Langobarden - Herkunfstlegende, Sprache und Einfluss auf die historische Entwicklung Norditaliens

Meiner Meinung nach sind die Langobarden der augusteischen Ära nicht dieselben wie die der Spätantike, da Ptolemäus bereits mehrere langobardische Gruppen in Germanien belegt und der Mythos des Origo gentis langobardorum Elemente enthält, die erst zwischen dem 4. und 5. Jahrhundert auftauchten, wie die Figur des Godan, der Name Winnili und die typisch langobardische Frisur, die sich stark vom für die germanischen Völker der frühen Kaiserzeit typischen suebischen Knoten unterscheidet.
Dass sich Ursprungsmythen im Laufe der Zeit verändern und weiterentwickeln, ist aber nichts Ungewöhnliches, das können wir etwa auch bei den wesentlich besser belegten Ursprungsmythen Roms beobachten.
Und da wir aus der Antike praktisch keine literarischen Zeugnisse von Germanen selbst haben, wissen wir auch gar nicht, ob bzw. wann etwa "Godan" neu aufgetaucht ist.
Tatsächlich gehört der Name Winnili nicht zu einem Volk, sondern zu einer militärischen Gruppe (er bedeutet die Siegreichen oder diejenigen, die kämpfen, um den Sieg zu erringen) und das Thema des von Godan gewährten Sieges ist genau der zentrale Kern aller verschiedenen Versionen der Ursprünge der Langobarden.
Ein allenfalls sprechender Name bedeutet noch nicht, dass nicht trotzdem ein "Volk" oder "Stamm" dahinterstehen kann. Sonst könnte es z.B. auch nie "Franken" gegeben haben.
Das mit den Winnilern könnte man auch so deuten, dass sie mit den Langobarden verschmolzen. Denn dass Stämme nicht unveränderlich waren, ist klar.
 
Ich denke, es besteht eine Kontinuität zwischen den Langobarden der augusteischen Ära und denen, die später in der Spätantike auftauchten. Gleichzeitig glaube ich aber, dass die Langobarden, genau wie Sie sagen, im 4. oder 5. Jahrhundert möglicherweise einen Teil ihrer Mythologie neu formulierten, möglicherweise als Folge der Vermischung mit den Winneli aus Skandinavien, die zu einer Migration beitrugen, die sie bis an die Donau geführt haben soll. Die typische langobardische Frisur, die, wie Paulus Diaconus sagt, langes Haar aufweist, das über das Gesicht fällt und den Bart berührt, mit Mittelscheitel und rasiertem Nacken, wie man es beispielsweise bei langobardischen Siegelringen sieht, spiegelt sicherlich einen identifizierenden Brauch wider, der nicht spezifisch aus der Hochkaiserzeit stammt, wo der suebische Knoten vielmehr das Vorrecht aller suebischen Völker, einschließlich der Langobarden, war. Diese symbolische Frisur muss daher in der Spätantike entstanden sein und spiegelt sich in der Ethnogenese der Langobarden wider, in der die Täuschung des Haares, das die Frauen um ihr Gesicht flochten, um einen Bart zu bilden, eine zentrale Rolle spielt.
 
auf Elba ansässige langobardische Gruppen in der Zeit vor der Eroberung Norditaliens? Gibt es dazu eine Quelle?
Im Gedicht Widsith erscheint die Figur des Sceaf als König der Langobarden, doch ist diese Figur den Langobarden, die in Italien ankamen, unbekannt. Daher kann man davon ausgehen, dass es Gruppen von Langobarden gab, die an der Elbe blieben, und andere, die stattdessen (vielleicht von den Winnili mitgeschleppt) in den Süden zogen und ihre eigene Königsmythologie schufen, die mit Agilmundus am Ende des 4. Jahrhunderts beginnt.
 
Im Gedicht Widsith erscheint die Figur des Sceaf als König der Langobarden,
Das steht und fällt vermutlich mit der Datierung des Widsirh, denn immerhin enthält er die erste Erwähnung der Wikinger (wicingum) und prägnant tauchten die erst Ende des 8. Jhs. auf. Bei der Erwähnung der Langobarden, auch wenn der Name Scaef bei Paulus Diaconus etc nicht auftaucht, hatte ich immer nur an die Langobarden in Italien gedacht.

Aber unklar ist mir noch immer, wann und warum auf der Insel Elba Langobarden vor der Eroberung Italiens gewesen sein sollen:
Die Langobarden, die nach Italien kamen, stellen möglicherweise eine Gruppe dar, die aus dem Zusammenschluss verschiedener auf Elba ansässiger langobardischer Gruppen und aus Skandinavien eintreffender Krieger (die Winnili der Mythologie) entstand,
Das hat mich sehr gewundert (und das klärt auch Widsirh nicht). Denkbar wären langobardische Truppen, die während der Nachwehen des zweiten Gotenkriegs im Dienst von Narses standen (der hatte laut Prokop ein paar langobardische Truppenteile) - aber auf Elba spielte sich meines Wissens während Iustinians Reconquista nicht viel ab. Deshalb erstaunt mich das.

Langobarden auf Elba nach der Eroberung Norditaliens (ob schon unter Alboin oder seinen Nachfolgern) sind nicht die Frage, Elba gehörte zum Langobarden Reich:
Ende des 6. Jahrhunderts gelangten die Langobarden nach Elba. Von deren Präsenz zeugen Ortsnamen langobardischer Herkunft.
Wikipedia Elba
 
Zuletzt bearbeitet:
Im Gedicht Widsith erscheint die Figur des Sceaf als König der Langobarden, doch ist diese Figur den Langobarden, die in Italien ankamen, unbekannt. Daher kann man davon ausgehen, dass es Gruppen von Langobarden gab, die an der Elbe blieben, und andere, die stattdessen (vielleicht von den Winnili mitgeschleppt) in den Süden zogen und ihre eigene Königsmythologie schufen, die mit Agilmundus am Ende des 4. Jahrhunderts beginnt.
Den „Widsith“ kann man aber nicht als historisch zuverlässiges Dokument lesen – ebensowenig wie die „Origo gentis Langobardorum“ oder Paulus Diaconus‘ Darstellung der langobardischen Frühgeschichte.
 
Den „Widsith“ kann man aber nicht als historisch zuverlässiges Dokument lesen
@Ravenik bzgl Widsith ja und nein, beides.

In diesem Buch https://www.google.com/url?sa=t&sou...EQFnoECCwQAQ&usg=AOvVaw3Iht7aUUD3XIUudEVt44es findet sich ein sehr interessanter Aufsatz zum Widsith auf Seite 175:
Andrew James Johnston: ‚Widsith‘ und die Geburt der altenglischen Lyrik aus dem Geist der Epik
(das umfangreiche Gedicht gliedert sich in Prolog - drei gesteigerte Listen - Epilog, Johnston betrachtet es als sehr bewußt und kunstvoll strukturiert; es bestätigt einiges an historischen Hintergründen, z.B. zum Beowulf)

Für uns hier bzgl. Langobarden ist relevant, dass das Gedicht den Italieneroberer Langobardenkönig Alboin kennt und erwähnt:
Dem Erzähler sind so die verschiedensten Vergangenheiten gleichermaßen gegenwärtig und zugänglich, egal, ob es sich um Alexander den Großen oder Julius Caesar, um Attila oder den Langobardenkönig Alboin (ae. Ælfwine) handelt.
(aus dem verlinkten Buch/Aufsatz)
Die Erwähnung Alboins spricht dafür, dass der im 10./11. Jh. aufgeschriebene/kopierte Text erst nach dem 6.Jh., die Erwähnung von Wikingern (wicingum) spricht dafür, dass der Text erst im 9.Jh. entstanden ist - aber unklar scheint zu sein, ob einzelne Bestandteile nicht zu verschiedenen Zeiten eingefügt/nachbearbeitet wurden. Deshalb meinte ich im Beitrag zuvor, dass einiges davon abhängt, wie man den Text datiert. (Johnston lässt die Datierungsfrage außen vor, er befasst sich mit der Komposition/Struktur des Gedichts)
Wir haben im Widsith einmal Langobarden mit König Scaef (eventuell an der Elbe) und wir haben Langobardenkönig Alboin.
 
Allerdings erwähnt der Dichter nur Sceafa als Herrscher der Langobarden, nicht Aelfwine, der nur mit Italien verbunden wird. Nicht nur das: In Vers 70 erwähnt er, dass er bei Aelfwine in Italien war, in Vers 80 erwähnt er, dass er bei den Langobarden war.
Somit erscheint mir gar nicht sicher, dass der Dichter Alboin überhaupt als Langobarden und Italien als Siedlungsgebiet der Langobarden wahrnahm.

Doch selbst wenn, bedeutet das nicht, dass er davon ausging, dass parallel Langobarden in Italien und anderswo andere Langobarden unter Sceafa siedelten. Schließlich ist das Gedicht voller Anachronismen. König Gunther von den Burgunden, der Gotenkönig Ermanarich und Alboin sind bei ihm Zeitgenossen. Sogar bei den Israeliten und Hebräern will er gewesen sein, die zur Völkerwanderungszeit (im weitesten Sinne) als solche überhaupt nicht mehr existierten, dazu noch den Medern. Es handelt sich also um eine Ansammlung von sagenumwobenen Persönlichkeiten und bekannten Völkerschaften aus verschiedenen Zeiten, die in der historischen Realität mitnichten Zeitgenossen waren.
Sceafa und seine Langobarden könnten also auch lange vor Alboins Ankunft in Italien anzusetzen sein.
 
Schließlich ist das Gedicht voller Anachronismen.
Das würde ich nicht so streng sehen, denn es ist ja kein Erdkundeschulbuch und kein Geschichtswerk - wie diese poetische Gleichzeitigkeit funktioniert, hat Johnston doch schön beschrieben. (Das Nibelungenlied lässt Attila und Theoderich gleichzeitig auftreten)
Spannender finde ich beim Widsith die Frage der Datierung
 
Anderen englischen Überlieferungen, die einen Herrscher Sceafa erwähnen, zufolge lebte er (sofern man von einer Identität der Namensträger ausgehen kann) noch in Skandinavien, also der sagenhaften Urheimat diverser Germanenstämme. Für eine historische Präsenz von Langobarden in Skandinavien gibt es überhaupt keinen Beleg.
 
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