Indogermanen, Konstrukt oder Wirklichkeit?

Um wieder zu den Indogermanen zurückzukommen: wir haben aus der schriftlosen Zeit keine Dokumentation über Wanderungsbewegungen und Sprachweitergabe. Wir wissen nicht, von wo die Indogermanen aufgebrochen sind, wir wissen nicht, wie die Bevölkerungszusammensetzung in den Gebieten waren, wo sie sich angesiedelt haben.

Wir wissen aus besser dokumentierten Zeiten, wie sich Ethnien und Sprachen ausgebreitet haben und in einer Vermischung von Einwanderern und Ureinwohner zu neuen Ethnien geführt haben. Aus diesen besser dokumentierten Zeiten wissen wir, dass es zumeist gemischte Prozesse sind (Immigration und Assimilation). Die Beispiele der römischen, arabischen und spanischen Expansion zeigen, dass auch eine Minderheit ihre Sprache durchsetzen kann.

Auch die germanischen Sprachen expandierten: von der Völkerwanderungszeit bis ins Mittelalter dehnte sich die germanische Sprachgrenze Richtung Westen aus, d. h. in ehemalig romanischsprachige Gebiete. Vom Mittelalter an expandierte die Sprachgrenze in slawischsprachige Gebiete. Viele Ortsnamen (vor allem zwischen Elbe und Oder), die auf -itz, -in, -ow bzw. -au enden, zeigen noch heute an, wo ehemals der slawischsprachige Bereich war. Allerdings gibt es auch in anderen Regionen Ortsnamen auf -au, die nicht auf auf ein slawisches -ow zurückgehen. Noch heute gibt es einige slawische Sprachinseln in Brandenburg/Sachsen (Sorben ? Wikipedia). Westlich der Elbe wurde noch bis ins 17. Jhdt. im Wendland (d. h. das Land der Wenden, d. h. Slawen) das Polabische Polabische Sprache ? Wikipedia gesprochen.


Da ich keine Zeit habe, nur kurz zum Modell Siziliens. Du versteifst dich hier sehr auf Geschlechtlichkeit und die Unterdrückung der Frau in patriarchalen Gesellschaften, auch in Bildungsbelangen. Das ist aber nicht der Punkt. Abgesehen davon, dass auch bzw. gerade in patriarchalen Gesellschaften die frühkindliche Erziehung von den Müttern gestemmt wird, ignoriert das Modell einer intrafamiliären Zweisprachigkeit nach Geschlecht über Generationen hinweg einfach jede Form von Pragmatismus. Die innerfamiliäre Kommunikation würde schlichtweg nicht funktionieren.

Ich kann dieses Modell auch nicht nachvollziehen. Alleine aus Gründen der Kommunikation müssen Männer und Frauen die gleiche Sprache sprechen (allerdings klappt die Kommunikation trotz gleicher Sprache häufig trotzdem nicht:pfeif:).
 
Wir wissen aus besser dokumentierten Zeiten, wie sich Ethnien und Sprachen ausgebreitet haben und in einer Vermischung von Einwanderern und Ureinwohner zu neuen Ethnien geführt haben. Aus diesen besser dokumentierten Zeiten wissen wir, dass es zumeist gemischte Prozesse sind (Immigration und Assimilation). Die Beispiele der römischen, arabischen und spanischen Expansion zeigen, dass auch eine Minderheit ihre Sprache durchsetzen kann.
Bei diesen Beispielen kamen die Expansionen durch Eroberungen zustande.
Die Minderheit kam nicht durch ein "Einsickern" von Siedlern ins Land, sondern im Rahmen organisierter Feldzüge.
Die Minderheit kontrollierte die Mehrheit durch eine flächendeckende Verwaltung. Die Verwaltungsbehörden kommunizierten in einer Schriftsprache, die der Minderheit eine überregionale sprachliche Hoheit sicherte. (Im Fall der arabischen Eroberung haben wir als Besonderheit die überragende religiöse Bedeutung der Schriftsprache.)

Was man von diesen Beispielen auf die indogermanische Expansion übertragen kann, ist mir nicht klar.
 
Ob man das Prestige nennen kann (die Sprachen Mesopotamiens und Ägyptens waren schließlich auch Schriftsprachen), sei dahin gestellt, aber wahr ist, dass die Religion die arabische Sprache transportierte.

Das bringt uns doch alles bei unserer Indogermanenfrage nicht weiter.

Wir haben festgestellt, dass es Sprachwechsel bei unterschiedlichen politisch/ethnischen Konstellationen gab und wir haben auch gegenteilige Beispiele gefunden. Was heißt das nun bei der Verbreitung indoeuropäischer Sprachen?

Nimmt man an, dass die Indoeuropäer aus der mesolithischen Bevölkerung Zentraleuropas und deren Nachfahren hervorging, ohne dass es Invasionen von außen gab, so haben sich die indoeuropäischen Sprachen organisch und kontinuierlich in Europa entwickelt. Dss zumindest ist die Theorie von Alexander Häusler, der eine indoeuropäische Invasion als "Mythos" bezeichnet, was er in seiner Schrift "Nomaden, Indogermanen, Invasion: Zur Entstehung eines Mythos" (2002) nachzuweisen versucht. http://www.nomadsed.de/fileadmin/us...ationen/Mitteilungen_des_SFB/owh3haeusler.pdf
Für seine Behauptung hat er gute Gründe, aber es gibt auch Kritikpunkte. So kann Häusler nicht stimmig erklären, warum sich indoeuropäische Sprachen bis in den Iran und nach Indien ausgebreitet haben.

Folgt man dem Archäologen David Anthony, so liegt die "Urheimat" der Indoeuropäer in den Steppen Südrusslands, was u.a. schon zuvor die Archäologin Marija Gimbutas in verschiedenen Publikationen behauptet hat. Bei Anthony beruht die Verbreitung indoeuropäischer Sprachen vor allem auf einer Kulturtrift, getragen von wenigen Kriegsherren oder Cllanchefs, die zusammen mit einer eher geringen Zahl von Steppenkriegern einige Stämme Europas indoeuropäiosierten. Nach Anthony wurden sodann weitere Stämme in Form eines Schneeballsystems indoeuropäisiert. Das hohe Prestige der Sprache und die Dominanz einiger Clanherren bot dafür eine Grundlage. Die Verortung in Südrussland ist insofern plausibel, als von dort Richtung Iran/Indien historisch belegte Einwanderungen von indoarischen Bevölkerungsruppen erfolgten. Ob allerdings die Verbreitung indoeuropäische Sprachen vor allem durch eine Kulturtrift erfolgt sein könnte, ist in der Kritik.
 
Zu #380:
Chan schrieb:
(von Joan Marler, frühere enge Mitarbeiterin von Gimbutas)

Belili: The Myth of Universal Patriarchy: A Critical Response to Cynthia Eller's Myth of Matriarchal Prehistory

The peoples from north of the Black Sea (Proto-Indo-European speakers whom Gimbutas named Kurgans) who began entering Europe after 4400 BC lived in small bands and, Gimbutas writes, "their encroachment on Old Europe cannot be thought of as an organized, massive invasion of the type we know from historical times."
Was die Gimbutas-Jüngerin Marler da zur Gimbutas-Diskussion schreibt, ist Unsinn.

Statt vieler zwei Hinweise zum herrschenden Stand der Kontroverse, da Chans Verlinkung ideologisch vorbelastet ist (und außerdem noch werbend):

Alexander Häusler: Nomaden, Indogermanen, Invasion. Zur Entstehung eines Mythos:

"M. Gimbutas (1921–1994; zur Biographie Milisauskas 2000) ist in zahlreichen, sich in den Details oft widersprechenden Publikationen mit einer Konzeption an die Öffentlichkeit getreten, die in weiten Kreisen von Sprachwissenschaftlern, insbesondere der angelsächsischen Länder, immer wieder als neu, sensationell und überzeugend bezeichnet wird. Danach sollen die Vertreter einer von ihr aus der Taufe gehobenen, aus den Steppen des Ostens aufbrechenden Kurgankultur, kriegerische Reiter (Abb. 1), patriarchalisch organisierte Hirtenkrieger, Nomaden bzw. Halbnomaden, ausgerüstet mit neuartigen Waffen (Dolchen) aus Arsenbronze, in drei verheerenden Wellen über die friedliebenden, matriarchalisch organisierten Ackerbauern von "Old Europe" hergefallen sein. Durch diesen "militärischen Sieg" (Gimbutas 1986, 5) hätten die von ihr mit den Idg. identifizierten Träger der Kurgankultur die Bevölkerung von "Old Europe" transformiert. Im Ergebnis wäre in Europa eine patriarchalische Sozialstruktur entstanden. Durch die Kreuzung von Siegern und Besiegten hätten sich schließlich die Kelten, Germanen, Balten, Slawen und Griechen herausgebildet. Die östlichen Invasoren hätten den Unterworfenen eine neue Sprache, eine neue Religion und ein neues Verwaltungssystem gebracht, ferner ein "tripartite class system of rulers, warrior-nobility and laborers" (Gimbutas 1986, 5). Die Vorbevölkerung von "Old Europe" sei dagegen der Antipode der anbrandenden Hirtenkrieger gewesen und hätte in "theocratic monarchies presided by a queen-priestess" (Gimbutas 1986, 6) gelebt.

Zur Geschichte der Vorstellungen über ein Matriarchat, von im Neolithikum verehrten "Muttergöttinnen", der ideologischen Hintergründe, sowie der Rolle von M. Gimbutas bei der Propagierung des betreffenden Mythos geben weitere Arbeiten Auskunft (Meskell 1994; Haaland, Haaland 1995; Hutton 1997; Biehl 1996; 1997). R. Hutton (1997, 67) spricht im Bezug auf M. Gimbutas: "Their attitude to the prehistoric past was likewise bound by relative inflexible ideological models, which included a belief in primitive matriarchy".


Bailey, Balkan Prehistory:
"Furthermore, as Whittle has noted, if the geo-chronology of the changes in the Balkans suggests anything, it is that some of the earliest changes took place to the west and not closer to the steppes as the invasion hypothesis would suggest (Whittle 1996:138–40). In many versions of the population replacement explanation, it is proposed that the new inhabitants of the Balkans were speakers of a common, imported language, Proto-Indo-European, the appearance of which in the Balkans can be dated, through a not uncontroversial connection of linguistic and archaeological evidence, to the fourth millennium BC (see Mallory 1989 and discussion in Whittle 1996:137–8). There are inconsistencies in all of these explanations and Whittle has reviewed them in detail (Whittle 1996:136–43); at their core is the mistaken assumption that dramatic change in material culture, settlement and burial such as are evident in the Balkans between 4000 and 3000 BC demands an explanation in terms of population replacement. Considering the time-span over which these changes took place, the regional diversity, especially in settlement and burial, and the threads of continuity noted above, it seems a much wiser approach to look for local patterns and rates of change.

The scale of the changes that distinguish the post-4000 BC Balkans from the previous two-and-a-half thousand years has stimulated equally grand explanations. For a long time, the most influential interpretation was phrased in terms of population replacement caused by an invasion of horse-mounted warriors pouring from the steppelands of the east (Gimbutas 1973, 1977, 1991). According to this school, the invaders were a mobile male-dominated, patriarchal, aggressive group which swept all before them, destroying the villages and lifestyles of the late fifth and early fourth millennium BC communities. Accordingly, the bodies inhumed in the mound burials along the Danube were proposed to be the invader’s remains. As we expand and refine our understanding of fifth millennium BC Balkan communities, as well as of those who lived in the steppes to the east and those who lived along the Danube after 4000 BC, the invasion explanation finds increasingly little support.


Die Klarstellung ist erforderlich, damit hier keine Legenden über Gimbutas Theorien erzeugt werden.
 
Weiter zu #380:

Chan schrieb:
Einerseits schreibt Anthony in "The Horse, the Wheel, and Language", S. 369-370:...(alle Hervorhebungen in diesem Beitrag von mir...
Andererseits finden sich, siehe unten, viele Passagen, welche den ausgesprochen kriegerischen Aspekt der Usatovo-Kultur im Zusammenhang mit Migration und Landnahme betonen. Meine Frage: Ist das wirklich eine "Eindampfung" der Gimbutas´schen These (die allerdings nicht so krass ist wie oft angenommen, siehe ganz unten), oder versucht Anthony nur (Gimbutas´ Ansatz lediglich euphemistisch modifizierend), die kriegerische Natur der Einwanderungen herunterzuspielen durch Formulierungen wie "opportunities acquiring clients" und "organized islands of authority"?

Es ist nicht notwendig, über Anthony rumzurätseln.

Die "Frage" stellt sich nur anhand von Textschnipseln aus Google-Books und nicht, wenn man sich Anthony komplett beschaut. Selbstverständlich wird nirgends die Abwesenheit von lokaler Gewalt oder lokalen kriegerischen Auseinandersetzungen postuliert, schon gar nicht über die hier beschriebene Entwicklung mehrerer Jahrhunderte, und selbstverständlich setzt sein Patron-Client-Modell Hierarchien voraus.

Es bringt wenig, "Warrior"/Warlord/usw.-Textschnipsel bei Anthony zu suchen, die er in keinen Zusammenhang zum "spread" der Indo-europäischen Sprache stellt, den er kulturell-sozio-ökonomisch erklärt:

Anthony:
If I had to hazard a guess I would say that this was how the Proto–Indo–European dialects that would ultimately form the root of Pre–Germanic first became established in central Europe: they spread up the Dniester from the Usatovo culture through a nested series of patrons and clients, and eventually were spoken in some of the late TRB communities between the Dniester and the Vistula. These late TRB communities later evolved into early Corded Ware communities, and it was the Corded Ware horizon (see below) that provided the medium through which the Pre–Germanic dialects spread over a wider area.
...
The widely separated pockets of Yamnaya settlement in the lower Danube valley and the Balkans established speakers of late Proto–Indo–European dialects in scattered islands where, if they remained isolated from one another, they could have differentiated over centuries into various Indo–European languages. The many thousands of Yamnaya kurgans in eastern „Hungary suggest a more continuous occupation of the landscape by a larger population of immigrants, one that could have acquired power and prestige partly just through its numerical weight. This regional group could have spawned both pre–Italic and pre–Celtic. Bell Beaker sites of the Csepel type around Budapest, west of the Yamnaya settlement region, are dated about 2800–2600 BCE. They could have been a bridge between Yamnaya on their east and Austria/Southern Germany to their west, through which Yamnaya dialects spread from Hungary into Austria and Bavaria, where they later developed into Proto–Celtic. Pre–Italic could have developed among the dialects that remained in Hungary, ultimately spreading into Italy through the Urnfield and Villanovan cultures. Eric Hamp and others have revived the argument that Italic and Celtic shared a common parent, so a single migration stream could have contained dialects that later were ancestral to both. Archaeologically, however, the Yamnaya immigrants here, as elsewhere, left no lasting material impression except their kurgans.
...
The wide–ranging pattern of interaction that the Corded Ware horizon inaugurated across northern Europe provided an optimal medium for language spread. Late Proto–Indo–European languages penetrated the eastern end of this medium, either through the incorporation of Indo–European dialects in the TRB base population before the Corded Ware horizon evolved, or through Corded Ware–Yamnaya contacts later, or both. Indo–European speech probably was emulated because the chiefs who spoke it had larger herds of cattle and sheep and more horses than could be raised in northern „Europe, and they had a politico–religious culture already adapted to territorial expansion. The dialects that were ancestral to Germanic probably were initially adopted in a small territory between the Dniester and the Vistula and then spread slowly. As we will see in the next chapter, Slavic and Baltic probably evolved from dialects spoken on the middle Dnieper.“
...
There was no Indo–European invasion of Europe. The spread of the Usatovo dialect up the Dniester valley, if it happened as I have suggested, was quite different from the Yamnaya migration into the Danube valley. But even that migration was not a coordinated military invasion. Instead, a succession of Pontic steppe tribal segments fissioned from their home clans and moved toward what they perceived as places with good pastures and opportunities for acquiring clients. The migrating Yamnaya chiefs then organized islands of authority and used their ritual and political institutions to establish control over the lands they appropriated for their herds, which required granting legal status to the local populations nearby, under patron–client contracts. Western Indo–European languages might well have remained confined to scattered islands across eastern and central Europe until after 2000 BCE, as Mallory has suggested. Nevertheless, the movements into the East Carpathians and up the Danube valley occurred in the right sequence, at the right time, and in the right directions to be connected with the detachment of Pre–Italic, Pre–Celtic, and Pre–Germanic
 
Da keine Antwort auf meine mehrmalige Frage nach der "Urheimat" der Anthony-Zitate erfolgt ist, ist die Antwort klar.

Folgt man dem Archäologen David Anthony, so liegt die "Urheimat" der Indoeuropäer ...

Ich weiß nicht, wem Du da folgst, aber jedenfalls nicht Anthony.

Man muss seinen Theorien ja nicht folgen, aber es ist interessant und lohnenswert, sie zu lesen.
 
In einer patriarchalischen Gesellschaft waren und sind Frauen meistens nur für Kinder und Haushalt zuständig. Ihre Töchter erwartet der gleiche „Schicksal“, deshalb hat man den Töchtern traditionell nur so viel „Bildung“ angedeihen lassen, um diese auf das Haus begrenzten Aufgaben erledigen zu können. Söhne dagegen mussten sich in einer Männerwelt bewegen, und die wird bestimmt durch (fremdsprachige) Eliten, was mindestens die Zweisprachigkeit der Söhne zur Folge hat.
(…)
Und bezogen auf das Modell oben kann man sagen: Töchter waren damals nicht wichtig – was bei mancher strengen Strömungen innerhalb des Islams noch heute gilt: Mädchen wird deshalb die Schulbildung verweigert.
Du versteifst dich hier sehr auf Geschlechtlichkeit und die Unterdrückung der Frau in patriarchalen Gesellschaften, auch in Bildungsbelangen. Das ist aber nicht der Punkt. Abgesehen davon, dass auch bzw. gerade in patriarchalen Gesellschaften die frühkindliche Erziehung von den Müttern gestemmt wird, ignoriert das Modell einer intrafamiliären Zweisprachigkeit nach Geschlecht über Generationen hinweg einfach jede Form von Pragmatismus. Die innerfamiliäre Kommunikation würde schlichtweg nicht funktionieren.
Eine zweisprachige innerfamiliäre Kommunikation ist gegeben, sobald Kinder geboren werden, die zwangsläufig die Sprache ihrer Mutter sprechen, es sei denn, der (sonst fremdsprachige) Vater lernt auch ihre Sprache. In heutigen Familien wachsen Kinder nur dann zweisprachig auf, wenn der Vater mit seinen Kindern konsequent in seiner Sprache spricht, sonst lernen die Kinder seine Sprache nicht oder erst in der Schule. In die Schule aber gingen damals nur Jungs. Das war alles, was ich in dem Fall sagen wollte.

Wir haben festgestellt, dass eine dauerhafte Übernahme einer fremden Sprache von folgenden Faktoren abhängt:

1. Wenn die Fremden ihre Frauen mitbringen und durch ihre schiere Zahl die autochthone Bevölkerung so majorisieren, dass diese gar nicht anders kann als auf die neue Sprache anzunehmen. Beispiel: Eindringen der Slawen nach Europa in der Völkerwanderungszeit.

2. Ist die Zahl der Fremden (auch inkl. ihrer Frauen) gering oder haben sie zu wenig Zeit, um sich auszubreiten, verschwindet ihre Sprache bzw. geht in der der autochthonen Bevölkerung auf, die sie bestenfalls ein wenig beeinflussen. Beispiele: Normannen in England, Langobarden in Italien.

3. Gehen die Träger der fremden Sprache brutal gegen autochthone Bevölkerung vor (Auslöschung ganzer Stämme) und haben sie anschließend genügend Zeit, so kann sich ihre Sprache bei verbliebener Bevölkerung auch durchsetzen. Beispiele: Römer in Gallien, Spanier und Portugiesen in Amerika.

4. Ist die fremde Sprache eine Schriftsprache und gleichzeitig Religionsträgerin, so kann auch eine zahlenmäßige Minderheit die Mehrheit majorisieren. Beispiele: Ausbreitung der arabischer Sprache im Mittelalter, der spanischer und der portugiesischen Sprache in der Neuzeit.

Das ist wahrscheinlich nicht alles.

Aber was mich jetzt interessiert: Auf wie viele Personen schätzt man die Bevölkerung in Old-Europe, bevor sich dort die Urnenfeldkultur durchsetzte? Ich frage das deswegen, weil die indo-germanische Sprache überall da zu finden war, wo sich auch die Urnenfeldkultur ungefähr zur gleichen Zeit durchsetzte – siehe die beiden folgenden Bilder:

Europe_late_bronze_age.png


IE3500BP.png
 
Der Schulbesuch im aġlabidischen Sizilien dürfte, wie in allen vormodernen Gesellschaften, eher kein Massenphänomen gewesen sein, ganz unabhängig vom Geschlecht...
 
Was die Gimbutas-Jüngerin Marler da zur Gimbutas-Diskussion schreibt, ist Unsinn..

Joan Marler als "Jüngerin" zu bezeichnen, ist so unsachlich wie einige ´Argumente´ des Herrn Häusler. Marler ist in Gimbutas´ letzten Jahren ihre engste Mitarbeiterin gewesen und hat ihr letztes Werk "Die Zivilisation der Göttin" herausgegeben und mit einer Einführung versehen. An manchen Stellen äußert sie sich auch kritisch über einzelne Aspekte der Gimbutas-Theorie (in dem Sinne, dass das Grundgerüst richtig ist, viele Details aber aufgrund neuerer Forschung anfechtbar sind), man kann Marler also keineswegs Hörigkeit vorwerfen, wie das deine "Jüngerin"-Metapher suggerieren soll.

Alexander Häusler: Nomaden, Indogermanen, Invasion. Zur Entstehung eines Mythos.

"Danach sollen die Vertreter einer von ihr aus der Taufe gehobenen, aus den Steppen des Ostens aufbrechenden Kurgankultur, kriegerische Reiter (Abb. 1), patriarchalisch organisierte Hirtenkrieger, Nomaden bzw. Halbnomaden, ausgerüstet mit neuartigen Waffen (Dolchen) aus Arsenbronze, in drei verheerenden Wellen über die friedliebenden, matriarchalisch organisierten Ackerbauern von "Old Europe" hergefallen sein..."

Hier kommt wieder die olle und verstaubte Kamelle, Alteuropa sei Gimbutas zufolge "matriarchalisch" gewesen, hinterm Ofen hervor. Auf die Falschheit dieser Unterstellung habe ich schon in meinem Beitrag über Martina Schäfers Verleumdungskampagne hingewiesen, natürlich vergebens. Gimbutas hielt die Sozialorganisation von AE für egalitär, z.B. in:

"Göttinnen und Götter im Alten Europa" , Vorwort zur Neuausgabe 1982:

Der Begriff Old Europe bezieht sich auf eine vorindoeuropäische Kultur in Europa, die matrifokal und möglicherweise matrilinear organisiert, durch Ackerbau und Sesshaftigkeit geprägt sowie egalitär und friedlich ausgerichtet war. Sie stand in scharfem Gegensatz zu der nachfolgenden proto-indoeuropaischen Kultur mit ihrer patriarchalen und hierarchischen Gliederung, ihrer Viehzucht, Mobilität und ihrem kriegerischen Charakter, die sich zwischen 4500 und 2500 v. Chr. in drei Einwanderungswellen aus der russischen Steppe in den gesamten europäischen Kontinent, mit Ausnahme der südlichen und westlichen Ränder, ergoss.

Zur Geschichte der Vorstellungen über ein Matriarchat, von im Neolithikum verehrten "Muttergöttinnen", der ideologischen Hintergründe...
(...)
R. Hutton (1997, 67) spricht im Bezug auf M. Gimbutas: "Their attitude to the prehistoric past was likewise bound by relative inflexible ideological models, which included a belief in
primitive matriarchy".
Wie ernstzunehmen sind Argumente von Autoren, die nicht fähig sind, ein weitverbreitetes Falschurteil über Gimbutas zu durchschauen, z.B. anhand ihrer Originaltexte, die ganz klar eine egalitäre Sozialordnung des AE - und nicht eine matriarchale - konstatieren? Dem Gegner eine Auffassung zu unterstellen, die er oder sie nicht hat, ist der billigste aller rhetorischen Tricks.

Gimbutas zufolge ist das Massaker von Talheim, für viele ihrer Gegner eine Widerlegung ihrer Hypothese eines friedlichen AE, ein Indiz für das gewaltsame Eindringen einer Kurgan-Gruppe. Die offizielle Datierung scheint gegen Gimbutas zu sprechen (der ersten unkalibrierten Messung nach um 5.000 BCE), da die erste Kurgan-Welle laut Gimbutas etwa 4.500 BCE einfiel. Allerdings wurde 1997 eine kalibrierte Messung nachgeholt, wobei die unteren Grenze auf 4.670 BCE bei der einen Probe und 4.700 BCE bei der anderen herabsank. Dass die Obergrenzen beider Proben um 200 Jahre differerieren, zeigt, wie fragwürdig die C14-Methode ist, wenn es wirklich um Genauigkeit geht. Im Ganzen gesehen kann die C14-Methode nicht als beweiskräftig gelten, was bedeutet, dass die Talheim-Datierungen Gimbutas´ These vom Beginn der Kurgan-Einwanderungen um 4.500 BCE nicht zwingend widerlegen.

Die Klarstellung ist erforderlich, damit hier keine Legenden über Gimbutas Theorien erzeugt werden.

Diese "Legenden" werden leider nur durch Falschbehauptungen à la Häusler über die angeblich matriarchalistische Gimbutas-Theorie sowie durch eine Verleumdung (die du nicht zitiert hast, aber von deinem Favoriten Häusler stammt - siehe unten) ersetzt. Kein guter Tausch.

Einen üblen Ausrutscher von Häusler im gleichen Text hast du nämlich verschwiegen:

(S. 16-17)

H. Güntert (1934, 183) fügt seinem Buch triumphierend folgende Sätze an. "Das deutsche Volk ist nicht anders entstanden wie fast alle der uns bekannten wirklich schöpferischen Kulturvölker der Welt. Eine kleine organisationsfähige und kulturell schöpferisch begabte Rasse hat im Lauf vieler Jahrhunderte andere Völker überlagert und zum Teil aufgesaugt, zum Teil sich angepasst. Alle einzelnen Bestandteile unseres Volkes haben selbstverständlich ihre besonderen Fähigkeiten in diesen Bund mitgebracht, geschaffen aber wurde es nur von einem einzigen volk- und staatbildenden Kern. Aus Siegern und Besiegten ist unterdes längst eine Gemeinschaft geworden. Es ist unser heutiges Volk. Und so wie es ist, lieben wir es und hängen an ihm".
Dieses Zitat stammt aus einer Rede von A. Hitler vor dem Reichsparteitag in Nürnberg am 13. September 1933, die H. Güntert als eine "gewaltige Zielsetzung unserer deutschen Kulturentwicklung" bezeichnete. Man könnte fast geneigt sein, in M. Gimbutas den Ghostwriter des Führers zu sehen, würden die Lebensdaten nicht dagegen stehen.


Zu diesem Häusler´schen Blackout kann ich nur sagen: Das ist ja das Allerletzte. Gimbutas als Verherrlicher von kriegerischen Indoeuropäern? Geht´s noch? Erst gilt sie als Verherrlicherin eines ´utopischen´ friedlichen Alteuropa, dann als Verherrlicherin des martialischen Kriegertums. Wie´s gerade passt, Hauptsache, auf Gimbutas einprügeln.

Auch Ian Hodder, der aktuelle Catal-Hüyük-Ausgrabungsleiter, leistet sich den üblichen verleumderischen Gimbutas=Matriarchalität-Blackout, überträgt aber zugleich ihre Egalitätshypothese auf Catal Hüyük, wie Haarmann berichtet:

Harald Haarmann (Foundations of Culture, 167)

Hodder (2004) states that there was no distinction in the social status between the sexes (...) Ironically, Hodder does not perceive the resemblance between his findings about social egalitarianism at Catalhöyük and those made by Gimbutas for the Danube civilization. On the contrary, he criticizes Gimbutas for something she never said or intended: "Marija Gimbutas ... argued forcefully for an early phase of matriarchal society, ..." (Hodder 2006: 208).

Auf deinen Anthony-Beitrag gehe ich ein andermal ein. Das mit den "Schnipseln aus Google-Büchern" ist lustig. Glaubst du im Ernst, ich hätte diese langen Zitate alle abgetippt? Nein, ich habe sie aus dem Originaltext von "The Horse, the Wheel, and Language" zusammengestellt, der mir digital vollständig vorliegt.
 
Zuletzt bearbeitet:
1. Wenn die Fremden ihre Frauen mitbringen und durch ihre schiere Zahl die autochthone Bevölkerung so majorisieren, dass diese gar nicht anders kann als auf die neue Sprache anzunehmen. Beispiel: Eindringen der Slawen nach Europa in der Völkerwanderungszeit.

Dass die Slawen die Bevölkerung "majorisiert" hätten, ist nichts weiter als eine Behauptung. Beleg?

2. Ist die Zahl der Fremden (auch inkl. ihrer Frauen) gering oder haben sie zu wenig Zeit, um sich auszubreiten, verschwindet ihre Sprache bzw. geht in der der autochthonen Bevölkerung auf, die sie bestenfalls ein wenig beeinflussen. Beispiele: Normannen in England, Langobarden in Italien.
Die Normannen und Langobarden führten sehr wohl ihre Frauen mit. Dagegen die Spanier in Lateinamerika die ersten Jahrhunderte kaum.

3. Gehen die Träger der fremden Sprache brutal gegen autochthone Bevölkerung vor (Auslöschung ganzer Stämme) und haben sie anschließend genügend Zeit, so kann sich ihre Sprache bei verbliebener Bevölkerung auch durchsetzen. Beispiele: Römer in Gallien, Spanier und Portugiesen in Amerika.
Auch dies trifft's nicht. Einen Genozid diesen Ausmaßes gab es weder in Gallien noch in Lateinamerika, mit Ausnahme der Karibikinseln.

4. Ist die fremde Sprache eine Schriftsprache und gleichzeitig Religionsträgerin, so kann auch eine zahlenmäßige Minderheit die Mehrheit majorisieren. Beispiele: Ausbreitung der arabischer Sprache im Mittelalter, der spanischer und der portugiesischen Sprache in der Neuzeit.
Das trifft es schon eher. Hängt mit dem Sprachprestige zusammen.
Das lässt sich allerdings nicht auf die Verbreitung des Indoeuropäischen in vorschriftlicher Zeit übertragen, siehe sepiolas Hinweis.
 
Zuletzt bearbeitet:
...des dubiosen Herrn Häusler...

Es handelt sich um einen ausgewiesenen Experten der eurasischen Archäologie, zunächst Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR und nach der Wiedervereinigung der Sachwalter dieses Bereichs am Deutschen Archäologischen Institut, der bundesunmittelbaren archäologischen Stiftung schlechthin. Auch wenn ich mit ihm in Sachen Indoeuropäer nicht übereinstimme, "dubios" ist sicher keine treffende Vokabel.

Irren sich denn alle in Gimbutas, nur du nicht, chan?
 
Irren sich denn alle in Gimbutas, nur du nicht, chan?

Das hat den Anschein.

Chan schrieb:
Das mit den "Schnipseln aus Google-Büchern" ist lustig. Glaubst du im Ernst, ich hätte diese langen Zitate alle abgetippt? Nein, ich habe sie aus dem Originaltext von "The Horse, the Wheel, and Language" zusammengestellt, der mir digital vollständig vorliegt.

Wie sonst kann man die Anthony-Zitate so zusammenschnipseln, dass die relevanten Aussagen - an anderen Stellen - verunstaltet werden. Wenn Du es vorliegen hast - Prima. Hätte ich nach den Zitatschnipseln, die am Kern von Anthony vorbeigehen, nicht gedacht. Dann solltest Du es erstmal ganz lesen.

Zur "Zitierweise" siehe auch hier (da war es das verdeckte Abschreiben von Detering):
http://www.geschichtsforum.de/f30/verbreitung-des-christentums-49254/index10.html#post733746

Wie ernstzunehmen sind Argumente von Autoren, die nicht fähig sind, ein weitverbreitetes Falschurteil über Gimbutas zu durchschauen, z.B. anhand ihrer Originaltexte, die ganz klar eine egalitäre Sozialordnung des AE - und nicht eine matriarchale - konstatieren? Dem Gegner eine Auffassung zu unterstellen, die er oder sie nicht hat, ist der billigste aller rhetorischen Tricks.

Der oben von mir zitierte Bailey:

Douglass W.Bailey is Lecturer in European Prehistory at the School of History and Archaeology, Cardiff University. He has carried out extensive fieldwork in Bulgaria and Romania.

(aus der zitierten Quelle - auch der wird natürlich falsch liegen. :rofl: )

Chan schrieb:
Diese "Legenden" werden leider nur durch Falschbehauptungen à la Häusler über die angeblich matriarchalistische Gimbutas-Theorie sowie durch eine Verleumdung (die du nicht zitiert hast, aber von deinem Favoriten Häusler stammt - siehe unten) ersetzt. Kein guter Tausch.

Ach ja, die "angeblichen" matriarchalistischen Gimbutas-Theorien::D

Anthony ist ganz bei Häusler, was Gimbutas Matriarchal-Theorien angeht: in dem Band: The Lost World of Old Europe: The Danube Valley, 5000-3500 Bc führt er kurz und knackig aus:


"According to Gimbutas, it was patriarchal Indo-European people who, in a war of the genders, destroyed and replaced the goddess-centered societies of Old Europe."

Bailey findest Du übrigens auch unter den Tagungs-Experten. Er wird Anthony gut zugehört haben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich will auf Deine wichtigste Einwände, El Quijote, nur kurz eingehen, weil uns das alles nicht wirklich weiter bringt.

Der Schulbesuch im aġlabidischen Sizilien dürfte, wie in allen vormodernen Gesellschaften, eher kein Massenphänomen gewesen sein, ganz unabhängig vom Geschlecht...
Die aġlabidischen Araber waren belesen, ihre Stadt Qairawān drüben in Tunis galt als Zentrum der Gelehrsamkeit. Überhaupt waren Araber zu der Zeit in Sachen Wissenschaft ganz oben, und das geht ohne Schulen nicht.


Dass die Slawen die Bevölkerung "majorisiert" hätten, ist nichts weiter als eine Behauptung. Beleg?
Anders lässt sich die Tatsache, dass von der autochthonen christliche, römischen bzw. latinisierten Bevölkerung so gut wie keine sprachlichen Merkmale blieben, nicht deuten. Es gibt aber in der Sprache der Slawen Wörter, die auf die Existenz der Altsiedler hinweisen. So gab es in der Sprache der Slowenen, eines der am weitesten in den Westen eindringenden slawischen Stämme, das Wort krščenica (Getaufte) für eine Magd, was auf eine untergeordnete Rolle der Christen unter den heidnischen Slawen hindeutet. Quelle: https://www.academia.edu/7519936/Št..._romanischen_germanischen_und_slawischen_Welt Seite 254.


Auch dies trifft's nicht. Einen Genozid diesen Ausmaßes gab es weder in Gallien noch in Lateinamerika, mit Ausnahme der Karibikinseln.
Ich verweise auf diesen Thread: http://www.geschichtsforum.de/f28/v-lkermord-gallien-7564/
 
Die aġlabidischen Araber waren belesen, ihre Stadt Qairawān drüben in Tunis galt als Zentrum der Gelehrsamkeit. Überhaupt waren Araber zu der Zeit in Sachen Wissenschaft ganz oben, und das geht ohne Schulen nicht.
Ich habe nie geschrieben, dass es keine Schulen gab. Ich habe geschrieben, dass Schulbildung in vormodernen Gesellschaften - und das gilt auch für Zentren der Gelehrsamkeit, wie Baghdad, Qairawān und Córdoba - kein Massenphänomen war. So nämlich behandelst du Schulbildung in dieser Diskussion.

Auch hier wäre eine präzise Lektüre dessen, was ich schrieb, sinnvoll gewesen. Deine Hypothese: Die Römer outnumberten (sorry für den Anglizismus) die Gallier. Ja, es gab Massaker während des Gallischen Krieges, die genozidale oder ethnozidale Tendenzen hatten, unbestritten. Aber diese erreichten nicht das Ausmaß, welches du ihnen unterstellst. Es ging Caesar nicht darum, Gallien zu entvölkern!
 
Wollen wir, El Quijote, nicht diesen sinnlosen Streit beenden? Ich jedenfalls habe keine Lust mehr, mich um Nuancen in den Beiträgen zu streiten – beispielsweise, ob das, was Caesar in Gallien anrichtete Genozid war oder nur genozidalen Charakter hatte. Das ist ein Streit um Worte, nicht um die Sache.

Ich möchte nicht jedes Wort auf die Goldwage legen müssen, wenn ich hier Beiträge verfasse, dies vor allem dann nicht, wenn es sich um Nebenaspekte handelt wie die, ob eine Zweisprachigkeit bzw. geschlechtsabhängige Erziehung in Sizilien möglich war oder wie es dort um die Schulen bestellt war.

Das kostet Zeit und Energie, die wir besser auf die Hauptfragen verwenden sollten, die da heißt: Ist die Hypothese Gimbutas‘ für die Verbreitung der indogermanischen Sprachen glaubwürdiger als andere?

Es wird gesagt, dass Folgendes für ihre Hypothese spricht:

1. (bessere) Bewaffnung
2. (bessere?) Organisation
3. (bessere?) Religion
4. Kavallerie

Was spricht dagegen?

Gegen Punkt 1 lässt sich nichts sagen.

Beim Punkt 2 kann man sich streiten, ob eine nach dem Führerprinzip organisierte Gesellschaft besser ist als eine auf Gleichberechtigung basierende. Immerhin haben solche Vorgängerkulturen es fertig gebracht, tonnenschwere Steine teilweise über hunderte von Kilometern zu transportieren und aufzustellen, wofür mehrere tausend Menschen über längere Zeit hinweg koordiniert zu Werke gehen mussten.

Beim Punkt 3 spricht viel dafür, dass die Urnenfeldkultur gleichzeitig mit der indogermanischen Sprache auftauchte, denn die Grenzen der Sprache sind ungefähr auch die Grenzen der Religion.

Beim Punkt 4 hapert’s gewaltig: Die Kurganvölker sollen Reiterkrieger gewesen sein, was ein wesentlicher Vorteil gegenüber pferdelosen Altsiedlern Europas wäre. Es fanden sich jedoch keine Trensen, die beweisen würden, dass die Pferde auch tatsächlich geritten/gelenkt wurden.

Zusammenfassend würde ich sagen:

Punkt 1 (Bewaffnung) spricht eindeutig für Gimbutas‘ Hypothese.
Punkt 2 (Organisation) ist unentschieden.
Punkt 3 (Religion) spricht pro Gimbutas.
Punkt 4 (Kavallerie) spricht gegen Gimbutas.

Was sagt ihr zu dieser Aufstellung?
 
Ich versuche in diesem Beitrag eine sehr abkürzende Darstellung der Argumentation David W. Anthonys für eine Lokalisierung der Proto-Indoeuropäischen (in meinem weiteren Text auch ´PIE´) "Urheimat" (homeland) genau dort, wo auch Marija Gimbutas sie vermutete, nämlich

(The Horse, the Wheel, and Language, 99)

west of the Ural Mountains, between the Urals and the Caucasus, in the
steppes of eastern Ukraine and Russia.

Auf S. 82 hebt Anthony ausdrücklich hervor, dass es in den letzten Jahrzehnten vor allem (notably) Marija Gimbutas und Jim Mallory waren, die auf überzeugende Weise (persuasively) für eine Lokalisierung in den pontisch-kaspischen Steppen argumentierten:

The evidence will take us down a well-known path to a familiar destination: the grasslands north of the Black and Caspian Seas in what is today Ukraine and southern Russia, also known as the Pontic-Caspian steppes (figure 5.1). Certain scholars, notably Marija Gimbutas and Jim Mallory, have argued persuasively for this homeland for the last thirty years, each using criteria that differ in some significant details but reaching the same end point for many of the same reasons.

Dann weist Anthony auf neue Forschungsergebnisse (recent discoveries) hin (die Herrn Häusler, der von einer autochtonen Entstehung ausgeht, wohl entgangen sind), welche die Steppen-Hypothese derart bestärken, dass man vernünftigerweise annehmen kann, dass das Homeland in diesen Steppen lag:

(82)
Recent discoveries have strengthened the Pontic-Caspian hypothesis so significantly, in my opinion, that we can reasonably go forward on the assumption that this was the homeland.

Auf S. 89 betont Anthony, dass es sich bei dieser Theorie keinesfalls um einen "rassistischen Mythos" handelt (wie Herr Häusler anzunehmen scheint) oder um eine "pure theoretische Phantasie":

The Proto-Indo-European homeland is not a racist myth or a purely
theoretical fantasy. A real language lies behind reconstructed Proto-Indo-
European, just as a real language lies behind any dictionary.

Dann erläutert er die Methode einer Rekonstruktion der PIE Sprache. Dabei gilt es, Vokabeln zu identifizieren, die sich auf Tier- und Pflanzenarten sowie auf Technologien beziehen, die ausschließlich an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten existierten. Dadurch könne man das Ursprungsgebiet eingrenzen:

(89)
The first step is to identify roots in the reconstructed Proto-Indo-European vocabulary referring to animal and plant species or technologies that existed only in certain places at particular times. The vocabulary itself should point to a homeland, at least within broad limits.

Als gute Indikatoren können z.B. die PIE Vokabeln für "Biene" und "Honig" dienen, da anhand deren Vorkommens und Nicht-Vorkommens das Suchgebiet nach dem Ausschlussverfahren eingegrenzt werden kann:

Bee and honey are very strong reconstructions based on cognates in
most Indo-European languages. (...) Honeybees
were not native east of the Ural Mountains, in Siberia, because the hard-
wood trees (lime and oak, particularly) that wild honeybees prefer as
nesting sites were rare or absent east of the Urals. If bees and honey did
not exist in Siberia, the homeland could not have been there. That re-
moves all of Siberia and much of northeastern Eurasia from contention,
including the Central Asian steppes of Kazakhstan.

Als Homeland des PIE kommen also weder Sibirien noch der größte Teil des nordöstlichen Eurasien in Frage.

Die Pferd-Vokabel *ek*wo- ist ein weiterer Indikator, der - 1) wegen des quantitativ erheblichen Vorkommens von Pferden allein in den eurasischen Steppen und 2) wegen des (Fast-)Nichtvorkommens im Nahen Osten, im Iran und in Indien - das westlich von den eurasischen Steppen gelegene "temperate (= klimatisch gemäßigte) Europe" sowie den Nahen Osten, Iran und Indien und die gemäßigten Zonen Anatoliens und des Kaukasus aus der Rasterfahndung ausschließt:

(91)
The horse, *ek*wo-, is solidly reconstructed and seems also to have been a potent symbol of divine power for the speakers of Proto-Indo-European. Although horselived in small, isolated pockets throughout prehistoric Europe, the Caucasus, and Anatolia between 4500 and 2500 BCE, they were rare or absent in the Near East, Iran, and the Indian subcontinent. They were numerous and economically important only in the Eurasian steppes. The term for horse removes the Near East, Iran, and the Indian subcontinent from serious contention, and encourages us to look closely at the Eurasian steppes. This leaves temperate Europe, including the steppes west of the Urals, and the temperate parts of Anatolia and the Caucasus Mountains.

Aus dem Suchbereich zu eliminieren sind auch alle Gebiete, wo nach 2500 BCE noch Wildbeutergesellschaften existierten, weil PIE von da an eine tote Sprache (dead language) war, das von Bauern und Viehzüchtern gesprochene PIE in diesen Gebieten also nicht entstanden sein kann. Damit fallen das klimatisch gemäßigte Nordeuropa und Sibirien (das bereits durch den Honig-Indikator ausgeschlossen ist) sowie die kasachischen Steppen östlich vom Ural aus der Rechnung:

(93)
The speakers of Proto-Indo-European were tribal farmers and stock-
breeders. Societies like this lived across much of Europe, Anatolia, and
the Caucasus Mountains after 6000 BCE. But regions where hunting and
gathering economies persisted until after 2500 BCE are eliminated as
possible homelands, because Proto-Indo-European was a dead language
by 2500 BCE. The northern temperate forests of Europe and Siberia are
excluded by this stockbreeders-before-2500 BCE rule, which cuts away
one more piece of the map. The Kazakh steppes east of the Ural Moun-
tains are excluded as well. In fact, this rule, combined with the exclusion
of tropical regions and the presence of honeybees, makes a homeland anywhere
east of the Ural Mountains unlikely.


Desweiteren gibt es auffällige Beziehungen zwischen PIE und der proto-uralischen Sprache, die auf eine enge geographische Nachbarschaft schließen lassen. Auszuschließen ist aber ein Gebiet östlich des Ural, da dort erst nach 2500 BCE Tiere domestiziert wurden, das ab 2500 BCE tote Viehzüchter-PIE dort also nicht entstanden sein kann (siehe auch vorausgehende Argumentation, die East-of-Ural schon wegen anderer Gründe ausschloss):

(96-97)
These two kinds of linguistic relationship — a possible common ancestral
origin and inter-language borrowings — suggest that the Proto-Indo-
European homeland was situated near the homeland of Proto-Uralic, in
the vicinty of the southern Ural Mountains. We also know that the speak-
ers of Proto-Indo-European were farmers and herders whose language
had disappeared by 2500 BCE. The people living east of the Urals did not
adopt domesticated animals until after 2500 BC. Proto-Indo-European
must therefore have been spoken somewhere to the south and west of the Urals, the only region close to the Urals where farming and herding was regularly practiced before 2500 BCE.

Schießlich fasst Anthony seine Überlegungen wie folgt zusammen:

(99)
We can exclude all regions where hunter-gatherer economies survived up to 2500 BCE. That eliminates the northern forest zone of Eurasia and the Kazakh steppes east of the Ural Mountains. The absence of honeybees east of the Urals eliminates any part of Siberia. The temperate-zone flora and fauna in the reconstructed vocabulary, and the absence of shared roots for Mediterranean or tropical flora and fauna, eliminate the tropics, the Mediterranean, and the Near East.
Proto-Indo-European exhibits some very ancient links with the
Uralic languages, overlaid by more recent lexical borrowings into Proto-
Uralic from Proto-Indo-European; and it exhibits less clear linkages to
some Pre- or Proto-Kartvelian language of the Caucasus region. All these
requirements would be met by a Proto-Indo-European homeland placed west of the Ural Mountains, between the Urals and the Caucasus, in the steppes of eastern Ukraine and Russia. The internal coherence of reconstructed Proto-Indo-European — the absence of evidence for radical internal variation in grammar and phonology — indicates that the period of language history it reflects was less than two thousand years, probably less than one thousand. The heart of the Proto-Indo-European period probably fell between 4000 and 3000 BCE, with an early phase that might go back to 4500 BCE and a late phase that ended by 2500 BCE.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wollen wir, El Quijote, nicht diesen sinnlosen Streit beenden? Ich jedenfalls habe keine Lust mehr, mich um Nuancen in den Beiträgen zu streiten – beispielsweise, ob das, was Caesar in Gallien anrichtete Genozid war oder nur genozidalen Charakter hatte. Das ist ein Streit um Worte, nicht um die Sache.

Doch, es handelt sich sehr wohl um die Sache. Mir geht es hier nicht um eine Bewertung der Ereignisse in Gallien, sondern darum, dass du versuchst, den Genozid in Gallien, von dem du hier im Forum gelesen hast, für deine These heranzuziehen, die Römer wären [nach dem Genozid] den Galliern zahlenmäßig überlegen gewesen und deshalb sei es zum Sprachwechsel vom Keltischen zum Lateinischen gekommen. Letztendlich geht es also um deine Behauptung, dass die reine Bevölkerungsmehrheit ausschlaggebend für den Sprachwechsel sei. Wir haben verschiedene Beispiele gesehen, wo das eben nicht der Fall ist. Die Römer und die latinisierten Gegenden sind ein solches Beispiel.

Ich möchte nicht jedes Wort auf die Goldwage legen müssen, wenn ich hier Beiträge verfasse, dies vor allem dann nicht, wenn es sich um Nebenaspekte handelt wie die, ob eine Zweisprachigkeit bzw. geschlechtsabhängige Erziehung in Sizilien möglich war oder wie es dort um die Schulen bestellt war.
Das geht mir ganz genauso, etwa wenn ich vom Westmittelmeer rede und dem Kontext nach klar sein müsste, dass ich das römische Westreich meine. Also bitte nicht mit zweierlei Maß rechnen.
Im Übrigen ging es beim aghlabidischen Sizilien um den Pragamatismus des Modell, nicht um die Goldwaage. Es ist einfach nicht glaubwürdig eine über mehrere Generationen andauernde geschlechtsspezifische Diglossie-Situation anzunehmen.

Das kostet Zeit und Energie, die wir besser auf die Hauptfragen verwenden sollten, die da heißt: Ist die Hypothese Gimbutas‘ für die Verbreitung der indogermanischen Sprachen glaubwürdiger als andere?

Es wird gesagt, dass Folgendes für ihre Hypothese spricht:

1. (bessere) Bewaffnung
2. (bessere?) Organisation
3. (bessere?) Religion
4. Kavallerie

Was spricht dagegen?

Gegen Punkt 1 lässt sich nichts sagen.
Welchen Einfluss hat denn bessere Bewaffnung - die jetzt mal dahingestellt sei - auf den Sprachwechsel?

Beim Punkt 2 kann man sich streiten, ob eine nach dem Führerprinzip organisierte Gesellschaft besser ist als eine auf Gleichberechtigung basierende.
Fakt ist, wir wissen so gut wie nichts über die gesellschaftliche Organisation der Indoeuropäer und wir wissen ebenso wenig über die gesellschaftliche Organisation der vorindoeuropäischen Bevölkerung. Demenstprechend kann man dazu auch nichts sagen, ob sie besser oder schlechter organisiert waren. Fraglich auch hier, ob das für einen Sprachwechsel ausschlaggebend gewesen wäre.


Beim Punkt 3 spricht viel dafür, dass die Urnenfeldkultur gleichzeitig mit der indogermanischen Sprache auftauchte, denn die Grenzen der Sprache sind ungefähr auch die Grenzen der Religion.
Einen Zusammenhang zwischen der Verbreitung Indoeuropäischen und der UFK kann ich eigentlich nicht sehen. Am ehesten wäre noch ein Zusammenhang mit dem Keltischen zu postulieren, wenn man das Verbreitungsgebiet der UFK und den archäologisch den Kelten zugeordneten Halltstatt- und La Tène-Kulturen vergleicht.

Beim Punkt 4 hapert’s gewaltig: Die Kurganvölker sollen Reiterkrieger gewesen sein, was ein wesentlicher Vorteil gegenüber pferdelosen Altsiedlern Europas wäre. Es fanden sich jedoch keine Trensen, die beweisen würden, dass die Pferde auch tatsächlich geritten/gelenkt wurden.
Der archäologische Nachweis von Trensen dürfte auch schwierig sein, insbesondere dann, wenn es sich um organisches Material handelte. Ist aber von der Methodik her für ein sprachhistorisches Thema eh fragwürdig heranzuziehen. Es gibt seit dem 19. Jahrhundert die jüngst von Anthony wieder aufgegriffene Sichtweise, dass Pferdekultur und Verbreitung des Indoeuropäischen zusammenhängen. Ob diese Auffassung korrekt ist oder nicht, darüber enthalte ich mich mangels sprachlich ausreichender Kenntnisse für eine entsprechende Expertise. Fakt ist: Man mag ja bei aller Vorsicht archäologische Kulturen zur Stützung heranziehen, für die Verbreitung des Indoeuropäischen vor dem Zerfall in seine Einzelsprachen können nur sprachliche Befunde, keine archäologischen herangezogen werden.

Punkt 1 (Bewaffnung) spricht eindeutig für Gimbutas‘ Hypothese.
Worin genau siehst du diese Eindeutigkeit?

Punkt 3 (Religion) spricht pro Gimbutas.
Inwiefern?

Punkt 4 (Kavallerie) spricht gegen Gimbutas.
Dieselbe Frage beim Contra, wie beim Pro: Inwiefern?
 
Beim Punkt 2 kann man sich streiten, ob eine nach dem Führerprinzip organisierte Gesellschaft besser ist als eine auf Gleichberechtigung basierende.

"Besser" nach welchen Kriterien? Das "Führerprinzip" (Königtum und Patriarchat) schließt Unterdrückung (z.B. ökonomische Ausbeutung) des Volkes durch eine Aristokratie, soziale Unterdrückung der Frauen und grausame Kriegführung gegen fremde Populationen ein. Ich sehe darin aus ethischer Perspektive alles andere als eine Verbesserung. Die technologischen Entwicklungen, wie sie von diesen Kriegerkulturen hervorgebracht wurden, sind auch in anderen Gesellschaftsformen denkbar, nur dass einige von ihnen vielleicht später entstanden wären, allerdings ohne den massiven Blutzoll, welchen die Kriegerkulturen einforderten.

Beim Punkt 4 hapert’s gewaltig: Die Kurganvölker sollen Reiterkrieger gewesen sein, was ein wesentlicher Vorteil gegenüber pferdelosen Altsiedlern Europas wäre. Es fanden sich jedoch keine Trensen, die beweisen würden, dass die Pferde auch tatsächlich geritten/gelenkt wurden.

Das ist kein Beinbruch. Man braucht einfach nur die "Reiterkrieger" durch pferdegezogene Streitwagen zu ersetzen, mit denen die Kurgan-Gruppen einfielen. Als Reittier wurde das Pferd wohl erst ab 1000 BCE eingesetzt. Dass keine Trensen gefunden wurden, mag sein, aber ihre Spuren wurden gefunden. David W. Anthony hat diesem Thema ein ganzes Kapitel gewidmet. Hier ist eine Passage:

(bit wear = Abnutzungsspuren an den Zähnen durch Zaumzeug)

(The Horse, the Wheel, and Language, 220)

The case for horse management and riding at Botai and Kozhai 1 is
based on the presence of bit wear on seven Botai-Tersek horse P 2 s from two different sites, carcass transport and butchering practices, the discovery of horse- dung-filled stable soils, a 1:1 sex ratio, and changes in economy and settlement pattern consistent with the beginning of riding. The case against riding is based on the low variability in leg thickness and the absence of riding-related pathologies in a small sample of horse vertebrae, possibly from wild hunted horses, which probably made up 75-90% of the horse bones at Botai. We are reasonably certain that horses were bitted and ridden in northern Kazakhstan beginning about 3700-3500 BCE.

In puncto "ridden" irrt er sich aber wohl ebenso wie Gimbutas. Es handelte sich vermutlich nur um Zugpferde.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dann weist Anthony auf neue Forschungsergebnisse (recent discoveries) hin (die Herrn Häusler, der von einer autochtonen Entstehung ausgeht, wohl entgangen sind), welche die Steppen-Hypothese derart bestärken, dass man vernünftigerweise annehmen kann, dass das Homeland in diesen Steppen lag:

Ich möchte nicht dahingehend missverstanden werden, dass ich die These von der "Urheimat" (ich mag diesen Begriff einfach nicht) der Indoeuropäer in der südrussischen Steppe ablehne, ich habe im Grunde keine Meinung dazu, weil mir dazu die Faktenbasis fehlt.

Das Problem bei Gimbutas und Häusler ist, dass sie beide im Prinzip von der Archäologie ausgehen, wo Historiolinguistik gefragt ist.

Häusler ist gewissermaßen ein Opfer früherer rassistischer Theorien des "Kossinimus" (Wortschöpfung von mir). Weil er den völkischen Archäolgen Gustav Kossina und dessen "Schule", die letztlich in der archäologischen Sektion im SS-Ahnenerbe zu voller Blüte kam - zu Recht - vehement ablehnt, schüttet er gleich das Kind mit dem Bade aus. Eine Überreaktion also. Das ist letztlich Häuslers Fehler.

Der Fehler der anderen Seite ist, die archäologische Kultur mit der sprachlichen Kultur gleichzusetzen. Also - ohne die rassitische Komponente Kossinas und seiner Erben beim Ahnenerbe - das entgegengesetzte Extrem.

Dabei verhalten sich archäologische Kulturen interessanterweise ähnlich, wie Sprachen, sie haben etwas, was wir in der Dialektologie als Isoglossen bezeichnen. Archäologische Kulturen werden nach Formensprachen klassifiziert. Wenn wir archäologische Kulturen kartieren, dann haben wir eine Fläche die wir als Lausitzer Kultur oder La Tène oder Hallstatt, als Urnenfelder-, Trichterbecker, Przeworsker Kultur oder Wielbark-Kultur bezeichnen. Diese Kartierungen führen uns aber in die Irre. Denn von Ort zu Ort verändert sich die archäologische Kultur ein ganz klein wenig. Und dann stößt man plötzlich wie auf eine feste Grenze auf eine andere Kultur. Nur ist es dann im tatsächlichen archäologischen Befund so, dass zwei nahe beieinander liegende Siedlungen von denen die eine der Kultur A und die andere der Kultur B zugeordnet wurden, archäologisch vielleicht mehr miteinander zu tun haben, als mit den Kulturen, denen sie aufgrund von diesen Kulturen zugeordneten Funden zugeordnet wurden. Die Zentren solcher archäologischen Kulturen sind auch im Grunde genommen eine fehlerhafte Wahrnehmung.

The Proto-Indo-European homeland is not a racist myth or a purely
theoretical fantasy. A real language lies behind reconstructed Proto-Indo-
European, just as a real language lies behind any dictionary.
Richtig!

Mir ist nur bei diesen Ausführungen nicht ganz klar, was das spezifisch Neue an Anthony ist. Im Prinzip decken sich Anthonys historiolinguistische Angaben mit dem, was seit dem 19. Jhdt. in der Indogermanistik weitgehend Konsens ist.
 
Mir geht es hier nicht um eine Bewertung der Ereignisse in Gallien, sondern darum, dass du versuchst, den Genozid in Gallien, von dem du hier im Forum gelesen hast, für deine These heranzuziehen, die Römer wären [nach dem Genozid] den Galliern zahlenmäßig überlegen gewesen und deshalb sei es zum Sprachwechsel vom Keltischen zum Lateinischen gekommen.
Das ist ein Missverständnis: Die Behandlung der Gallier durch die Römer war ein Beispiel, wie mit Gewalt eine zahlenmäßig überlegenes Volk dazu gebracht wird, die Sprache und Kultur der Minderheit anzunehmen – es reicht ein besonders grausames Exempel zu statuieren und die restlichen sehen ein, dass es keinen Zweck hat, noch Widerstand zu leisten. Siehe auch Karl der Große und die Christianisierung der Sachsen.


Welchen Einfluss hat denn bessere Bewaffnung - die jetzt mal dahingestellt sei - auf den Sprachwechsel?
Von den Vertretern der Gimbutas‘ Hypotese wird gesagt, die [FONT=&quot]Kurganvölker hätten bessere Waffen und Reiterei gehabt, deswegen konnten sie, obwohl zahlenmäßig unterlegen, die fast waffen- und pferdelose Alt-Siedler beherrschen und ihnen sowohl die (indogermanische) Sprache als auch (Urnenfeld) Religion aufdrücken. [/FONT]


Fakt ist, wir wissen so gut wie nichts über die gesellschaftliche Organisation der Indoeuropäer und wir wissen ebenso wenig über die gesellschaftliche Organisation der vorindoeuropäischen Bevölkerung. Demenstprechend kann man dazu auch nichts sagen, ob sie besser oder schlechter organisiert waren. Fraglich auch hier, ob das für einen Sprachwechsel ausschlaggebend gewesen wäre.
Auch hier spricht das Militärische mit: Wie die Geschichte gezeigt hat, haben unter einem Befehl stehenden Truppen einen Vorteil gegenüber nur losen organisierten. Die Römer haben nicht zuletzt wegen der besseren Waffen und der überlegenen Organisation Schlachten auch gegen zahlenmäßig überlegene Gegner gewonnen.


Einen Zusammenhang zwischen der Verbreitung Indoeuropäischen und der UFK kann ich eigentlich nicht sehen. Am ehesten wäre noch ein Zusammenhang mit dem Keltischen zu postulieren, wenn man das Verbreitungsgebiet der UFK und den archäologisch den Kelten zugeordneten Halltstatt- und La Tène-Kulturen vergleicht.
Kelten waren ja schon Indogermanen. Auf jeden Fall stimmen die Grenzen der UFK und der indogermanischen Sprache ziemlich überein – siehe die beiden Grafiken in meinem Beitrag gestern, 18:24.



Man mag ja bei aller Vorsicht archäologische Kulturen zur Stützung heranziehen, für die Verbreitung des Indoeuropäischen vor dem Zerfall in seine Einzelsprachen können nur sprachliche Befunde, keine archäologischen herangezogen werden.
Sprache ist auch Kulturträgerin, daher können physische Überbleibsel einer Kultur schon Indizien auf die Sprache liefern oder zumindest dokumentieren, dass da ein kultureller Austausch stattgefunden hat, was ohne sprachliche Verständigung weniger möglich ist. Ich meine: Wenn man seine Toten plötzlich nicht mehr begräbt, sondern verbrennt, ist das eine so gravierende Änderung, dass es schon gewichtige Gründe dahinter stehen müssen. Und wie erfährt man von diesen Gründen? Verbale Erklärung bietet sich hier an, die aber nur möglich ist, wenn man die gleiche Sprache spricht.
 
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