Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft

Dann hast du mich falsch verstanden. Das Problem bildungsferner Milieus ist, dass die Eltern die Schulerfahrung gemacht haben, dass Anstrengung nicht honoriert wird. Insofern ist auch das Interesse die Kinder zu Anstrengung zu animieren gering, weil die eigene Schulerfahrung besagt, dass Anstrengung "nichts bringt".

Das ist ein Grund. Ein weiterer könnte sein, dass es manchen Eltern nicht angenehm ist, wenn ihre Kinder mehr wissen als sie selber. Sie befürchten dann mangelnden Respekt, was ebenso die Schichten zementieren kann.
 
Das ist ein Grund. Ein weiterer könnte sein, dass es manchen Eltern nicht angenehm ist, wenn ihre Kinder mehr wissen als sie selber. Sie befürchten dann mangelnden Respekt, was ebenso die Schichten zementieren kann.

Das mag es geben, aber es dürfte eher die Ausnahme sein. In der Regel wollen Eltern doch, dass es ihren Kindern mal "besser geht". Jedenfalls lässt sich empirisch belegen, dass die Herausbildung und Festigung so genannter bildungsferner Schichten eng verknüpft ist mit Perspektivlosigkeit. Sowas passiert, wenn soziale Schichten undurchlässiger werden.

Eine interessante Diskussion.

Aber ist das nicht (wie man neudeutsch sagt) off-topic?:rotwerd:
Stimmt. :pfeif: Und deshalb noch ein paar Worte zur Frage, ob die Legionäre so genau wussten, wessen Abbild sie da zerstochen haben:

Man darf das Portrait von Augustus auf den Münzen sicher nicht vergleichen mit dem irgendeines bundesdeutschen Präsidenten. Die Römer haben einen echten Personenkult um ihre Kaiser getrieben und sie auf eine Stufe mit den Göttern gehoben. Vergleiche mit den Abbildern von Leuten wie Stalin oder Hitler bieten sich da eher an. Deren Gesichter erkennt selbst heute noch (fast) jeder. Weltweit.

MfG
 
Kann mir nicht vorstellen, dass die meisten lesen konnten. Bedenke aus welche sozialen Schichten die Legionäre kamen und dass es keine Schulpflicht gab!
El Quijote hat ja bereits einiges dazu geschrieben. Die Zeugnisse des täglichen Umgangs mit Schrift in der römischen Armee sind offensichtlich und umfangreich, so wie auch im gesamten Reich. Absolut richtig ist die Annahme, dass es einen nicht zu vernachlässigenden Teil Analphabeten gab, in der Armee wie im Zivilleben. Die Annahme aber, dass diesen das gesamte Schrift- und Gestaltungsbild zwangsläufig verschlossen war ist dagegen falsch, wie auch die Behauptung, die Soldaten kämen zwangsläufig aus einer niedrigen Gesellschaftsschicht. Wir kennen mittlerweile Soldatenfamilien, wissen von umfangreichen Geldspenden zum Zwecke der Beförderung, "care Pakete" der Verwandtschaft von Ägypten nach Europa (was weder vom Inhalt noch vom Transport preiswert gewesen sein dürfte), wissen auch um Zwangsrekrutierungen usw.
Bis hin zu Equitanern, die sich in den Centurionenrang einkaufen. Soldat zu sein war eine durchaus interessante Alternative für die Männer, immerhin herrschte nicht immer Krieg, man bekam ein festes, zumeist nicht geringes Gehalt und gute Ernährung sowie Unterkunft, lernte ggf. weitere Berufe und hatte Aussicht auf eine passable Abfindung. Das zog nicht nur das "Prekariat" an.

Zudem halte ich es für unrealistisch, dass man im Falle eines Unzufriedenheits-Ausbruches noch einen Münzvergleich oder eine Befragung von Kameraden durchführt. ;)
Warum sollte man auch? Dieses Wissen gehört, wie mehrfach betont, zum Alltag. Die Münzen waren bekannt. Neue Münzen dürften durchaus bei ihrer Ausgabe bzw. Ankunft bemerkt worden sein. Der tägliche Anblick der Kaiserbildnisse, die Konzentration auf den Kaiser während bestimmter Festivitäten und der Umgang mit dem Geld sind selbstverständlich. Da muß es nicht erst zu einer Situation der Verärgerung kommen, in der man dann anfängt nachzudenken. Aus den Quellen ist ja zudem bekannt, dass die Soldaten, WENN sie sich denn mal gegen Kaiser empörten, sie ganz gezielt auf deren Bildnisse im Heiligtum losgingen. Es erscheint da eher schwer zu glauben, dass sie, so sie gegen den Kaiser aufmüpfen wollten, erstmal die Münzen zusammensuchten, die ihnen genehm zum "opfern" sind, statt mit den Kameraden gegen die Statuen, Bildnisse usw. vorzugehen, dann aber nicht in der Lage gewesen waren zu erkennen, welches die "richtigen" Münzen waren, andererseits dann aber wieder gezielt auf das Proträt losgingen, die Schrift in dem hier vorliegenden Sonderfall wiederum schonten (was in den übrigen Fällen oftmals eben nicht der geschah, dort wurde auch die Schrift angegriffen bzw. der Name).


Gut, dann ändere ich das Beispiel:
"Wenn ich zu meiner BW-Zeit mit dem Spieß oder Kompaniechef unzufrieden war, habe ich ja nicht gleich auf den Staat geschimpft. Wenn die miese Ausrüstung geschickt hätten, sähe es schon anders aus."
Eben, geschimpft, wobei ich in meiner Zeit dann die Regierung und nicht "den Staat" verantwortlich machte... Die Soldaten zumindest der mir bekannten Bundeswehr sind sich des Verteidigungsministers UND seines Ministeriums durchaus bewußt. Aber sei es wie es sei, oft geschrieben: im römischen Reich ist der Kaiser als Individium präsent und bekannt, die Quellen schreiben eindeutig, 14 n.Chr. sei es mit dem Ziel den neuen Kaiser zu konfrontieren zur Meuterei gekommen. Das stützt nach wie vor nicht die These "blinden Anarchismus".


Zum Thema der Schulbildung gibt es ja ein eigenes Thema, dort macht es mehr Sinn das auszubreiten.
 
Wie diese NICHT in die Hände der Truppen gekommen sein sollen, zumal neu ausgehoben, ist mir nicht verständlich. (...) Würde mich überraschen, wenn von den unten angeführten keine einzige dabei wäre. (...) Die unten von mir aufgeführten Münzen wurden zwischen 8 und 10 n.Chr., z.T. also sogar vor der Varusschlacht geprägt. Zwischen der Meuterei und den frühesten Münzen mit Bildnis des Tiberius liegen also sechs Jahre.

Tja, lieber Gabinius, so einfach ist das in der Numismatik nicht.
Da in Kalkriese, Waldgirmes, Haltern und Anreppen keine Tiberius-Münzen gefunden wurden, konnten auch keine zerkratzten Tiberius-Münzen gefunden werden. Das ist doch einleuchtend, oder?
 
Ich habe zu keinem Zeitpunkt danach gefragt. Die Theorie, dass der Aufstand zerkratzte Münzen erfordere stammt nicht vom mir. Aber nett, dass du mir mal wieder etwas in den Mund zu legen versuchst.

Und falls du behaupten willst, dass es keine Tiberiusmünzen im Umlauf der germanische Legionen gab, so müßtest du mal erklären warum mehrere Emissionen aus dem relativ nahen Lugdunum für eben diese Leute tabu gewesen sein sollen.
Was eben nicht in den historischen Wissenschaften funktioniert, ist das reine argumentum ex silentio. Nur weil etwas nicht im Befund ist, heißt das nicht, dass es nicht da war.

Es ging doch darum, dass behauptet wurde, die zerkratzten Abbildungen des Kaisers Augustus wären ein Beweis für die Datierung nach 14 n.Chr. weil die Soldaten in einer Art blindem "Damnationswahn" diese genommen hätten.
Nach Aussage der Quellen war die Meuterei 14 n.Chr. aber personenbezogen, auf Tiberius, und es gab von ihm Münzen. Also hätten die Soldaten einen Akt der persönlichen Verdammung begangen, den aber nicht persönlich gemeint?
Und jetzt kommst du mit so einem kruden Nachsatz? Zerkratzte Münzen müssen also unbedingt mit einer weit verbreiteten und doch inoffiziellen damnatio memoriae zusammenhängen, und weil darunter kein Bildnis des Tiberius ist sind sie ein Zeichen für den Aufstand 14 n.Chr.?
Für mich gibt es den Aufstand auch ohne zerkratzte Münzen. Andersherum wird kein Schluß drauß.

Für mich ist es da doch um einiges logischer anzunehmen, dass WENN es sich hier wirklich um eine Art Rache- oder Verdammungsakt gegen einen Kaiser gehandelt haben sollte dieser Augustus hieß und die Aktion lange VOR 14 n.Chr. stattfand (warum wir ja auch in dem von dir als Argument angeführten Waldgirmes etwas finden konnten). Und da wir nichts davon wissen, dass Augustus ein solches Problem hatte wäre diese Theorie erstmal zu untermauern.

Andersherum wäre zu erklären, wie die "Aufstandsmünzen" nach Waldgirmes kamen. So funktioniert auch die Numismatik.

Und da dies das zweite Mal ist: Einführung in das Studium der Alten Geschichte: Amazon.de: Rosmarie Günther: Bücher
Steht auch was zu Quellenkritik und Numismatik drin.
 
Zuletzt bearbeitet:
Tib. Gabinus schrieb:
Andersherum wäre zu erklären, wie die "Aufstandsmünzen" nach Waldgirmes kamen. So funktioniert auch die Numismatik.
Relativ einfach erklärt. Nach aktuellem Wissensstand wurde Waldgirmes

Peter Kracht schrieb:
offenbar direkt nach der Varusschlacht aufgegeben, ist dann aber - nur kurze Zeit später wiederbesiedelt worden, ehe sie nach den Feldzügen des Germanicus in den Jahren 14 bis 16 n. Chr. endgültig verlassen wurde
Quelle: AiD3-2010

Peter Kracht ? Wikipedia

Wenn Waldgirmes zur Zeit des Aufstandes 14 u. Z. besiedelt war, können dort sehr wohl Vexillationen der römischen Truppen gelegen haben. Wir wissen ja nicht, welche Funktion Waldgirmes in der römischen Administration hatte.
 
Steht darin, wie er zu diesem Schluß gekommen ist?
Wenn es wirklich fundierte Gründe dafür gibt, wäre zumindest dies wirklich geklärt und mir ein Argument aus der Hand genommen.
 
Der Artikel bezieht sich auf die Renovierung des Pferdekopfes, welcher im August 2009 dort in einem Brunnen gefunden wurde. Das Zitat dient also in diesem Artikel lediglich zur zeitlichen Einordnung. Irgendwelche Quellen oder Nachweise gibt es in diesen Einspalter nicht. Der Name des Autors ist mir aus der Fachliteratur geläufig. Ich unterstelle, dass Kracht sich bei den zuständigen hessischen Archäologen kundig gemacht hat.
 
Bleibt noch immer das Argument der Existenz "passender" Münzen für eine private damnatio.

Also nochmals:
Es liegen in Kalkriese, Haltern, Waldgirmes oder Anreppen keine Münzen mit dem Porträt des Tiberius vor. Folglich gibt es auch keine mit dem zerkratzten Porträt des Tiberius.:fs:

Im Übrigen ist es falsch, dass sich die Meuterei der niedergermanischen Legionen 14 n.Chr. ausschließlich gegen Tiberius richtete.
Im Zuge der allgemeinen Raserei wurden Centurionen erschlagen, Tribunen vertrieben und eine senatorische Abordnung angegriffen. Selbst Germanicus musste um sein Leben und das seiner Familie fürchten. (Tac. Ann. I, 32 f.)
 
Zuletzt bearbeitet:
Also nochmals:
Es liegen in Kalkriese, Haltern, Waldgirmes oder Anreppen keine Münzen mit dem Porträt des Tiberius vor. Folglich gibt es auch keine mit dem zerkratzten Porträt des Tiberius.:fs:
Also nochmal, danach habe ich auch nie gefragt (und auch sonst niemand). Was beweist die Abwesenheit der Münzen? Nichts.
Dagegen steht deine Behauptung, man hätte zu Augustus gegriffen um den Kaiser zu treffen. Den gab es aber ebenfalls auf Münzen. Das ist bewiesen.
Nur du verlangst nach zerkratzten Münzen als Beweis für irgendwas.


Im Übrigen ist es falsch, dass sich die Meuterei der niedergermanischen Legionen 14 n.Chr. ausschließlich gegen Tiberius richtete.
Ich habe weiter unten bereits die entsprechenden Quellenstellen zitiert. Die Meuterei wird eindeutig als Aufstand gegen den neuen Kaiser Tiberius gewertet.

Im Zuge der allgemeinen Raserei wurden Centurionen erschlagen, Tribunen vertrieben und eine senatorische Abordnung angegriffen. Selbst Germanicus musste um sein Leben und das seiner Familie fürchten. (Tac. Ann. I, 32 f.)
Und was sagen die Quellen, die aus denen du diese Informationen hast? Ah ja, das sind die von mir angesprochenen, die immer wieder betonen, dass der Aufstand gegen Tiberius ging.
Die direkten Opfer, so Tacitus, waren wurden eben solche weil:
Plötzlich, wie von Wahnsinn befallen, stürzten sie mit gezückten Schwertern auf die Centurionen los. Diese sind von jeher des Soldatengrimms Gegenstand und seines wütenden Ausbruchs Anlaß.
Und wo steht diese Unterscheidung zwischen Ursache und Anlaß? Außer in jedem Geschichtsbuch versteht sich:
HistoriaPRO - Anlass und Ursache - Kooperent von PSM Data
Ach ja:
Tac. Ann. 1,32,2 f. Man hätte den Absatz nur einmal gründlich lesen müssen.
Es wird also genau in jenen Quellen berichtet: Ursache für die Meuterei ist der Tod des Augustus und die Übernahme durch Tiberius, den Anlaß boten diejenigen, die dann auch wie im Rausch, so berichtet Tacitus ja weiter, nicht einfach ermordet werden sondern regelrecht zerstückelt.
Und weiter wird berichtet, dass sie Germanicus antragen, sie zu führen. Da ist dann kein wildes ergreifen der Obrigkeit, wie du sie gerne darstellst. Aber in den Kontext gehört das von dir angeführte "selbst Germanicus und seine Familie mussten um ihr Leben fürchten". Den WANN mussten sie um ihr Leben fürchten? Ab dem Beginn der Meuterei? Eben nicht. Erst nachdem Germanicus eine Rede hielt in der er Tiberius lobte, sie wegen des Aufstandes gegen ihn tadelte und zur Treue gemahnte, DA erst bedrohen sie ihn.
Also wieder geht es um Tiberius. Tac. Ann. 1,34
Hierauf mit Verehrung des Augustus anhebend, lenkte er hinüber zu Tiberius Siegen und Triumphen (...)
Schweigend oder doch mit noch verhaltenem Murren hörte man dies an. (...)
und weiter in 35
Ja offen erklärten sie ihre Bereitwilligkeit, wenn er die Herrschaft wolle. Da aber sprang er eilends (...) vom Tribunal hinab. Zwar hielten sie ihm drohend, wenn er nicht zurück ginge, als er sich entfernte, ihre Waffen entgegen, er aber riß, laut rufend, er wolle lieber sterben als treulos werden, das Schwert von der Seite (...).
und schließlich, in 40, als er noch immer nicht gewillt ist selbst die Herrschaft zu ergreifen, aber auch nicht gewaltsam gegen die Aufrührer vorgeht, da schickt er auf anraten der übrigens Stabsoffiziere seine Familie weg. Und prompt, in 41, besinnen sich die Soldaten, und in der folgenden Rede wird es nochmal klar gesagt
Ihr aber, 1. und 20. Legion, jene durch von Tiberius empfangene Feldzeichen, du und seine Gefährtin in so vielen Schlachten, durch so viel Belohnungen geehrt, wie vortrefflich dankt ihr eurem Feldherren!
Sie haben sich also gegen Tiberius aufgelehnt.
Das "blinde Wüten" bei der 1. und 20. war denn wohl auch so groß, dass Germanicus erst spät seine Familie weg schickte und zumindest Caligula schnell wieder zurück holte.
Blindes wüten wird denn auch berichtet bei der 5. und 21. und zwar von Seiten der "Gutgläubigen", also der Treuen, die Caecina über einen nahenden Bürgerkrieg informiert hatte.

Lange Rede, kurzer Sinn, das von dir zitierte beweist genau das Gegenteil und zwar, wie hier zitiert, wortwörtlich. Natürlich kamen dabei Menschen um und gerade Offiziere sahen sich oft in Gefahr. Andernfalls hätten wir ja auch kaum einen Aufstand. Aber diese sind nicht Ursache und auch nicht Ziel gewesen. Darum ist eine Verbindung zwischen zerkratzten Augustusbildern und der Meuterei 14 n.Chr. wegen der literarischen Quellen so nicht konstruierbar.


Zu Waldgirmes, ich habe ein wenig gefunden:
Zunächst glaubten die Archäologen, dass das Ende der Stadt im Jahr 9 n. Chr. gekommen war – weil die Varus-Schlacht auch der zivilen Besiedlung Germaniens ein Ende bereitet habe. Doch vor zwei Jahren machten die Archäologen eine eigentlich unscheinbare Entdeckung: Über der Innenstadtstrasse war ein Gitter aus massiven Holzbalken verlegt worden. Dessen Zwischenräume wurden mit Schotter aufgefüllt – die Strasse war also ausgebaut oder renoviert worden. Dann die kleine Sensation: Unter diesem Reparaturwerk fanden die Ausgräber weitere Fragmente der zerschlagenen Bronzestatue.
Revolte entlassener Soldaten
Ausgräber Becker: «Damit ist die Reihenfolge klar: Erst wurde die Statue zerschlagen, dann wurde die Strasse renoviert und danach erst wurde die Stadt aufgegeben.» Den endgültigen Exodus aus der namenlosen Stadt datierte der Archäologe jetzt nicht mehr auf das Jahr 9 n. Chr., sondern setzte es 7 Jahre später im Jahr 16 n. Chr. an. In diesem Jahr nämlich wurden nach verlustreichen römischen Rachefeldzügen im freien Germanien alle Aktivitäten Roms östlich des Rheins auf Befehl des Kaisers Tiberius eingestellt.
Armin Becker vermutet unter den Zivilbewohnern des römischen Vorpostens bei Waldgirmes eine spezielle Gruppe: entlassene Soldaten, denen nach 25 Jahren Militärdienst – wie üblich – Land in «befriedeten» Gebieten zugewiesen worden war. Der römische Geschichtsschreiber Tacitus berichtet allerdings von Legionären, die ihrer Wut gewaltsam Luft machten, weil sie mit unfruchtbaren Böden in krankmachenden Gegenden abgespeist wurden. Die Revolte schwappte offenbar über das ganze Römische Imperium hinweg – bis nach Waldgirmes? Armin Becker skizziert sein «wahrscheinlichstes Modell für Waldgirmes» so: Im Zuge dieser inneren Unruhen wurden die Reiterstatue des Kaiser im Jahr 14 n. Chr. zerschlagen und die Bruchstücke verstreut. Auf alle Fälle wurde der Ort um 16 n. Chr. für die Vergeltungsfeldzüge noch einmal genutzt und die Strasse – offenbar in Erwartung grösseren Verkehrs – repariert, sodass die Statuenfragmente unter den Strassenbelag kamen. Das Ende der ersten zivilen römischen Stadt im freien Germanien wäre nach dieser Lesart erst um 16 n. Chr. besiegelt worden. Das aber bedeutet, so Armin Becker, «dass Süddeutschland von der Varus-Schlacht und ihren Auswirkungen nicht betroffen war.»
Ganz Germanien war Feindesland, doch... - News Wissen: Geschichte - bazonline.ch

Das muss man so hinnehmen, in der Tat ist die Auffindung ja wirklich bemerkenswert.
Andererseits ist eine Aufgabe 9 n.Chr. und eine so umfangreiche Restauration 14 n.Chr. bei bleibender Bedrohungslage in meinen Augen ebenfalls seltsam. Aber eine andere Erklärung ist da erstmal nicht zu sehen.
 
Tac. Ann. 1,32,2 f. Man hätte den Absatz nur einmal gründlich lesen müssen.
Ist ja nicht das erste Mal, das Cato d. Ä. Quellen so 'interpretiert', dass es zu seinen Intentionen passt. Scheint Methode bei ihm zu sein.

2 Fragen zu den zerstörten Münzen:

1. Gibt es in den Zentren der Meuterei 14 n. Chr. auch Tiberius Münzen in den Funden? Und gibt es auch zerstörte Tiberius Münzen? Wie viele? Gibt es da auch andere Hinweise auf die Meuterei? Spuren von Zerstörungen an Statuen?

2. Zerstörte Münzen soll es ja auch in Augsburg/Oberhausen geben. Welche Truppen waren da zu der Zeit eigentlich stationiert? Ist Augsburg Teil der Meutereigebiete 14 n. Chr. Eigentlich dachte ich, dass nur die Legionen am Rhein und in Pannonien revoltierten. Gehörte Augsburg zu der Zeit zu Pannonien? Finden sich irgendwo in Pannonien vielleicht auch zerstörte Münzen?

Und eine weitere Frage zur Praktik - wahrscheinlich eine dumme Frage:

Warum nehmen die Legionen auf ihrem Feldzug Geld mit? Was wollen die im Feindesland kaufen? Die verbündeten germanischen Stämme müssen ja wohl das eine oder andere Versorgungsgut stellen(?), im Feindesland wird natürlich geplündert. Die Frage also: Wofür braucht der gemeine römische Soldat im Feindesland Geld?
 
Interessant finde ich den Hinweis von flavius-sterius, wonach Waldgirmes nach der Varusschlacht aufgegeben, vor 14 aber wieder besetzt worden sei.

Bildet sich hier die Reorganisation nach dem hastigen Rückzug ab? Ich hatte mir bislang vorgestellt, dass die Reorganisation hinter den großen Flußläufen bis zum Feldzug stattfand. Das scheint aber eher ein langsamer Prozeß der Gebietserweiterungen gewesen zu sein.
 
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Und eine weitere Frage zur Praktik - wahrscheinlich eine dumme Frage:

Warum nehmen die Legionen auf ihrem Feldzug Geld mit? Was wollen die im Feindesland kaufen? Die verbündeten germanischen Stämme müssen ja wohl das eine oder andere Versorgungsgut stellen(?), im Feindesland wird natürlich geplündert. Die Frage also: Wofür braucht der gemeine römische Soldat im Feindesland Geld?

Immer diese Bedenken vor "dummen" Fragen!

Warum sollten die Soldaten ihr Geld (zumindest einen Teil davon) nicht mitnehmen?
Hätten sie es denn im Stammlager lassen sollen? (Gab es denn schon so was wie eine Bank?)
Zudem kann ich mir gut vorstellen, dass es im Troß einige Leute gab, die etwas zu verkaufen hatten! Sei es Waren oder Frauen.
Auch im Spiel lässt sich was gewinnen.

Eine mir wichtige Frage möchte ich hier noch einmal wiederholen:

Mich würde mal interessieren, ob es auch Ritzungen auf den Münzen gibt, die durch den Varus-Gegenstempel überprägt wurden?! Hat dazu jemand Infos? :grübel:

Gruß
Andreas
 
Warum sollten die Soldaten ihr Geld (zumindest einen Teil davon) nicht mitnehmen?
Hätten sie es denn im Stammlager lassen sollen? (Gab es denn schon so was wie eine Bank?)
Ja, gab es. Den Aquilifer. Die Legionäre haben während der Feldzüge ihr Geld dort deponiert. Aber die Frage stellt sich eigentlich gar nicht, da wir uns ja weitgehend einig sind, dass Germanien zu Varus-Zeiten fast schon eine römische Provinz war und dort langsam zivile Strukturen etabliert wurden. Also muss es auch Geld und römische Lebensart gegeben haben, zumindest in gewissem Umfang

Mich würde mal interessieren, ob es auch Ritzungen auf den Münzen gibt, die durch den Varus-Gegenstempel überprägt wurden?! Hat dazu jemand Infos? :grübel:
In dem Numismatiker-Forum, das ich hier verlinkt habe, habe ich Fotos von Münzen gesehen, die beides aufwiesen: Einstiche und Gegenstempel. An einer Stelle wurde dort diskutiert, ob es angesichts der Vielzahl der Kalkriese-Münzen nicht sogar möglich sein müsste, herauszufinden, was früher da war - ob also gestempelte Münzen zerstochen oder zerstochene gestempelt wurden. Dazu gibt es aber offenbar (noch?) keine Erkenntnisse.

Was ich viel interessanter finde ist die Sache mit der zerschlagenen Kaiserstatue unter einem römischen Straßenbauwerk. Der Pferdekopf unter der Straße kann ja so gedeutet werden, dass sich die Wut der Münzstecher nicht nur gegen die Münzen sondern auch gegen die Augustusstatue gerichtet hat.

Und auch die mögliche Deutung, die @Tib. Gabinius zitiert hat, erscheint mir hochspannend: meuternde entlassene Soldaten. Dass es den Entlassenen Germanien gar nicht gefiel und dass sie das zugewiesene Siedlungsland (immerhin der Lohn für ein halbes Leben im Militärdienst) minderwertig fanden, hat ja auch Tacitus in seinen Berichten erwähnt. Da könnte also durchaus der "spezifisch germanische" Anlass für die Wut der Münzstecher liegen, den ich weiter oben postuliert hatte.

Nebenbei: Wie müssen sich diese wütenden Siedler wohl gefühlt haben, als sie infolge der Varusniederlage diese erbärmlichen Schollen dann auch noch räumen mussten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Leute nicht entschädigt wurden. Sie hatten ja wirklich alles verloren. Mit einer solchen Entschädigung wäre dann allerdings der Anlass für ihren ganzen Ärger beseitigt gewesen...

MfG
 
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An einer Stelle wurde dort diskutiert, ob es angesichts der Vielzahl der Kalkriese-Münzen nicht sogar möglich sein müsste, herauszufinden, was früher da war - ob also gestempelte Münzen zerstochen oder zerstochene gestempelt wurden. Dazu gibt es aber offenbar (noch?) keine Erkenntnisse.
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Genau das war ja meine Frage! ;)

Gruß
Andreas
 
Bildet sich hier die Reorganisation nach dem hastigen Rückzug ab? Ich hatte mir bislang vorgestellt, dass die Reorganisation hinter den großen Flußläufen bis zum Feldzug stattfand. Das scheint aber eher ein langsamer Prozeß der Gebietserweiterungen gewesen zu sein.

Ich finde, dass ganze Vorfeld des Legionslagers Mainz in Hessen ist bisher noch schwierig zu interpretieren. Es sind zahlreiche augusteische Plätze bekannt, ohne dass sich ein klares Bild über die dortigen Operationen, die Ausdehnung des römischen Einflusses oder auch nur die Abfolge der Lager ergäbe. Nicht mal, dass Waldgirmes, das Versorgungslager in Rödgen und einigermaßen auch das Marschlager in Dorlar gut erforscht worden, hat etwas daran geändert, dass diese Fragen unbeantwortet bleiben.

Von zwei Plätzen - Friedberg und Frankfurt-Höchst - wird seit langem angenommen, dass sie in tiberischer Zeit belegt waren, doch gerade hier waren die Spuren spärlich und die dichte Bebauung lässt kaum noch Funde erwarten.
Dazu kommen noch etliche - teils erst in neuerer Zeit entdeckte - Marschlager, deren Zeitstellung zum Teil noch unklar ist. Für eines der Lager bei Geinsheim im hessischen Ried ergab sich offenbar auch eine tiberische Zeitstellung.

Fundgebiet Trebur-Geinsheim ? Wikipedia

In diesem Falle aber wohl eine späte, was die Sache wiederum nicht einfacher macht.

Meine Meinung ist - auch basierend auf den neuesten römerzeitlichen Funden in der Bad Nauheimer Saline - dass die Römer in augusteischer Zeit den Einfluss auf das Untermaingebiet und die westliche Wetterau gewannen und dann auch durchgehend bis zur Limesgründung in unterschiedlicher Intensität Einfluss hatten auf diese Gebiete. Von der mittleren Lahn haben sie sich ohne Frage zurückgezogen, mit unklarem Grund. Vielleicht gibt es einen Zusammenhang zur rein archäologisch gestützten Vermutung, dort im Gießener Becken hätten romfreundliche Germanenstämme gesiedelt.
 
Ja, gab es. Den Aquilifer. Die Legionäre haben während der Feldzüge ihr Geld dort deponiert. Aber die Frage stellt sich eigentlich gar nicht, da wir uns ja weitgehend einig sind, dass Germanien zu Varus-Zeiten fast schon eine römische Provinz war und dort langsam zivile Strukturen etabliert wurden. Also muss es auch Geld und römische Lebensart gegeben haben, zumindest in gewissem Umfang
Im Jahre 9 n. Chr. sicher, aber wenn wir die zerstörten Augustus-Münzen als Beleg für die Meuterei 14 n. Chr. nehmen, dann sieht die Situation in Germanien ja etwas anders aus. Zivile Strukturen waren nicht mehr vorhanden, Geld für Ausgaben für römische Lebensart zumindest nicht mehr notwendig.
 
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