Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft

Was die Knochen betrifft, können wir uns jede Diskussion sparen, wenn wir alle Berichte anzweifeln wollen.

Ich würde meinen, wenn der erste konkrete Bericht, den wir haben von einer Person stammt, die ein halbees Jahrhundert nach der Schlacht überhaupt erst geboren wurde und nie die Möglichkeit hatte sich die Lage vor Ort anzusehen, geschweigedenn sich anzusehen, wie das zum Zeitpunkt der postulieten Begebung durch Germanicus ausgesehen hat, gibt es keinen, aber wirklich auch so gar keinen Grund den Bericht wörtlich zu nehmen.
 
"Heute wird die Zensur häufig indirekt ausgeübt, durch Analphabetismus beispielsweise, weil dadurch der Zugang zu Informationsquellen und die Beteiligung an der öffentlichen Meinungsbildung verwehrt ist."
ᐅ Zensur: Definition, Begriff und Erklärung im JuraForum.de

Das dürfte hier schwerlich zutreffen.
Das ist auch nur eine sehr einseitige Interpretation. Auch das Äußern von Missfallen durch einen Moderator fördert keineswegs die Diskussionskultur.
 
Eine "ausgebliebene Förderung der Diskussionskultur" mit indirekter Zensur gleichzusetzen, halte ich für eine einseitige Interpretation. Ich denke auch nicht, dass ElQ hier in seiner Eigenschaft als Mod geschrieben hat, sondern als normales Forenmitglied. Modbemerkungen werden doch regelmässig mit Hinweisen versehen, dass im konkreten Kommentar ein Mod spricht und nicht das Forenmitglied.
 
Du wirst doch aber nicht abstreiten wollen, dass die Chance einer authentischen Überlieferung der Ereignisse bei einem direkten anwesenden Zeugen, mal grundsätzlich höher anzusetzen ist, als bei irgendwelchen Zwsichenträgern, die es selbst nur aus Erzählungen haben, und möglicherweise schon verfälscht an den Dritten, der es dann aufschreibt, weitergegeben haben.
Um das geht es nicht, sondern um die Begründung für Deinen Zweifel, die lautet: Wenn ein Geschichtsschreiber ein Ereignis beschreibt, das 40+ Jahre vor seiner Geburt stattgefunden hat, dann ist zu bezweifeln, dass das Ereignis überhaupt stattgefunden hat.
Du weißt doch sehr gut, dass eine zeitnah verfasste Darstellung eines Ereignisses mitunter größere Verfälschungen (womöglich aus Propagandagründen) transportieren kann als eine später (womöglich nach kritischer Sichtung der vorhandenen Quellen) verfasste Darstellung.
 
Jetzt könnte man ketzerisch fragen, ob 55 Objekte eine hinreichende Zahl ist um daraus eine Regel abzuleiten.
55 Münzen sind natürlich eine statistisch irrelevante Zahl. Allerdings haben bei dieser statistisch irrelevanten Zahl 1/7 der Münzen ein Prägedatum nach 10, taq/vor 13/14 (Brand).
In Kalkriese haben wir aber eine statistisch relevante Anzahl an Münzen, nämlich über 2200. Dort ist keine einzige Münze postvarianisch. Aber ein Teil der Münzen ist VAR- und CVAL-gestempelt. (Also tpq/nach 7 und vor 9). Wenn wir die Feldzüge des Germanicus ansetzen würden, die lägen zeitlich ein halbes (14) bis zweieinhalb Jahre (16) nach dem Brand von Köln. Es wäre doch sehr verwunderlich, wenn in dem eher kleinen Münzaufkommen aus Köln ein Siebtel postvarianisch ist, aber in dem 40fachen Münzaufkommen keine einzige.

Du selbst hat darauf hingewiesen, dass die Schlussmünze aus Kalkriese auf das Jahr 2 (vor oder nach?) datiert. Heißt so viel, wie dass aus den über 2.000 Münzen, die man bei Kalkriese gefunden hat keine einzige jünger ist als 7/11 (vor oder nach?) Jahre.
[...]
Wenn es so unwahrscheinlich gewesen wäre, dass es längere Zeit gebraucht hätte, bis neugeprägte Münzen ihren Weg nach Kalkriese geschafft hätten, warum dann diese Zeitspanne zwischen dem Prägedatum der gefundenen Münzen und der Schlacht?
Es gibt in der Zwischenzeit keine datierbare Münzprägung und du vergisst die Gegenstempel

Möglicherweise spiegelt sich da in Köln einfach nur eine erhöhte Geschwindigkeit des Ausauschs mit dem Zentrum und ein größeres Handelsvolumen wieder, so dass man dieses Tempo in Sachen Umlaufgeschwindigkeit und Distribution neuer Münzen für die Gebiete weiter nördlich nicht annehmen kann?
Selbst wenn dem so gewesen wäre (und nicht etwa die Soldauszahlung Grund für den römischen Staat war, frische Prägungen auszuschütten, man spricht nicht umsonst auch von Soldatengeld): Germanicus' Legionen waren u.a. in Köln stationiert. Die Münzen sollten dann anderthalb Jahre an den in Köln stationierten Legionen vorbeigegangen sein?
 
Guten Morgen,

@dekumatland

ja, auf dem Weidschen Kopf direkt über der Werra. Dort hatten lizenzierte Sondengänger aus Niedersachsen und Nordhessen Schuhnägel gefunden. Es war eine Kooperation unter der Leitung Dr. Grotes bevor dieser in Pension ging. Diese sind auch publiziert im Hedemünden Band 2012. Die Münze ist ein As RIC 373 des Augustus mit Gegenstempel des Germanicus ( U. Werz 61/67-2). Sie wurde bereits in den 80er Jahren von einem nicht lizenzierten Sondengänger von diesem Platz gefunden. Das Bronze-Nominal ist ebenfalls publiziert ( bei Lehmann 2015). Ich hatte schon einmal hier auf den einstigen Kommunikationsposten an der Werra hingewiesen.
 
@Hermundure also die Touristik in Bad Sooden-Allendorf wirbt noch nicht mit der Sehenswürdigkeit eines römischen Kommunikationspostens - stattdessen ist vor Ort am "Römerlager" eine Infotafel, die erklärt, dass es sich um eine kleine frühmittelalterliche Wallanlage handelt.
Aber genug davon, das klärt ja nichts über Kalkriese, Varus, Arminius usw.
 
@dekumatland

nicht die frühmittelalterliche Anlage in Bad Soden-Allendorf, sondern die kleine Anlage bei Hitzerode gegenüber Kleinvach. Hier haben wir einen eindeutigen Befund und Nachweis in Form von Schuhnägeln und Münzfund für die Anwesenheit von Truppenteilen des Germanicus.
 
wiki macht folgende Angaben: um welche geht es ?


  • Römerlager
Nördlich von Hitzerode am Nordhang des Ihringsberges liegt das sogenannte Römerlager. Es handelt sich um ein mit einem Graben umgebenes Wallviereck mit abgerundeten Ecken, die Reste einer frühmittelalterlichen, germanischen Anlage. Die Ausmaße der Wälle betragen von Westen nach Osten etwa 85, von Süden nach Norden etwa 75 Meter in der Länge. Die Höhe des Walles beträgt heute durchschnittlich 2 bis 3 Meter. Ein kleiner und offener Raum war mit starker Verschanzung angelegt worden.
  • Römerschanze
Östlich von Hitzerode auf dem Bergvorsprung "Weidscher Kopf" liegt die sogenannte Römerschanze. Wall- und Grabenanlage trennen dort den vorspringenden Weidschen Kopf vom übrigen Hitzeröder Hochplateau. Erkennbar ist, dass es sich um eine Wallburg handelte, deren Ursprünge – historisch allerdings nicht belegt – ins frühe Mittelalter ragen dürften.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Hermundure in der HNA war mal (2014?) ein Artikel über Römer an der Werra und Ulfe und über den Archäologen/Historiker Grote (würde ich verlinken, wenn ich wüsste, wie man das am Handy hinkriegt)
 
@dekumatland

nicht die frühmittelalterliche Anlage in Bad Soden-Allendorf, sondern die kleine Anlage bei Hitzerode gegenüber Kleinvach. Hier haben wir einen eindeutigen Befund und Nachweis in Form von Schuhnägeln und Münzfund für die Anwesenheit von Truppenteilen des Germanicus.

Falls es da einen Zusammenhang mit den bei Tacitus beschriebenen Ereignissen gibt, käme eigentlich nur der Feldzug des Jahres 15 n. Chr. in Frage: Germanicus zog gegen die Chatten, überschritt die Eder und zerstörte Mattium, während Caecina die Cherusker und Marser in Schach hielt. Anschließend zog Germanicus gegen die Cherusker und entsetzte Segestes, der sich mit Arminius zerstritten hatte und von Anhängern des Arminius belagert wurde. Dabei geriet Arminius' Frau Thusnelda in römische Gefangenschaft.
 
Hallo zusammen.
Ich (als Laie) kann die Argumentation zu den Münzen nur unterstreichen.

Ich habe mal das Münzgutachten mal gelesen und der Sachverhalt ist erdrückend:
Schon Tiberius brachte direkt nach Varus Tod neu geprägte Münzen mit, als er zum Rhein eilte, um die Grenze zu stabilisieren.

Auch in der Zeit zwischen Varus und Germanicus wurden massenhaft neue Münzen geprägt, die die Germanicus-Legionäre zur Verfügung standen.

Stochastisch betrachtet dürfte es nahezu ausgeschlossen sein, dass Kalkriese auf nach 9 zu datieren ist.


Sehr präzise finde ich es von Prof. Ortisi formuliert. Er bezeichnet Kalkriese als "Varus-Ereignis", nicht als "Varus-Schlacht".

Ich verstehe das so, dass es ebenfalls eine andere Schlacht im Rahmen des Aufstandes im Jahre 9 gewesen sein kann. Das römische Heer war ja nicht an einem Ort konzentriert, sondern es gab an wichtigen Orten kleinere stationierte Abteilungen.

Es kann natürlich auch ein Teil der Varusschlacht selbst gewesen sein.

Ich als interessierter Laie bin vorsichtig damit, meine Gedanken über denen der "Profis" zu stellen.
 
Hallo zusammen.
Ich (als Laie) kann die Argumentation zu den Münzen nur unterstreichen.

Ich habe mal das Münzgutachten mal gelesen und der Sachverhalt ist erdrückend:
Schon Tiberius brachte direkt nach Varus Tod neu geprägte Münzen mit, als er zum Rhein eilte, um die Grenze zu stabilisieren.

Auch in der Zeit zwischen Varus und Germanicus wurden massenhaft neue Münzen geprägt, die die Germanicus-Legionäre zur Verfügung standen.

Stochastisch betrachtet dürfte es nahezu ausgeschlossen sein, dass Kalkriese auf nach 9 zu datieren ist.


Sehr präzise finde ich es von Prof. Ortisi formuliert. Er bezeichnet Kalkriese als "Varus-Ereignis", nicht als "Varus-Schlacht".

Ich verstehe das so, dass es ebenfalls eine andere Schlacht im Rahmen des Aufstandes im Jahre 9 gewesen sein kann. Das römische Heer war ja nicht an einem Ort konzentriert, sondern es gab an wichtigen Orten kleinere stationierte Abteilungen.

Es kann natürlich auch ein Teil der Varusschlacht selbst gewesen sein.

Ich als interessierter Laie bin vorsichtig damit, meine Gedanken über denen der "Profis" zu stellen.

Die Varusschlacht hat mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit über ein breites Gebiet verstreut stattgefunden. Das heißt Varus Legionen mussten eine längere Strecke hinter sich bringen bevor sie komplett geschlagen wurden. Daher halte ich Kalkriese auch nicht für „den Ort der Varusschlacht“ sondern für „einen“ Ort der Varusschlacht. Aber fest steht dass dort Römer gekämpft haben und dass dies im Kontext der augusteisch-tiberianischen Feldzüge geschah. Im Raum steht auch noch die andere Möglichkeit dass es sich um ein Germanicus-Ereignis handelte. Es ist jedoch schwierig zu beweisen um welchen Ort es sich attsächlich handelt. Ich erwarte immer noch, gespannt wie ein Pfeil, die Ergebnisse der metallurgischen Auswertungen in Bochum.
 
Zurück
Oben