Liegt eine Fehleinschätzung vor oder nicht?

Es freut mich außerordentlich, dass ein von mir aufgebrachtes Thema, so viel Resonanz findet! Nein, ehrlich, ich bin dankbar dafür.

Wie bereits geschrieben, kann ich die zum Teil hysterischen Reaktionen auf Kohls 10-Punkte-Programm nur bedingt nachvollziehen! In diesen 10 Punkten, war nichts, was auch nur im Ansatz hegemoniale Bestrebungen oder irgendeine Form von aggressiven Absichten, beinhaltet hat! Dass Kohl als deutscher Bundeskanzler, die Gunst der Stunde nutzen musste, dürfte jedem logisch denkenden Menschen klar gewesen sein! Auch im Ausland. Man hätte ihn gesteinigt, wenn, er nichts zu den Entwicklungen gesagt hätte.

Außerdem, war sein Verhalten, ganz auf der Linie, zu der sich alle bundesdeutschen Regierungen, seit den Pariser Verträgen bekannt haben! Deutschland wünscht eine Wiedervereinigung. Als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechtes.
Deutschland hat anerkannt und sich verpflichtet, die Wiedervereinigung, nur mit friedlichen Mitteln und in Übereinstimmung mit den Alliierten in Angriff zu nehmen.;) Ebenso stand seit damals fest, dass die endgültige Grenzziehung Deutschlands, im Westen wie Osten, nur im Rahmen eines frei verhandelten Friedensvertrages oder einer vergleichbaren Regelung festgelegt werden kann! Dies haben die westlichen Alliierten in den Verträgen bestätigt.
Wobei noch kein Wort darüber verloren wurde, wann und wie, diese Verhandlungen stattfinden. Ganze einfach deshalb weil, niemand sagen konnte, wann es soweit ist und wie lange das dauern wird. Immerhin, gab es eine Vielzahl komplexer Fragen zu klären.

Und selbst wenn, es bei Herrn Mitterrand, um persönliche Erlebnisse ging! Wie andere hier schon sehr richtig bemerkt haben, hat die BRD 44 Jahre lang, alle ihre Verpflichtungen erfüllt! Und sich nie beklagt. Obwohl es in manchen Bereichen, durchaus Grund zur Klage gegeben hätte. Ich erinnere hier nur an die jahrelange Praxis, unter dem Deckmantel der Rüstungskontrolle und der Spionageabwehr, ungeniert Wirtschaftsspionage zu betreiben. Das alles haben die Bundesregierungen, über sich ergehen lassen bzw. ignoriert, um ihre Partner nicht zu verärgern.

Insbesondere in diesem Punkt herrschte eine klare Doppelmoral. :rolleyes: Auf der einen Seite, wurde die BRD dafür kritisiert, dass sie ihre Verpflichtungen der Nato gegenüber, nur zögerlich erfüllt. Auf der anderen Seite, waren es speziell Frankreich und Großbritannien, die über die Mechanismen der WEU, alles dafür taten, die Bundeswehr bzw. Deutschland, militärisch nicht effizient werden zu lassen! Selbst wenn, dies den anderen Partnern auch genutzt hätte.

Und Frau Thatcher ist sowieso ein Thema für sich! Es zeugt von Herrn Kohls Weitsicht, dass er dieser Dame, ihre Unverschämtheiten gegenüber Deutschland und den anderen Mitgliedern der EWG hat durchgehen lassen. Die Kommentare, dieser Giftspritze, sind umso unverständlicher, wenn man sich mal die Geschichte, des Empires anschaut, dem Mrs. Thatcher hinterhertrauerte!

Das Vereinigte Königreich, hatte de facto 200 Jahre lang, die fast absolute Vorherrschaft über die Welt inne! Und nichts davon ist durch friedliche oder faire Mittel geschehen. Darauf beruhte der Reichtum, dessen sich die Briten, bis zum 2. Weltkrieg erfreuten. Damit, war es danach natürlich vorbei. Auch wenn, man sich das nicht eingestehen wollte.

Natürlich stimmt es bis zu einem gewissen Grad, dass die DDR bzw. ihre Regierung und die damaligen Bürger der DDR, überrollt wurden. Aber mal ehrlich, gab es denn eine Alternative? Die DDR, war bankrott in jeder Beziehung. Vor allem die jungen Menschen, flohen in Scharen aus der DDR, weil sie dort keine Zukunft mehr für sich sahen! Die SED, hatte komplett abgewirtschaftet. Eine sozialistische Diktatur kann man nicht reformieren. In diesem Fall bedeutete Reformieren, die Abschaffung, der Einparteienherrschaft. Und das hätte man nur mit Gewalt verhindern können! Dieser Schritt wiederum hätte fast zwangsläufig zur internationalen Isolation der DDR geführt. Und das konnte sich das Regime nicht leisten. Die meisten Deutschen wollten damals die Einheit. Und das so schnell als möglich. Die von manchen angestrebte Lösung einer Konföderation beider Staaten war weder praktisch noch politisch durchführbar. Es ging also nur noch um das Wie und das Wann.

Selbstverständlich, war die SU eine Siegermacht, das war ein Faktum, an dem damals niemand vorbeikam. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die SU, durch ihren Einmarsch in Afghanistan, das Vertrauen verspielt hatte, welches sie sich mit der Ostpolitik und ihrer Teilnahme am KSZE-Prozess erworben oder erschlichen hatte. Je nachdem, wie man es sehen will. Es gab außerdem, nur einen Kalten Krieg. Und nicht zwei, wie manche heute noch behaupten. Die viel gescholtene Nato-Nachrüstung, war die konsequente Antwort, auf die Stationierung der SS-20. Die UdSSR, war wie die DDR, bereits am Anfang der 80er Jahre am Ende. Der nutzlose Krieg in Afghanistan hat diesen Vorgang nur beschleunigt. Natürlich, konnte niemand ernsthaft erwarten, dass die Sowjets einfach die weiße Fahne hissen. Das hätte zu Chaos geführt. Wie der Putsch gegen Gorbatschow eindeutig zeigt! Und all das ist nach den erfolgreichen Verhandlungen passiert. Und bei denen hat die UdSSR, durchaus nicht den Kürzeren gezogen. Es war einfach so, dass dieses System nicht mehr lebensfähig war.
 
Also ich nehme dies Herrn Kohl nicht übel.
Schlimmer wäre es gewesen er hätte W. Churchill zitiert:

„I have nothing to offer but blood, toil, tears and sweat!“​

Weil, die Anfangsjahre waren für so Menschen nun wirklich kein Zuckerschlecken.

In dem Punkt, bin ich anderer Ansicht. Jedem auch nur halbwegs vernünftigen Deutschen musste nach der Einheits-Begeisterung klar sein, dass die Einheit ihren Preis haben würde. Dass die Wirtschaft der DDR in vielen Bereichen nicht konkurrenzfähig war, dass die Zeit der alten Bonner Republik zuende war, dass Deutschland sich sehr stark verändern würde und verändern musste. Dass sich die Deutschen in Ost und West in 40 Jahren der Teilung in vielem sehr fremd geworden waren und auch, dass der Aufbau Ost nicht aus der Portokasse würde gezahlt werden konnte.

Das alles war der Mehrheit der Deutschen bewusst, und ich würde mal die Prognose wagen, dass die Mehrheit, die überwältigende Mehrheit der Deutschen auch bereit dazu war, für die Einheit einen Preis zu zahlen- es gab ja auch gar keine Alternative.

Natürlich zahlt niemand gerne, natürlich würde man Lust und Laune, Jubel, Trubel Heiterkeit bei weitem Blut, Schweiß und Tränen vorziehen.

Als Churchill seine Rede hielt, so waren die Briten nicht begeistert. Churchills Rede war nicht angenehm zu hören, aber was Churchill sagte, war die offensichtliche Wahrheit. Churchill sprach eine offensichtliche Erkenntnis aus, die jeder Brite so erkennen musste.
Die überwältigende Mehrheit der Briten ist dennoch Churchill gefolgt, der in einer großen Krise und Herausforderung für GB den Mut hatte, eine unbequeme Wahrheit auszusprechen- und das britische Volk hat das intuitiv anerkannt und die Notwendigkeit erkannt, eben Blut, Entbehrungen, Schweiß und Tränen in Kauf zu nehmen, wollte man keinen Nazi-Gauleiter in London oder Edinburgh dulden.

Helmut Schmidt war der Meinung, dass Kohl genau das hätte tun sollen: dem deutschen Volk klipp und klar zu sagen, dass die Einheit ihren Preis haben würde.

Es wäre aufrichtiger und ehrlicher gewesen, und der Mehrheit der Bevölkerung war das ja bewusst, und die Meisten waren ja auch bereit, dafür einen Preis zu zahlen.

Das hätte Kohl tun sollen, statt blühende Landschaften zu versprechen. Das deutsche Volk hätte eine unangenehme Wahrheit schon ertragen können, und es wäre auch bereit gewesen, den nötigen Preis zu zahlen. Vielleicht nicht nach dem Motto "Koste es was es wolle", das Nötige aber hätten die Deutschen schon gestemmt.

Besser eine unangenehme Wahrheit aussprechen, als den Leuten etwas vorzumachen, als Versprechungen zu machen, die nicht einzuhalten waren.
 
Was wir nicht wissen, wie hätte sich ein SPD Kanzler in dieser Situation von 1989/1990 praktisch verhalten.
Ja, das ist wahr - aber wir könnten es vermuten.

Jedem auch nur halbwegs vernünftigen Deutschen musste nach der Einheits-Begeisterung klar sein, dass die Einheit ihren Preis haben würde.
(...)
Das alles war der Mehrheit der Deutschen bewusst, und ich würde mal die Prognose wagen, dass die Mehrheit, die überwältigende Mehrheit der Deutschen auch bereit dazu war, für die Einheit einen Preis zu zahlen- es gab ja auch gar keine Alternative.
Wie bekannt, hat sich die Mehrheit der Deutschen für Kohl entschieden und nicht für Lafontaine, der vor der Wahl 1990 gesagt hat, die Wiederherstellung der Einheit würde Jahrzehnte dauern und teuer sein.

Es ist wohl so: Die Mehrheit will die Wahrheit nicht hören, wenn diese für sie unangenehme Konsequenzen bedeutet. Dieses Verhalten kann man auch in anderen Bereichen des Lebens beobachten, sonst hätten Populisten, die dem Volk nach dem Mund reden, nicht solche Erfolge zu verzeichnen.
 
Wie bekannt, hat sich die Mehrheit der Deutschen für Kohl entschieden und nicht für Lafontaine, der vor der Wahl 1990 gesagt hat, die Wiederherstellung der Einheit würde Jahrzehnte dauern und teuer sein.

Ja, dieser Umstand ist allerdings weder ein Beleg dafür wie ein SPD-Kanzler im vorangegangen Jahr geredet hätte, noch dafür dass die entsprechende Äußerung Lafontaines ausschlaggebend für das Wahlergebnis gewesen wäre.

Es ist wohl so: Die Mehrheit will die Wahrheit nicht hören, wenn diese für sie unangenehme Konsequenzen bedeutet. Dieses Verhalten kann man auch in anderen Bereichen des Lebens beobachten, sonst hätten Populisten, die dem Volk nach dem Mund reden, nicht solche Erfolge zu verzeichnen.

Es ist wohl so, dass es sich manchmal empfielt, die Ereignisse etwas gründlicher zu reflektieren.

Wenn Lafontaine davon sprach, dass die Wiederverinigung teuer sein würde, dann tat er das selbstredend aus der westdeutschen Perspektive.
Die finanziellen Lasten der Wiedervereinigung, waren für Westdeutschland eine unangenehme Konsequennz nicht für den Osten (der hatte unangenehme Konsequenzen anderer Art zu tragen).

Nur war die Wahl von 1990 weder eine Westdeutsche Wahl, noch stand die Wiedervereinigung noch zut Debatte, das war ja bereits entschieden.
 
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Ja, das ist wahr - aber wir könnten es vermuten.

Wie bekannt, hat sich die Mehrheit der Deutschen für Kohl entschieden und nicht für Lafontaine, der vor der Wahl 1990 gesagt hat, die Wiederherstellung der Einheit würde Jahrzehnte dauern und teuer sein.

Es ist wohl so: Die Mehrheit will die Wahrheit nicht hören, wenn diese für sie unangenehme Konsequenzen bedeutet. Dieses Verhalten kann man auch in anderen Bereichen des Lebens beobachten, sonst hätten Populisten, die dem Volk nach dem Mund reden, nicht solche Erfolge zu verzeichnen.

Im Grunde hat doch keiner mehr wirklich mit einer Wiedervereinigung gerechnet. Kohl war amtierender Kanzler, er hatte den Amtsbonus, und mal ganz ehrlich-konnte man es der Mehrheit der Ostdeutschen verdenken, wenn sie beitreten wollten, wenn sie darauf nicht mehr Jahre warten wollten?

In der alten Bonner Republik hatten 1990 viele den "Dicken" über. Aber auch wenn die Mehrheit der Ostdeutschen für Kohl die Wahl entschieden hat, waren die doch keineswegs so blauäugig, anzunehmen, dass die Einheit nicht einen hohen Preis kosten würde.

Gerade im Osten hat man das Kohl sehr übel genommen.
 
Ein wenig ist's ja SmallTalk. Ich habe Kohl nicht ausstehen können, und nach persönlichem Kennenlernen als Teilnehmer einer Diskussionsrunde im Fernsehen noch weniger. Er galt als grober Machtmensch.

Aber er war der einzige dem es zuzutrauen war die Vorbehalte der Verbündeten zu respektieren und Vertrauen bei allen Beteiligten zu erreichen.

Es wussten damals alle Wähler dass die SPD es nicht gebacken bekäme.
Und genau so wussten es alle dass die Wirtschaft der DDR implodieren würde.
 
Ein wenig ist's ja SmallTalk. Ich habe Kohl nicht ausstehen können, und nach persönlichem Kennenlernen als Teilnehmer einer Diskussionsrunde im Fernsehen noch weniger. Er galt als grober Machtmensch.

Aber er war der einzige dem es zuzutrauen war die Vorbehalte der Verbündeten zu respektieren und Vertrauen bei allen Beteiligten zu erreichen.

Es wussten damals alle Wähler dass die SPD es nicht gebacken bekäme.
Und genau so wussten es alle dass die Wirtschaft der DDR implodieren würde.

Genau so sehe ich dies auch.

Ergänzend noch dazu hatte Kohl die Nase, das Gespür, wie man dem angeboren russischen Mistrauen begegnen kann.
Das russische Да hätte sich auch schnell in нет verwandeln können.
Für den Kanzler hieß es -> dawai, dawai!
 
Nur war die Wahl von 1990 weder eine Westdeutsche Wahl, noch stand die Wiedervereinigung noch zut Debatte, das war ja bereits entschieden.
Aber er war der einzige dem es zuzutrauen war die Vorbehalte der Verbündeten zu respektieren und Vertrauen bei allen Beteiligten zu erreichen.

Es wussten damals alle Wähler dass die SPD es nicht gebacken bekäme.
Wenn die Wiedervereinigung 1990 schon beschlossen war, wie @Shinigami sagt, dann gäbe es ja für SPD nichts mehr zu backen. ;)

Nein, die Ostdeutschen glaubten den Versprechungen Kohls über blühende Landschaften etc. Sie wollten und bekamen auch einen Umrechnungskurs Ostmark-DM, der jenseits von Gut und Böse war – und der dazu führte, dass die Ostwaren über Nacht überteuert und damit unverkäuflich wurden. Das war eines der Hauptgründe, warum die ostdeutsche Wirtschaft kollabierte und massiv mit Staatsgeld (u.a. Solidaritätszuschlag ab 1995 allein für die neuen Länder erhoben) unterstützt werden musste.
 
Ich denke, nicht die Umstellung der Löhne mit eins zu eins von Mark zu D-Mark zerstörte die Wettbewerbsfähigkeit der ostdeutschen Betriebe, sondern die anschließende schnelle Annäherung an das westdeutsche Lohnniveau. Das wird überzeugend in Kaltstart von Sinn und Sinn gezeigt (auch wenn da noch viel anderes gezeigt wird, was mich gar nicht überzeugt).
 
Ein Beispiel: Ich war im Juli/August 1990, also kurz nach der Währungsumstellung in Dresden und habe für ein Hotel-Doppelzimmer 260 DM bezahlt, das in einem vergleichbaren Hotel in Stuttgart weniger als 100 DM gekostet hat. (Ich weiß das so genau, weil ich im gleichen Jahr im September auch in Stuttgart und in Karlsruhe war.) Das bedeutet, dass sie die 260 Ostmark eins zu eins in DM umgesetzt haben.

Man darf nicht vergessen: Die DDR-Waren wurden im gesamten Ostblock qualitätsmäßig gleich hinter den (unerschwinglichen) westdeutschen Waren eingestuft. Aber nun wurden sie dort auf einen Schlag teurer als die westdeutschen Waren – warum also sollte man sie kaufen, wenn man für weniger oder gleiches Geld Besseres bekommen konnte.
 
nicht die Umstellung der Löhne mit eins zu eins von Mark zu D-Mark zerstörte die Wettbewerbsfähigkeit der ostdeutschen Betriebe, sondern die anschließende schnelle Annäherung an das westdeutsche Lohnniveau.

Die Industrie der DDR war ein totes Pferd. Mit dem Fall der Mauer waren die Fachkräfte nicht mehr zu halten. Man hätte natürlich die Betriebe mit Blei an den Füßen zum Schwimmen auffordern können. Die SPD hätte zum "Wandel durch Annäherung" zwischen "zwei souveränen deutschen Staaten" geraten, statt des Rettungsrings Treuhand dann allerdings nur noch einen schwarzen Kranz in den Teich geworfen.

Der böse Trick, die Wiedervereinigung aus der Rentenkasse der deutschen Arbeitnehmer zu bezahlen, war letztlich erfolgreich.

Die geballte Arg-, eher Ahnungslosigkeit der SPD, während die DDR japsend unterging, war ein Schauspiel besonderer Art.
 
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Wenn die Wiedervereinigung 1990 schon beschlossen war, wie @Shinigami sagt, dann gäbe es ja für SPD nichts mehr zu backen. ;)

Die de jure Vereinigung fand am 3. Oktober 1990 statt, die Bundestagswahl 1990 erst am 2. Dezember.

Von dem her stand der Umstand, dass es die Widervereinigung und zwar noch in 1990 gäbe, bei der Wahl selbst doch gar nicht mehr zur Debatte, die war bereits vollzogen.

Wenn die Wiedervereinigung aber ohnehin eine Tatsache war, was hätte es dann geändert den Bedenkenträger Lafontaine und die in dieser Frage zaudernde SPD zu wählen?
Lafontaine mag im Hinblick auf auf die Kosten der Wiedervereinigung etwas ehrlicher gewesen sein, als Kohl, aber was sprach nun dafür einen Politiker als Kanzler mit der politischen Koordination eines Schrittes zu betrauen, den dieser Politiker eigentlich selbst ablehnte und von dem er nicht überzeugt war?
Kohl mag ein Unsympath und unehrlich gewesen sein, stand in dieser Frage allerdings wenigstens auf dem Boden der Tatsachen.

Aber selbst wenn die de jure Vereinigung zum Wahltermin noch zur Debatt gestanden hätte:
Eine langsame, sich womöglich über Jahre und Jahrzehnte hinziehende Wiedervereinigung, hätten viele Ostdeutsche wahrscheinlich nicht akzeptiert und wären einfach in die Bundesrepublik abgewandert.
Daran hätte man sie auch nicht hindern können, denn qua bundesdeutschem Recht waren sie ja als Staatsangehörige der Bundesrepublik zu betrachten, womit sie Anspruch auf Freizügigkeit, Niederlassung und letztendlich auch Transferleistungen gehabt hätten.

Die Alternative dazu die Wiedervereinigung sofort durchzuziehen hätte unter diesen Umständen wahrscheinlich darin bestanden es binnen kürzester Zeit mit der Zuwanderung von möglicherweise Millionen Ostdeutschen zu tun zu haben, um die man sich dann hätte kümmern müssen, während die Abwanderung die Probleme in der DDR wahrscheinlich noch verschärft und eine Angleichung noch schwieriger gmacht hätte.

Von dem her was nutzte es da, wenn sich Herr Lafontaine etwas sympathischer verhielt, die Dinge vor denen er warnte aber ohnehin unumgänglich waren?
 
Die Biografie vieler meiner Verwanden und Bekannten ist nach der Vereinigung recht unterschiedlich verlaufen.
Inzwischen bin ich 82 Jahre alt.
Ich habe incl. Lehrzeit und Studienzeit 34 Jahre in der DDR gearbeitet und danach bis zur Rente 14 Jahre am Stück in der neuen BRD. Ich konnte sogar 1 ½ Jahr ohne Abzüge früher in die Rente gehen.
Rückblickend: Meine Berufszeit in der DDR war interessant, aber was ich nach 1990 erleben durfte war, ich sage es mal mit Hans Rosenthal, ganz einfach „Spitze“!
Und das wir uns hier so zwanglos unterhalten können, verdanken wir ja nicht nur den wissenschaftlich-technischen Fortschritt.
 
Die Biografie vieler meiner Verwanden und Bekannten ist nach der Vereinigung recht unterschiedlich verlaufen.
Inzwischen bin ich 82 Jahre alt.
Ich habe incl. Lehrzeit und Studienzeit 34 Jahre in der DDR gearbeitet und danach bis zur Rente 14 Jahre am Stück in der neuen BRD. Ich konnte sogar 1 ½ Jahr ohne Abzüge früher in die Rente gehen.
Rückblickend: Meine Berufszeit in der DDR war interessant, aber was ich nach 1990 erleben durfte war, ich sage es mal mit Hans Rosenthal, ganz einfach „Spitze“!
Da hast du aber auch Glück gehabt. Was wir hier im Westen oft vergessen, ist, dass viele Ostdeutsche nicht nur plötzlich in einem neuen Staat mit neuen Regeln - weniger strikten Regeln, aber strikte Regeln geben manchen Menschen ja auch durchaus Sicherheit - lebten, sondern eben auch in ihrer Arbeitsbiographie schwere Brüche erleben mussten. Da war die Arbeit nicht mehr gut genug und man wurde arbeitslos oder musste seine Ausbildung updaten oder hatte plötzlich einen Chef aus Westdtld., der oft weggelobt worden war. Und mancher Betrieb, der an einen Westbetrieb verkauft worden war, wurde ausgeplündert. Da hat sich mancher Westbetrieb am potentiellen Konkurrenten schadlos gehalten. Und das ist eben das Gefühl, was ich, der ich zur Wendezeit 12/13 war, oft gespiegelt bekomme, wenn ich der Arbeit wegen in Sachsen bin. Allerdings eher von Leuten, die mindestens 15 Jahre älter sind als ich. Leute meines Alters und jünger sind diesbzgl. wesentlich entspannter.
 
An dem Tag als die Mauer fiel war ich bei meinen Eltern weil ich am nächsten Tag ein Vorstellungsgespräch für meine erste Arbeitsstelle hatte.
Ich habe also aus dem Berufsleben heraus die gesamte Zeit der Wiedervereinigung betrachtet.
Alle Leute aus dem Osten die ich vorher und nachher kennenlernte, hatten von der DDR die Nase voll, keiner wollte der letzte sein der dann das Licht ausknipst.

Gebrochene Erwerbsbiographien? Ja, vor allem für die Leute die sich vorher "irgendwie eingerichtet" hatten.
Schwierig war es für kleine Angestellte in ineffizienten Kombinaten, in kleinen Läden, in nicht mehr benötigten Verwaltungen. Sehr schwierig für Leute die in LPGs arbeiteten, die fast sofort zusammenbrachen, da Kapital und Ertragsaussichten fehlten.
Die anderen aber: Das Gefühl von Befreiung.

Wie viele Krankenschwestern und Ärzte habe ich kennengelernt, deren Arbeitsbiographie vor 1989 vorsätzlich beschädigt war, durch Nicht-Zulassung zum Studium, zur EOS oder durch Gängelung und Haft?

Ich habe kein Quäntchen Sympathie für diejenigen die auf der anderen Seite standen und später jammerten.

Da hat sich mancher Westbetrieb am potentiellen Konkurrenten schadlos gehalten.

Ein Mythos, eine Geschichte vom Wolpertinger.

Nach langem Nachdenken komme ich allenfalls auf Kali&Salz, auf die die Legende zutreffen könnte.
 
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Gebrochene Erwerbsbiographien? Ja, vor allem für die Leute die sich vorher "irgendwie eingerichtet" hatten.
Nein, darauf kann man es nicht herunterbrechen Die Jahre zwischen 1990 und 2000 waren von Massenarbeitslosigkeit geprägt, die in besonderem und erheblichem Maße die ostdeutschen Bundesländer betraf.

Die anderen aber: Das Gefühl von Befreiung.
Tja, erst kannste Befreiung und dann die Ernüchterung. Die „Ostalgie“ wird nicht umsonst auch von Menschen gepflegt, welche damals gegen die Diktatur auf die Straße gegangen sind. Ich bin regelmäßig in Sachsen, da hört man viele Ressentiments. Und was man von älteren Ostdeutschen immer wieder hört, ist, dass die bundesrepublikanische Gesellschaft eine Ellbogenmentalitöt habe, die der Osten nicht gekannt habe. Als Historiker sehe ich das skeptisch. Aber: diese Ausaagw gibt natürlich auch ein Gefühl wieder, das man nicht in Abrede stellen kann und man muss sich fragen, warum viele Ostdeutsche dieses Gefühl teilen. Es lässt sich sicher auch - aber eben nicht nur - dadurch erklären, dass die DDR-Propaganda den Westen als Ellbogengesellschaft unattraktiv zu präsentieren versuchte.

Wie viele Krankenschwestern und Ärzte habe ich kennengelernt, deren Arbeitsbiographie vor 1989 vorsätzlich beschädigt war, durch Nicht-Zulassung zum Studium, zur EOS oder durch Gängelung und Haft?
Ganze ohne Frage, aber es gibt doch keine Konkurrenz darum, wer die gebrochenere Erwerbsbiographie hatte. In der DDR wurde den Menschen oft vorgegeben, was sie durften, studieren durfte eben nur, wer sich dem Staat andiente. Aber nach der Wende müssten viele - und ich rede hier nicht von Funktionären und Stasi-Leuten, sondern von Bürgern - eben sehen, dass ihr sicher geglaubter Lebensweg plötzlich abbrach.

Ein Mythos, eine Geschichte vom Wolpertinger.

Nach langem Nachdenken komme ich allenfalls auf Kali&Salz, auf die die Legende zutreffen könnte.
Ich war vor einigen Jahren in der Lausitz. Als ich zu erkennen gab, dass ich aus NRW kam, wurde ich von einem Gewerkschafter angesprochen, der um den Erhalt seines Betriebs gekämpft hatte (Textilindustrie). Der erzählte mir wie sein Betrieb von der Konkurrenz aus Ahaus aufgekauft wurde und nach kurzer Zeit die Maschinen abgebaut und nach Ahaus verbracht wurden.
Ich höre von Ostdeutschen sehr oft Geschichten von Verletzung und Zurückweisung, da ich beruflich relativ regelmäßig nach Sachsen komme. Bei einigen hört man noch jetzt, 30 Jahre später, wie sehr die Erlebnisse in Folge der Wiedervereinigung verletzt haben. Letzthin unterhielt ich mich mit einer Mutter und ihrer Tochter, die Tochter gewerkschaftlich aktiv (Zufall, dass ich hier mit zwei Gewerkschaftlern zusammengekommen bin), ein paar Jahre jünger als ich, die Mutter +/- 20 Jahre jünger als ich, beide in Thüringen wohnhaft. Die jeweiligen Perspektiven waren von gänzlich anderen Erfahrungen geprägt.
 
Und was man von älteren Ostdeutschen immer wieder hört, ist, dass die bundesrepublikanische Gesellschaft eine Ellbogenmentalitöt habe, die der Osten nicht gekannt habe. Als Historiker sehe ich das skeptisch. Aber: diese Ausaagw gibt natürlich auch ein Gefühl wieder, das man nicht in Abrede stellen kann und man muss sich fragen, warum viele Ostdeutsche dieses Gefühl teilen. Es lässt sich sicher auch - aber eben nicht nur - dadurch erklären, dass die DDR-Propaganda den Westen als Ellbogengesellschaft unattraktiv zu präsentieren versuchte.

Meine Interpretation (sicher auch nur ein Aspekt des Ganzen): Ellenbogenmentalität im westlichen Sinne hatte in der DDR tatsächlich wenig(er) Raum. Natürlich gab es auch in der DDR Karrieristen, Leute, die Erfolg (auch) auf anderer Leute kosten haben wollten. Aber die gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation zwang solche Leute, im Sinne des Systems zu handeln, und sich diesem (zumindest oberflächlich) anzupassen. Daher wurden sie nicht als "Ellenbogentypen" wahrgenommen, sondern als Systemlinge. Und die konnte, genau so wie das SED-Regime insgesamt, zunehmend niemand leiden; was sich ja auch nach der Wende fortsetzte ("rote Socken").
 
Meine Interpretation (sicher auch nur ein Aspekt des Ganzen): Ellenbogenmentalität im westlichen Sinne hatte in der DDR tatsächlich wenig(er) Raum. Natürlich gab es auch in der DDR Karrieristen, Leute, die Erfolg (auch) auf anderer Leute kosten haben wollten. Aber die gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation zwang solche Leute, im Sinne des Systems zu handeln, und sich diesem (zumindest oberflächlich) anzupassen. Daher wurden sie nicht als "Ellenbogentypen" wahrgenommen, sondern als Systemlinge. Und die konnte, genau so wie das SED-Regime insgesamt, zunehmend niemand leiden; was sich ja auch nach der Wende fortsetzte ("rote Socken").
Gerade heute lie% im WDR ein Radio Feature über das DDR-Radio, da kam auch ein ehem. DDR-Radiojournalist zu Wort, der sagte, den Schleimern nehme er nichts übel, er nehme den Leuten etwas übel, die Fähigkeiten hatten und sich versteckten, die Flurgeflüster schon als widerständiges Verhalten apostrophierten.
 
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