , Bielefeld 2008, S. 41
Diese Untersuchung Neubourgs, immerhin schon gut 120 Jahre alt - wobei ich damit nicht missverstanden werden möchte, dass ihre Ergebnisse falsch seien - bedarf einer Revision. In den Annalen gibt es schon dreizehn Vorkommen der Phrase haud procul, also mehr als Neubourg in beiden Texten zusammen gefunden hat (aber wir haben ja auch eine Suchfunktion als Hilfsmittel, während Neubourg nur seine eigenen Augen hatte). In den Historien sind es elf Vorkommen.
Von diesen vierundzwanzig Vorkommen ist mindestens eines (das der Varusschlacht) in der Entfernung nicht messbar, in mindestens zwei Fällen handelt es sich um Formulierungen im Zusammenhang mit Flottenbewegungen.
Ich schlage vor, dass wir diese vierundzwanzig Vorkommen mal untersuchen und feststellen, ob sich Neubourgs Ergebnisse halten lassen (denn immerhin verfolgte auch Neubourg ein Ziel mit seiner Feststellung).
 
Ich schlage vor, dass wir diese vierundzwanzig Vorkommen mal untersuchen und feststellen, ob sich Neubourgs Ergebnisse halten lassen (denn immerhin verfolgte auch Neubourg ein Ziel mit seiner Feststellung).

Wäre es dann nicht sinnvoll, wenn du die Stellen, an denen die Formulierung vorkommt, mal hier auflistest? Dann kann jeder, der will, sich diese Stellen schnell ansehen und sich Gedanken machen, was gemeint sein könnte und man muss nicht erst selbst noch auf die Suche gehen, wo denn überhaupt 'haud procul' vorkommt.
 
Tac. ann. I, 60: Ductum inde agmen ad ultimos Bructerorum, quantumque Amisiam et Lupiam amnes inter, vastatum, haud procul Teutoburgiensi saltu, in quo reliquiae Vari legionumque insepultae dicebantur.

Dann führte er sein Heer weiter bis zu der äußersten Grenze der Bructerer, und das ganze Gebiet zwischen den Flüssen Amisia und Lupia, nicht weit entfernt vom Teutoburger Wald, in dem, wie es hieß, die Überreste des Varus und seiner Legionen unbegraben lagen, wurde verwüstet.

Tac. ann. II, 81: Interim Piso classem haud procul opperientem adpugnare frustra temptavit; regressusque et pro muris, modo semet adflictando, modo singulos nomine ciens, praemiis vocans, seditionem coeptabat, adeoque commoverat ut signifer legionis sextae signum ad eum transtulerit. tum Sentius occanere cornua tubasque et peti aggerem, erigi scalas iussit ac promptissimum quemque succedere, alios tormentis hastas saxa et faces ingerere.

Tac. ann. III, 20: Eodem anno Tacfarinas, quem priore aestate pulsum a Camillo memoravi, bellum in Africa renovat, vagis primum populationibus et ob pernicitatem inultis, dein vicos excindere, trahere gravis praedas; postremo haud procul Pagyda flumine cohortem Romanam circumsedit.

Tac. ann. III, 64: Sub idem tempus Iuliae Augustae valetudo atrox necessitudinem principi fecit festinati in urbem reditus, sincera adhuc inter matrem filiumque concordia sive occultis odiis. neque enim multo ante, cum haud procul theatro Marcelli effigiem divo Augusto Iulia dicaret, Tiberi nomen suo postscripserat, idque ille credebatur ut inferius maiestate principis gravi et dissimulata offensione abdidisse.

Tac. ann. IV, 5: cetera Africae per duas legiones parique numero Aegyptus, dehinc initio ab Syriae usque ad flumen Euphraten, quantum ingenti terrarum sinu ambitur, quattuor legionibus coercita, accolis Hibero Albanoque et aliis regibus qui magnitudine nostra proteguntur adversum extema imperia et Thraeciam Rhoemetalces ac liberi Cotyis, ripamque Danuvii legionum duae in Pannonia, duae in Moesia attinebant, totidem apud Delmatiam locatis, quae positu regionis a tergo illis, ac si repentinum auxilium Italia posceret, haud procul accirentur, quamquam insideret urbem proprius miles, tres urbanae, novem praetoriae cohortes, Etruria ferme Vmbriaque delectae aut vetere Latio et coloniis antiquitus Romanis.

Tac. ann. IV, 47: ii dum eminus grassabantur crebra et inulta vulnera fecere: propius incedentes eruptione subita turbati sunt receptique subsidio Sugambrae cohortis, quam Romanus promptam ad pericula nec minus cantuum et armorum tumultu trucem haud procul instruxerat.

Tac. ann. IV, 71: Per idem tempus Iulia mortem obiit, quam neptem Augustus convictam adulterii damnaverat proieceratque in insulam Trimentm, haud procul Apulis litoribus.

Wenn damit die Tremiti-Inseln gemeint sind, dann sind die von Neubourg zugrunde gelegten 15 bis 20 km richtig, denn die Tremiti Inseln liegen gut 15 km von den Stränden Apuliens entfernt.
Dagegen spricht der lateinische Wikipediaeintrag zu der Inselgruppe:
"Diomedeae insulae (classice) sive insulae Tremitanae (hodie)..." Diomedeae insulae - Vicipaedia - dafür spricht der italienische Wikipediaeintrag, welcher Tacitus ungenannt lassend, diese Stelle wiedergibt: "In epoca romana l'imperatore Augusto vi relegò la nipote Giulia che dopo vent'anni di soggiorno forzato ivi morì." Isole Tremiti - Wikipedia
 
Zuletzt bearbeitet:
Mit Standpunkt sind hier „…die abgelegensten (Gebiete) der Brukterer zwischen (!) Ems und Lippe gemeint, die von den Legionen verwüstet worden waren.“

Wir haben ja mit dieser Stelle noch ein weiteres Problem, nicht nur das des 'haud procul'. Denn: Wo sind denn die abgelegensten Gebiete der Brukterer? Befindet sich das Gebiet der Brukterer zwischen Ems und Lippe und sind die abgelegensten Gebiete dann vielleicht doch ein wenig weiter weg? Oder sind es wirklich diese abgelegensten Gebiete, die zwischen Ems und Lippe liegen?

In meiner Übersetzung (Tusculum, übersetzt v. Erich Heller) heißt es: Von da aus wurde das Heer in die entlegensten Teile des Bruktererlandes geführt und alles Gebiet zwischen Ems und Lippe verwüstet, nicht weit vom Teutoburger Wald...

Ich meine, das 'nicht weit' kann sich hier durchaus auf beide Möglichkeiten beziehen:
auf die entlegensten Gebiete genauso wie auf das Gebiet zwischen Ems und Lippe.

Ergo: Wir haben es mit dem 'haud procul' nicht nur mit einer offenkundig sehr schwammigen Entfernungsangabe zu tun, wir können ja nicht einmal genau sagen, von welchem Ausgangspunkt wir messen müssen!
 
Tac. ann. XII, 32: Ceterum clade Icenorum compositi qui bellum inter et pacem dubitabant, et ductus in Decangos exercitus. vastati agri, praedae passim actae, non ausis aciem hostibus, vel si ex occulto carpere agmen temptarent, punito dolo. iamque ventum haud procul mari, quod Hiberniam insulam aspectat, cum ortae apud Brigantas discordiae retraxere ducem, destinationis certum, ne nova moliretur nisi prioribus firmatis.

Tac. ann. XII, 37: ad ea Caesar veniam ipsique et coniugi et fratribus tribuit. atque illi vinclis absoluti Agrippinam quoque, haud procul alio suggestu conspicuam, isdem quibus principem laudibus gratibusque venerati sunt.

Tac. ann. XII, 58: utque studiis honestis [et] eloquentiae gloria enitesceret, causa Iliensium suscepta Romanum Troia demissum et Iuliae stirpis auctorem Aeneam aliaque haud procul fabulis vetera facunde executus perpetrat, ut Ilienses omni publico munere solverentur.

Tac. ann. XIII, 13: quin et fatebatur intempestivam severitatem et suarum opum, quae haud procul imperatoriis aberant, copias tradebat, ut nimia nuper coercendo filio, ita rursum intemperanter demissa.

Tac. ann. XIV, 5: nec multum erat progressa navis, duobus e numero familiarium Agrippinam comitantibus, ex quis Crepereius Gallus haud procul gubernaculis adstabat, Acerronia super pedes cubitantis reclinis paenitentiam filii et recuperatam matris gratiam per gaudium memorabat, cum dato signo ruere tectum loci multo plumbo grave, pressusque Crepereius et statim exanimatus est:

Tac. ann. XIV, 24: nam haud procul tentorio eius non ignobilis barbarus cum telo repertus ordinem insidiarum seque auctorem et socios per tormenta edidit, convictique et puniti sunt qui specie amicitiae dolum parabant. nec multo post legati Tigranocerta missi patere moenia adferunt, intentos populares ad iussa; simul hospitale donum, coronam auream, tradebant.

Tac. his. II, 23: Isdem diebus a Martio Macro haud procul Cremona prospere pugnatum; namque promptus animi Martius transvectos navibus gladiatores in adversam Padi ripam repente effudit.

Tac. his. III, 42: haud procul inde agebat Marius Maturus Alpium maritimarum procurator, fidus Vitellio, cuius sacramentum cunctis circa hostilibus nondum exuerat.

Tac. his. III, 79: pugnatum haud procul urbe inter aedificia hortosque et anfractus viarum, quae gnara Vitellianis, incomperta hostibus metum fecerant. neque omnis eques concors, adiunctis quibusdam, qui nuper apud Narniam dediti fortunam partium speculabantur. capitur praefectus alae Iulius Flavianus; ceteri foeda fuga consternantur, non ultra Fidenas secutis victoribus.

Tac. his. IV, 16: derecta ex diverso acies haud procul a flumine Rheno et obversis in hostem navibus, quas incensis castellis illuc adpulerant.

Tac. his. IV, 22: Adversus has concurrentis belli minas legati legionum Munius Lupercus et Numisius Rufus vallum murosque firmabant. subversa longae pacis opera, haud procul castris in modum municipii extructa, ne hostibus usui forent.

Tac. his. IV, 16: Forte navem haud procul castris, frumento gravem, cum per vada haesisset, Germani in suam ripam trahebant.

Tac. his. IV, 36: Vocula Geldubam atque inde Novaesium concessit, [Civilis capit Geldubam] mox haud procul Novaesio equestri proelio prospere certavit.

Von Neuss bis Krefeld sind es gut 16 km, das ist also auch innerhalb des von Neubourg bestimmten Radius von haud procul.

Tac. his. IV, 50: haud procul cubiculo obvium forte servum quisnam et ubi esset Piso interrogavere.

Tac. his. V, 1: His cum copiis finis hostium ingressus composito agmine, cuncta explorans paratusque decernere, haud procul Hierosolymis castra facit.

Tac. his. V, 3: Sed nihil aeque quam inopia aquae fatigabat, iamque haud procul exitio totis campis procubuerant, cum grex asinorum agrestium e pastu in rupem nemore opacam concessit.

Tac. his. V, 7: Haud procul inde campi quos ferunt olim uberes magnisque urbibus habitatos fulminum iactu arsisse; et manere vestigia, terramque ipsam, specie torridam, vim frugiferam perdidisse.
 
Auch auf die Gefahr hin, etwas zu übertreiben:
http://www.google.de/search?hl=de&as_qdr=all&num=100&q=%22haud+procul%22+site%3Awww.thelatinlibrary.com&btnG=Suche&meta=

Im Suchfeld muss man noch einmal "haud procul" in Gänsefüßchen setzen, dann kommt man auf 124 Ergebnisse.

Naja, die Frage ist ja, ob man mit Neubourg die Formulierung haud procul speziell bei Tacitus als einen eng beschränkten Radius von max. 15 bis 20 km lesen muss, nichttaciteische Textstellen helfen uns da nicht wirklich weiter.
 
Weiß ich nicht. Eine Bestätigung dieser Annahme durch ähnlichen Gebrauch der Formulierung durch andere Autoren wäre doch eine tolle Überzufälligkeit.
 
Eine Frage der inneren und der äußeren Kohärenz.
Für die Ausgangsfrage rund um die Varusschlacht ist erstmal nur die Innere von Bedeutung.
Weitet man es aus oder gäbe es die gleiche Formulierung bei anderen Varusberichtern sähe es anders aus.

Nichts desto trotz kann man mit google und dem Zusatz "Tacitus" vielleicht einen groben Überblick gewinnen. Ansonsten sich die Mühe machen, "Suchen" bemühen und durch die "Latin Library" ackern.
 
Natürlich sehen die Vertreter der „Varusschlacht im Lipperland“ gerne in „haud procul“ eine sehr geringe Entfernung. Wie hier schon aufgeführt, bezeichnet Tacitus mit „haud procul“ an anderen Stellen eine Distanz von höchstens 20-30 km. Kalkriese liegt aber deutlich weiter entfernt von betreffendem Gebiet (zwischen Ems und Lippe).

Allerdings muss man bedenken, und das führt auch Wolfgang Lippek in seinem Buch auf, dass es in einem städtelosen Land sehr wenige geographische Anhaltspunkte gibt, die als Orientierungsmarken dienen können (meistens sind dieses Flüsse oder Bergzüge).
Es ist also durchaus denkbar, dass „haud procul“ in Germanien eine größere Distanz bezeichnet als im Römischen Reich, weil es dazwischen einfach nichts Erwähnenswertes gab. Somit wäre auch Kalkriese nicht auszuschließen.

Die Lipperländer führen dagegen eine weitere Tacitus-Texstelle ins Feld und zwar jene, die ein Lager an der Lippe beschreibt, das 16 n.Chr. von Germanicus aus germanischer Belagerung befreit wird. Diese Passage erwähnt, dass die Germanen (die Belagerer?) zuvor den Grabhügel der Varuslegionen vernichtet haben. Auch hier könnte man auf eine relativ geringe Distanz der Lippe zum finalen Varusschlachtfeld schließen.
 
Natürlich sehen die Vertreter der „Varusschlacht im Lipperland“ gerne in „haud procul“ eine sehr geringe Entfernung. Wie hier schon aufgeführt, bezeichnet Tacitus mit „haud procul“ an anderen Stellen eine Distanz von höchstens 20-30 km. Kalkriese liegt aber deutlich weiter entfernt von betreffendem Gebiet (zwischen Ems und Lippe).

Sind 40 km bis zur Ems wirklich viel? Das sind ca. 6 - 8 Stunden Marsch. Nehmen wir mal Rheda-Wiedenbrück oder Schloß Holte (Weil in diesem Bereich die Ems der Lippe am nächsten kommt), verdoppelt sich die Strecke auf gut 12 - 16 Stunden Marsch, das wären dann zwei Tagesmärsche.

Die Lipperländer führen dagegen eine weitere Tacitus-Texstelle ins Feld und zwar jene, die ein Lager an der Lippe beschreibt, das 16 n.Chr. von Germanicus aus germanischer Belagerung befreit wird. Diese Passage erwähnt, dass die Germanen (die Belagerer?) zuvor den Grabhügel der Varuslegionen vernichtet haben. Auch hier könnte man auf eine relativ geringe Distanz der Lippe zum finalen Varusschlachtfeld schließen.

Die Lippe ist von dort auch nicht mehr viel weiter, 100 km, also gut 20 h Marsch, also zwei bis drei Tage. Das alles natürlich ohne Tross und mit gut trainierten Soldaten.
 
Tac. ann. I, 60: Ductum inde agmen ad ultimos Bructerorum, quantumque Amisiam et Lupiam amnes inter, vastatum, haud procul Teutoburgiensi saltu, in quo reliquiae Vari legionumque insepultae dicebantur.

Dann führte er sein Heer weiter bis zu der äußersten Grenze der Bructerer, und das ganze Gebiet zwischen den Flüssen Amisia und Lupia, nicht weit entfernt vom Teutoburger Wald, in dem, wie es hieß, die Überreste des Varus und seiner Legionen unbegraben lagen, wurde verwüstet.

Wenn ich diesen Abschnitt jetzt deuten sollte, dann ergibt sich für mich persönlich folgendes:

Germanicus befand sich irgendwo im Gebiet zwischen Lippe und Ems. Da kommt eigentlich hauptsächlich das heutige Münsterland und Teile von Ostwestfalen-Lippe in Frage. Sieht man die Lippe als südliche Begrenzung und die Ems als östliche, so ist das Gebiet ziemlich groß, da die Ems in die Nordsee mündet. Allerdings kommen die wirklich nördlichen Gebiete für die Varusschlacht nicht in Frage, da es entsprechende Bündnisse mit den Friesen und Chauken gab. Bleibt also Münsterland und OWL (evt. Emsland?). Aber er schreibt auch, daß sich der Teutoburger Wald nicht weit enfernt von diesem Gebiet befand. Daraus schließe ich, daß der Schlachtort sich außerhalb dieses Gebietes befand. Das wiederum würde evt. pro Kalkriese sprechen. Geht man von einem Sommerlager des Varus irgendwo in Wesernähe aus, so bekommt die Kalkriese-These noch mehr Gewicht.
 
Wenn ich diesen Abschnitt jetzt deuten sollte, dann ergibt sich für mich persönlich folgendes:
Germanicus befand sich irgendwo im Gebiet zwischen Lippe und Ems. Da kommt eigentlich hauptsächlich das heutige Münsterland und Teile von Ostwestfalen-Lippe in Frage. Sieht man die Lippe als südliche Begrenzung und die Ems als östliche, so ist das Gebiet ziemlich groß, da die Ems in die Nordsee mündet. Allerdings kommen die wirklich nördlichen Gebiete für die Varusschlacht nicht in Frage, da es entsprechende Bündnisse mit den Friesen und Chauken gab. Bleibt also Münsterland und OWL (evt. Emsland?). Aber er schreibt auch, daß sich der Teutoburger Wald nicht weit enfernt von diesem Gebiet befand. Daraus schließe ich, daß der Schlachtort sich außerhalb dieses Gebietes befand. Das wiederum würde evt. pro Kalkriese sprechen. Geht man von einem Sommerlager des Varus irgendwo in Wesernähe aus, so bekommt die Kalkriese-These noch mehr Gewicht.

Germanicus kam über die Ems ins Landesinnnere und wird wahrscheinlich im Raum Rheine an Land gegangen sein. Wenn er von dort aus einen Feldzug gegen die Brukterer zwischen Ems und Lippe führte, dann deutet dieses auf eine Stoßrichtung nach Süden bzw. Südosten hin. In OWL, wo beide Flüsse nahezu parallel verlaufen, könnte der Standpunkt liegen, den Tacitus erwähnt und auf den sich „haud procul“ bezieht. Es wäre also der Raum Anreppen/Paderborn.
Wenn Germanicus bei Rheine anlandete und in dieses Gebiet (OWL zwischen Ems und Lippe) zog, so hat er sich stetig von Kalkriese entfernt. Es wäre sehr sonderbar, wenn Tacitus nun von „haud procul“ („nicht weit entfernt“) in Bezug auf den Schlachtort schreibt, wenn er eine Gegend nördlich von Osnabrück meint..
Außerdem:
Cassius Dio schrieb von unwegsamen Gelände auf dem sich der Varuszug bewegte. AuchTacitus gibt an, dass Germanicus durch Caecina erst einen Weg anlegen lassen musste, um den Schlachtort zu erreichen.
Kalkriese lag allerdings am Hellweg vor dem Sandforde, einer der wenigen großen Kommunikationslinie in Germanien um Christi Geburt. Die Vorstellung, Varus sei von Minden aus auf diesem Hellweg entlang des Wiehengebirges nach Westen gezogen gilt deshalb längst als überholt.
 
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Wolfgang Lippek schlägt vor, um Anreppen aus einen nach Osten gerichteten Halbkreis von 30 km ("haud procul") Radius zu ziehen. In diesem Segment müsste, laut den Angaben des Tacitus, das Varusschlachtfeld zu finden sein.
 
Wolfgang Lippek schlägt vor, um Anreppen aus einen nach Osten gerichteten Halbkreis von 30 km ("haud procul") Radius zu ziehen. In diesem Segment müsste, laut den Angaben des Tacitus, das Varusschlachtfeld zu finden sein.

Eben nicht. Das Dumme ist doch, dass Tacitus keine klare und eindeutige Aussage darüber macht, von wo aus das Schlachtfeld 'haud procul' entfernt war.

Weder ist klar, wo Germanicus genau war, als er sich 'haud procul' des Varusschlachtfeldes befand, noch ist klar, welche Entfernung sich hinter der Bemerkung 'haud procul' verbirgt (vgl. die Auflistung von E.Q.). Tacitus hat leider kein Interesse daran gehabt eine genaue Beschreibung zum Schlachtfeld zu liefern.

Ein von Anreppen aus gezogener Halbkreis lässt sich mit den Angaben des Tacitus so eindeutig nicht vereinbaren. Wäre es so einfach, würden wir nicht so lange und ausdauernd darüber streiten, was denn gemeint war! ;)
 
Eben nicht. Das Dumme ist doch, dass Tacitus keine klare und eindeutige Aussage darüber macht, von wo aus das Schlachtfeld 'haud procul' entfernt war. ( …)Tacitus hat leider kein Interesse daran gehabt eine genaue Beschreibung zum Schlachtfeld zu liefern.

Da bin ich anderer Meinung. Tacitus hat die genauesten Angaben gemacht, die für ein städteloses Land möglich sind. Das sind in der Regel Flüsse, Berge und Stammesgebiete.
Die germanischen Stammesgebiete sind heute archäologisch nur schwer nachweisbar. Welcher Gebirgszug der „Teutoburger Wald“ ist, ist ebenfalls nicht sicher. Aber die Flüsse, Lippe und Ems, haben bis heute nur unwesentlich ihren Verlauf geändert.
Wenn Germanicus bei Rheine anlandete und das Land zwischen Ems und Lippe verwüstet wurde, dann gibt diese Schilderung schon ziemlich genau seine Stoßrichtung vor, nämlich in das Gebiet, in dem Ems und Lippe nahezu parallel fließen (OWL). Dieses Gebiet war, bei aller Vorsicht, wohl eine Randzone des Bruktererstammes.
Jetzt, genau jetzt, kommt die Meldung, dass das Varusschlachtfeld nicht mehr allzu weit entfernt liegt. Dass es sich bei der Formulierung „haud procul“ für Tacitus um max. 20-30 km handelt, kann man aus den übrigen Erwähnungen in „Historien“ und „Annalen“ schließen.
Die Überlegungen von Lippek sind also nicht ganz abwegig.


Es wäre interessant zu sehen, wie ein „Kalkrieser“ den Feldzug des Germanicus 15 n.Chr. in einer Karte einzeichnen würde.
 
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Da bin ich anderer Meinung.

Das sei dir unbenommen.

Tacitus hat die genauesten Angaben gemacht, die für ein städteloses Land möglich sind. Das sind in der Regel Flüsse, Berge und Stammesgebiete.

Das wird ja gar nicht bestritten.

Die germanischen Stammesgebiete sind heute archäologisch nur schwer nachweisbar. Welcher Gebirgszug der „Teutoburger Wald“ ist, ist ebenfalls nicht sicher. Aber die Flüsse, Lippe und Ems, haben bis heute nur unwesentlich ihren Verlauf geändert.

Auch das ist durchaus in Ordnung.

Wenn Germanicus bei Rheine anlandete und das Land zwischen Ems und Lippe verwüstet wurde, dann gibt diese Schilderung schon ziemlich genau seine Stoßrichtung vor, nämlich in das Gebiet, in dem Ems und Lippe nahezu parallel fließen (OWL). Dieses Gebiet war, bei aller Vorsicht, wohl eine Randzone des Bruktererstammes.

Und das ist jetzt deine Interpretation. Denn ob sich die äußersten Gebiete der Brukterer nahe der Flüsse Ems und Lippe befanden oder ob das Gebiete waren, die davon weit weg waren oder vielleicht Gebiete, die sich näher an Ems als an Lippe bzw. andersherum befanden, das lässt sich eben nicht mehr sagen, da
die germanischen Stammesgebiete heute archäologische nur schwer nachweisbar sind.


Jetzt, genau jetzt, kommt die Meldung, dass das Varusschlachtfeld nicht mehr allzu weit entfernt liegt.

Ja. Nur wo befand sich Germanicus zu diesem Zeitpunkt? Darüber eben macht Tacitus keine Aussage, die eine genauere Lokalisierung ermöglichen würde.

Dass es sich bei der Formulierung „haud procul“ für Tacitus um max. 20-30 km handelt, kann man aus den übrigen Erwähnungen in „Historien“ und „Annalen“ schließen.

Kann man so eindeutig eben auch nicht.

Die Überlegungen von Lippek sind also nicht ganz abwegig.

Nur geprägt von Wunschdenken.

Es wäre interessant zu sehen, wie ein „Kalkrieser“ den Feldzug des Germanicus 15 n.Chr. in einer Karte einzeichnen würde.

Wahrscheinlich so, dass Kalkriese nicht weit entfernt ist.
 
Zuletzt bearbeitet:

Tacitus hat die genauesten Angaben gemacht, die für ein städteloses Land möglich sind. Das sind in der Regel Flüsse, Berge und Stammesgebiete.

Das wird ja gar nicht bestritten.

Und das schreibt jemand, der einen Beitrag vorher noch schrieb:
Tacitus hat leider kein Interesse daran gehabt eine genaue Beschreibung zum Schlachtfeld zu liefern.

=)=)=)


Und das ist jetzt deine Interpretation. Denn ob sich die äußersten Gebiete der Brukterer nahe der Flüsse Ems und Lippe befanden, ob das Gebiete waren, die davon weit weg waren …

Tacitus berichtet, dass das Land der Brukterer geplündert und dabei der Adler der XIX. Legion gefunden wurde. Das ganze Land zwischen Ems und Lippe wurde verwüstet und man gelangte zu den äußersten Brukterern.
Dass die Brukterer im Bereich der oberen Ems siedelten, steht in der Wissenschaft außer Frage. Deine Unkenntnis ändert daran nichts.
, da die germanischen Stammesgebiete heute archäologisch nur schwer nachweisbar sind.

Richtig. Deshalb schrieb ich auch:
Dieses Gebiet war, bei aller Vorsicht, wohl eine Randzone des Bruktererstammes.

Die Kerngebiete der Stämme kann man ungefähr widergeben, die Randzonen waren jedoch meistens keine scharfen Grenzlinien, sondern diffus.

Es wäre interessant zu sehen, wie ein „Kalkrieser“ den Feldzug des Germanicus 15 n.Chr. in einer Karte einzeichnen würde.

Wahrscheinlich so, dass Kalkriese nicht weit entfernt ist.

So,so, dann mal zu!! Ich bin gespannt.
 
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