Hörbuchserie auf YouTube zum Zweiten Weltkrieg ("Das Ehebuch")

DasEhebuch

Neues Mitglied
Hallo zusammen,

hier ist ein Projekt, das euch vielleicht interessiert:

Das Ehebuch erzählt in Tagebuchform vom Leben einer kleinen Familie in einem deutschen Ort während der Jahre vor und während des Zweiten Weltkriegs. Es zeigt gezielt die Perspektive gewöhnlicher Menschen – mit all ihrer Ambivalenz und geprägt von ungefilterter Propaganda.

Das Ganze ist als Hörbuchserie auf YouTube umgesetzt (kostenlos und ohne Werbung).
Wer möchte, kann gern mal reinhören:
[mod]Bitte keine YT-Links[/mod]

Mich würde interessieren:

Wie wirkt das Projekt aus eurer Sicht – hilft es zum besseren Verständnis der damaligen (und vielleicht auch heutigen) Zeit?

Wie empfindet ihr den Ansatz, Geschichte über Alltagsnähe "Stück für Stück" erlebbar zu machen?

Ich freue mich über jede Rückmeldung :)

Viele liebe Grüße

E.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Kempowski hat mit Tadellöser & Wolff definitiv Maßstäbe gesetzt, was die Darstellung bürgerlichen Lebens im Dritten Reich betrifft.

Das Ehebuch verfolgt allerdings einen etwas anderen Ansatz. Durch die Tagebuchform wird man gewissermaßen "live mitgenommen" und erlebt die Ereignisse aus der unmittelbaren Wahrnehmung der Personen heraus.

Ich habe den Eindruck, dass dadurch ein anderes Mitempfinden entsteht – vielleicht noch etwas greifbarer.

Nicht "besser" als Kempowski (das wäre anmaßend), aber eben auf eine andere Weise erfahrbar, vielleicht auch "aktueller".

Ich würde mich freuen, wenn Du mal reinhören würdest :)
 
Das Ehebuch verfolgt allerdings einen etwas anderen Ansatz. Durch die Tagebuchform wird man gewissermaßen "live mitgenommen" und erlebt die Ereignisse aus der unmittelbaren Wahrnehmung der Personen heraus.

Ich habe den Eindruck, dass dadurch ein anderes Mitempfinden entsteht – vielleicht noch etwas greifbarer.
Aber letztlich gelten für dein Hörbuch, welches als fiktives Tagebuch stilisiert ist, dieselben literarischen Kriterien wie für andere Erzähltexte. Primär muss die erzählte Handlung überzeugen, was genauso für die Figuren gilt (und was Kempowski exzellent gelungen ist), die Entscheidung für eine sehr eng perspektivische Erzählform garantiert keine spezielles oder "stärkeres" Mitempfinden. Nimmt man die Tagebuchform wirklich ernst, so bietet sie kein direktes Miterleben der Handlung (!!), denn jede Tagebuchaufzeichnung ist Rekapitulation a posteriori aus der Perspektive des (fiktiven) Tagebuchschreibers. Und das gilt auch für denkbare Szenen, in welchen ein (fiktiver) Tagebuchschreiber seine Erlebnisse im Sinne erlebendes Ich darstellen will, denn das Erzählen ist aufgrund der Tagebuchform (s.o.) a priori vom erzählenden Ich gestaltet.
Erzähltechnisch - gleichgültig ob zum lesen oder zum hören - bietet das fiktive Tagebuch also kein "live mitnehmen".
Nebenbei: mir fallen bzgl. des Themenkomplexes Zweiter Weltkrieg Alltag noch andere literarische Schwergewichte wie Böll, Grass, Andersch ein - - die Messlatte ist also verdammt hoch...
 
Danke für deine differenzierte Einschätzung!

Das Ehebuch kann und soll sich natürlich nicht mit derart großen Namen messen. Das Projekt ist einfach entstanden – und mich interessiert jetzt vor allem, wie es wahrgenommen wird.

Ich denke auch, dass sich die Zielgruppen unterscheiden: Während Kempowski, Böll oder Grass heute eher als Literaturklassiker gelesen werden, richtet sich Das Ehebuch mit seiner Machart vermutlich stärker an ein jüngeres Publikum.

Jedes Werk ist meines Erachtens auf seine Weise einzigartig und eine Bereicherung – es muss sich nicht zwingend mit anderen messen oder sie gar übertreffen...
 
Jedes Werk ist meines Erachtens auf seine Weise einzigartig und eine Bereicherung
ersteres ja, letzteres sicher nicht zwingend ;)

Missverstehe ich dich, wenn mir scheint, dass dich die Implikationen von Erzähltechniken nicht so sehr interessieren?
Und wieso sollte die Tagebuchform eines mehrteiligen Hörspiels/Hörbuchs eher auf ein jüngeres Publikum zugeschnitten sein? (oder war das einfach nur die Erwähnung deiner Zielgruppe, von er du annimmst, sie speziell damit anzusprechen?)
 
Ich denke schon, dass gerade die Erzähltechnik der Tagebuchform eine gewisse Wirkung auf das heutige – vor allem jüngere – Publikum haben kann.

Durch die eher kurzen, fragmentarischen Einträge lassen sich die Geschehnisse schnell erfassen, ähnlich wie man heute Posts oder kurze Textabschnitte liest. Gleichzeitig entsteht über die Vielzahl der Einträge hinweg ein entschleunigter Gesamteindruck – man begleitet die Figuren und ihre Wahrnehmung langsam, so wie sich auch der Zeitgeist selbst schrittweise verändert.

Diese Kombination aus „schneller Aufnahme“ und „langsamer Entwicklung“ finde ich erzählerisch spannend. Sie spiegelt letztlich auch die Art, wie Propaganda oder gesellschaftliche Gewöhnung wirken: selten plötzlich, sondern in vielen kleinen, kaum wahrnehmbaren Schritten.

Insofern ist die Tagebuchform ein Stilmittel, das sich an heutige Rezeptionsgewohnheiten anlehnt und trotzdem den Prozess der Veränderung spürbar macht.
 
Allein die Nutzung von Youtube als Distributionsplattform zielt ja auf junge Leute.

Ich habe viel über die Zeit gehört und gesehen und gelesen, aber ich finde es trotzdem gut wenn neues Entsteht.

2014 startete z.b. das Projekt The Great War auf Youtube mit einem deutschen pendant. Das war sicher nicht das beste was je über den WK1 gemacht wurde, aber es war modern produziert und hat viele viele junge Leute zum zuschauen bewegt..

Ein Thema mit den Mitteln zu bearbeiten die den heutigen Seh- oder Hörgewohnheiten entsprechen mag vielleicht dem Vergleich zu großer Literatur nicht standhalten - aber es wird von eben denen konsumiert die man mit großer Literatur nicht erreicht!
 
Danke für Dein Feedback, das mich sehr freut!

Der Vergleich mit "großer Literatur" ist tatsächlich nicht der Maßstab des Projekts.

Es ging eher darum, ein Format zu schaffen, das den heutigen Konsumgewohnheiten entspricht, ohne in reines "Edutainment" abzurutschen. Wenn dadurch Menschen erreicht werden, die sich sonst vielleicht gar nicht mit der Zeit auseinandersetzen würden, hat es seinen Zweck erfüllt. Ich denke, gerade in der heutigen Zeit ist das wichtiger den je...
 
Durch die eher kurzen, fragmentarischen Einträge lassen sich die Geschehnisse schnell erfassen, ähnlich wie man heute Posts oder kurze Textabschnitte liest.
Snapshot-Techniken leisten das noch viel mehr, können ggf ein rasantes Erzähltempo erzeugen (aus Ich-Perspektive z.B. bei Arno Schmidt und Walter Kempowski, multiperspektivisch montiert bei z.B. Dos Passos und Faulkner)
(fragmentiertes Erzählen findet sich übrigens schon brillant bei Sterne, Tristram Handy)
Tagebuchartig deiner Schilderung entfernt ähnlich scheint mir Frischs Homo Faber (der aber aus thematischen Gründen immer wieder von "technokratischer" Snapshot-"Sachlichkeit" in lange reflektierende Erzählpassagen gerät)

Dass die althergebrachte Tagebuchform, ebenso die vielen (fiktiven) Aufzeichnungen, Erinnerungen etc sich an heutige Rezeptionsgewohnheiten anlehnt, ist ein kurioser Gedanke - aber ich verstehe, wie du das meinst. Ich will dich auch nicht mit lit.wiss. Spezialitäten (die kann man alle nachlesen) ärgern, sondern mich interessiert, bevor ich einige Zeit in lesen/hören investiere, wie etwas erzählt wird und ich oute auch einen meiner Gründe: du willst Interesse für dein Erzählprojekt, wobei du auf die historische Thematik und die Erzählform hinweist - da werde ich neugierig, wenn ein Erzähler sich zu seinen Erzählweisen abweichend von dem, was die Lit.wiss. erkannt hat, äussert (Deine Erläuterungen zum Tagebuch).

Verzeih mir den Verdacht, dass "Tagebuch" hier vordergründig als Authentizität wirken soll, bei einem Publikum, das sich seinem Lese/Hörvergnügen in kleinen Häppchen ohne Augenmerk auf literarische Techniken widmet. Dieses Publikum für das Thema selber zu sensibilisieren, finde ich prima. Und ich hätte keine Einwände, wenn von Anfang an klar gesagt wäre: da wird (musikalisch metaphorisiert) mit schlichten Drei-Akkorde-Turnarounds absichtlich strukturiert, Chromatik und Leittonharmonik werden erspart ;) ...

Ich schwanke noch, ob ich da reinhören werde:
eher nein, weil
1. s.o. zur Erzähltechnik
2. ich kenne zu viel an erzählender Literatur mit dieser Thematik und kann die enorme Messlatte nicht ausblenden
vielleicht doch, weil
ich habe die kuriose Erfahrung gemacht, dass ich zwei hochartifizielle Schmöker (Tolstoi und Zweig) nicht mal zu einem Viertel lesen konnte - aber anhören (Radiolesung und Hörbuch) konnte ich sie komplett ohne Langeweile/Durchhänger - wenn es überzeugend gelesen*) ist, könnte ich dran bleiben

Noch eine Frage: montierst du aus mehreren fiktiven Tagebüchern oder bleibt es bei einer einzigen Perspektive?
_____
*) die Rita Falk Krimis sind ganz gewiss keine große Literatur, aber von Tramitz gelesen ein echter Genuss!!
 
Deinen Vergleich mit den „Drei-Akkorde-Turnarounds“ fand ich witzig. Das ist ein schönes Bild – bewusst schlicht im Stil trifft es hier tatsächlich auch ganz gut. Das Ehebuch will keine kompositorischen Kunstgriffe zeigen, sondern gerade durch die Reduktion eine bestimmte Atmosphäre entstehen lassen.

Heinrich und Johanna sind _einfache_ Menschen, und entsprechend schlicht ist auch ihr Blick auf die Welt – das spiegelt sich konsequent in der Sprache. Die Tagebuchform soll auch die Alltäglichkeit fühlbar machen.

Erzählt wird übrigens ausschließlich aus der Perspektive _einer_ Familie: mal schreibt Heinrich, mal Johanna – ein gemeinsames Tagebuch, daher auch der Titel "Ehebuch".

Ich würde mich freuen, wenn du dich darauf einlässt – gerade, weil du die literarische Ebene so bewusst betrachtest. Mich interessiert sehr, wie es auf dich wirkt. :)
 
Das Ehebuch will keine kompositorischen Kunstgriffe zeigen
Hierzu einen kleinen Einwand: dergleichen ist bei Kempowski etc auch nicht der Fall, aber wie das bei Erzählprofis nun mal der Fall ist, so verfügten die bewusst/gekonnt über derartige Mittel.
Erzählt wird übrigens ausschließlich aus der Perspektive _einer_ Familie: mal schreibt Heinrich, mal Johanna – ein gemeinsames Tagebuch, daher auch der Titel "Ehebuch".
Das klingt doch recht originell :)

(ich fange jetzt aber nicht mit realen Tagebüchern einer Ehepartnerin an, welche vom Ehepartner redigiert wurden... huiuiui... die sind als Quellen heikel....)
 
Danke für Dein Feedback. Das stimmt, es gibt Originaltagebücher aus der Zeit – aber die sind (meiner Meinung nach) in der Regel nicht für ein junges Publikum aufbereitet.

Das Ehebuch versucht eher, den Alltag und die damalige Denkweise in einer Form erfahrbar zu machen, die heutigen Hörern leichter zugänglich ist. Und das auch mit Betonung auf Themen, die gerade wieder erstaunlich aktuell wirken...
 
Vielen Dank euch allen für die Rückmeldungen – auch wenn sie für mich persönlich natürlich ein bisschen ernüchternd sind.

Ich hatte gehofft, dass das Projekt hier vielleicht etwas mehr Anklang findet, nehme eure Einschätzungen aber absolut ernst und finde es spannend, die unterschiedlichen Perspektiven zu hören.

Zu den Stimmen: Sie stammen von einer kostenpflichtigen KI (nicht die üblichen Standardstimmen), und ich war selbst überrascht, wie natürlich und betont sie klingen. Daher hat mich der Hinweis auf „monoton“ etwas gewundert – wobei ich zugeben muss, dass der Prolog tatsächlich nicht so schön rüberkommt. Die KI-Stimmen waren letztlich eine pragmatische Entscheidung, weil ich das Projekt sonst in dieser Form nicht hätte umsetzen können.

Ich danke euch nochmals herzlich für die ehrlichen Rückmeldungen – sie helfen mir, das Ganze auch mit etwas Abstand zu betrachten. Vielleicht findet Das Ehebuch ja an anderer Stelle eher sein Publikum.

Viele liebe Grüße :)
 
Zurück
Oben