Lebensbedingungen im Bergbau

Dieses Thema im Forum "Wirtschaftsgeschichte" wurde erstellt von dreikopf, 28. November 2010.

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  1. Lili

    Lili Neues Mitglied

    Ah, ok, jetzt komme ich auch mit (und ich wundere mich in Anbetracht des Themas schon die ganze Zeit, was du denn nun mit Berlin willst :D). Ich überfliege den Ritter/Tenfelde gerade und habe bisher nichts weiteres zu der Theorie gefunden, als dass die Autoren die Theorie aufstellen, dass insbesondere Landpflüchtlinge (warum auch immer insbesondere die) zunächst Nahwanderer waren, bevor sie zu Fernwanderern wurden, eben weil die Aussichten am finalen Zielort "lukrativer" gewesen seien. Ansonsten keine Belege, keine Quellen, lediglich der Hinweis in einem Halbsatz, dass die Theorie mangels Aufzeichnungen nicht zu belegen sei. Eine wirkliche Ausarbeitung der Theorie habe ich bisher nicht gefunden. Dafür nennen sie insbesondere den ersten Nahwanderungszielort Berlin (Oberschlesien wäre für mich da naheliegender) explizit als "Sprungbrett" Richtung Ruhrgebiet und das obwohl sie die Köllmansche Wanderungsbilanz in Auszügen ebenfalls zitieren. Naja, vielleicht finde ich noch was.

    Ja so hatte ich das sogar primär verstanden, da die Werber insbesondere Facharbeiter anwarben, die ja nicht unbedingt arbeitslos umherzogen.

    Das ist durchaus naheliegend. Gerade Ostdeutschland war mehr oder weniger durchgängig in der Hand von Großgrundbesitzern, entsprechende Umstellungen auf lukrativere Produkte, hatten für breite Bevölkerungsteile nachhaltige Auswirkungen, wie Winterarbeitslosigkeit bei einer Umstellung auf vorwiegend Feldfrüchte anstelle von Tierhaltung. In Kombination mit entsprechenden technischen Innovationen sind die Folgen umso weitreichender.

    Allerdings gab es hier auch entsprechende Gegenbewegungen von staatlicher Seite 1873 wurde deutsch einzige Unterrichtssprache (nur Religion wurde auf polnisch unterrichtet), ab 1877 war deutsch alleinige Amtssprache in den Ostgebieten, 1886 wurde die deutsche Ansiedlungskommission gegründet. Nichts desto trotz "wehrte" sich die polnische Bevölkerung entsprechend durch eigene Organisationen und hat sich so ein Stück weit eine eigene Identität bewahrt. Dieses Phänomen gab es anfangs auch im Ruhrgebiet, allerdings hat es dort keine 100 Jahre gedauert bis die Ruhrpolen komplett assimiliert waren.

    Und die waren polnischstämmig, oder doch zufällig angesiedelt?
     
  2. silesia

    silesia Moderator Mitarbeiter

    Der "Germanisierungsdruck" ist vielleicht auch eine Folge der Zuwanderung, müßte man näher untersuchen, aber mE nicht nur Gegenbewegung; die "Polonisierung" als Schlagwort - jetzt ohne Literatur zur Hand zu haben - ist aber Folge der Zuwanderung nach Ostpreußen und Posen, eine Angst vor Überfremdung (oben waren rd. 500.000 polnische Zuwanderer angegeben).

    Es muss wohl polnischstämmige Abgeordnete im Reichstag gegeben haben, ich suche noch mal die Literatur zu dieser Aussage.
     
  3. Cephalotus

    Cephalotus Aktives Mitglied

    Ich muss das jetzt nochmal hochholen. "Zufällig" habe ich letzte Woche einen Vortrag über die gesetzliche Unfallversicherung anlässlich ihres 125-jährigen Bestehens gehört.

    Der Vortragende (kein Historiker, sondern Jurist, aber das macht in dem Fall nichts) hat dieses Vorgehen sogar erwähnt. Seinerzeit sei die herrschende juristische Meinung vom Grundsatz der Vertragsfreiheit geprägt gewesen. Man ging also davon aus, dass jeder, der sich aus freiem Willen (wie frei der bei einem Arbeiter um 1900 herum tatsächlich gewesen sein mag, lassen wir mal außen vor) bestimmten vertraglichen Bedingungen unterwirft, obwohl ihm die neagtiven möglichen Folgen bekannt sind, für eben diese Folgen selbst die Verantwortung hat. Quasi: Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um! Basta!

    Insofern war die Entscheidung der BG damals rechtlich korrekt und auch die Begründung entsprach dem damaligen Rechtsverständnis.

    Bei der Gelegenheit: Wer sich für alte Unfallverhütungsplakate etc. interessiert, kann mal in der Bilddatenbank der DGUV stöbern. Es sind auch zwei oder drei Fotos aus dem Bergbau um 1900 herum enthalten.

    DGUV Bilddatenbank

    Viele Grüße

    Bernd

    P. S. Vielleicht mache ich ja wirklich mal einen eigenen Thread zur BG-Geschichte auf. Mal sehen ob ich da was zusammenbekomme...
     
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  4. Lipper Schütze

    Lipper Schütze Mitglied

    Noch eine Quelle

    Als krasser Neuling bin ich vielleicht nicht befugt, Wesentliches zu diesem Thema beizutragen; aber . . .

    Ein wenig habe ich mich doch darüber gewundert, daß eine, meiner Ansicht nach wichtige Quelle zu den sozialen Bedingungen im Bergbau nicht genannt wurde:

    Otto Hue: Die Bergarbeiter
    Historische Darstellung der Bergarbeiter-Verhältnisse von der ältesten bis in die neuere Zeit.
    (2 Bände, 1910)

    Reprint mit einer Einführung zum Nachdruck von Hans Mommsen.
    ISBN 3-8012-2181-4

    Apropo: Mir scheint, Otto Hue war eine interessante Persönlichkeit.
     
  5. udalerich

    udalerich Neues Mitglied

    Ich muss das mal ausgraben, weil ich mich gerade damit befasse.
    Die Behauptung finde ich in dieser Absolutheit ziemlich abenteuerlich.
    Für welche Zeit soll sie denn eigentlich gelten?
     
  6. Shinigami

    Shinigami Aktives Mitglied

    Jetzt hast du schön den zweiten Teil des zitierten Beitrags weggelassen:

    Mindestens für die Nachkriegszeit mag das auch weitgehend zutreffend sein
     
  7. udalerich

    udalerich Neues Mitglied

    Die Frage nach der Zeit, für die diese Behauptung gelten soll, hat ja mit dem Nachsatz nichts zu tun.
    Die ganzen Beiträge handeln hier um die Zeit der zweiten Hälfte des 19. Jh. Ab Mitte des 20. Jh verdienten die bergleute aufgrund ihres Organisationsgrades tatsächlich immer mehr. Allerdings verbesserten sich auch zunehmend die Arbeitsbedingungen unter Tage.
    Gerade nach den liberalen Bergrechtsreformen verschlechterten sich die Lebensbedingung im Bergbau immer mehr und die Bergleute waren 'freiwillig gezwungen', Überschichten zu machen, um ihre Familien ünberhaupt ernähren zu können. Nicht umsonst gab es immer wieder Ausstände, bis hin zum großen Streik 1889.
     
  8. Shinigami

    Shinigami Aktives Mitglied

    Die ursprüngliche Frage, auf die der zitierte Beitrag einging, bezog sich nicht explizit auf das 19. Jahrhundert.
    Wie gesagt, mindestens für die Nachkriegszeit, über den Daumen späte 1940er Jahre bis irgendwann in die 1970er hinein ist es zutreffend.
     
  9. udalerich

    udalerich Neues Mitglied

    Naja, es ging vorher um die Zeit der Industrialisierung - das wurde als zeitliche Grundlage für das Referat vorgeschlagen. Das sind eben nicht die Nachkriegsjahre sondern schlappe 100 Jahre früher. Das wird wahrscheinlich nur Repo wissen, was er da im Sinn hatte.
     
  10. Shinigami

    Shinigami Aktives Mitglied

    Die Fragestellung auf die der Beitrag antwortete, lautete:
    In dem Sinne ist auch ein Rekurs auf die Nachkriegszeit selbstredend erstmal legitim.
     
  11. udalerich

    udalerich Neues Mitglied

    Repo kann im übrigen nicht die Nachkriegszeit gemeint haben. Nur zwei Beiträge später schreibt er: "Die sehr hohen Löhne und übrigen Vergünstigungen haben auf alle Fälle eine gewaltige Binnenwanderung ausgelöst,...
    Diese Binnenwanderung gab es in der zweiten Hälfte des 19. Jh. Da von sehr hohen Löhnen und Vergünstigungen zu reden, ist schlicht falsch. Die Menschen zogen z.B. aus Masuren ins Ruhrgebiet, weil sie in der Heimat noch weniger verdienten und die versprochenen Löhne als hoch erschienen. Dafür war die Lebenshaltung auch sehr viel höher als in Masuren, weil dort nur wenig zugekauft werden musste, sich ansonsten aus dem kleinen oder größeren Garten versorgte. Vielleicht konnten sie noch besser (Über-)leben als Fabrikarbeiter, das war's dann aber auch schon.
     

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