Löse dich doch mal von Mommsen & Co.
Und ich halte dies für überzogen. Wesentliche Argumente, welche eine germanische Volksgruppe definieren, sind bis heute nicht widerlegt. Belegt ist jedoch, dass zwischen den Völkern im Westen (keltische Kultur) und im Osten (Steppenvölker) einen dazwischen liegenden einheitlichen Kulturraum gab. Diese gliederten sich in der materiellen Kultur wiederum in Untergruppen (Nordseegermanen, Rhein-Weser-Germanen, Elbgermanen und Weichselgermanen). Die Schwierigkeit ist halt, dass Historiker und Archäologen auf unterschiedlichen Ebenen arbeiten. Es ist nicht möglich, beweiskräftig die Siedlungsgebieten aus den schriftlichen Quellen mit dem archäologischen Befund in Einklang zu bringen. Jedoch ist es für mich auch nicht in Ordnung, deshalb die schriftlichen Quellen als obsolet zu betrachten. Ich wüsste keinen Grund, warum Tacitus sich die Mühe gemacht haben sollte, einfach Namen von Stämmen zu erfinden und diese nach Himmelsrichtungen aufzureihen. Um irgendwelchen Nazis mehr als 1.800 Jahre später und ihren selbsternannten heutigen Erben einen Gefallen zu tun? Die Schriftquellen geben meines Erachtens einfach eine Situation wieder, so wie sie irgendwann zu Zeiten der julisch/claudischen Dynastie und vielleicht auch noch unter den Flaviern bestand.
Ich übernehme von Professor Michael Meyer (Berlin) die Erkenntnisse zur Niederlausitz. Diese wurden von der Bevölkerung spätestens im 4. Jahrhundert vuZ verlassen. Aufgesiedelt wurde dieses Gebiet dann wieder im 2. Jahrhundert uZ mit einem Abstand von 450 Jahren. Dabei kamen Zuwanderer aus zwei anderen materiellen Kulturen zusammen. Sowohl aus dem Weichselgebiet (Wilbarg-Kultur) als auch aus dem heutigen Südpolen (Przeworsk-Kultur) kamen Zuwanderer. Für mich vorstellbar, dass sich dadurch in diesem Gebiet ein neuer Stamm gegründet hat, welcher Tacitus einfach nicht kennen konnte.
Professor Meyer verweist in einem Artikel in der "Archäologie für Deutschland" auch auf eine feinere kulturelle Trennung innerhalb der Rhein-Weser-Gruppe zwischen westlich und östlich der Weser. Und schon darf sich der Anhänger von Tacitus hier zwei unerschiedliche germanische Stämme vorstellen
Das von Mommsen und Co. in Übereinstimmung mit den antiken Schriftstellern als germanisch bezeichnete Gebiet schloss im Westen und Süden an das Römische Reich an. Man hatte mit den römischen Provinzen nachweislich umfangreichen Handelsaustausch. Und trotzdem tauschten die Bewohner Germaniens nur ein eingeschränktes Warenprogramm ein. Obwohl die Möglichkeit bestand, wollte man nicht so leben, wie es die römischen Provinzbewohner taten. Man wollte keine römischen Häuser, man wollte keine römischen Hierarchien, nicht einmal römische Rüstungen waren zum Weitergebrauch gewollt. Hatten die Germanen Zugriff auf römische Metallgegenstände, wurden diese häufig eingeschmolzen und in germanische Waffen und Haushaltswaren umgewandelt.
Die Bewohner der Germania konnten oder wollten für ihre Landwirtschaft keine Überschusswirtschaft wie in Roms Provinzen haben. Dadurch war es auch nicht möglich, spezialisierte Berufe herauszubilden. Wieso sollte es beim Militär anders gewesen sein?
Der germanische Krieger brauchte zwei Gegenstände:
Häufig hatte ein Krieger auch ein Schwert, das war aber keine Notwendigkeit. Deshalb ist auch die Vorstellung von hochgerüsteten Söldnerhorden so nicht von dem archäologischen Befund gedeckt. Dieses Problem wird dann durch eine These aufgelöst, nachdem wegen des Metallmangels man den toten Kriegern keine Rüstungen ins Grab mitgegeben habe. Dann sollte man jedoch an Mooropferplätzen in Nordeuropa solche Schutzrüstungen bezwungener Feinde finden. Aber auch hier Fehlanzeige.
Auch heute - nach gut 170 Jahren archäologische Forschung - gibt es immer noch keine Funde germanischer Herrschersitze. Die germanische Gesellschaft zeichnete sich durch eine flache Hierarchie aus. Tauchen in römische Quellen Rex oder Dux auf, so verschwinden diese schnell wieder. Es gibt keine Dynastien über einen längeren Zeitraum. Diese Erkenntnis konnte einem Hermann Göring sicherlich nicht gefallen. Denn die Germanen waren alles andere als ein Führerstaat mit von oben verordneten Befehlen und straffen Strukturen. Ich will jetzt gar nicht den Begriff Thing bemühen und basisdemokratische Strukturen heraufbeschwören. Aber es ist wohl einfach eine Tatsache, dass die Germanen der Idee von Fürsten und Königen nicht zugänglich waren - ganz im Gegensatz zur keltischen Kultur.