Marxistische Lehre

Ich frage mich, ob man die Verarmung großer Teile der Bevölkerung als nicht einfach als "Ungleichgewicht" sehen sollte, das sich durch die große Veränderungen ergab und das vorübergehend zu extremen Situationen führte. Die Verelendung wäre dann nicht eine Folge des Kapitalismus, sondern eine Folge der raschen Einführung des Kapitalismus.

Wahrscheinlich ist sie einfach die Folge der Durchsetung des Kapitalismus. Man sehe sich einmal China an: dort herrschten zumindest bis vorkurzem (oder herrschen immer noch) aus unserer Sicht unhaltbare Zustände, die wie um 1850 anmuten. Doch trotzdem ist auch dort ein Aufschwung zu vermerken, verändert sich die Gesellschaft zu dem, was sie in den Industrienationen schon ist.

Eine Gesellschaft braucht wohl immer eine gewisse "Anpasungszeit", um eine neue Idee an ihre Umstände anzupasen. Genauso wie die Sklaverei in der Antike sich auch gewandelt hat ist unsere Gesellschaft auch weitergegangen; sie ist nicht mehr da, wo sie vor 200 Jahren war.

Trotzdem treffen breite Teile der marxistischen Theorie immer noch zu, wie bspw. die Krisetheorie, die sich auch nach 1900 immer wieder als recht wahr erwiesen hat. Nur in den Schlussfolgerungen war Marx vielleicht einfach zu radikal.
 
Die Verelendung wäre dann nicht eine Folge des Kapitalismus, sondern eine Folge der raschen Einführung des Kapitalismus.

Die Verelendung großer Teile der Bevölkerung war eine Folge der Industriellen Revolution, besonders in ihrer Anfangsphase. Die tieferen Gründe hat Karl Marx seinerzeit klar erkannt: Der Manchester-Kapitalismus, wie er ihn in England erlebte, war ein extremes System profitorientierten Eigentums, das die Lohnarbeiter ausbeutete und ihre Verelendung bewirkte.

Zentrale Bedeutung hatte daher für ihn das Produktivkapital, das alle Produktionsmittel wie Maschinen, Fabriken und sonstige Produktionsstätten umfasste. Sie gehörten Privatpersonen - Unternehmern bzw. "Kapitalisten" -, denen die Lohnarbeiter, das Proletariat, gegenüberstanden. Daher konnte nach Marx nur der Klassenkampf ihre Ausbeutung beenden.

Allerdings hat sich die Geschichte anders entwickelt als von Marx vorhergesagt und unsere soziale Marktwirtschaft hat mit mit seinem Bild des "Kapitalismus", des "Arbeiters" und der "lohnabhängigen Klasse" nur noch wenig zu tun. Die "Arbeiterklasse" ist in weiten Teilen Europas verschwunden und ein entsprechendes "Klassenbewusstsein" hat sich nach 1945 verflüchtigt.

In anderen Teilen der Welt sieht das allerdings anders aus und dort trifft das alte von Karl Marx entworfene Bild durchaus zu.
 
Der Manchester-Kapitalismus, wie er ihn in England erlebte, war ein extremes System profitorientierten Eigentums, das die Lohnarbeiter ausbeutete und ihre Verelendung bewirkte.
Nur, warum haben sie sich ausbeuten lassen ? Schließlich stellt die Arbeitskraft doch auch einen Wert dar, ohne den man keine Fabrik betreiben kann. Also muss der Fabrikbesitzer doch auch ordentlich dafür bezahlen, sonst kriegt er es nicht. Aber das musste sich erst einspielen, vielleicht suchten plötzlich alle zweitgeborenen Bauernsöhne auf einmal Arbeit (das ist wie 150 Jahre später mit den Webdesignern).
 
Nur, warum haben sie sich ausbeuten lassen ? .

Weil sie zu Beginn der Industrialisierung den Unternehmern hilflos ausgeliefert waren. Die Arbeiter hatten keine Rechte, und wo es sie vereinzelt gab, wagten sie es nicht, sie durchzusetzen. Die Unternehmer fühlten sich als "Herren im Haus", diktierten Löhne und Arbeitszeiten. Wer aufbegehrte, flog.

Erst später machten die Arbeiter den entscheidenden Sprung zur Verbesserung ihrer Lage. Sie schlossen sich zusammen, um gemeinsam ihre Forderunen durchzusetzen, gründeten Gewerkschaften und Arbeiterparteien. Seit etwa 1860 wurde die Arbeiterbewegung zu einer Massenbewegung: Arbeiter schlossen sich zusammen, um wirtschaftliche und soziale Ziele durchzusetzen. 1863 wurde der "Allgemeine Deutsche Arbeiterverein" gegründet dessen Programm Ferdinand Lassalle entwarf. 1869 gründeten August Bebel und Wilhelm Liebknecht in Eisenach die "Sozialdemokratische Deutsche Arbeiterpartei", aus der 1891 die SPD hervorging.

In dieser Phase kam es auch erstmals zu Arbeitsniederlegungen von Industriearbeitern und der Streik wurde zum wichtigsten Mittel, gewerkschaftlichen Forderungen nach höheren Löhnen oder besseren Arbeitsbedingungen Nachdruck zu verleihen.
 
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Weil sie zu Beginn der Industrialisierung den Unternehmern hilflos ausgeliefert waren. Die Arbeiter hatten keine Rechte, und wo es sie vereinzelt gab, wagten sie es nicht, sie durchzusetzen.
Wieso schreiben tausende von Menschen unentgeltlich hochwertige Artikel für Wikipedia und machen unbezahlt die Arbeit, mit denen früher die Brockhaus-Redakteure ihren Lebensunterhalt verdienten ? Haben die Wikipedia-Redakteure denn keine Rechte ?

Wenn Arbeiter (oder Redakteure) aus Idealismus oder Dummheit ihre Arbeitskraft unter Wert verkaufen, dann hätte auch niemand anders eine Chance, für dieselbe Arbeit Geld zu bekommen, denn es gibt dann immer genug andere, die es für umsonst machen würden. Das ist keine Frage von Rechten.

Die Arbeitskraft hatte einen Wert, aber der konnte von den Arbeitern nicht in Lohn umgesetzt werden, weil kein gemeinsame Idee darüber bestand, wieviel sie wert war, und sie daher unter Wert verkauft wurde, bzw. die Arbeiter gegeneinander ausgespielt werden konnten.

Ich sehe die Funktion der Gewerkschaften eher darin, den Arbeitern ein koordiniertes Handeln zu ermöglichen und so den Wert ihrer Arbeitskraft auch in die Realität umzusetzen.
 
Marx und Engels würden auf deine Frage hin auf das Heer der Arbeitslosen verweisen, die in der Hand des Unternehmers zur Erpressung der eigenen Arbeiterschaft dienten. Und Brecht würde hinzufügen, dass das Fressen vor der Moral kommt.
 
Das Phänomen einer tief in die Mitte der Gesellschaft reichende Massenarbeit existierte bereits vor der Industriellen Revolution. Man denke dabei nur an die letzte große alteuropäische Hungerkatastrophe von 1770/71. Sie spitzte sich im Pauperismus der 1820er Jahre zu. Die Ursachen waren vielschichtig. Trotz großer Armut wuchs die Bevölkerung von 1750 bis 1800 wuchs die Bevölkerung der deutschen territorien von 16-18 Millionen auf 22-24 Millionen im Jahre 1820.

Es vermehrte sich vor allem die ländliche Unterschicht. Verbesserungen der Landwirtschaft, die Erschließung neuer Anbauflächen und nicht zuletzt die Verbreitung der Kartoffel trugen dazu bei. Durch die Bauernbefreiung fielen grundherschaftliche Heiratsbeschränkungen weg. Dennoch führte die Bauiernbefreiung nicht zur Verbesserung der sozialen Lage auf dem Land. Die Aufhebung der Leibeigenschaft bedeutete nicht die Aufhebung von Lasten.

In vielen deutschen Territorien gab es keine Erbteilung, sondern Realteilung, was zwar mehr Bauernsöhnen Grundbesitz garantierte, die Parzellen aber immer kleiner werden ließ, so dass die Lebensgrundlage sehr schmal war. Es sank die Sterblichkeitsrate, was in den ersten Jahrzehnten des 19. Jhds geradezu zu einer Bevölkerungsexplosion führte. Die Produktivität der Wirtschaft wuchs allerdings nicht im gleichen Maße, und großer Teile der Bevölkerung hatte verschiedene Ursachen, die Verelendung weiter Teile der gesell sie bestand in Deutschland bereits vor der Industriellen Revolution, und sie spitzt im Pauperismus der 1820er Jahre.
 
Das Phänomen einer tief in die Mitte der Gesellschaft reichende Massenarbeit existierte bereits vor der Industriellen Revolution. Man denke dabei nur an die letzte große alteuropäische Hungerkatastrophe von 1770/71. Sie spitzte sich im Pauperismus der 1820er Jahre zu. Die Ursachen waren vielschichtig. Trotz großer Armut wuchs die Bevölkerung von 1750 bis 1800 wuchs die Bevölkerung der deutschen territorien von 16-18 Millionen auf 22-24 Millionen im Jahre 1820.

Es vermehrte sich vor allem die ländliche Unterschicht. Verbesserungen der Landwirtschaft, die Erschließung neuer Anbauflächen und nicht zuletzt die Verbreitung der Kartoffel trugen dazu bei. Durch die Bauernbefreiung fielen grundherschaftliche Heiratsbeschränkungen weg. Dennoch führte die Bauiernbefreiung nicht zur Verbesserung der sozialen Lage auf dem Land. Die Aufhebung der Leibeigenschaft bedeutete nicht die Aufhebung von Lasten.

In vielen deutschen Territorien gab es keine Erbteilung, sondern Realteilung, was zwar mehr Bauernsöhnen Grundbesitz garantierte, die Parzellen aber immer kleiner werden ließ, so dass die Lebensgrundlage sehr schmal war. Es sank die Sterblichkeitsrate, was in den ersten Jahrzehnten des 19. Jhds geradezu zu einer Bevölkerungsexplosion führte. Die Produktivität der Wirtschaft wuchs allerdings nicht im gleichen Maße, und großer Teile der Bevölkerung hatte verschiedene Ursachen, die Verelendung weiter Teile der gesell sie bestand in Deutschland bereits vor der Industriellen Revolution, und sie spitzt im Pauperismus der 1820er Jahre.

Schade, die 60 min, den Beitrag zu überarbeiten waren schon verstrichen.

Die beginnende Industrialisierung war nicht die Ursache der Massenarmut, mancherorts fingen Fabriken das schlimmste Elend auf, da höhere Löhne gezahlt wurden, als pauperisierte Tagelöhner und bauern erwirtschaften konnten. Wie Irland Ende der 1840er wurde Deutschland 1820-22 von einer Kartoffelfäule heimgesucht, und es setzte eine Landflucht ein. Die Lebensbedingungen der sächsischen und schlesischen Weber waren katastrophal.

Im düsteren Auge keine Träne,
sie sitzen am webstuhl und fletschen die Zähne.
Deutschland wir weben dein Leichentuch,
wir weben hinein den dreifachen Fluch.
Wir weben...

Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten,
in Winterskälte und Hungersnöten.
Wir haben vergebens gehofft und geharrt.
Er hat uns geäfft, gefoppt und genarrt.
Wir weben...

Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,
den unser Elend nicht konnte erweichen.
Der den letzten Groschen von uns erpresst
und uns wie Hunde erschießen lässt.

Ein Fluch dem falschen Vaterlande,
wo nur gedeihen Schmach und Schande.
Wo jede Blume früh geknickt,
wo Fäulnis und Moder den Wurm erquickt.

dichtete Heinrich Heine 1846.

im sächsisch-böhmischen Grenzgebiet schmuggelten Frauen und Kinder Kaffee, und mancher Zeitgenosse regte sich darüber auf, dass die armen Weber das Luxusprodukt Kaffe tranken, oder besser gesagt mit eingebrocktem Brot aßen. Viele Weber lebten nur von Brot, Kartoffeln, Schnaps und Kaffee. Die Textilien wurden von manchen Verlegern mit Kaffeebohnen bezahlt. Bei den Webern schloss sich der Kreislauf eines globalisierten Wirtschaftssystems, denn die Textilien, die sächsische Weber produzierten, wurde zum Großteil als grobe Arbeitskleidung für Sklaven in Brasilien exportiert, die die Kaffeebohnen pflücken mussten, die von sächsischen Webern verzehrt wurden.
 
Die beginnende Industrialisierung war nicht die Ursache der Massenarmut,

Armut war in früheren Zeiten eine bekannte Erscheinung. Die bedrückende Armut der Arbeiterschaft trat mit der Industrialisierung jedoch massenhaft auf. Der Grund dafür war, dass in der ersten Hälfte des 19. Jh. Arbeitsplätze der Landwirtschaft und im Handwerk wegfielen, aber in den wenigen Fabriken noch nicht genügend neue entstanden. Hinzu kam ein rasanter Bevölkerungsanstieg, der die Situation noch verschärfte. Aber auch als die Industrialisierung fortschritt und eine große Zahl von Fabriken entstanden war, blieb die Lage der Arbeiter noch lange Zeit außerordentlich schlecht.

Da viele Menschen Arbeit suchten, gab es ein Überangebot von Arbeitskräften und eine hohe Arbeitslosigkeit. Das nutzten die Frabrikbesitzer aus. Sie zahlten niedrige Löhne und ließen die Arbeiter extrem lange arbeiten, wobei Arbeitszeiten von bis zu 16 Stunden keine Seltenheit waren. Die Fabrikordnungen waren sehr streng: Wer dagegen verstieß, musste mit Lohnkürzungen oder Entlassung rechnen.

Ferner hatten die meisten Fabriken unzumutbare Arbeitsbedingungen, denn nur wenige Arbeitsplätze verfügten über Schutzvorrichtungen und waren somit sehr gefährlich. Arbeitsunfälle waren an der Tagesordnung. Ein verletzter oder kranker Arbeiter blieb jedoch ohne finanzielle Unterstützung, denn es gab weder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall noch eine Kranken- oder Unfallversicherung. Da der niedrige Lohn gerade zum Nötigsten reichte, konnte die Familie fast nichts sparen und keine Vorsorge für Notfälle treffen. Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit oder Unfall waren für Arbeiterfamilien daher existenzbedrohend und konnten schnell zu Obdachlosigkeit und völliger Verarmung führen.

Die Unternehmer waren "Herren im Haus", denn über einen langen Zeitraum beschränkte keine staatliche Regulierung ihr Schalten und Walten in den Fabriken. Der Großindustrielle Emil Kirdorf (1847 - 1938) fasste den Standpunkt der Unternehmer so zusammen: "Weder Kaiser noch Könige haben in den Betrieben etwas zu sagen. Da bestimmen wir allein."

Aus all diesen Gründen ist die Massenarmut und die Entstehung eines Proletariats eng mit der Industrialisierung verknüpft - besonders in ihrer frühen Phase. Die Lösung der Sozialen Frage wurde daher immer drängender und es kam zu Initiativen vom Staat, von der Kirche sowie von einzelnen sozial eingestellten Unternehmern. Entscheidend für die vom Staat eingeleitete Sozialgesetzgebung war die Erkenntnis, dass Armut und Elend ein unverschuldetes Massenschicksal sei.
 
Es sank die Sterblichkeitsrate, was in den ersten Jahrzehnten des 19. Jhds geradezu zu einer Bevölkerungsexplosion führte. Die Produktivität der Wirtschaft wuchs allerdings nicht im gleichen Maße, und großer Teile der Bevölkerung hatte verschiedene Ursachen, die Verelendung weiter Teile der Gesellschaft bestand in Deutschland bereits vor der Industriellen Revolution, und sie spitzt im Pauperismus der 1820er Jahre.

Die beginnende Industrialisierung war nicht die Ursache der Massenarmut, mancherorts fingen Fabriken das schlimmste Elend auf, da höhere Löhne gezahlt wurden, als pauperisierte Tagelöhner und bauern erwirtschaften konnten.

Ein paar zusätzlich Aspekte zum von Scorpio beschriebenen sozialen Wandel. Das neunzehnte Jahrhundert war eine Periode dramatischer Veränderungen, die den sozialen Wandel massiv beeinflußt haben und den Agrarkapitalismus im 19. Jahrhundert durch den Handelskapitalismus ersetzte [3, S. 78ff]

Die verbesserten Transportmöglichkeiten ermöglichten eine dramatisch ansteigende Migration und so wurden neue Nachfragemärkte und Arbeitsmärkte geschaffen. Aspekte, die dann auch im Rahmen des später einsetztenden Imperialismus eine zentrale Rolle spielen sollten. In diesem Zusammenhang schätzt Osterhammel, dass zwischen 1814 und 1914 bereits 82 Mio grenzüberschreitend "migriert sind" [1, S. 235ff]. Dabei verlief der größte Teil dieser Migrationen von Europa in die USA [2, S. 435].

Allerdings waren bereits transnationale Warenströme vorhanden, wie von Scorpio mit der Kaffebohne beschrieben, die eine massive Rolle spielten. So kam es bereits im späten 19. Jahrhundert zu massiven Konflikten in GB aufgrund der Einfuhr billiger Baumwollbekleidung, die in GB Arbeitskräfte gefährdete.

Die internationalen Migrationsströme waren zusammen und neben der Landflucht in die Städte sicherlich ein Merkmal, das Potential für die "industrielle Reservearmee" zu erweitern. Verschärft wurde diese Situation dadurch, dass durch die Landflucht / Migration innerhalb der Länder das System der Subsistenzwirtschaft und / oder der familiären Selbstversorgung teilweise nicht mehr funktionierte und es zu den Versorgungskrisen - Hungerkatastrophen -kam, die Scorpio beschrieben hatte.

Die zunehmende Verstädterung, die dem Trend folgte, Arbeitskräfte an bestimmten Standorten zu konzentrieren, ermöglichte zum einen die Nachfrage nach Arbeitskräften zu decken, aber schuf auf der anderen Seite das Reservoir, aus dem sich das „Proletariat“ rekrutieren sollte. Und es waren die "Brennpunkte" des sozialen Elends und von Krankheiten, die primär durch die Enge der Unterbringung und schlechter hygienischer Verhältnisse entstanden sind, wie im "steinernen Berlin" geschildert [9].

Die kapitalistische Produktionsweise schuf dabei eher langsame positive Veränderungen der sozialen Verhältnisse der zunehmend größer werdenden Arbeiterschaft. So schreibt Thomson beispielsweise, dass in 1840 sich die Lebensverhältnisse im Vergleich zu vor 50 Jahren leicht verbessert hätten, aber insgesamt waren die Lebensverhältnisse insgesamt katastrophal [4, S. 212]. Ähnlich beschreibt Rübberdt die Situation in den englischen Baumwollspinnereien um 1830.

Die Situation der Arbeiterschaft, und dazu gehörten Frauen und Kinder, war zwar beispielsweise in GB formal im wirtschaftlichen Liberalismus „frei“ geregelt, aber die Arbeiter mußten sich weitgehend den heftigen Schwankungen von überhitzter Konjunktur und Rezession anpassen. Zumal die Leistungsfähigkeit der Industrien deutlich im 19 Jahrhundert anstieg, wie Milward beispielsweise für die Produktionsindices für die Baumwollverarbeitende Industrie zeigt [6, S. 401]

Und an diesem Punkt der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft durch geringe Löhne und der problemlosen Entlassung aus den Unternehmen speisten sich die Verarmungsprozesse in der Arbeiterschaft, auch wie Engels sie beschreibt [5]. Und aus dieser Entwicklung resultierte die "soziale Frage".

Die Lösung der Sozialen Frage wurde daher immer drängender und es kam zu Initiativen vom Staat, von der Kirche sowie von einzelnen sozial eingestellten Unternehmern. Entscheidend für die vom Staat eingeleitete Sozialgesetzgebung war die Erkenntnis, dass Armut und Elend ein unverschuldetes Massenschicksal sei.

Nein, so einfach war es nicht und es war nicht der "verständnisvolle" Staat, der sich huldvoll seinen Untertanen zuwendete. Es wurde hart gekämpft und die sozialen Errungenschaften mußten hart erkämpft werden.

Vor diesem Hintergrund ergaben sich zunächst vor allem Konflikte zwischen den zunehmend in Gewerkschaften organisierten Arbeitern und den Arbeitgebern. Die jedoch aus einer Reihe von Gründen den Arbeitern in GB um 1840 deutlich machten, so Abendroth, dass ohne eine Veränderung der politischen Rahmenbedingungen, ihre wirtschaftliche Situation sich nicht ändern würde [8, S. 11ff].

Und in der Folge ging es auch um die Frage der politischen Teilhabe, die dann unterschiedlich radikal gestellt wurde. Und in Marx und Engels wohl die damals kritischten Beobachter und die radikalsten Kritiker gefunden haben.

Eine Form war die reformistische Strategie in GB, die die Arbeitschaft früh eingebunden hatte und so revolutionäre Verwerfungen vermieden hatte. Das Gegenbeispiel ist die Entwicklung 1917 in Russland, bei der diese Widersprüche nicht kontinuierlich reduziert wurden, sondern im Rahmen einer heftigen Reaktion, der Oktober-Revolution.

[1] J. Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. 2010
[2] D. Hoerder: Migration und Zugehörigkeit. in: A.Iriye & J.Osterhammel (Hrsg.) Geschichte der Welt. 1870 - 1945. 2012, S. 433 ff
[3] J. Kocka: Geschichte des Kapitalismus. 2013
[4] E.P. Thompson: The making oft he Englisch working class. 1966,
[5] F. Engels: Die Lage der arbeitenden Klasse in England. 1845
[6] A. Milward & S.B. Saul: The economic Development of continental Europe. 1780 – 1870, 1973
[7] R. Rübberdt: Geschichte der Industrialisierung. 1972
[8] W. Abendroth: Sozialgeschichte der europäischen Arbeiterbewegung. 1965
[9] W. Hagemann, Das steinerne Berlin, Berlin/Frankfurt 1963
 
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Nein, so einfach war es nicht und es war nicht der "verständnisvolle" Staat, der sich huldvoll seinen Untertanen zuwendete. Es wurde hart gekämpft und die sozialen Errungenschaften mußten hart erkämpft werden.

Dass die Einführung der Sozialgesetzgebung ein Gnadenerweis war, habe ich nicht behauptet. Immerhin kamen zwei Elemente zusammen: Zum einen wollte Bismarck mit der Sozialgesetzgebung die Arbeiter von der Sozialdemikratie entfremden - was ihm nicht gelang. Zum anderen erkannte er den sozialen Sprengstoff, der mit einer Verelendung und Massenarmut verbunden war.

Obwohl die Leistungen dieser Versicherungen noch gering blieben, war eine derartige Absicherung der Arbeiter durch den Staat neu und beispielhaft.
 
Zum einen wollte Bismarck mit der Sozialgesetzgebung die Arbeiter von der Sozialdemokratie entfremden - was ihm nicht gelang.

An diesem Punkt erkennt man den Macht-Politiker Bismarck, der die Sozialdemokratie als eine zentrale Gefahr für die Monarchie ansah, die er radikal bekämpfen wollte. Interessanterweise stand sie in dieser negativen Einschätzung durch Bismarck teilweise auf einer - negativen - Stufe mit dem politischen Katholizismus (Zentrum).

Und zur Erreichung seiner Ziele war Bismarck Machiavellist und benutzte so ein Instrument, die Sozialgesetzgebung, die die Arbeiter an den preußischen Staat heranführen sollten.

Zum anderen erkannte er den sozialen Sprengstoff, der mit einer Verelendung und Massenarmut verbunden war.

Und an diesem zweiten Punkt kommt die traditionelle "paternalistische" Sichtweise zum Ausdruck, die in der Fürsorge für Arme, Schwache und Bedürftige durchaus ein "edles" und "königliches" Anliegen erkannte. Insofern war die Idee für die Entwicklung der Sozialgesetzgebung einerseits "revolutionär", aber andererseits zutiefst "konservativ".

Wie auch hier ausführlich dargestellt.

http://www.geschichtsforum.de/699816-post3.html
 
Armut war in früheren Zeiten eine bekannte Erscheinung. Die bedrückende Armut der Arbeiterschaft trat mit der Industrialisierung jedoch massenhaft auf. Der Grund dafür war, dass in der ersten Hälfte des 19. Jh. Arbeitsplätze der Landwirtschaft und im Handwerk wegfielen, aber in den wenigen Fabriken noch nicht genügend neue entstanden. Hinzu kam ein rasanter Bevölkerungsanstieg, der die Situation noch verschärfte. Aber auch als die Industrialisierung fortschritt und eine große Zahl von Fabriken entstanden war, blieb die Lage der Arbeiter noch lange Zeit außerordentlich schlecht.

Da viele Menschen Arbeit suchten, gab es ein Überangebot von Arbeitskräften und eine hohe Arbeitslosigkeit. Das nutzten die Frabrikbesitzer aus. Sie zahlten niedrige Löhne und ließen die Arbeiter extrem lange arbeiten, wobei Arbeitszeiten von bis zu 16 Stunden keine Seltenheit waren. Die Fabrikordnungen waren sehr streng: Wer dagegen verstieß, musste mit Lohnkürzungen oder Entlassung rechnen.

Ferner hatten die meisten Fabriken unzumutbare Arbeitsbedingungen, denn nur wenige Arbeitsplätze verfügten über Schutzvorrichtungen und waren somit sehr gefährlich. Arbeitsunfälle waren an der Tagesordnung. Ein verletzter oder kranker Arbeiter blieb jedoch ohne finanzielle Unterstützung, denn es gab weder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall noch eine Kranken- oder Unfallversicherung. Da der niedrige Lohn gerade zum Nötigsten reichte, konnte die Familie fast nichts sparen und keine Vorsorge für Notfälle treffen. Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit oder Unfall waren für Arbeiterfamilien daher existenzbedrohend und konnten schnell zu Obdachlosigkeit und völliger Verarmung führen.

Die Unternehmer waren "Herren im Haus", denn über einen langen Zeitraum beschränkte keine staatliche Regulierung ihr Schalten und Walten in den Fabriken. Der Großindustrielle Emil Kirdorf (1847 - 1938) fasste den Standpunkt der Unternehmer so zusammen: "Weder Kaiser noch Könige haben in den Betrieben etwas zu sagen. Da bestimmen wir allein."

Aus all diesen Gründen ist die Massenarmut und die Entstehung eines Proletariats eng mit der Industrialisierung verknüpft - besonders in ihrer frühen Phase. Die Lösung der Sozialen Frage wurde daher immer drängender und es kam zu Initiativen vom Staat, von der Kirche sowie von einzelnen sozial eingestellten Unternehmern. Entscheidend für die vom Staat eingeleitete Sozialgesetzgebung war die Erkenntnis, dass Armut und Elend ein unverschuldetes Massenschicksal sei.

Das ist sicher richtig was du schreibst, dass die Ausbildung eines Proletariats abhängiger Lohnarbeiter eng mit der Industrialisierung verbunden ist und auch die daraus enstehende "soziale Frage", die sich immer drängender stellte, ein Resultat der Industriellen Revolution war. Waren der Pauperismus der 1820er im Vormärz und die Great Famine in Irland noch Phänomene des "flachen Landes", so war das anwachsen des Proletariats vor allem ein urbanes Problem, Paris, London, Marseille und Berlin wuchsen zu Metropolen mit mehr als einer Millionen Einwohnern und es bildeten sich Slums, die auch für das Bürgertum unübersehbar geworden waren.

Massenelend und Armut gab es natürlich bereits in vorindustrieller Zeit, man denke nur an die Verhältnisse nach dem Dreißigjährigen Krieg, doch stellte sich damals kaum jemand die Frage nach den Ursachen dieser Massenarmut, und es mehrten sich die Stimmen, die Armut nicht länger als gottgegeben hinnehmen wollten. Das enorme Eigentumsgefälle ließ sich auch kaum noch mit der These vom "Müßiggang" der unteren Schichten erklären, wie es viele Zeitgenossen Ende des 18. Jahrhunderts taten.

Die soziale Frage und die Millionenmetropolen wurden Thema der Literatur und Trivialliteratur. Nicht mehr die heimischen Wälder oder die Südsee, sondern die Großstadt wurde zum Schauplatz von Dickens "Oliver Twist" oder des gruseligen Kolportageromans "Die Geheimnisse von Paris" von Eugen Sue.
 
Ich übernehme mal ein paar Passagen aus einem anderen Faden, weil es mir sinnvoller erscheint die hier abzuhandeln:

Viel der Kritik basiert ganz einfach darauf, dass man Marx unangemessen in die Gegenwart projiziert. Wenn man im Jahr 1848 oder in den 1860ern als Diener gelebt hat und die Möglichkeit und Fähigkeit hatte zu verstehen, dass man ebenso wie die eigenen Kinder mit Marx Worten "human rubbish", also Gesinde, Gesocks, "menschlicher Abfall" in den Kellern und Baracken irgendwelcher Fürsten, Herrn, Lord master bleiben wird, dann war der Marxismus ganz sicher die beste Wahl. Dass wir uns heute zumindest dem Gesetz nach in einer klassenlosen Gesellschaft befinden in der jeder arbeitet ist auf jeden Fall dem Sozialismus zu verdanken. Ein weiteres Novum des Marxismus war außerdem die Konzeption eines Wirtschaftssystems für eine Gesellschaft, die sich vollständig selbst versorgen kann, nicht bloß ohne die eigene Bevölkerung bzw. Teile/Klassen davon auszubeuten, sondern auch ohne andere auszubeuten: ohne Krieg.

Das halte ich meinerseits für eine unangemessene Projektion und auch für eine Verdrehung von Begrifflichkeiten bei Marx.

Zunächst mal, in den marx'schen Kategorien ist die Gesellschaft in der wir leben, keine Klassenlose, auch den Gesetzen nach nicht. Marx hat in seinen Schriften die Zuordnung zu gesellschaftlichen Klassen sehr stark am Besitz von Produktionsmitteln aufgehangen. Demnach war "Bourgeois" in den Augen von Marx jemand, der Produktionsmittel (Fabriken, Großgrundbesitz, whatever) besaß und davon lebte die Arbeitskraft von Personen aufzukaufen, die keine basaßen um Waren zu produzieren und gewinnbringend zu verkaufen, ein "Proletarier" hingegen eine Person, die über keine eigenen Produktionsmittel verfügte (oder jedenfalls nicht über genug um davon leben zu können) und daher ihre Arbeitskraft in Form als Lohnarbeit an irgendeinen Grundbesitzer oder Fabrikherren verkaufen musste.

Wenn man diese Marx'sche Vorstellung von Gesellschaftsklassen in die Gegenwart projiziert, haben wir gesetze, die die Klassengesellschaft nicht etwa abgeschafft haben, sondern die sie durch den Schutz des Privateigentums verteidigen.
Auch was das Postulat angeht, dass heute jeder arbeitet, dass stimmt so nun ja auch nicht. Wir haben zum einen strukturelle Arbeitslosigkeit und nach wie vor natürlich auch Leute, die nicht arbeiten, weil sie reich genug sind sich das leisten zu können.

Marxens Vorstellungen waren da, zummindest in seinem Frühwerk andere. Im "Manifest der Kommunistischen Partei" hat er z.B. Explizit einen allgemeinen Arbeitszwang gefordert.

Ein Novum war auch die Konzeption eines Wirtschaftssystems zur Selbstversorgung einer Gesellschaft ohne Ausbeutung durchaus nicht. Marx baute vielf auf den Ideen der französischen Frühsozialisten auf und auch anarchistische Bewegungen, die bereits vor Marx aktiv waren, hatten solche Ideen.
Was bei Marx relativ neu ist, ist dass er nicht in Kategorien von gerechten Arbeitslöhnen, als Endziel aufbaut, wie das frühere soziale (übrigens durchaus auch konservative ) Theoretiker schon getan hatten, und auch nicht in Kategorien von Auflösung der Gesellschaft überhaupt dachte, wie es anarchistische Theoretiker zum teil taten, sondern dass er seine Arbeitswertlehre entwickelt hat, die zu belegen versucht, dass im Kapitalismus Lohnarbeit grundsätzlich gleichbedeutend mit Ausbeutung sei (wegen Vorenthaltung eines Teils des Arbeitslohns, der durch den Bourgeois in Marxens Theorie als "Mehrwert" abgeschöpft wird) und dementsprechend die Produktionsmittel in eine Form gesellschaftlichen Eigentums überführt werden müssten.


Dass das ursprüngliche Endziel der Transformation der Klassengesellschaft über eine Zwischenzeit der staatlichen Diktatur des Proletariats hin zu einem staatenlosen kommunistischen Selbstverwaltung nicht realisiert wurde und stattdessen in einer Art orwellschen Diktatur ausartete, sollte einen nicht vergessen lassen, dass dabei sehr wohl ein bedeutender Teil der Ideen realisiert und die Welt verändert wurde. Und wenn der Kommunismus das utopische Ideal darstellt ist er genau als das immer noch eine bedeutende Leistung ggü. Vorstellungen die es bis dahin gab; und wohin soll die Welt heute gehen? Irgendwelche Vorstellungen und Ziele zu haben ist wichtig.
Woran der sozialistische Osten gescheitert ist sollte man auch nicht vergessen, es lag nicht bloß an sich selbst, zu einer Auseinandersetzung gehören immer zumindest zwei. Die Welt ist ein geschlossenes Ökosystem und wenn "der Westen" oder sonst jemand so enorm selbstzerstörerisch und verschwenderisch agiert hat das eine direkte Auswirkung auf das gesamte System.
Einen Stalin hätte es außerdem in jedem Fall gegeben, aber was das für Ausmaße und Rückschritte hätte annehmen können wäre es nicht unter dem Sozialismus gewesen ist leicht übersehen weil es nur Spekulation sein kann.

Auch hier ist Vorsicht angezeigt. Marx nahm den Begriff "Diktatur des Proletariats" zwar in den Mund/in die Feder, aber es ist nicht so unbedingt ganz eindeutig, was er darunter verstand.

Die Vorstellung, eine Diktatur des Staates oder einer kommunistischen Partei als Übergangszustand, die stammt nicht aus dem Marxismus, sondern aus dem Marxismus-Leninismus, also den Ideen, die die Bolschewiki später hatten.
 
Teil 2

Die hatten allerdings den Marxismus insofern auf den Kopf gestellt, als dass sie sich von Marxens materialistischer Geschichtsauffassung verabschiedet hatten.
Marx hatte postuliert, dass durch die Veränderungen die der Kapitalismus auslöst, die Gesellschaftsordnung selbst erodieren und das revolutionäre Veränderungen nach sich ziehen würde. Für Marx war die politische Revolution nichts weiter als die nachgeordnete Konsequenz der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen.
Marx nahm an, dass die immer rasantere Industrialisierung ein immer größeres Proletariat produzieren würde und das dieses Proletariat irgendwann die Mehrheit der Gesellschaft stellen würde.
Wenn er das aber annahm, konnte er davon ausgehen, dass bereits die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts die politische Revolution bedeuten würde, weil die Proletarier, als die Mehrheit der Gesellschaft, dann die Mehrheit in den Parlamenten erringen und quasi diktatorisch (dank entsprechender MehrheitenI) die überkommenen Besitzverhältnisse durch Abschaffung des Privateigentums würden umbrechen können.
Insofern wäre die Diktatur des Proletariats, im Marxschen Sinne möglicherweise eher als Diktatur von Klasseninteressen innerhalb der Politik zu verstehen, nicht als Diktatur einer Partei oder eines Staates über die Politk.
In diesem Sinne, muss der Begriff "Diktatur" in diesem Zusammenhang bei Marx nicht unbedingt auf politische Entrechtung der Bevölkerung hinauslaufen, sondern kann auch als "Diktatur der Mehrheit" ausgedeutet werden.

Bei den Bolschewiki, war das notwendigerweise anders.
Darin begründet, dass sie die Vorstellungen der materialistischen Geschichtsauffassung verwarfen und anfingen zu propagieren, dass nicht die die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen die Revolution herbei führen würden, sondern dass umgekehrt die Revolution herbei geführt werden müsste um im Nachgang die Gesellschaft zu verändern.
In dem Moment in dem sie das annahmen, mussten sie sich von der Vorstellung, dass ein entwickeltes, großes Proletariat im eigenen Interesse die Revolution machen würde verabschieden, weil es ohne massive Industrialisierung kein solches Proleatriat geben konnte.
Das heißt, sie mussten davon ausgehen, dass eine Revolution von einer straff organisierten Minderheit gemacht werden müsste.
Und die konnte, weil sie nicht mehrheitsfähig sein würde, eine "Diktatur des Proletariats" oder nennen wir es besser "Diktatur im Namen des Proletariats" nur über das Zwingmittel des Staates oder einer Partei machen und dass lief zwingend auf Entrechtung der Bevölkerung hinaus.

Das ist aber so evt. gar nicht die Intention von Marx gewesen.

Was Stalin angeht. Der Mann war durchaus nicht unvermeidbar, selbst auf dem Weg, den die Bolschewiki gingen.
Stalin konnte vor allem deswegen an die Macht kommen, weil Lenin unerwartet früh verstarb, was wahrscheinlich gesundheitlich mit den Folgen eines Attentats zusammenhing, ohne seine Nachfolge eindeutig geregelt zu haben.
Es war nach der "Oktoberrevolution" zu einem zunehmendem Zerwürfnis zwischen Lenin und Stalin gekommen und es ist durchaus denkbar, dass wenn Lenin länger gelebt und bei Gesundheit geblieben wäre, er Stalin aus dem inneren Kreis der Macht herausgeworfen hätte.

Wie andere an Stelle Stalins gehandelt hätten, muss Spekulation bleiben, weder war Stalin selbst unvermeidbar, noch seine Politik.
Lenin und Trotzki z.B. hatten vor Stalin, schon in den 1920er Jahren nach dem Bürgerkrieg, den Umbau der Wirtschaschaft nach sozialistischen Grundsätzen versucht, diesen Versuch aber abgebrochen, als sich abzeichnete, dass das in die Katastrophe führte und sich in eine wirtschaftliche Mischform die sogenannte "NEP" eingelassen.
Mit der Zwangskollektivierung und der forcierten Industrialisierung hat Stalin im Endeffekt Postionen aufgegriffen, die vor ihm Trotzki und Sinowjew vertreten hatten, nachdem er beide losgeworden war.
Es gab also andere Anführer unter den Bolschwiki, die in diesen Dingen ähnlich dachten, wie Stalin, die Frage ist, wären sie auch bereit gewesen im gleichen Maße dafür über Leichen zu gehen.
Ein Trotzki, hatte in den 1920er Jahren eingelenkt und die NEP mitgetragen, war in dieser Frage also jedenfalls weniger rücksichtslos. Andere Personen unter den führenden Bolschewiki, allen vorran Bucharin dachten in völlig andere Richtungen und wären eventuell eine alternative für einen deutlich gewaltärmeren Weg gewesen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Auch was das Postulat angeht, dass heute jeder arbeitet, dass stimmt so nun ja auch nicht. Wir haben zum einen strukturelle Arbeitslosigkeit und nach wie vor natürlich auch Leute, die nicht arbeiten, weil sie reich genug sind sich das leisten zu können.
Vor dem ersten Weltkrieg, das hab ich vor kurzem glaub ich schon mal irgendwo geschrieben, nannten sich viele (wenn auch natürlich eine Minderheit) Rentiers, wenn sie nach ihrem Beruf gefragt wurden. So was gibt es heute nicht mehr. Mir ist nicht klar, ob das daran liegt, dass es vor dem Ersten Weltkrieg wirklich mehr Leute gab, die von ihren Kapitaleinkünften gut leben konnten, oder ob es heute nicht schicklich ist, offen zu zeigen, dass man nicht arbeiten muss und mag.
 
Vor dem ersten Weltkrieg, das hab ich vor kurzem glaub ich schon mal irgendwo geschrieben, nannten sich viele (wenn auch natürlich eine Minderheit) Rentiers, wenn sie nach ihrem Beruf gefragt wurden. So was gibt es heute nicht mehr. Mir ist nicht klar, ob das daran liegt, dass es vor dem Ersten Weltkrieg wirklich mehr Leute gab, die von ihren Kapitaleinkünften gut leben konnten, oder ob es heute nicht schicklich ist, offen zu zeigen, dass man nicht arbeiten muss und mag.
Weiß ich nicht, ob es vor dem 1. Weltkrieg mehr Leute gab, die davon leben konnten, ich kann mir allerdings vorstellen, dass das in Europa durchaus der Fall war, weil es ja die Kolonialreiche noch gab, wo die Art von Ausbeutungspraktien, die in Europa längst verboten waren weitergeführt werden konnten.
Das dürfte dann den Betreibern und Investoren von Unternehmen in den Kolonien auch ganz gute Profitraten gebracht haben, selbst wenn die Kolonien aus Sicht des jeweiligen Staatshaushalts betrachtet ein Verlustgeschäft waren.

Hinzu kommt, dass vor dem 1. Weltkrieg ja auch der Sozialstaat nur rudimentär vorhanden war und auch die Steuersysteme noch ganz anders aussahen, mit Einkommenssteuern und Erbschaftssteuern im teilweise einstelligen Prozentbereich, sofern sie überhaupt schon vorhanden waren.

Wenn man natürlich kaum auf das eigene Einkommen kaum direkte Steuern bezahlt und gleichzeitig über Kolonialfirmen de facto in Sklavenarbeit investieren kann, kann ich mir durchaus vorstellen, dass man da relativ schnell dahin kommen konnte von Kapitaleinkünften zu leben.
 
Einkommen aus den Kolonien hat in Deutschland sicher keine Rolle gespielt, in Großbritannien mag das anders gewesen sein.
 
Einkommen aus den Kolonien hat in Deutschland sicher keine Rolle gespielt, in Großbritannien mag das anders gewesen sein.
Weiß ich nicht, müsste man sich angucken. Deutschland hatte selbst keine rentablen Kolonien, aber das war ja prinzipiell kein Hindernis dafür möglicherweise in britische oder niederländische Kolonialfirmen zu Investieren und von dort Dividenden zu beziehen oder mit Anteilsscheinen zu spekulieren.
 
Mit 'Rentiers' waren wohl vor allem Leute vor dem I. Weltkrieg gemeint, die teils oder ganz von den Einkünften ihrer Kapitalanlagen (Aktien, Geldeinlagen usw.) lebten, dies auch als Altersabsicherung verwendeten. Einkünfte aus Immobilienbesitz gehörte vermutlich auch dazu, Firmenanteile. Siehe typisch die Masse der französischen Kleinanleger ab dem Zweiten Kaiserreich.
 
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