(Fortsetzung von diesem Post:
http://www.geschichtsforum.de/274119-post122.html
- passt hier besser rein.)
Hallöchen.
Upps, Link geht nicht?
hier ist wohl die neue Adresse des sehr bilderreichen empfehlenswerten ebooks:
Workbook 1:
The Ottoman Empire
http://www.cdsee.org/pdf/WorkBook1.pdf
dort findest du zahlreiche Quellen, allerdings wenige Erläuterungen, z.B. dass ein Junge i.d.R. nur mitgenommen wurde, wenn er kein Waise, oder einziger Sohn war, etc. pp.
und hier die anderen drei ebooks von SO-Europa:
- Nations and States in Southeast Europe
- The Balkan Wars
- The Second World War
CDRSEE :: Center for Democracy and Reconcilliation in Southeast Europe
Hier gibt es einige weitere Infos, die durchaus brauchbar sind:
Karlsruher Türkenbeute :: Die "Knabenlese" - Rekrutierung der Begabtesten
daraus ein paar Seiten zeitgenössische Quellen (interessanterweise wird die Trennung der Jungen von den Eltern beklagt, aber mehr noch die Trennung von der Kirche und die Konvertierung...
):
http://www.tuerkenbeute.de/res/pdf/forschung/nachweise/quellen/Knabenlese.pdf
http://www.tuerkenbeute.de/res/pdf/forschung/nachweise/quellen/Janitscharen.pdf
Wieviel Janitscharen gab es eigentlich, über welche Zahlen sprechen wir?
http://www.tuerkenbeute.de/res/pdf/forschung/experteninfo/organigramme/Armee.pdf
"Emotionen" wirste kaum finden, da die betroffenen Familien, oder Kinder/junge Erwachsene kaum Lesen und Schreiben konnten, um mal was zeitnah aufzuschreiben, was eine auch quantifizierbar relevante Aussage zulässt. Man ist da also eher auf einzelne spärliche Berichte angewiesen, von Janitscharen, die die neue soziale Mobilität ausnutzen konnten und es niederschrieben, aber ob ihre subjektive Sicht allgemein auf andere übertragbar ist, ist mehr als zweifelhaft.
In einigen Gegenden des Balkans hatte man wohl
zeitweise die "Wahl" zwischen "Regen und Traufe" oder "Pest und Cholera", dass heißt, eigentlich hatte man manchmal kaum eine Wahl, denn einige Familien konnten schlichtweg ihre Kinder nicht alle durchbringen/durchfüttern, also blieb nur das Verhungern, oder die Bitte, falls mal zufälligerweise alle Jubeljahre ne Knabenlese-Truppe im Dorf ist, ihr Kind aufzunehmen, um es so aus dem Elend zu befreien (was wohl relativ selten geschah, denn man bevorzugte Söhne der besser gestellten Landbevölkerung). Je nach Alter des Kindes, kam es durchaus vor, dass bei geglückter "Karriere" nach der Knabenlese, es sein Dorf unterstützte, z.B. mit der Stiftung eines Brunnens, oder einer Brücke, oder Mühle, etc. je nach Einkommen, wie es hier oder im anderen Thread auch schon erwähnt wurde.
Aber das sind halt alles individuelle Einzelfälle, und mal werden einem bei der Knabenlese Bilder hochkommen, die einen an Braveheart erinnern könnten, mal wurde die Knabenlese nach der Pubertät vollzogen, ja sogar junge Erwachsene wurden eingezogen (Architekt Sinan war z.B. schon 21/22 Jahre alt bei der Knabenlese!), die schon einen ziemlich ausgebildeten Charakter haben dürften, und deren Konvertierung teilweise pro forma erfolgt sein dürfte.
Im Lexikon des MA steht, dass es ein Junge auf 40 Haushalte in einigen begrenzten Balkangebieten ausgehoben wurde. In Gruppen von 100-150 Knaben wurden sie in die Hauptstadt Istanbul gebracht, dort wurden sie gemustert, ein kleinerer Teil kam in Palastschulen, der größere erst zu türkische Bauern vorwiegend in Anatolien (dort Erlernen der Sprache, Kultur, Religion), um nach einigen Jahren acemi oglan (~Kadetten) zu werden. Später erfolgte in der Regel die Aufnahme in die Elitetruppe der Janitscharen.
Die Knabenlese löste ja die vorige Praxis ab, dass man aus einem Fünftel der Kriegsgefangenen diese zu Janitscharen ausbildete.
Ich würde nicht sagen, wie "gut es doch die Balkanvölker" hatten, dass sie eine Knabenlese "erleben durften", da sie erstens nur recht wenig tatsächlichen Einfluss auf den Alltag der Bauern hatte, zweitens, es individuell unterschiedlich war, für viele sicherlich ein schreckliches Ereignis, für andere Jugendliche hingegen die Chance, endlich dem Dorfleben zu entkommen und was zu erleben, vielleicht sogar Karriere zu machen, wie Berichte zeigten.
Ich würde sagen, dass die Knabenlese eher bedeutsamer psychologisch, denn als "Terror-Horror-Blutzoll" wahrgenommen wurde. So konnten die Eltern, die von der Knabenlese vage gehört hatten, zu ihrem Sohn sagen, "wenn du nicht artig bist, dann kommt der böse, bluttrinkende, schwarze Mann aus dem Schornstein, und nimmt dich mit..."
Angesichts der Vertreibungen und Hinrichtungen im zeitgenössischen restlichen Europa zwecks religiöser Konformität, angesichts zeitweise mordender Räuberbanden im Balkan, die nicht darauf achten, ob ihr Opfer der einzige Sohn ist, usw., sollte man die Praxis der Knabenlese nicht überbewerten, aber auch nicht schönfärben. Es ist eine exotische und interessante Randerscheinung, innerhalb der aus heutiger Sicht zahlreichen "Greuel" des 15.-17. Jh., und stark instrumentalisiert im Zuge des Aufkommens des Nationalismus auf dem Balkan.
Tschüssi, LG lynxxx