muck
Aktives Mitglied
Ich verstehe nicht ganz – sagte ich das nicht? Was habe ich übersehen?In der Wikingerzeit sind Cross-Dresserinnen sicherlich schneller aufgefallen.
Ich bin hier ganz bei @dekumatland; in diesen, aber auch in vielen anderen Fragen bin ich sehr dagegen, moderne Begriffe und Vorstellungen unreflektiert auf geschichtliche Sachverhalte zu übertragen.Warum ist Gender für euch beide so ein Reizwort?
Mir ist schon öfters aufgefallen, dass das Wort "Gender" viele Diskutanten und manchmal auch die Diskutantinnen zur Weißglut treibt und sie die Scheuklappen aussetzen. Benutze ich die Worte soziale Geschlecht oder Geschlechterroll hören viele Leute, die dieses angebliche "Gender-Gaga" eigentlich ablehnen, sogar mal zu.
Gender, Crossgender, Transgender usw. sind aktuelle soziologische Fachbegriffe. Ein Mittelalterarchäologe der Gegenwart benutzt die Wissenschaftssprache des 21. Jahrhundert.
Wie sollen wir uns sonst drüber unterhalten?
Die Komplexität des Phänomen kann nur mittels der Fachbegiffe erschlossen werden.
Dass ich hier in der Tat manche Reizworte sehe und andere nicht, liegt daran, dass 'Geschlecht' oder 'Geschlechterrolle' neutralere und nützliche Begriffe sind, wohingegen 'Gender', 'Transgender' und Co. eindeutige Konnotationen haben, die von ihren Schöpfern auch durchaus gewollt sind.
Seit Jahrzehnten gibt es immer wieder Strömungen in den Gesellschaftswissenschaften, die Geschichte nach "Hinweisen" zu durchforsten, um das eigene gegenwärtig propagierte Gesellschaftsmodell zu untermauern. Oftmals bleibt die Wissenschaft dabei völlig auf der Strecke.
So behauptete Judith Butler schon mal, die Praxis des antiken Theaters, Frauenrollen von Männern spielen zu lassen, weise auf eine "Transgender"-Subkultur hin, die vom aufkommenden Christentum unterdrückt worden sei. In Wahrheit wurden Frauen aus schnöder Prüderie vom Theater ferngehalten.
Auch die böhmische Legende vom Königreich der Frauen, das von den Männern unterworfen worden sei, findet sich in einschlägigen Kreisen vielfach unkritisch übernommen als "Beleg" dafür wieder, dass das Geschlecht ein Konstrukt der abrahamitischen Religionen sei, während ehedem Gleichberechtigung und Toleranz geherrscht hätten.
Die meisten Gender-Forscher, von denen ich gelesen habe oder die ich kennenlernen durfte, betreiben keine Forschung zum Erkenntnisgewinn, sondern zur Bestätigung ihres Weltbildes. Ihre Veröffentlichungen, von denen auffällig viele nie zitiert werden, strotzen vor Bestätigungsverzerrung.
Das hat System. Vor drei Jahren gelang es James Lindsay, Helen Pluckrose und Peter Boghossian zwanzig hanebüchene und offensichtlich erlogene Papers in wichtigen Journalen für Gender Studies zu platzieren, um den völligen Mangel an kritischem Denken in diesen Kreisen aufzuzeigen.
Was da ablief, ging weit über den gelegentlichen Mangel an Peer Review in anderen Disziplinen hinaus – oder über die unselige Praxis gewisser Blättchen in Indien, bei denen man gegen Bezahlung jeden Mist platzieren kann, damit man ein paar Veröffentlichungen in seiner Vita vorzuweisen hat.
"Gender Studies" verschieben die Grenzen zwischen Wissenschaft und Aktivismus. Was der Sache dient, wird unkritisch aufgegriffen, und darin sehe ich in der Tat ein Problem, zumal wenn daraus Forderungen für die Politik abgeleitet werden und jede Kritik als angebliche Frauen- oder Transfeindlichkeit abgebügelt wird.
Allgemein gesprochen: Ich störe mich nie daran, was jemand sagt; dazu habe ich gar nicht das Recht, dafür haben wir Meinungsfreiheit; ich störe mich aber sehr wohl daran, wie es gesagt wird.
Aber zum Thema…
Wenn auch nur einer von hundert erschlagenen Plünderern sich unter den Händen der Leichenfledderer als Frau in Männerkleidern erwiesen hätte, oder wenn die frisch konvertierten Skandinavier Hinweise auf solche Praktiken gegeben hätten, wäre dies für die christlichen Chronisten doch ein gefundenes Fressen.
Oder was ist mit den frisch konvertierten Fürsten und Häuptlingen des Nordens? Hätten sie nicht mit dem Eifer der Neophyten Gesetze gegen Praktiken erlassen müssen, die der Kirche ein Graus waren? Die, aus Sicht der Zeitgenossen, die ganze Gesellschaftsordnung des Mittelalters bedroht hätten?
Denn die Rolle, die das christliche Mittelalter der Frau zuwies, und aus der, wenn überhaupt, nur mächtige und überaus willensstarke Frauen ausbrechen konnten, lässt sich nicht allein mit der durchaus misogynen Grundannahme des Christentums erklären, die Frau sei das "Gefäß des Teufels".
Es wurde ja nicht nur die Frau bestraft*), die Männerkleider trug, sondern auch der Handwerker, der sich Kleidung in einer dem Adel vorbehaltenen Farbe anmaßte. Jeder Versuch, aus der Gesellschaftsordnung auszubrechen, erregte größtes Misstrauen als Auflehnung gegen die vermeintlich gottgegebene Ordnung.
Deswegen halte ich es für schier unvorstellbar, dass es solche Sitten unter den Wikingern gab, ohne dass die Feinde und späteren Missionare der Wikinger sie propagandistisch rezipiert hätten.
*) Ich weiß, dass es Rechtfertigungsgründe für Frauen gab, Männerkleider zu tragen; bspw. wurde das Verkleiden als Mann, um die eigene "Keuschheit" vor unangenehmen Zeitgenossen zu bewahren, ebenso als Rechtfertigung akzeptiert wie große Kälte oder große Not. Aber es dürfte klar sein, worum es mir geht.
Mir scheint plausibler, dass die Entdecker ihre Frauen und ggf. Familien von Anfang an mitgenommen hätten. Selbst Kolumbus wagte sich auf eine Fahrt ins Ungewisse, obwohl zu seiner Zeit die navigatorischen und schiffbaulichen Möglichkeiten eine Atlantiküberquerung vereinfacht hatten.Vielleicht ist die Sache einfacher als man meint.Man entdeckte Amerika,die Schiffe fuhren zurück und Siedler machten sich auf den Weg.Kurz dann waren auch Frauen an Bord und sogar Kinder.
Geschwommen nach Amerika werden die sicher nicht sein ;-)
Für die Vinland-Fahrer war es gewiss eine Fahrt ins Ungewisse. Um erst einmal neues Land zu erkunden und im Erfolgsfall ihre Familien nachzuholen, hätten sie dreimal den Atlantik überqueren müssen – von Europa nach Amerika, von Amerika nach Europa und wieder zurück. Ist das nicht ziemlich riskant?