Dass sich das offizielle China von ihm [Mao] nicht so richtig trennen kann, verstehe ich absolut nicht.
Das ist für uns schon deshalb nicht leicht verstehbar, weil wir so wenig über China und seine Geschichte wissen. Und auch weil wir diese, sonderbarerweise, kaum betrachten.
Ich hab jetzt mittlerweile ein paar Bücher zur neueren Geschichte Chinas gelesen.*
Ich versuche mal einen kurzen Abriss der Ereignisse aus denen letztlich Mao als Integrationsfigur heutiger Prägung hervorging.
Nur ein Versuch. Für Berichtigung und Ergänzung bin ich dankbar.
Mitte des 19. Jahrhunderts sieht sich die Qing-Dynastie (seit 1644 an der Macht) einer gewaltsamen Öffnung ihres Reiches gegenüber den überlegenen europäischen Mächten ausgesetzt. Allen voran steht zunächst Großbritannien, aber auch Frankreich, und in geringerem Maße die USA.
Die Hilflosigkeit dieser Dynastie ihren absoluten Herrschaftsanspruch gegen gänzlich fremde Mächte, buchstäblich vom anderen Ende der Welt, zu verteidigen, wird verschlimmert durch den Umstand, dass die Qing nur etwa 1% der Einwohner dieses riesigen Reiches darstellen.
Nach der Katastrophe des Opiumkriegs entsteht der Taiping-Bürgerkrieg.
Eine christlich protestantische Sekte (man glaubt es kaum, doch war es so) erobert weite Teile des Gebiets um den Jangtsekiang und damit die wirtschaftlich stärkste Region Chinas. Der damit einhergehende Bürgerkrieg wird 20-30 Mio. Todesopfer fordern. Dies bei ca. 400 Mio. Einwohnern.
Das Qing-Kaiserreich taumelt. Auch deshalb, weil britische und französische Truppen 1860 den Sitz des Kaiserreichs plündern und anschließen niederbrennen.
Später, Ende des 19. Jahrhunderts, werden das Deutsche Kaiserreich, Russland und Japan die Leiche weiter fleddern, während marodierende Banden im Inneren schon längst den Weg in eine Warlord-Ordnung weisen.
Der letzte handlungsfähige Kaiser Xiangfeng stirbt bereits 1861, im zarten Alter von 31.
Danach herrscht de facto Cixi, die Mutter des erst fünfjährigen Thronfolgers. Sie wird diese Rolle bis zu ihrem Tod 1907 innehaben, als zweitmächtigste Frau der Welt, nach Königin Victoria.
1912, am ersten Jan., endet die Herrschaft der Qing.
Sun Yatsen ruft die Republik aus. Das bereits bröckelnde Reich zerfällt nun noch weiter und Warlords regieren willkürlich und mächtiger denn je.
Parallel zu den Nationalisten um Sun Yatsen, die versuchen das große Reich mit ihrer Vision zu einen, entsteht alsbald ein kommunistischer Gegenentwurf (1921) der einem anderen und neueren Zeitgeist entspricht.
Bis 1949 wird zwischen diesen beiden ein grausamer Bürgerkrieg ausgetragen, überlagert von den Warlords und dem japanischen Griff nach China (1931-1945)
An mörderischer Grausamkeit und Gesetzlosigkeit wird es im bisher betrachteten Zeitraum von rund hundert Jahren nie fehlen.
Und auch danach werden sie nicht enden.
Mao weiß auf dieser Klaviatur zu spielen (während er wirtschaftliche Zusammenhänge wohl weniger durchschaut) und er wird zeitlebens die Mobilisierung der Massen durch Hasspropaganda für seine Ziele praktizieren und dabei kein Alleinstellungsmerkmal haben.
Als er endlich 1976 stirbt, wird sein Kurs korrigiert werden. Doch bietet sich da keine andere Ikone an, wie etwa Lenin in Russland, um die Vorstellung einer gemeinsamen geschichtlichen Kontinuität der bestehenden Herrschaft zu erhalten.
Und so bleibt Mao bestehen, den man nicht „entstalinisieren“ kann, wie es Chruschtschow ab 1956 in der SU durchführte.
.. wie gesagt; nur ein Versuch...
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Barbara Tuchman – Sand im Wind
Jung Chang – Mao
Sabine Dabringhaus – Mao
Daniel Leese – Maos Langer Schatten
Stephen R. Platt – Autumn in the Heavenly Kingdom