@ El Cuijote: Zu den zeitgenössischen Quellen steht bei Ohlig unter Punkt 3, Allgemeine Charakterisierung der Quellen:
Ohlig: Die christliche Literatur unter arabischer Herrschaft - imprimatur 4+5/2012
3.1 Christen unter arabischer Herrschaft haben eine Unmenge an Schriften, wenn auch viele nur noch fragmentarisch erhalten sind, hinterlassen, die meisten davon in syrischer, aber auch in griechischer und koptischer Sprache; manche sind nur noch in späteren griechischen, armenischen, lateinischen oder arabischen Übersetzungen erhalten. Überliefert sind Briefe, Chroniken, Apokalypsen, Heiligenlegenden, Berichte über Klostergründungen, spirituelle – also erbauliche – und vor allem theologische Schriften. Diese Texte bezeugen ein intensives und relativ ungestörtes kirchliches Leben in diesem ganzen Raum vom Mittelmeer bis an die Grenzen Indiens und nach China, was auch von der Archäologie bestätigt wird: die Zahl der Kirchen und Klöster, die in diesen beiden Jahrhunderten erbaut wurden, ist beeindruckend. Die ostsyrische („nestorianische“) Kirche scheint nach dem Zusammenbruch der zoroastrischen Sassanidenherrschaft eine Blütezeit durchlaufen zu haben. Die syrische „Kirche ist in Frieden und blüht“, wie der ostsyrische Patriarch Isoyaw III. (gest. 659) in einem seiner vielen Briefe schreibt, und sie betrieb Mission, über die Seidenstraße, bis hin nach China.
Nur ganz wenige dieser Schriften sind bisher kritisch ediert. Die christliche Theologiegeschichte war bis in die jüngste Zeit eurozentrisch ausgerichtet. Im Blick waren die griechischen und lateinischen Theologen der Antike rund um das Mittelmeer und später die abendländische Theologie. Die entsprechenden Literaturen liegen meist – wenn auch immer noch nicht alle – in ausgezeichneten kritischen Editionen vor. Erst allmählich wird bewusst, dass dabei eine große kirchliche Region, vom Mittelmeer bis nach Indien und China, nicht beachtet wurde. Von der großen syrischen Kirche waren im Wesentlichen nur die Theologen westlich des Euphrats, die zum Römischen oder Byzantinischen Reich gehörten, bekannt – bekannt als Häretiker (in den Augen der Griechen). Hier wartet auch auf die christliche Theologiegeschichte noch eine Fülle von Forschungsarbeit; zur Zeit sieht es so aus, als werde diese Aufgabe allmählich wahrgenommen. Weil sich Übersetzer und Bearbeiter aber von der Islamwissenschaft den zeitgeschichtlichen Kontext dieses Schrifttums, also die Herrschaft des Islam, unbefragt vorgeben lassen, wird es hierbei erhebliche Mankos geben.
Lediglich in einem Manuskript (aus dem 8. Jahrhundert?), das einem Presbyter Thomas (um 640) zugeschrieben wird, ist von arabischen Eroberungen in Syrien und Persien im Jahr 635/636 die Rede und von einer Schlacht gegen die Römer östlich von Gaza im Jahr 634[10]. Die den Arabern hier zugeschriebene „Verwüstung der ganzen Region“ hat es aber, laut Archäologie, nicht gegeben, weiteren Verdacht erweckt die Nähe zum Traditionellen Bericht. Kurz: entweder ist das ganze Manuskript ein späteres pseudepigraphes Produkt oder die beiden kurzen Sätze sind später interpoliert worden, vielleicht schon im späten 8. Jahrhundert. Aber wohlgemerkt: dies ist der einzige Text, der von Eroberungen spricht.
Ohlig: Die christliche Literatur unter arabischer Herrschaft - imprimatur 4+5/2012