Im Übrigen habe ich das Gefühl, in Kalkriese häufen sich aus rätselhaftem Grund "Ausnahmefunde". Die Inschrift auf einer Schwertscheide, die auf die legio I verweist, ist wahrscheinlich ebenfalls ein "Ausnahmefund".
Es gibt keine Schwertscheide und auch kein Schwertscheidenmundblech, was auf legio I verweist. Es gibt lediglich eine Inschrift LPA, die so interpretiert wird. Es handelt sich also um eine Hypothese.
Angenommen, das LPA wäre richtig gelesen und es handelte sich tatsächlich um eine Abkürzung für die Erste Augusteische Legion, wäre dies allerdings noch immer kein Beweis gegen die Varusschlachthypothese, da erstens Soldaten der ersten Legion bei der Bestattung der Varuslegionen anwesend waren, zweitens bei der Varusschlacht unbekannte Vexillationen anderer Legionen dabei waren und es drittens passierte, dass Ausrüstungsgegenstände ihren Besitzer wechselten (was punz- und ritzinschriftlich belegt ist).*
Zu Rosts Hypothese von den Wundverbänden würde ich seinen Beitrag in den Xantener Berichten (Bd. 16) Waffen in Aktion, Verwundet und versorgt - Indizien für Sanitätswesen auf dem Schlachtfeld von Kalkriese empfehlen, dieser Beitrag ist um einiges ausführlicher als der zusammenfassende Bericht im Besucherband zur neuen Dauerausstellung.
Zweitens erklärt sie nicht die anderen Knochenkonvolute. Man braucht nur den Passus von Rost vollständig zu zitieren:
"Erstaunlich sind deshalb einige Knochenensembles aus einer großen Knochengrube, in der sich neben mehreren Hand-bzw. Unterarmstrukturen auch ein Schädel mit dazugehörendem Unterkiefer und den beiden obersten Halswirbeln sowie, als weiteres Konvolut, Schulterblattfragmente und Brustwirbel fanden, die der Beoabchtung einer kompletten Zerstörung der Skelettverbände widersprechen."
(Achim Rost, in: 2000 Jahre Varusschlacht, 2008, S.114)
Da du ja den entsprechenden Beitrag zitierst, wirst du dich sicher auch an diese Passage erinnern:
"Die einzelnen Knochen lagen relativ dicht beieinander in der Grube, so dass die drei auf dem Foto dargestellten Hände rekonstruiert werden konnten."
Die forensische Pathologie kann aufgrund der vielen unterschiedlichen Faktoren beim Dekompositionsvorgang keine einheitlichen Daten für den Zeitraum, die Empirie sagt „zwischen wenigen Monaten und mehreren Jahren“, benennen, „nach denen von einer Leiche oberflächlich keine Spuren mehr zu finden sind“. (S.171) Im Falle der untersuchten Deponie-Knochen von Kalkriese nimmt sie „mindestens ein bis zwei Jahre“ an (S.176). Ein Beweis für die Verweildauer von 6 Jahren und damit dafür, dass die dortige Deponierung 15 n.Chr. unter Germanicus erfolgte, lässt sich also nicht führen.
Und da beißt sich die Katze in den Schwanz, denn dies führt uns wieder zu der Frage, warum jemand nach Jahren plötzlich das Interesse gehabt haben sollte, die Knochen zu verscharren, wenn nicht aus Pietätsgründen. Und dafür kommen eben nur Germanicus und seine Legionen in Betracht.
*Das ist im Übrigen eine der Sachen, die ich an diesem Thread so nervig finde: Es ist ja nicht das erste Mal, dass erklärt worden ist, dass die Inschrift LPA für sich ziemlich allein steht und nur eine Interpretation ist und immer wieder wird sie als definitiver Beweis für die Anwesenheit einer ersten Legion angeführt, obwohl nicht einmal bewiesen ist, dass LPA überhaupt etwas mit der ersten Legion zu tun hat.