Indogermanen, Konstrukt oder Wirklichkeit?

Joan Marler als "Jüngerin" zu bezeichnen, ist so unsachlich wie einige ´Argumente´ des Herrn Häusler. Marler ist in Gimbutas´ letzten Jahren ihre engste Mitarbeiterin gewesen und hat ihr letztes Werk "Die Zivilisation der Göttin" herausgegeben und mit einer Einführung versehen. An manchen Stellen äußert sie sich auch kritisch über einzelne Aspekte der Gimbutas-Theorie (in dem Sinne, dass das Grundgerüst richtig ist, viele Details aber aufgrund neuerer Forschung anfechtbar sind), man kann Marler also keineswegs Hörigkeit vorwerfen, wie das deine "Jüngerin"-Metapher suggerieren soll.



Hier kommt wieder die olle und verstaubte Kamelle, Alteuropa sei Gimbutas zufolge "matriarchalisch" gewesen, hinterm Ofen hervor. Auf die Falschheit dieser Unterstellung habe ich schon in meinem Beitrag über Martina Schäfers Verleumdungskampagne hingewiesen, natürlich vergebens.

Na ja, vielleicht liegt es weniger an "Verleumdungskampagnen", sondern an Gimbutas-AnhängerInnen wie eben Joan Marler, dass da nie scharf getrennt wird:

Mit Joan Marler erinnern wir an Marija Gimbutas und die Bedeutung ihrer Forschungsarbeit für die Geschichte der Frauen und die Wiederentdeckung unserer matriarchalen Wurzeln. Auch das älteste Schamanentum war ein „Schamaninnentum“, denn in der matriarchalen Welt gab es nur Priesterinnen. Sie waren die Mittlerinnen zwischen Himmel, Erde und Unterwelt (Heide Göttner-Abendroth).
MatriaVal - Ausgabe 9 - Ursprünge (Holle) November 2009

Apropos Göttner-Abendroth: Entpricht nicht ihre Definition von Matriarchat in etwa dem, wie Gimbutas die alteuropäische Zivilisation sah, oder gibt es da krasse Unterschiede?
Matriarchat


The Institute of Archaeomythology ? The Institute of Archaeomythology is an international organization of scholars dedicated to fostering an interdisciplinary approach to cultural research with particular emphasis on the beliefs, rituals, social st
Governance of the Institute of Archaeomythology
 
Und wie erfährt man von diesen Gründen? Verbale Erklärung bietet sich hier an, die aber nur möglich ist, wenn man die gleiche Sprache spricht.

Es gibt noch die Møglichkeit, per Dolmetscher/Uebersetzer zu kommunizieren. Dann muss nicht die breite Masse die entsprechende Sprache lernen.

Gruss, muheijo
 
Das ist ein Missverständnis: Die Behandlung der Gallier durch die Römer war ein Beispiel, wie mit Gewalt eine zahlenmäßig überlegenes Volk dazu gebracht wird, die Sprache und Kultur der Minderheit anzunehmen – es reicht ein besonders grausames Exempel zu statuieren und die restlichen sehen ein, dass es keinen Zweck hat, noch Widerstand zu leisten. Siehe auch Karl der Große und die Christianisierung der Sachsen.
Die Sachsenkriege Karls des Großen führten zu keinem Sprachwechsel bei den unterworfenen Sachsen, sondern zu einem allmählichen Religionswechsel.
Die militärisch mächtigen Minderheiten der Vandalen/Alanen oder auch der Langobarden brachten die unterworfenen Mehrheiten weder zu einem Sprach- noch zu einem Religionswechsel, im Gegenteil: die Vandalen und Langobarden gaben ihre german. Sprachen auf (ausgenommen Personennamen und wenige Rechtsbegriffe) und "spätlatinisierten" sich und sie passten sich sogar nach ein paar Generationen der Religion ihrer Untergebenen an (vom Heidentum via Arianismus zur röm. Kirche)

Insgesamt scheint mir fraglich, ob die historischen Eroberungen, die mal einen Sprachwechsel bei den Eroberern, mal bei den Eroberten erbrachten, auf die vorgeschichtlichen Wanderbewegungen übertragen werden können.
 
Ich versuche in diesem Beitrag eine sehr abkürzende Darstellung der Argumentation David W. Anthonys für eine Lokalisierung der Proto-Indoeuropäischen (in meinem weiteren Text auch ´PIE´) "Urheimat" (homeland) genau dort, wo auch Marija Gimbutas sie vermutete, nämlich

(The Horse, the Wheel, and Language, 99)

All these requirements would be met by a Proto-Indo-European homeland placed west of the Ural Mountains, between the Urals and the Caucasus, in the steppes of eastern Ukraine and Russia. The internal coherence of reconstructed Proto-Indo-European — the absence of evidence for radical internal variation in grammar and phonology — indicates that the period of language history it reflects was less than two thousand years, probably less than one thousand. The heart of the Proto-Indo-European period probably fell between 4000 and 3000 BCE, with an early phase that might go back to 4500 BCE and a late phase that ended by 2500 BCE.

Das ist doch nun eine ganz eindeutige Aussage Anthonys zum "Homeland" der Proto-Indoeuropäer, nämlich "between the Urals and the Caucasus, in the steppes of eastern Ukraine and Russia."

Noch eindeutiger geht's doch gar nicht.

Damit untermauert Anthony die Hypothese der Gimbutas, wonach die Immigration der Proto-Indoeuropäer nach Alteuropa von den pontisch-kaspischen Steppen westlich des Urals ausging. Ferner sagt Anthony, dass es diese ersten PIE-Populationen waren, die ab 4200 v. Chr. die ersten Kurgane in den Steppen errichteten und vor allem Stammes- oder Clanoberhäuptern reichlich Waffen und Geräte mit ins Grab gaben. Nach Anthony drangen diese bewaffneten PIE-Rinderzüchter ab etwa 4200 v. Chr. zunächst ins Donaudelta auf der Suche nach Weifeland für ihre Rinderherden.

Mit der Einführung des Wagens und der Domestizierung des Pferdes machten sich ab etwa 3300 v. Chr. größere Gruppen von Proto-Indoeuropäern auf den Weg ins Innere Europas, die kulturell zum Jamnaja-Horizont gehörten. Damit identifiziert sich David Anthony mit der Hypothese von Marija Gimbutas, die ebenfalls die Jamnaja-Kultur als Urheimat der Indoeuropäer und ihrer Kurgankultur ansah.

Wiki sagt dazu:

"Marija Gimbutas identifizierte die Jamnaja-Kultur in ihrer Kurgan-Hypothese als Kandidaten für die Urheimat der indogermanischen Sprachen, zusammen mit der davor liegenden Sredny-Stog-Kultur am mittleren Dnepr und der Chwalynsk-Kultur an der mittleren Wolga. Dieser Auffassung folgt David W. Antony (z. B. [5], passim) mit u. a. z. B. dem Argument der linguistisch bewiesenen langdauernden Kontakte der indogermanischen mit den uralischen Sprachen von den frühesten Stadien an."


Die Kurgan-Leute sind schwer bewaffnet, haben mit Pferden bespannte Wagen für ihre Habseligkeiten oder schnelle zweirädrige Karren - "battle carts" (Anthony) -, die sie als Streitwagen einsetzen. Wie die Sumerer waren auch die Indo-Europäer, die mit ihren von Pferde gezogenen Kampf-Wagen nach Europa eindrangen eine , "stark bewaffnete Militärmacht" (S. 356, 358 ), charakterisiert von Anthony als "Military power, warriors, warrior-brotherhoods, geführt von einer warrior-aristocracy und warrior-chiefs (S. 259 f., 264, 342, 344, 349, 355, 357, 359, 364, 365), chiefs with formally instituded warrior-bands, who drove wagons. (15 f.).

Auf Seite 369 sagt Anthony: "There was no Indoeuropaen Invasion of Europe". Das ist zunächst eine erstaunliche Feststellung, die ein User oben auch weidlich herausstellte. Anthony schränkt sogleich aber massiv ein indem er sagt: "The Migration was not a COORDINATED militäry Invasion." (S. 369).
 
"Besser" nach welchen Kriterien? Das "Führerprinzip" (Königtum und Patriarchat) schließt Unterdrückung (z.B. ökonomische Ausbeutung) des Volkes durch eine Aristokratie, soziale Unterdrückung der Frauen und grausame Kriegführung gegen fremde Populationen ein.
Autokratisch geführten Gesellschaften haben schnellere Reaktionszeiten auf außergewöhnliche Ereignisse als basisdemokratische. Bei den kriegerischen Auseinandersetzungen ist das auch von Vorteil – deswegen gab es ja die Funktion des Herzogs, der anfangs nur in Kriegszeiten benötigt wurde.


Ich sehe darin aus ethischer Perspektive alles andere als eine Verbesserung.
Ethik sollte man bei der Beurteilung geschichtlichen Ereignisse außer vor lassen.


Das ist kein Beinbruch. Man braucht einfach nur die "Reiterkrieger" durch pferdegezogene Streitwagen zu ersetzen, mit denen die Kurgan-Gruppen einfielen.
Streitwagen mögen in der Steppe von Vorteil sein, aber im wald- und bergreichen Mitteleuropa?


Als Reittier wurde das Pferd wohl erst ab 1000 BCE eingesetzt. Dass keine Trensen gefunden wurden, mag sein, aber ihre Spuren wurden gefunden.
Ja, aber diese Pferdezähne wurden auf viel später datiert. Jedenfalls können sie nicht für die Unterstützung der Gimbutas‘ Hypothese über die Ausbreitung der Kurgankultur bzw. der indogermanischen Sprachen nach Mitteleuropa herangezogen werden.
 
Das ist kein Beinbruch. Man braucht einfach nur die "Reiterkrieger" durch pferdegezogene Streitwagen zu ersetzen, mit denen die Kurgan-Gruppen einfielen.
... und hat dann dasselbe Problem, denn auch Streitwagen sind für die Zeit der ersten Kurgan-Wellen nicht nachzuweisen.
 
Autokratisch geführten Gesellschaften haben schnellere Reaktionszeiten auf außergewöhnliche Ereignisse als basisdemokratische. Bei den kriegerischen Auseinandersetzungen ist das auch von Vorteil – deswegen gab es ja die Funktion des Herzogs, der anfangs nur in Kriegszeiten benötigt wurde.

Auf jeden Fall waren die Steppenreiter Südrusslands - so man denn überhaupt dieser Hypothese folgen will - aufgrund ihrer besseren militärischen Ausrüstung, ihrer Mobilität und ihrer guten Schlagkraft aufgrund straffer Hierarchie den Bauern in ihren isolierten Dörfern überlegen. Im Übergang vom Neolithikum zur Bronzezeit treten aristokratische Kriegergesellschaften auf, die in Europa erstmalig größere Regionen unterwerfen. Das ist das eigentlich Neue.

Streitwagen mögen in der Steppe von Vorteil sein, aber im wald- und bergreichen Mitteleuropa?

Es geht ja nicht allein um Streitwagen, denn in dafür nicht geeigneten Gebieten waren die Invasoren auch allein mit Pferden mobiler und gefährlicher.
 
Das ist ein Missverständnis: Die Behandlung der Gallier durch die Römer war ein Beispiel, wie mit Gewalt eine zahlenmäßig überlegenes Volk dazu gebracht wird, die Sprache und Kultur der Minderheit anzunehmen – es reicht ein besonders grausames Exempel zu statuieren und die restlichen sehen ein, dass es keinen Zweck hat, noch Widerstand zu leisten. Siehe auch Karl der Große und die Christianisierung der Sachsen.
Okay. Trotzdem sehe ich nicht, dass dies Argument wirklich schlägt. Demnach hätten die Gallier quasi direkt nach dem Gallischen Krieg Lateinisch sprechen müssen. Tatsächlich dauerte es aber einige Jahrhunderte, bis die Latinisierung Galliens vollzogen war.


Von den Vertretern der Gimbutas‘ Hypotese wird gesagt, die [FONT="]Kurganvölker hätten bessere Waffen und Reiterei gehabt, deswegen konnten sie, obwohl zahlenmäßig unterlegen, die fast waffen- und pferdelose Alt-Siedler beherrschen und ihnen sowohl die (indogermanische) Sprache als auch (Urnenfeld) Religion aufdrücken. [/FONT]
Das können sie natürlich sagen; das Problem ist, dass sich das kaum be- oder widerlegen lässt und somit wissenschaftlich gesehen wenig Wert hat.
Was mich allerdings am meisten daran stört, das ist die Ideologisierung dieser These. Die pösen Indoeuropäer fielen über die armen unschuldigen Alteuropäer her. Tatsächlich können wir kriegerische Auseinandersetzungen bis in das Neolithikum, also vor der Datierung der Indoeuropäisierung nach Gimbutas archäologisch nachweisen.
Von Seiten der Archäologie gibt es insofern Widerspruch an Gimbutas, als dass viele Archäologen gerade in der Bronzezeit eher eine Sesshaftigkeit in den fraglichen Gebieten der angeblich nomadischen Ur-Indoeuropäer sehen.

Kelten waren ja schon Indogermanen.
Selbstverständlich. Wobei ich ausdrücklich vor der Gleichsetzung der archäologischen Kulturen, die wir als keltisch auffassen und der Sprachgruppe warnen möchte.

Auf jeden Fall stimmen die Grenzen der UFK und der indogermanischen Sprache ziemlich überein – siehe die beiden Grafiken in meinem Beitrag gestern, 18:24.
Ich weiß nicht, welche der beiden Karten du genau meinst, aber das müsstest du genauer ausführen:
Auf der ersten Karte wird doch nur die Urnenfelderkultur mit den benachbarten archäologischen Kulturen gezeigt, auf der zweiten die Urnenfelderkultur als winzig kleine Teilmenge verschiedener bronzezeitlicher archäologischer Kulturen:
Europe_late_bronze_age.png


IE3500BP.png

Sprache ist auch Kulturträgerin, daher können physische Überbleibsel einer Kultur schon Indizien auf die Sprache liefern oder zumindest dokumentieren, dass da ein kultureller Austausch stattgefunden hat, was ohne sprachliche Verständigung weniger möglich ist. Ich meine: Wenn man seine Toten plötzlich nicht mehr begräbt, sondern verbrennt, ist das eine so gravierende Änderung, dass es schon gewichtige Gründe dahinter stehen müssen. Und wie erfährt man von diesen Gründen? Verbale Erklärung bietet sich hier an, die aber nur möglich ist, wenn man die gleiche Sprache spricht.
Selbstverständlich ist Sprache eine Kulturträgerin, wenn nicht sogar die Hauptkulturträgerin.
Interaktionen zwischen Personen verschiedener Sprachgruppen sind aber durch die Geschichte durchweg bekannt. Ob es nun Herodot ist, der überliefert, wie die Phoinikier mit "Wilden" ganz ohne Sprache Handel trieben, ob es Koiné-Sprachen, Linguae francae oder oder Pidgin sind, die Menschen haben immer einen Weg gefunden miteinander zu kommunizieren. So konnten beispielsweise christliche Mönche aus Peking im 12. Jahrhundert sich mit Aramäisch bis ans Mittelmeer durchschlagen, einer wurde sogar Bischof in Bagdad.
Pidgin-Sprachen basieren im Prinzip darauf, dass zwei Sprecher, die sich gegenseitig nicht verstehen, Konrekta nennen, diese Konkreta werden vom Gegenüber aufgenommen und im Rahmen der eigenen, wohl aber aus Kulanz zum Gegenüber reduzierten Grammatik verwendet. Manchmal entstehen daraus dann Kreolsprachen, die meist mehr Komplexität als das Pidgin entwickeln, welches aus der Situation heraus entsteht und i.d.R. nicht dauerhaft ist oder doch zumindest nur in bestimmten Situationen gesprochen wird.
Reine Imitation hingegen bedarf im Grunde genommen überhaupt keiner sprachlichen Interaktion.
 
Das ist ein Missverständnis: Die Behandlung der Gallier durch die Römer war ein Beispiel, wie mit Gewalt eine zahlenmäßig überlegenes Volk dazu gebracht wird, die Sprache und Kultur der Minderheit anzunehmen – ...

Die Franken eroberten ebenfalls Gallien, was die Gallo-Romanen aber nicht dazu brachte, einen Sprachwechsel zu vollziehen. Allerdings hinkt das Beispiel ein wenig. Die Römer haben mit ihren Institutionen, ihrer Agrarwirtschaft, Logistik und nicht zuletzt mit ihrem Militär das Land Gallien in viel intensiverer Weise durchdrungen als die Franken. Die Gallo-Romanen waren den Franken kulturell haushoch überlegen, sodass sich von daher die Annahme der romanischen Verlierersprache durch die germanischen Franken erklärt.

Ich möchte aber auf die kulturell hochstehende byzantinische Bevölkerung Kleinasiens hinweisen, die die Sprache der zumindest anfänglich unzivilisierten turkstämmigen Reiterkrieger übernahm, die sich in der Minderheit befanden. Im Verlauf der Zeit setzte allerdings auch bei den Turkmenen ein kultureller Aufschwung ein, den man besonders am Sultanat der Rum-Seldschuken ablesen kann.

Von den Vertretern der Gimbutas‘ Hypotese wird gesagt, die [FONT=&quot]Kurganvölker hätten bessere Waffen und Reiterei gehabt, deswegen konnten sie, obwohl zahlenmäßig unterlegen, die fast waffen- und pferdelose Alt-Siedler beherrschen und ihnen sowohl die (indogermanische) Sprache als auch (Urnenfeld) Religion aufdrücken. [/FONT]


Auf jeden Fall waren die Steppenkrieger den Bauern in ihren isolierten Dörfern aufgrund ihrer Mobilität, ihrer hierarchischen Effektivität und vermutlich ihrer kriegerischeren Mentalität überlegen. Hätten sich die Bauern effektiv wehren können, wäre es nicht zur Ausbreitung der indoeuropäischen Sprachen gekommen. Also war die bäuerliche Bvölkerung anscheinend unterlegen.

Und erst einmal indoeuropäisiert, breiteten sich indoeuropäische Dialekte auch durch Stämme aus, die ursprüngliich keine Indoeuropäer waren. Und das sicher nicht allein durch Kriege, sondern auch durch eine Sprach- und Kulturtrift, durch Handelskontakte und das Prestige der neuen Sprache.
 
Es handelt sich um einen ausgewiesenen Experten der eurasischen Archäologie, zunächst Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR und nach der Wiedervereinigung der Sachwalter dieses Bereichs am Deutschen Archäologischen Institut, der bundesunmittelbaren archäologischen Stiftung schlechthin. Auch wenn ich mit ihm in Sachen Indoeuropäer nicht übereinstimme, "dubios" ist sicher keine treffende Vokabel.

Ich hatte, wie aus meinem Post ersichtlich, die Formulierung "dubios" bei der Überarbeitung gelöscht, du hast den Post noch vor der Überarbeitung erwischt. Ich bezog den Ausdruck natürlich auf Häuslers extrem schlechten Witz (um es sehr schonend auszudrücken), dass Gimbutas als Ghostwriterin Hitlers hätte dienen können. Man kann auch ein Gegner einer Theorie sein, ohne ihre Verfechterin in Schuljungen-Manier mit der Du-bist-ein-Nazi-Keule zu erschlagen. Das sollte ein Wissenschaftler vom Range Häuslers nicht nötig haben.

Irren sich denn alle in Gimbutas, nur du nicht, chan?

Bloß weil ich Häusler und ein paar andere Gimbutas-Kritiker kritisiere, stelle ich mich über den Rest der Welt? Das meinst du doch sicher nicht ernst. Ich beanstande nur, was objektiv zu beanstanden ist, und weise darauf hin, dass es falsch ist, Gimbutas als Matriarchatstheoretikerin darzustellen, was ich auch belegt habe. Dass Gimbutas in diesem Zusammenhang gerne falsch beurteilt wird, bestätigt (betr. Ian Hodder) Harald Haarmann, siehe am Ende meines Beitrags über Häusler etc. Ich wiederhole es hier:

(Foundations of Culture, 166)

He (= Hodder) critizes Gimbutas for something she never said or intended: "Marija Gimbutas ... forcefully argued for an early phase of matriarchal society" (Hodder 2006, 208).

Hodder gibt in einem Interview von 2007 aber zu, dass er Gimbutas zuletzt als Student gelesen hat, also vor Jahrzehnten (!!!). Trotzdem behauptet er als mittlerweile renommierter Ausgrabungsleiter von Catal Hüyük, Gimbutas habe ein (neolithisches und bronzezeitliches) Matriarchat verkündet. Das ist wissenschaftlich einfach nur unseriös. Er gibt auch zu, bei seinem Bild von Gimbutas wahrscheinlich ("probably") von den Meinungen anderer Leute beeinflusst worden zu sein (alles nach: Joan Marler 2007, Interview mit Ian Hodder im ´Journal of Archaeomythology).

Die als angebliche "Jüngerin" terminologisierte Joan Marler, Gimbutas´ engste Mitarbeiterin, hat übrigens zusammen mit Harald Haarmann eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema

Introducing the Mythological Crescent: Ancient Beliefs and Imagery connecting Eurasia with Anatolia (2009)

verfasst, ebenso zusammen mit Harald Haarmann eine Studie namens

The Unfolding of Old European Ritual Life: A Mesolithic Heritage (2011).

Es besteht also nicht der geringste Grund, über Marler wissenschaftlich abschätzig zu denken, außer man denkt abschätzig über Harald Haarmann.
 
Es besteht also nicht der geringste Grund, über Marler wissenschaftlich abschätzig zu denken, außer man denkt abschätzig über Harald Haarmann.

Harald Haarmann habe ich in diesem Forum schon oft zitiert und er hat ja auch eine Menge sprachwissenschaftlicher Publikationen veröffentlicht.

Zuweilen aber bin ich nicht ganz sicher, ob Haarmann nicht ein wenig (oder weit) über sein angestammtes Fachgebiet hinausgeht. So z.B. in seiner kleinen Publikation über die Indoeuropäer (erschienen bei Beck), wo er mit leicher Hand archäologische (und biologische) Untersuchungen betreibt, für die er m.E. nicht kompetent ist. Aus diesem Grunde sind mir seine Resultate und Folgerungen bezüglich der Urheimat der Indoeurpäer nicht ganz geheuer, doch fehlt mir die Kompetenz, das präzise zu beurteilen.

Auf jeden Fall stützt Haarmann prinzipiell die Hypothesen von Marija Gimbutas, lässt allerdings Argumente von David Anthony einfließen, wenn es um die Beachtung einer Sprach- und Kulturtrift bei der Ausbreitung indoeuropäischer Sprachen geht.
 
Ich bezog den Ausdruck natürlich auf Häuslers extrem schlechten Witz (um es sehr schonend auszudrücken), dass Gimbutas als Ghostwriterin Hitlers hätte dienen können. Man kann auch ein Gegner einer Theorie sein, ohne ihre Verfechterin in Schuljungen-Manier mit der Du-bist-ein-Nazi-Keule zu erschlagen. Das sollte ein Wissenschaftler vom Range Häuslers nicht nötig haben.
Ja, Häuslers Kritik hier ist überpointiert. Aber das werfe ich ihm ja auch vor, dass er die Neigung zeigt, das Kind mit dem Bade auszuschütten.

Bloß weil ich Häusler und ein paar andere Gimbutas-Kritiker kritisiere, stelle ich mich über den Rest der Welt? Das meinst du doch sicher nicht ernst.
Ich musste jetzt erst mal schau'n ob ich überhaupt gemeint war. Also das meine ich nicht nur nicht ernst, das meine ich gar nicht. Deine Ausführungen klangen aber danach, als würde Gimbutas von aller Orten nur Unrecht getan und als würden alle sich irren. Vielleicht war meine Nachfrage hier überpointiert.

Die als angebliche "Jüngerin" terminologisierte Joan Marler, Gimbutas´ engste Mitarbeiterin
Ich weiß nicht, ob Marler sich so vehement gegen diese Terminologisierung wehren würde. Zuerst Mitarbeiterin, dann Herausgeberin von Gimbutas, ist sie heute Leiterin des von ihr (Marler) gegründeten Instituts für Archäomythology, welches sie ausdrücklich nach einem Konzept von Gimbutas benannt hat. Da sehe ich jetzt kein Problem drin.
 
Auf jeden Fall waren die Steppenreiter Südrusslands - so man denn überhaupt dieser Hypothese folgen will - aufgrund ihrer besseren militärischen Ausrüstung, ihrer Mobilität und ihrer guten Schlagkraft aufgrund straffer Hierarchie den Bauern in ihren isolierten Dörfern überlegen.
Diese erhöhte Mobilität der Steppenreiter gab es erst Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende später, weil erst dann Pferde geritten wurden.
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[FONT=&quot] [/FONT]
Demnach hätten die Gallier quasi direkt nach dem Gallischen Krieg Lateinisch sprechen müssen. Tatsächlich dauerte es aber einige Jahrhunderte, bis die Latinisierung Galliens vollzogen war.
Das ist nur natürlich: Die Gallier blieben in der Mehrheit und Generationen von Müttern sprachen sicher noch sehr lange gallisch mit ihren Kindern.



Was mich allerdings am meisten daran stört, das ist die Ideologisierung dieser These.
Das stört mich auch. Vielleicht ist man auch zu wenig flexibel und will die einmal erreichte Position nicht kampflos aufgeben. Es ist ja bekannt, dass sich neue Theorien/Erkenntnisse erst durchsetzen können, wenn die Verfechter der „alten“ ihre Lehrstühle an den Unis geräumt und damit Einfluss auf die Lehrmeinung verloren haben.



Ich weiß nicht, welche der beiden Karten du genau meinst, aber das müsstest du genauer ausführen:
Auf der ersten Karte wird doch nur die Urnenfelderkultur mit den benachbarten archäologischen Kulturen gezeigt, auf der zweiten die Urnenfelderkultur als winzig kleine Teilmenge verschiedener bronzezeitlicher archäologischer Kulturen.
Sorry, ich hätte das besser dokumentieren sollen – also:
Diese Karte
URL]
zeigt Urnenfelderkultur etwa von 1300 v. Chr. bis 800 v. Chr.,

und diese [URL="http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/36/IE3500BP.png%5b/img"]http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/36/IE3500BP.png[/img[/URL]] die Ausbreitung der indogermanischen Sprache um 1500 vor Chr.


[quote="El Quijote, post: 737320"]Pidgin-Sprachen basieren im Prinzip darauf, dass zwei Sprecher, die sich gegenseitig nicht verstehen, Konrekta nennen, diese Konkreta werden vom Gegenüber aufgenommen und im Rahmen der eigenen, wohl aber aus Kulanz zum Gegenüber reduzierten Grammatik verwendet. [/QUOTE]Das ist sicher so. Aber bei einer Religion gibt es diese Konkreta nicht – sie ist etwas Abstraktes, das zu vermitteln weitaus schwieriger sein dürfte. Die (ersten) christlichen Missionare lernen auch zuerst die Sprache der zu missionierenden, dann erst können sie Glaubensinhalte, d.h. das, um was es eigentlich geht, vermitteln. Das gelingt oft nur unvollständig, deswegen unterscheidet sich das afrikanische oder lateinamerikanische Christentum schon sehr von dem europäischen.

[FONT=&quot] [/FONT]
[quote="Dieter, post: 737329"]Und erst einmal indoeuropäisiert, breiteten sich indoeuropäische Dialekte auch durch Stämme aus, die ursprüngliich keine Indoeuropäer waren. Und das sicher nicht allein durch Kriege, sondern auch durch eine Sprach- und Kulturtrift, durch Handelskontakte und das Prestige der neuen Sprache.[/QUOTE]Wenn das für die spätere Zeit gelten kann, dann könnte es auch für die frühe Zeit gelten. Nämlich für eine friedliche, womöglich parallele Entwicklung der indoeuropäischen Sprachen aus der Mitte Europas.
 
Ich beanstande nur, was objektiv zu beanstanden ist, und weise darauf hin, dass es falsch ist, Gimbutas als Matriarchatstheoretikerin darzustellen, was ich auch belegt habe.

Dass Marija Gimbutas keine Matriarchatsforscherin im eigentlichen Sinn war, dürfte klar sein. Sie war an erster Stelle eine hochdekorierte Archäologin, die jahzehntelang Ausgrabungen in Italien, Jugoslawien und Griechenland leitete. Allerdings ist festzuhalten, dass sie in zahlreichen Publikationen ein matrilineares Neolithikum in Europa postuliert und zudem einen zentralen Glauben an eine Muttergottheit oder die "Große Göttin".

Ich habe hier vor mir ihre Publikation "Die Sprache der Göttin. Das verschüttete Symbolsystem der westlichen Zivilisation", was neben interessanten Ausgrabungsergebnissen stets auf ein mütterbestimmes Neolithikum, also auf matriarchale Strukturen und die "Große Göttin" zurückkommt.

Dieser Aspekt scheint mir untrennbar mit dem wissenschaftlichen Werk der Gimbutas verbunden zu sein..
 
Wenn das für die spätere Zeit gelten kann, dann könnte es auch für die frühe Zeit gelten. Nämlich für eine friedliche, womöglich parallele Entwicklung der indoeuropäischen Sprachen aus der Mitte Europas.

Das mag sein. Mir ist die eine Hypothese so recht wie die andere, denn ich bin da nicht ideologisch vorbelastet. Nachdem ich einst allein die These der Gimbutas favorisiert habe, kann ich mir heute ebenso gut ein Entstehen indoeuropäischer Sprachträger in der Mitte Europas vorstellen, ohne Invasionen und Einbrüche.

Allerdings bleibt ungeklärt, wie indoeuropäische Sprachen bis nach Indien und in den Iran gelangen konnten. Allein durch Kulturkontakte? Oder eine Völkerbewegung über tausende von Kilometern? Das halte ich für wenig wahrscheinlich. Auch eine Diffusion durch Kulturkontakte über so riesige Entfernungen ist kaum denkbar.

Und so haben beide Hypothesen Pferdefüße und Widersprüche, die nur durch große argumentative Verrenkungen erklärbar sind.
 
Das ist nur natürlich: Die Gallier blieben in der Mehrheit und Generationen von Müttern sprachen sicher noch sehr lange gallisch mit ihren Kindern.
Und das bedeutet in der Konsequenz was für deine Gewalt-Hypothese?

bei einer Religion gibt es diese Konkreta nicht – sie ist etwas Abstraktes, das zu vermitteln weitaus schwieriger sein dürfte. Die (ersten) christlichen Missionare lernen auch zuerst die Sprache der zu missionierenden, dann erst können sie Glaubensinhalte, d.h. das, um was es eigentlich geht, vermitteln.
Das ist alles richtig, mir ist nur grad der innere Zusammenhang zu unserer Diskussion abhanden gekommen.
 
und diese [URL="http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/36/IE3500BP.png%5b/img"]http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/36/IE3500BP.png[/img[/URL]] die Ausbreitung der indogermanischen Sprache um 1500 vor Chr.
[/QUOTE]
Die Karte zeigt nicht die Ausbreitung der indogermanischen Sprache[I][B]n [/B][/I](zu diesem Zeitpunkt sind nämlich die ersten Ausgliederungen definitiv nachgewiesen), sondern eine hochgradig selektive Auswahl von archälogischen Kulturen bzw. Kulturräumen. Für bestimmte Kulturen lässt sich eine indogermanische Sprache nachweisen, bei anderen ist dies nur eine Annahme - aber kein Faktum. Und wie bereits erwähnt, befand sich zum Zeitpunkt der UFK der mutmaßliche Proto-Indogermanische Sprachraum bereits in der Auflösung, vermutlich auch in West- und Mitteleuropa. Die UFK kann also nicht als die proto-indogermanische Kultur in Europa schlechthin gelten, zumal ihr Ausbreitungsgebiet vornehmlich das spätere Ausbreitungsgebiet der keltischen Sprachen umfasst.
 
Und so haben beide Hypothesen Pferdefüße und Widersprüche, die nur durch große argumentative Verrenkungen erklärbar sind.
Das ist auch meine Meinung.


Und das bedeutet in der Konsequenz was für deine Gewalt-Hypothese?
Das bedeutet, dass Gewalt ein Mittel sein kann, die Kultur einer Minderheit einer Mehrheit aufzuzwingen, dass aber dieser Prozess der Kultur- bzw. Sprachübernahme desto langsamer abläuft, je großer der zahlenmäßige Unterschied zwischen der Mehrheit und Minderheit ist.


Das ist alles richtig, mir ist nur grad der innere Zusammenhang zu unserer Diskussion abhanden gekommen.
Wenn es stimmt, dass sich Religionsinhalte ohne Sprache nur schwer vermitteln lassen, dann kann man die Ausbreitung der Urnenfeldkultur auch im Zusammenhang mit der Ausbreitung der indogermanischen Sprachen sehen.
 
Kelten waren ja schon Indogermanen. Auf jeden Fall stimmen die Grenzen der UFK und der indogermanischen Sprache ziemlich überein – siehe die beiden Grafiken in meinem Beitrag gestern, 18:24.

Das ist zumindest unpräzise. Als Indogermanen bzw. Indoeuropäer werden die Sprecher der (Ur-)Indogermanischen Sprache (PIE) bezeichnet. Kelten als Sprecher einer indoeuropäischen Einzelsprache treten denknotwendig erst nach Ausdifferenzierung der indoeuropäischen Sprachen aus den Dialekten des PIE auf.

Die Grenzen der Urnenfelderkultur stimmen auch nicht mit den Grenzen der indogermanischen Sprache überein, es sei denn, man ginge davon aus, dass diese vor ihrer Ausdifferenzierung in Dialekte und Einzelsprachen von Nordsee bis Sizilien gesprochen wurde. Dies ist aber aufgrund des zeitlichen Abstands zwischen Ausdifferenzierung und UFK unwahrscheinlich (ca. 2000 Jahre).

Beim Punkt 3 spricht viel dafür, dass die Urnenfeldkultur gleichzeitig mit der indogermanischen Sprache auftauchte, denn die Grenzen der Sprache sind ungefähr auch die Grenzen der Religion.

Wie kommst du darauf? Kann man diese These irgendwo nachlesen? Die Sprachwissenschaft geht von einer Ausdifferenzierung der indogermanischen Sprache vor 3000 v.Chr. aus. Die Urnenfelderkultur wird auf etwa 1300 v. Chr. bis 800 v. Chr. datiert.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das bedeutet, dass Gewalt ein Mittel sein kann, die Kultur einer Minderheit einer Mehrheit aufzuzwingen, dass aber dieser Prozess der Kultur- bzw. Sprachübernahme desto langsamer abläuft, je großer der zahlenmäßige Unterschied zwischen der Mehrheit und Minderheit ist.
Also so langsam, dass ein punktuelles Gewaltereignis in den 50er Jahren des letzten vorchristlichen Jahrhunderts erst einige Generationen später, als das Ereignis selbst kaum mehr eine Rolle spielte, sich in Form des Sprachwechsels durchsetzte?
Also da scheint mir die gängige Auffassung, dass die keltische Elite zur römischen Funktionselite wurde (mit einigen Ausnahmen eines betonten keltischen Konservatismus im Treverergebiet, wie man sie aus bestimmten Gräberfelder herauszulesen meint) und dadurch allmählich das Lateinische diffundiert wurde, sehr viel plausibler.

Wenn es stimmt, dass sich Religionsinhalte ohne Sprache nur schwer vermitteln lassen, dann kann man die Ausbreitung der Urnenfeldkultur auch im Zusammenhang mit der Ausbreitung der indogermanischen Sprachen sehen.

Siehe noch mal den Hinweis des Zyklotropen und von mir: Die UFK deckt sich räumlich einigermaßen mit den keltischen Kulturen, also, bei Gleichsetzung der archäologischen Kulturen, die wir als Kelten bezeichnen und der linguistischen Ausbreitung der Kelten, nur mit einer Teilmenge der Indoeuropäer, lange nach dem Zerfall des Indoeuropäischen in die Einzelsprachen. Die Ausbreitung der UFK kann mit der Ausbreitung des Indoeuropäischen folglich nichts zu tun haben.
 
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