Marxistische Lehre

Aber zurück zu Marx:
(1) dieser beschrieb/analysierte die Wirtschaft und Gesellschaft jener Zeit, der wir einerseits einen Oliver Twist, andererseits opulente Bäderarchitektur-Villen verdanken, also verkürzt gesagt den Frühkapitalismus 19.Jh. - er beschrieb/analysierte NICHT unsere heutige Zeit.
-- ist das in seiner Zeit Unsinn gewesen?

.. weshalb ein "ätschi Karl, die UDSSR ist gescheitert" argumentativ unergiebig bleiben muss (der Karl hat weder die UDSSR gegründet noch den Lenin oder gar Stalin großgezogen).
Wieso gab es in der Bundesrepublik dann eine 5 DM Gedenkmünze wenn K.M. doch solch ein "schlimmer Finger" gewesen sein soll, bzw. seine Theorien allesamt für den "Müllhaufen der Geschichte"?
Wer in diesem Faden mal etwas Kritisches zu Marx angemerkt hat, hat es wenn ich es recht sehe, immer sachlich getan, jedenfalls nicht von Unsinn, ätschi oder Müllhaufen der Geschichte gesprochen.
 
@Clemens64 ich hatte drei Fragen gestellt (die erste zitierst du auch) und mir eigentlich drei Antworten erwartet - vielleicht kommen die noch.
Offenbar stört dich, dass ich auf das wiederholte und ermüdend unsachliche Vermengen von Marx' Schriften aus dem 19.Jh. mit Ereignissen des 20.Jhs. mit etwas sprachlicher Würze reagiert habe - das kann ich nicht ändern. Aber ich kann auch andere Worte wählen: weder an der Etablierung einer z.B. DDR noch an deren Scheitern war Marx ursächlich beteiligt.
 
Wer in diesem Faden mal etwas Kritisches zu Marx angemerkt hat, hat es wenn ich es recht sehe, immer sachlich getan, jedenfalls nicht von Unsinn, ätschi oder Müllhaufen der Geschichte gesprochen.
Sorry, aber das solltest Du nicht zu ernst nehmen:)
Es ging mir keinesfalls darum, negative Äußerungen abzutun, sondern hier eher eine vehemente Negierung der Marxschen Theorien witzig darzustellen. Aber ich bin da wwohl mißverstanden worden.
Also nochmal, K.M. muß in seiner Zeit betrachtet werden und es ist ja nicht alles in seinen "Theorien"/"Bewertungen" unrichtig.
 
Gerade bei Marx lässt sich m.M. nach das Dilemma schön beobachten, dass er immer mehr aus seiner ideologischen Sicht heraus pragmatische Ideen & Projekte der kleinen Schritte, die eben konkrete Verbesserungen bewirken sollten, aber womöglich den vermeintlich endgültigen, notwendigen eschatologischen 'Kampf' zwischen Bourgeoise/Kapitalismus und den Besitzlosen aller Couleur hinausschoben oder gar verhinderten, diskreditierte. Ein journalistischer Scharfmacher, der unbeschadet im erzkapitalistischen UK in ziemlicher Freiheit leben konnte, gut bürgerlich.....
Wikipedia dazu:
Marx ging daraufhin mit seiner Familie ins Exil nach London, wo er vor allem anfangs in der Dean Street von Soho in dürftigen Verhältnissen von journalistischer Tätigkeit lebte; er erhielt finanzielle Unterstützung vor allem von Engels, der Marx nach England folgte.
Engels war wohlhabend (Fabrikantensohn, später selber Unternehmer)
Von 1852 an war Marx Londoner Korrespondent der New York Daily Tribune und über ein Jahrzehnt deren Korrespondent für Europa. Das damit verbundene regelmäßige Einkommen verbesserte nach dem Zeugnis von Jenny Marx die materielle Lage der Familie erheblich.[36]
gönnen wir Marx im Exil doch diese Stelle als Journalist/Korrespondent:
Als die neue Republikanische Partei 1854 gegründet wurde, machte Greeley das Blatt zu deren inoffiziellem nationalen Organ und kämpfte gegen die Sklaverei. Am Vorabend des Bürgerkrieges wurden von der Tribune landesweit 300.000 Exemplare verbreitet.

Aufgrund der Zunahme der ehemals europäischen Leserschaft auf dem „neuen Kontinent“ nach dem Revolutionsjahr 1848 wurde journalistischer Kontakt dorthin gesucht. Dazu wurde unter anderen auch Karl Marx als Londoner Korrespondent für die New-York Daily Tribuneverpflichtet. Von 1852/53 bis 1857 und von 1859 bis 1862 arbeitete Marx für die Tribune. Wenn es um militärische Themen ging, wie zum Beispiel den Krimkrieg, schrieb sein enger Freund und Arbeitspartner Friedrich Engels die Artikel für ihn.
die New York Daily Tribune scheint mir nun nicht gerade die Manege für journalistische Scharfmacherei gewesen zu sein.
Die Mitarbeit an der Tribune endete, als Charles Dana die Mitarbeit von Marx und aller Auslandskorrespondenten wegen inneramerikanischer Angelegenheiten im März 1862 kündigte. Der Ausfall der Tribune-Honorare versetzte die Familie in eine verzweifelte Notlage, die über mehrere Monate anhielt.[42]
Nachdem die Familie Marx im Frühjahr 1856 finanzielle Mittel aus der Erbschaft von Caroline von Westphalen erhalten hatte, bezog sie zunächst ein kleines Haus in der Maitland Park Road.[40] Weiter verbessert hatte sich die Lage der Familie, nachdem Marx’ Freund Wilhelm Wolff ihn in seinem Testament großzügig bedacht hatte und das mütterliche Resterbe ausgezahlt war. Daraufhin erfolgte auch der Umzug in das große Haus „Modena Villas“ in Maitland Park.[41]
Ich sehe nichts ehrenrühriges an Marx´ Lebenslauf und kann darum die polemische Spitze im eingangs zitierten Beitrag nicht nachvollziehen.
 
die New York Daily Tribune scheint mir nun nicht gerade die Manege für journalistische Scharfmacherei gewesen zu sein.
Die New York Tribune vielleicht nicht unbedingt, aber die "Neue Rheinische Zeitung", die Marx maßgeblich verantwortete, hatte seinerzeit schon einiges von Scharfmacherei:

"Die NRhZ von 1848/49 setzte sich für die Errichtung einer vereinten, unteilbaren, demokratischen deutschen Republik ein, sowie für einen Krieg gegen Russland zur Wiederherstellung von Polens Einheit und Unabhängigkeit."

Ich denke offenes Lobbyieren für einen Krieg gegen das russische Zarenreich (wenn die Zielrichtung auch nicht ganz unsympathisch erscheinen mag), kann man wohl schon als journalistische Scharfmacherei bezeichnen.
Die andere Scharfmacherei die dann anderswo noch folgte, war weniger journalistischer, als mehr eigenständig schriftstellerischer Natur.

An dem Teil der Bemerkung würde ich mich nicht stoßen.
Eher schon an dem Vorwurf des unbeschadeten Lebens im erzkapitalistischen England. Denn dahin war er ja erst ausgewichen, als er aus Preußen, Frankreich und Belgien wegen seiner Aktivitäten rausgeflogen war.
 
aber die "Neue Rheinische Zeitung", die Marx maßgeblich verantwortete, hatte seinerzeit schon einiges von Scharfmacherei:
...einerseits ist 1848/49 eine recht spezielle Zeit ;) andererseits müssten wir wegen Mitarbeit an der Neuen Rheinischen Zeitung konsequenterweise auch Herwegh und Freiligrath als Scharfmacher geißeln...
 
Die VR China ("realsozialistische Republik" mit Einparteiendiktatur) floriert mehr denn je und jener einstmals reiche Inselstaat, bei dessen Revolution die beliebte Ikone Che beteiligt war, leidet seit Beginn des 20. Jhs. und dann verstärkt seit der Revolution unter einem Embargo, an welchem demokratische freiheitliche markwirtschaftlich-kapitalistische Vorzeigestaaten unnachgiebig festhalten (das bissel Erleichterung unter Obama hat Trump wieder aufgehoben usw.).
In China ist vom Sozialismus oder Kommunismus außer der Diktatur und dem Namen der herrschenden Partei nicht viel übrig geblieben.

Die Ungleichheit der Einkommensverhältnisse ist jeweils nach dem Gini-Index deutlich größer als z. B. in Deutschland oder Großbritannien.

Die Ungleichheit der Vermögen ist geringer als in Deutschland, aber fast identisch mit der in Frankreich, Großbritannien und Spanien.




Nebenbei: kapitalistisches wirtschaften kann sich in allerlei Gesellschaften, also durchaus in Demokratien, Monarchien, Diktaturen, sogar in "Einparteiendiktaturen", prosperierend entfalten.
Natürlich. Der Kapitalismus ist das effizienteste Wirtschaftssystem und daher mit unterschiedlichen Regierungsformen kompatibel.

In einer Demokratie wählen die Wähler dagegen früher oder später Regierungen ab, die zu viel umverteilen oder wenn der Staat zu viel Einfluss auf die Wirtschaft ausübt, sobald die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen evident werden.

Das passiert in der Regel, bevor ein Punkt erreicht ist, den man im allgemeinen Sprachgebrauch als Sozialismus bezeichnet.

Bekannte Beispiele sind z. B. das UK unter Labour in den siebziger Jahren, als die Wirtschaftspolitik zu wirtschaftlichen Problemen führte, die schließlich zum "Winter of Discontent" führten und letzten Endes entscheidend zum Wahlsieg Thatchers beitrugen, ein anderes der schwedische Wohlfahrtsstaat unter den Sozialdemokraten, der schließlich unbezahlbar wurde und dann nach Wahlniederlagen der Sozialdemokraten reformiert und deutlich eingeschränkt wurde.

 
Zuletzt bearbeitet:
In China ist vom Sozialismus oder Kommunismus außer der Diktatur und dem Namen der herrschenden Partei nicht viel übrig geblieben.
Ist denn da jemals etwas anderes gewesen?

Man darf nicht übersehen, was in Afrika und Asien als Sozialismus/Kommunismus wahrgenommen und warum das adaptiert wurde.

Die Popularität, die Sozialismus/Kommunismus mindestens in Asien (bei Afrika kenne ich mich da weniger aus) im vergangenen Jahrhundert erreichte, beruht vor allem darauf, dass nach dem 1. Weltkrieg die kommunistischen Parteien Europas den Antikolonialismus zu einem ihrer Markenzeichen machten, worauf sie bis zum zweiten Weltkrieg ein weigehendes Monopol in der europäischen Politik hatten.

Sich mit den Sozialistischen/Kommunistischen Bewegungen Europas zu alliieren und sich selbst dieses label zu verpassen, war aus der Perspektive der kolonisierten Länder konsequenter Weise zunächst mal ein Schritt in Richtung nationaler Unabhängigkeit. Und deswegen hatten die sich als kommunistisch bezeichnenden politischen Bewegungen Asiens auch nie ein Problem damit ihren Kommunismus mit einem teilweise recht derben Nationalismus zu verbinden. Mao, Hô Chí Minh, Kim il Sung die hatten alle irgendwo eine nationale Agenda und die von ihnen begründeten politischen Systeme hatten auch alle von Anfang an entsprechende Züge, besonders in Nordkorea hat sich das ja bis heute in rabiater Weise gehalten.
Neben der Agenda der nationalen Befreiung schauten diese Leute auch vor allem auf die stalinistische Sowjetunion, was mit Sicherheit dadurch verstärkt wurde, dass in den 1920er Jahren die Komintern aufgebaut worden war und dass in der Sowjetunion auch Parteischulen aufgebaut wurden, um dezidiert Kader aus dem Ausland in die werdende Sowjetunion einzuladen und ihen die Doktrinen des Leninismus und des Stalinismus näherzubringen.
Gerade unter Stalin, war aber angefangen worden, die Erfolge des Systems nicht in sozialem Ausgleich zu messen, sondern am kilometerweisen Bau von Eisenbehnstrecken, an Steigerungen von Produktionsmengen etc. was eigentlich klassicherweise, wenn man nach Westeuropa schaut im 19. Jahrhundert die Maßsstäbe waren, in denen man die Leistungen nicht des Sozialismus, sondern des kaptialistischen Systems und auch Modernisierung und Fortschritt in den eigenen Kolonialreichen maß.
Bei Lenin, der tatsächlich ein Marxist war, oder der, wenn man seine eigenen Doktrinen am Ende als Abkehr vom Marxismus betrachten möchte, jedenfalls auf einem marxistischen Fundament stand und der die Verhältnisse in Westeuropa, dass er sehr gut kannte, weil er da Jahre im Exil verbracht hatte und für Altbolschewiki, die eine ähnliche Lebensgeschichte hatten und voll auf die westeuropäischen Gesellschaften schauten, war sozialer Ausgleich tatsächlich ein wichtiges, vorrangiges Thema.
Aber diese Leute wurden in dem Moment, in dem die Bolschewiki in der KPdSU aufgingen und immer mehr Kader aus der russischen Provinz in die Partei kamen, bereits zu einer Minderheit.
Die Leute die da in die Partei strömten hatten von den modernen westeuropäischen Industriegesellschaften und ihren Verteilungsasymetrien und -Kämpfen nie irgendwas gesehen, also interessierten sie sich auch nicht dafür, weil das für sie völlig abstraktes Zeug war.
Bereits für diese Leute, war der Kommunismus, der Bolschewiki, die sich darum bemühten nach der Revolution rückwirkend die Industriegesellschaft zu implementieren, für die diese Revolution eigentlich gedacht war, primär eine Modernisierungsideologie, bei der es nicht in erster Linie darum ging erreichtes zu verteilen, sondern erstmal Leistungsfähigkeit aufzubauen.

Und genau so ist "Kommunismus" auch in den kolonisierten Gesellschaften Asiens wahrgenommen worden. Als in erster Linie von oben gesteuertem gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Modernisierungsprogramm, dass sich seit den 1920er Jahren in Europa zunehmend mit antikolonialem Gedankengut verband, auf dessen Fundament sich die eigene Nation, bzw. der eigene Nationalstaat aufbauen ließ.
Und das war für die kolonialen Gesellschaften interessant, nicht das Zeug, was europäische Sozialisten über Verteilungskämpfe und -Probleme in europäischen Gesellschaften schrieben, die mit den Realitäten an der kolonialen Peripherie wenig zu tun hatten.

Die Machtverhältnisse in den Kolonien waren nicht sozial-wirtschaftlich, sondern rassistisch organisiert, weil die europäischen Kolonailherren nicht in erster Linie qua wirtschaftlicher Dominanz herrschten, sondern qua ihrer Militärmacht und qua eines rassistsichen Kastensystems, dass die Schicht der "weißen" europäischen Kolonialherren mit Vorrechten versah, dadurch, dass die Europäer, wenn sie das Land direkt beherrschten, direkt rassistsiche Gesetze machten, die die Kolonisierten anderen Regeln unterwarfen, als die Kolonisatoren, oder dadurch dass sie in Ländern, die sie nicht direkt beherrschten qua bewaffneter Erpressungspolitik Sonderrechte für ihre Nation durchsetzten und Immunität eigener Staatsangehöriger innerhalb der entsprechenden Einflusszonen

Entsprechend den Organisationsformen dieser Herrschaft, musste auch der Versuch der Befreiung davon in völlig andere Richtungen laufen.

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Dann noch etwas anderes: Es wird ja gerne im Bezug auf Marx, wenn darauf hingewiesen wird, dass dessen Modell, wenn überhaupt nur in einer entwickelten Industriegesellschaft hätte aufgehen können, von anderer Seite (vorwiegend von solcher, die Marx offensichtlich nie gelesen hat) behauptet, dass sei einfach nur eine Ausrede politischer Aktivisten, um eine gescheiterte politische Theorie zu rechtfertigen.

Das ignoriert und zwar in krasser Weise die historischen Gegebenheiten.

Marx'ens Überlegungen können überhaupt nicht angemessen verstanden werden, wenn der Rezipient aus eigener Anschauung keine konkreten Vorstellungen davon hat, wie denn eine Industriegesellschaft überhaupt aussieht und was damit überhaupt gemeint ist.
Hierbei muss man sich vor Augen führen, dass die koloniale Peripherie der europäischen Reiche zwar die Auswirkungen der europäischen Industrialisierung zu spühren bekam, aber keine genaue Anschauung davon hatte.

Ein Einwohner irgendwo in der ländlichen Chinesischen Provinz im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts, also ungefähr der Generation von Mao Zedong, der irgendeiner traditionellen handwerklichen oder bäuerlichen Arbeit nachging, aus seinem Dorf oder zumindest seiner Provinz nie groß herausgekommen war und schon von den Chinesischen Hafenstädten nicht viel wusste, geschweigedenn vom Leben in Europa oder den Vereinigten Staaten, wird einen Erfahrungshorizont gehabt haben der für Verständnis des marx'schen Gedankenguts völlig inadäquat geswesen sein wird.
Hätte man versucht mit einer solchen Person über Fabrikarbeit, die Verhältnisse dort und die Probleme damit, so wie Marx/Engels dass schilderten zu reden, sie hätte sich das Ganze wahrscheinlich als eine Art großen Handwerks- oder Manufakturbetrieb, vorgestellt, in dem Zwangsarbeit geleistet wird und in dem irgendwelche Sklaventrieber mit Peitschen herumlaufen, um die Leute an der Arbeit zu halten.

Und zwar einmal wegen der ziemlich martialischen Sprache bei Marx und andererseits deswegen, weil weil sein Gedankengut schon für Europäer und für Personen, die ihn in seiner deutschen Muttersprache rezipieren konnten (und die Sprachbarriere dürfte historisch für viele ebenfalls ein Hindernis gewesen sein, sich damit überhaupt auseinandersetzen zu können), verdammt abstrakt ist und daneben einen Rekurs auf dezidierte europäische Geschichte darstellt.

Dinge wie die von Marx beschriebene Proletarisierung der Unterschichten, durch den Aufschwung der Industrie und infolge der Bauernbefreiung und des stärker werdenden wirtschaftlichen Drucks auf die ländlichen Unterschichten, durch Wachstum der großen Agrarischen Wirtschafts- und Besitzkomplexe, ist überhaupt nur Verständlich, wenn man eine Vorstellung vom europäischen Feudalsystem hat, dass sich auflöste, davon, was Industrie ist und wie sie funktioniert, dass Zwänge hierbei nicht physicher, sondern abstrakt wirtschaftlicher Natur waren und so weiter und so weiter.
Für einen Rezipienten, irgendwo am anderen Ende der Welt, der vom europäischen Feudalsystem nichts wusste (In China z.B. gab es keine langen feudalistischen Traditionen, also auch keine Feudelgesellschaft mit ihren Eigenheiten, die Westeuropa vergleichbar wäre), der die europäischen Industriegesellschaften und die europäische Geschichte nicht kannte, musste Marx notwendigerweise inhaltlich völlig unverständlich sein.
Geht auf Grund der fehlenden Kenntnisse und Erfahrungswerte gar nicht anders.
Und deswegen war er für die kommunistischen Bewegungen Asiens auch weitgehend uninteressant. Marx hatte im Kern westeuropäische Probleme des 19. Jahrhunderts beschrieben, die sich in den kolonialen und halbkolonialen asiatischen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts so nicht unbedingt spiegelten.
Das war nichts, womit sich praktisch etwas anfangen ließ, im Gegensatz zum Stalinismus oder einer Vorstellung des Kommunismus als nationaler Befreiungs- und Modernisierungsideologie.

Aber bereits das, war weitgehend ein Elitenprojekt.
 
ad 168 und insb. 169:
Danke für die ausführlichen gedanklichen Ausflüge ins 20. und 21. Jahrhundert. Bevor ich dazu zu einigen Punkten meine Meinungen absondere, erlauben sie mir einen kurzen Rückgriff ins Heimatjahrhunderts des Herrn M.:
Ohne die Gedankenwelt des Herrn Marx verkürzen zu wollen, erlauben Sie mir bitte einen Aspekt herauszustellen: Marx gilt ja sowohl als großer Feind, als auch als großer Bewunderer des Kapitalismus. Er bewunderte am Kapitalismus seine Fähigkeit die Produktivität und den Warenausstoß einer Gesellschaft in einer historisch gesehen kurzen Zeitphasen enorm zu steigern und damit die Grundlage für eine prosperierende Gesellschaft zu legen, die all ihren Mitgliedern einen vernünftigen Lebenserhalt sichern konnte. Damit sah er auch die materielle Grundlage für die Abschaffung von Herrschaft generell als gegeben an (in früheren Zeiten hätte auch eine radikale Überwindung der Herrschaftsstrukturen nur zu einer in Nuancen anderen Armutsverteilung geführt, mit den Errungenschaften des Kapitalismus war aber mehr, und sogar viel mehr möglich).
Tragik seiner Nachfolger und -denker ist, dass ein solcher Herrschaftswechsel nie in entwickelten kapitalistischen Gesellschaften, sondern bestenfalls an der unentwickelten und rückständigen Peripherie (Russland) verwirklicht werden konnte, deren damals existierende Produktionskapazität jedoch keinesfalls dazu ausreichte eine - wie oben ausgedrückt - prosperierende Gesellschaft zu schaffen, sondern nur zu einer - wie ebenfalls oben ausgedrückt - in Nuancen anderen Armutsverteilung. Nach dem Ausbleiben der Revolutionen im Nachkriegseuropa - die man erwartet und von denen man sich Unterstützung und "brüderliche" Hilfe erwartet hatte - beschritten die überbleibenden Bolschewiki dann den ihrer Meinung nach einzigen Weg: Möglichst schneller und umfassender Aufbau der materiellen Produktion, nachholende Industralisierung "auf Teufel komm raus" - letztlich war das aber der Weg in eine "Entwicklungsdiktatur".
Andere Länder - hier v.a. China - haben ähnliche Erfahrungen gemacht (ohne entwickelten Produktionsapparat - Kulturrevolution hin, selbstgebastelte Hochöfen her - gibt es keine Chance, der Armutsfalle zu entkommen), und (recht spät) auf ihre Weise darauf reagiert. Ob das, was die KPCh (bei allen ökonomischen Erfolgen) "aufführt", überhaupt noch etwas mit Marxismus zu tun hat, bleibt - zumindest für mich - offen.
 
ad Shinigami 165:
Kurze Anmerkung:
Nichts gegen Sie (das Zitat aus der Wikipedia ist korrekt), aber viel gegen die deutschsprachige Wikipedia, die hier offensichtlich geschlampt hat: Sie verkauft den von Ihnen zitierten Satz als eigenen Erguß (keine Anführungszeichen, keine Fußnote, kein Verweis), derweilen er eine fast wortgleiche Übernahme eines Engels-Zitats von 1883 ist (gefunden in MEW 21; S 19).
"Einige, unteilbare, demokratische deutsche Republik und Krieg mit
Rußland, der Wiederherstellung Polens einschloß."
Man kann ja sagen, der/die Wiki-Autorin wußte das nicht, aber einige Absätze darüber steht im selben Wiki-Artikel:
Über die Zusammenarbeit schrieb Friedrich Engels später: „Die Verfassung der Redaktion war die einfache Diktatur von Marx ...“
Das Original stammt aus demselben Engels-Schriftstück (ebenfalls MEW 21; selbe Seite 19)
„Die Verfassung der Redaktion war die einfache Diktatur von Marx."
(Über die Kleinigkeit, daß das Wiki-Zitat durch Fortsetzungspunkte einen weiteren Satzteil andeutet, während im Original-Zitat der Satz hier mit einem Punkt endet, will ich hinwegsehen).
Derweilen wärs doch nicht soo schwierig (die englischsprachige Ausgabe schafft bei selber Zitatauswahl einen vernünftigen Verweis auf - in diesem Fall englischsprachige - Quellen).
Und nein, ich heiße nicht Weber; hat mich nur enorm geärgert, dass man bei solcher Schludrigkeit lang braucht, die Originalquellen zu finden.

Inhaltlich:
Marx und Engels waren keine Peaceniks und ihre gesellschaftspolitischen Vorstellungen sind - mit heutigen Maßstäben gemessen - "sowas von gestern", aber Engels Erklärung klingt angesichts der 1848er Wirren nicht unvernünftig (MEW 21 S 22):

"Die auswärtige Politik war einfach: Eintreten für jedes revolutionäre
Volk, Aufruf zum allgemeinen Krieg des revolutionären Europas gegen den
großen Rückhalt der europäischen Reaktion - Rußland. Vom 24. Februar'
an war es uns klar, daß die Revolution nur einen wirklich furchtbaren Feind
habe, Rußland, und daß dieser Feind um so mehr gezwungen sei, in den
Kampf einzutreten, je mehr die Bewegung europäische Dimensionen an-
nahm. Die Ereignisse von Wien, Mailand, Berlin mußten den russischen
Angriff verzögern, aber sein endliches Kommen wurde um so gewisser, je
näher die Revolution Rußland auf den Leib rückte. Gelang es aber, Deutsch-
land zum Krieg gegen Rußland zu bringen, so war es aus mit Habsburg und
Hohenzollern, und die Revolution siegte auf der ganzen Linie.
Diese Politik geht durch jede Nummer der Zeitung bis zum Moment des
wirklichen Einrückens der Russen in Ungarn, das unsere Voraussicht voll-
auf bestätigte und die Niederlage der Revolution entschied."

Abschließend und "ad Wirren" noch aus derselben Engels-Quelle (MEW 21 S 23; vielleicht gefällts ja jemand als Redaktionsstuben-Kuriosität):
„Draußen im Reich" wunderte man sich, daß wir das alles so ungeniert
in einer preußischen Festung ersten Ranges, gegenüber einer Garnison von
8000 Mann und angesichts der Hauptwache betrieben; aber von wegen der
acht Bajonettgewehre und 250 scharfen Patronen im Redaktionszimmer und
der roten Jakobinermützen der Setzer galt unser Haus bei den Offizieren eben-
falls für eine Festung, die nicht durch bloßen Handstreich zu nehmen sei.

Edit: grammatikalisch korrigiert. Wer noch zusätzliche Fehler findet, kann sie behalten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Tragik seiner Nachfolger und -denker ist, dass ein solcher Herrschaftswechsel nie in entwickelten kapitalistischen Gesellschaften, sondern bestenfalls an der unentwickelten und rückständigen Peripherie (Russland) verwirklicht werden konnte, deren damals existierende Produktionskapazität jedoch keinesfalls dazu ausreichte eine - wie oben ausgedrückt - prosperierende Gesellschaft zu schaffen, sondern nur zu einer - wie ebenfalls oben ausgedrückt
Da wäre ich mir gar nicht sicher, mit Verweis darauf, dass man aus der Geschichte Asies (Südkorea und Taiwan z.B.) ja durchaus den Schluss ziehen kann dass eine zeitweilge Entwicklungsdiktatur oder jedenfalls ein autoritätes Regime, dass die Entwicklung seiner Wirtschaft steuert und sich mit steigendem Wohlstand und industriellen Möglichkeiten Stück für Stück von der Macht zurückzieht und die Liberalisierung der Gesellschaft einläutet, grundsätzlich funktionieren kann.

Das Problem sehe ich eher in der Kriegs- und Bürgerkriegserfahrung.

China z.B. hatte die teilweise Kolonisierung erlebt, die blutige Auseinandersetzung mit Japan nach außen und den blutigen Bürgerkrieg im Inneren.
Nach dem Bürgerkrieg, zumal die Gegenpartei ja nicht gänzlich erledigt war, sondern auf Formosa durch Amerika geschützt, unangreifbar weiter existierte, ist ein gewisses Maß an Paranoia in der chinesischen Führung wahrscheinlich die logische Folge gewesen und damit auch deren Überzeugung schnellstmöglich nach außen hin wehrfähig zu werden und diesem Ziel alles unterzuordnen, inklusive Menschenleben, was in der Folge durch das Elend, dass es der Bevölkerung brachte, die bereits vorhandene Delegitimierung durch den Bürgerkrieg verstärkte und einer Liberalisierung im Weg stand.
Die Sowjetunion hatte an ihrem Beginn in den 1920er Jahren ähnliche Probleme hinter und vor sich.

Hätten die kommunistischen Parteien tatsächlich einfach in einer Revolution, oder nach erfolgreichem, aber weitgehend unblutigem Putsch die Macht übernommen, statt nach blutigen Auseinandersetzungen, sowohl mit dem Ausland, als auch der eigenen Bevölkerung, die Rückwirkung auf die Vorstellungswelt der Anführer haben und Spielräume begrenzen mussten, wäre das gegebenenfalls anders gelaufen und hätte zu anderen Möglichkeitsräumen geführt oder hätte früher dazu geführt.


Nach dem Ausbleiben der Revolutionen im Nachkriegseuropa - die man erwartet und von denen man sich Unterstützung und "brüderliche" Hilfe erwartet hatte - beschritten die überbleibenden Bolschewiki dann den ihrer Meinung nach einzigen Weg: Möglichst schneller und umfassender Aufbau der materiellen Produktion, nachholende Industralisierung "auf Teufel komm raus" - letztlich war das aber der Weg in eine "Entwicklungsdiktatur".
Ich würde meinen der Schritt war schon vorher bei der Herausbildung der Bolschewiki selbst als Abspaltung aus der russischen Sozialdemokratie vorgezeichnet und zwar, weil bei Marxens Überlegungen 2 Probleme vorhanden sind.

1. Hat sich Marx, dadurch, dass er sich damit, wie eine kommunistische Gesellschaft konkret aussehen könnte nicht wirklich ernstlich beschäftigt hat, auch nicht damit beschäftigt, dass auch mit dem Verschwinden einzelner, privater Produktionsmittelbesitzer möglicherweise das Problem der Konkurrenz nicht aus der Welt kommen würde, wenn man die Wirtschaft nicht hierarchisch unter einem staatlichen Überbau organisierte, sondern genossenschaftlich.
Ich weiß nicht (dass müsste man nachsehen), ob es zwischen Marx und Engels jemals einen detailierten Austausch über Engels Vorstellungen vom primitiven "Urkommunismus"gab, Engels Schrift "Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats", wo die Überlegung angerissen wird, erschien ja erst im Jahr nach Marxens tod.

Für spätere auf Marx/Engels aufbauende Theoretiker musste sich aber eigentlich daraus die Frage ergeben, ob Kommunismus tatsächlich die Endstufe menschlicher Entwicklung sei, oder möglicherweise nur der Abschluss eines Zyklus.
Denn wenn es so etwas wie einen primitiven Urkommunismus gegeben hätte, würde das ja bedeuten, dass dieses System selbst zu Gunsten anderer Gesellschaftsformen, die sich danach daraus entwickelten überwindbar sein müsste.

Wenn das aber der Fall wäre und sozialistische/kommunistische Theoretiker dieses Engels'sche Postulat ernst nahmen, mussten sie sich eigentlich Gedanken darüber machen, wie denn eine kommunistische Ordnung gegen solche Rückfälle/Weiterentwicklungen abzusichern wäre, was eigentlich automatisch in den Bereich der machtpolitischer Zwingmittel führen müsste.

2. Und mindestens das ist von den Bolschewiki bei Marx scharf kritisiert worden, ging Marx von einer gleichförmigen Entwicklung von Gesellschaften aus, während die Bolschewiki postulierten, dass die entwickelten kapitalistischen Länder durch ihre Produktionskapazitäten und Marktmacht raliter tatsächlich die industrielle Entwicklung der andern Länder unterdrückten und somit ihre Transformation in bürgerlich-kapitalistische Ordnungen unterdrückten, was zummindest im Hinblick auf die Chancen für eine Industrialisierung nicht einer gewissen grundsätzlichen Logik entbehrt, auch wenn das natürlich die Möglichkeit der protektionistischen Absicherung der eigenen Industrialisierung, durch entsprechende Zollregimes, irgendwo etwas ausklammerte.
Die Vorstellung erst die Revolution machen und dann die Industrialisierung rückwirkend zu implementieren, hatte duchaus auch mit der wahrgenommenen Stagnation/langsamen Entwicklung der russischen Industrialisierung durch den äußeren Konkurrenzdruck zu tun (ob das akkurat ist, ist eine andere Frage) und der Vorstellung, dass auf diese Weise in ihrer Entwicklung behinderte Gesellschaften eine Art Sonderweg gehen müssten, weil der Weg der Transformation über die bürgerlich-kapiatlistische Gesellschaft ihnen versperrt sei.

Unter anderem diese Vorstellungen haben mit zur Formierung der Bolschewiki als eigene politische Kraft innerhalb des sozialistischen Spektrums in der 1. Dekade des 20. Jahrhunderts beigetragen und im Prinzip war damit der Weg in die Entwicklungsdiktatur vorgezeichnet.

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Was die Hoffnung auf die "Weltrevolution" im Besonderen auf Deutschland angeht, da bin ich der Meinung, dass das weniger eine solide durchdachte politisch-ökonomische Vorstellung war, als dass hier viel mehr die Bolschewiki selbst Opfer einer populären, aber nicht unbedingt akkuraten Geschichtsdeutung, in diesem Fall der französischen Revolution geworden sind.
Das eine Revolution in Form einer ganzen Revolutionswelle kommen würde, war sicherlich gemäß an den bisherigen europäischen Erfahrungen jedenfalls denkbar.
Wesentlich unbegründeter und das hätten die Bolschewiki eigentlich sehen müssen, dürfte die Annahme gewesen sei, dass eine solche Revolution in einem der mehreren westlichen Ländern ihnen größere Hilfe bescheren würde.

In dem Moment, in dem sie das Fass aufgemacht hatten, über Entwicklungsblockaden qua Marktmacht und Konkurrenz nachzudenken, mussten sie eigentlich auch ins Kalkül ziehen, dass man in Deutschland, oder wo immer im Westen eine solche Revolution stattfinden würde, durchaus erstmal Interesse daran haben konnte den eigenen Vorsprung zu behalten, weil mindestens so lange kapitalistische Akteure weiterbestanden, deren wirtschaftliche Beziehungen zu den kommunistischen Ländern weiterhin über Marktmechanismen geregelt worden wären. In dem Fall hätte sich über die Beziehungen zu Dritten ein Konkurrenzverhältnis ergeben und es wäre für das entwickeltere sozialistische/kommunistische Land nachteilig gewesen, die eigene Konkurrenz zu fördern, weil dass der eigenen Bevölkerung Entwicklungsmöglichkeiten genommen und zur Delegitimierung von Wirtschaftsform und Regierung hätte führen können.

Man hätte sich vielleicht innerhalb einer solchen fiktiven kommunistischen Welt, darauf einigen können nicht innerhalb derselben gegenseitig Konkurrenz gegeneinander zu fahren, um den Lebensstandart maximal hoch zu halten, aber zummindest, wenn Nationalstaaten als organisationsräume zuächst noch weiter bestehen würden, hätten sie sich automatisch wieder im Konkurrenzverhältnis um die Beziehung zu dritten, außerhalb des Sysstems stehenden Akteuren befunden.


Wie ich das sehe, baute die Hoffnung auf die internationale Fortsetzung der Revolution, und die Zusammenarbeit der revolutionären Gesellschaften stark auf der Vorstellung auf, dass das zwangsläufig eine Verschwörung der anderen Akteure gegen diese Revolution und einen Machtkampf oder Krieg zur Folge haben würde, ähnlich, wie die "Revolutions- /Koalitionskriege" am Ende des 18. Jahrhunderts populär ja gerne als Reaktion des alten Europas auf den gesellschaftlichen Umsturz in Frankreich selbst gedeutet worden sind.
Das Problem ist nur, dass das wahrscheinlich die Auffassung der damaligen Revolutionäre widerspiegelt, wahrscheinlich so aber nicht korrekt ist.
Unter der Prämisse ließ sich natürlich annehmen, dass gemeinsamer Abwehrkampf gegen die nicht revolutionären Akteure alle Gräben zwischen kommunistischen Akteuren erstmal zuschütten ließen, weil die sich dann alle in einem Existenzkampf befunden hätten.

Auch hier führt der Schluss aber auf die Diktatur zurück, denn wenn man davon ausging, dass es zu so einem clash kommen und die nicht von Revolution betroffenen Mächte sofort anfangen würden die Konterrevolution zu organisieren, schlimmstenfalls Krieg zu führen, musste auch davon ausgegangen werden im Eiltempo "Resillienz" und ggf. militärische Schlagkraft zu organisieren und dass wiederrum brauchte eine Regierung die von Anfang an mit Vollmachten ausgestattet sein musste, die eigentlich im modernen Gedankengut für Ausnahme- und Kriegszustände vorgesehen sind.
 
Zuletzt bearbeitet:
ad Shinigami (173):
Tw. Zustimmung zum ersten Teil der Ausführungen insofern, als daß es in vielen Ländern - Rußland und China wurden ja extra angeführt - spezielle und erschwerende Bedingungen gab. Wollte mit meiner kurzen Skizzen nur auf eine mMn. nicht unwesentliche spezifische ökonomische Situation hinweisen.
Zu den nummerierten Punkten:
1. Für M. und E. war der Sozialismus/Kommunismus (ich spar mir jetzt die Unterscheidung) nicht das Ende der Geschichte sondern eines Abschnitts: Nämlich des Zyklus der menschlichen Entwicklung, in dem Menschen andere Menschen v.a. aus ökonomischen Beweggründen unterdrücken. Und um Gedanken an "Urgesellschaften" oder "Rückkehr zum Urzustand" zurückzuweisen: Die beiden wollten nicht zurück auf die Bäume und waren - wie wir heute sagen würden - durchaus technik- und fortschrittsaffin.
2. Eine Diffenzierung zwischen M./E. und den Bolschewiki sehe ich in diesem Punkt nicht. Analytisch war man sich im wesentlichen einig. Ist das eine Anspielung auf die Leninschen Theorien zu Monopolkapitalismus und Imperialismus?
Und ad "Sonderwege": In schematischer Penibilität war die Idee, in Rußland müsse zuerst eine erfolgreiche bürgerliche Revolution durchgeführt und danach eine Phase mit einer bürgerlichen russischen Republik (nachholender Kapitalismus?) durchlaufen werden, bevor man (später, viel später) weiter voranschreiten könne, bis 1917 in Teilen der russischen Linken weit verbreitet (Kurioserweise soll auch Herr Dschugaschwili mit solchen Vorstellungen geliebäugelt haben).
Zum letzten Teil:
Kann ich Ihnen jetzt argumentativ nicht folgen: Warum sollte man sich von einem "sozialistischen Bruderland" nicht zumindest ein bißchen mehr erwarten als vom "feindlichen kapitalistischen Ausland" ? Und: Auch wenn wir als Nachgeborene das besser wissen, als "vorgestellter Zeitgenosse von 1917" käme mir die Vorstellung "wenn das bei uns unter widrigsten Vorbedingungen möglich ist, warum dann nicht anderswo unter deutlich besseren Voraussetzungen" nicht so weltfremd vor.
 
Da wäre ich mir gar nicht sicher, mit Verweis darauf, dass man aus der Geschichte Asies (Südkorea und Taiwan z.B.) ja durchaus den Schluss ziehen kann dass eine zeitweilge Entwicklungsdiktatur oder jedenfalls ein autoritätes Regime, dass die Entwicklung seiner Wirtschaft steuert und sich mit steigendem Wohlstand und industriellen Möglichkeiten Stück für Stück von der Macht zurückzieht und die Liberalisierung der Gesellschaft einläutet, grundsätzlich funktionieren kann.
Ich bin nun alles andere als ein Experte für asiatische Geschichte, aber wenn ich mich recht erinnere, waren die achtziger Jahre in Südkorea nicht ganz unblutig, der Demokratisierungsprozess nicht ganz freiwillig von Seiten der Militärdiktatur...

Das Problem sehe ich eher in der Kriegs- und Bürgerkriegserfahrung.

China z.B. hatte die teilweise Kolonisierung erlebt, die blutige Auseinandersetzung mit Japan nach außen und den blutigen Bürgerkrieg im Inneren.
Nach dem Bürgerkrieg, zumal die Gegenpartei ja nicht gänzlich erledigt war, sondern auf Formosa durch Amerika geschützt, unangreifbar weiter existierte, ist ein gewisses Maß an Paranoia in der chinesischen Führung wahrscheinlich die logische Folge gewesen und damit auch deren Überzeugung schnellstmöglich nach außen hin wehrfähig zu werden und diesem Ziel alles unterzuordnen, inklusive Menschenleben, was in der Folge durch das Elend, dass es der Bevölkerung brachte, die bereits vorhandene Delegitimierung durch den Bürgerkrieg verstärkte und einer Liberalisierung im Weg stand.
Und deshalb Tibet unterworfen und sinifiziert?
 
Ich bin nun alles andere als ein Experte für asiatische Geschichte, aber wenn ich mich recht erinnere, waren die achtziger Jahre in Südkorea nicht ganz unblutig, der Demokratisierungsprozess nicht ganz freiwillig von Seiten der Militärdiktatur...
Naja, ich schrieb "Liberalisierung" nicht "Demokratisierung"

Da hast du im Hinblick auf Südkorea recht, das Militärregime gab seine Macht nicht so ganz freiwillig ab.
Es gab aber bereits unter den Militärregimes bis 1987 einen Rückzug der staatlichen Macht aus dem wirtschaftlichen Sektor und die Abwicklung planwirtschaftlicher Elemente.
In Taiwan ist der Prozess sicherlich weiter gegangen, auch in Richtung Demokratisierung.

Allerdings, hat sich auch in Südkorea das Militär nicht dermaßen an die Macht geklammert, dass es bereit gewesen wäre, um diese Macht zu erhalten Blutaten stalinistischen Ausmaßes zu begehen.
Es hatte 1980 im Zuge von Demonstrationen für eine Demokratisierung das "Gwangju-Massaker" mit einer anscheinend nicht genau geklärten Anzahl von Opfer irgendwo im Bereich mehrere Hundert bis 2000 3000 Opfern gegeben.
Als dann 1987 erneut Proteste gab, war das Militärregime aber nicht mehr bereit dem mit größerer Gewalt zu begegnen und verhandelte relativ zügig seinen Machtverzicht.
Ich denke schon, dass man behaupten kann, dass es in Südkorea den Militärregimes gelungen ist, das Land nach Machtübernahme planmäßig industriell aufzubauen und damit im Sinne marx'scher Denke, das Fundament für eine Kommunistische Gesellschaftsordnung von oben zu implementieren.
Nun ist in Südkorea nie versucht worden, den Kommunismus aufzubauen, so dass das in dieser Hinsicht keine Erfahrungswerte produziert hat.

Wenn man aber die Denke der Bolschewiki erstmal unabhängig von der Frage des Kommunismus selbst hin zu der These abstrahiert, dass eine gezielte gelenkte Transformation der wirtschaftlich-materiellen Grundlagen einer Gesellschaft im Sinne eines volontaristischen Vorgriffs grundsätzlich funktionieren kann, würde ich sagen, Südkorea und Taiwan durchaus belegen, dass diese Idee nicht ganz abwegig ist, auch wenn in beiden Ländern das Ergebnis des Schritts die bürgerliche Demokratie, nicht die kommunistische Gesellschaft ist.


Und deshalb Tibet unterworfen und sinifiziert?
Das habe ich zwar durchaus nicht geschrieben, wäre aber durchaus im Rahmen militärischer Vorfeldsicherung nichtmal völlig unlogisch gewesen.

1947 wurde Britisch-Indien abgewickelt, aber Indien selbst verblieb im Commonwealth of nations. Für eine chinesische Regierung mit ideologischer und kriegsbedingter Paranoia konnte das wahrscheinlich genug sein um anzunehmen, dass die britische Macht auf dem indischen Subkontinent zunächst mal in verschleierter Form erhalten bliebe.
Vor dem Hintergrund einer solchen Annahme wäre es nicht ganz unlogisch gewesen, Tibet als die eigene offene Flanke im Südwesten zu betrachten, zumal Großbritannien und Russland ja bereits im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert versucht hatten sich dort festzusetzen.

Imperiales Ausgreifen und sicherheitspolitische Paranoia müssen sich ja nicht unbedingt ausschließen.
Ich hatte oben im Bezug auf die Bolschewiki ja die Thematik der Rezeption der Revolutionskriege angesprochen.

Wenn wir uns anschauen, was die Akteure des revolutionären Frankreichs, die sich (wahrscheinlich zu unrecht) in einem ideologischen Abwehrkampf, oder man könnte es vielleicht auch "Systemkonflikt" mit dem übrigen Europa wähnten, so taten, zeigen sich gewisse Ähnlichkeiten.

Nach den eigenen Militärischen Erfolgen, wurden in der Schweiz, in Norditalien und den Niederlanden "Schwesterrepubliken" errichtet, es wurde in den abhängigen/beeinflussten Staaten französisches Recht, etc. eingeführt und zum Teil wurden die abhängigen Staaten dann später auch annektiert, aber ohne dass da von anfang an die Konzeption vorhanden gewesen wäre aus Kraftmeierei und imperialen Gelüsten heraus halb Europa erobern zu müssen, sondern tatsächlich in der Annahme sich wegen der Abschaffung von Monarchie und Feudalstrukturen mit dem übrigen Europa im Krieg zu befinden und Verstärkung/Pufferzonen zu benötigen.

Für ganz abwegig halte ich eine ähnliche Deutung der chinesischen Tibet-Politik nicht.
 
Und um Gedanken an "Urgesellschaften" oder "Rückkehr zum Urzustand" zurückzuweisen: Die beiden wollten nicht zurück auf die Bäume und waren - wie wir heute sagen würden - durchaus technik- und fortschrittsaffin.
Das wollte ich auch nicht behaupten, vielleicht bin ich da falsch verstanden worden.

Der Gedanke lief einfach nur dahin, dass gesetzt man akzeptiert die Vorstellung, dass es einen Urkommunismus gegeben habe, die Entwicklung auf einen modernen Kommunismus hin ja nicht als linearer Zulauf auf einen Endpunkt betrachtet werden kann.

Denn wenn es einen, wenn auch primitiven Urkommunismus gegeben haben würde, müsste das ja bedeuten, dass unter bestimmten Umständen, Menschen geneigt sein müssten, aus einer solchen Ordnung wieder auszuscheren.
Wenn es diese Tendenz aber in einem Urkommunsimus gab und in diesem Fall dazu führte, dass sich daraus Sklavenhaltergesellschaften, Despotien, Adelsgesellschaften, Bürgerliche Gesellschaften etc. erst entwickelten, was spräche dann dafür, dass ein moderner Kommunismus Endpunkt der menschlichen Geschichte sein müsste und ein erneutes Ausbrechen aus diesem Zustand, edie ine Widerholung der Geschichte initiieren könnte unmöglich wäre?
Das einfach mal als theoretische Überlegung.

Das Marx und Engels nicht fortschrittsavers waren und technischen Fortschritt nicht zurückdrehen, sondern allgemein nutzbar machen wollten, insofern dezidierte Technik-Fans waren, ist mir klar.

Aber das beantwortet ja nicht die Frage, warum ein moderner Kommunismus automatisch stabiler sein sollte, als ein spekulativer "Urkommunismus", der gesetz den Fall er habe existiert seine Instabilität und seine Wandelbarkeit in stark hierarchische Gesellschaftsmodelle bewiesen haben würde.

2. Eine Diffenzierung zwischen M./E. und den Bolschewiki sehe ich in diesem Punkt nicht. Analytisch war man sich im wesentlichen einig. Ist das eine Anspielung auf die Leninschen Theorien zu Monopolkapitalismus und Imperialismus?
Und ad "Sonderwege": In schematischer Penibilität war die Idee, in Rußland müsse zuerst eine erfolgreiche bürgerliche Revolution durchgeführt und danach eine Phase mit einer bürgerlichen russischen Republik (nachholender Kapitalismus?) durchlaufen werden, bevor man (später, viel später) weiter voranschreiten könne, bis 1917 in Teilen der russischen Linken weit verbreitet (Kurioserweise soll auch Herr Dschugaschwili mit solchen Vorstellungen geliebäugelt haben).
Ja das war in weiten Teilen der russischen linken weit verbreitet, aber vor allem bei den Menschewiki und etwas weniger bei den Sozialrevolutionären.
Demgegenüber war allerdings die einzige Darseinsberechtigung der Bolschewiki, die zunehmende Abwendung von diesem Weg und das beginnt sich eigentlich schon mit Lenins Schrift "Was tun" von 1902 abzeichnet, wo die angebliche Notwendigkeit einer "Avantgarde des Proletariats" skizziert wird und damit die idee der Kaderpartei, die die Bolschewiki dann nach ihrer Trennung von den Menchewiki im darauffolgenden Jahr zunehmend wurden.
Da manifestiert sich eigentlich bereits das "Sonderweg-Denken", an dessen Ende die Vorstrellung stand, die Kaderpartei gewissermaßen zum Treuhänder der Revolution im Namen des Proletariats zu machen.
Trotzki (obwohl damals noch kein Bolschewik und eher Gegner Lenins) steuerte kur danach mit "Ergebnisse und Perspektiven" weitere theoretische Anstöße in ähnliche Richtungen bei, das miteinander vermengt und modifiziert begründete ja am Ende die Theorie von der "Permanenten Revolution", die mehr oder weniger davon ausging, man könne die bürgerliche Phase überspringen und unter der Ägide der Parteiherrschaft die Begründung der materiellen Grundlagen des Kommunismus, die eigentlich Aufgabe der Bourgeoisie gewesen wäre, unter treuhänderischer Verwaltung der Partei als Platzhalter für das Proletariat im Namen desselben rückwirkend implementieren.

Kann ich Ihnen jetzt argumentativ nicht folgen: Warum sollte man sich von einem "sozialistischen Bruderland" nicht zumindest ein bißchen mehr erwarten als vom "feindlichen kapitalistischen Ausland" ? Und: Auch wenn wir als Nachgeborene das besser wissen, als "vorgestellter Zeitgenosse von 1917" käme mir die Vorstellung "wenn das bei uns unter widrigsten Vorbedingungen möglich ist, warum dann nicht anderswo unter deutlich besseren Voraussetzungen" nicht so weltfremd vor.
Wie gesagt, weil so lange eine bügerlich-kapitalistische Sphäre weiterhin Bestand gehabt hätte, mit der man irgendwie interaggiert hätte, das Konkurrenz bedeutet hätte. Oder wenn die kommunistischen Akteure erstmal weiterhin als Nationalstaaten getrennt geblieben wären.

Machen wir einfach mal ein Gedankenexperiment und nehmen spintisiert an, es wäre 1918/1919 tatsächlich zu einer sozialistischen Revolution in Deutschland gekommen, die Kommunisten hätten die Macht übernommen, und es wäre nicht automatisch zum Konflikt mit den Westmächten gekommen, sondern die hätten einfach nebenher als kapitalistische Sphäre fortbestanden.

Was dann?

Deutschland war ein hochindustrialisiertes Land ohne große eigene Rohstoffvorkommen. Das heißt es wäre weiterhin massiv export- und importabhängig gewesen.
Warum hätte da jetzt Deutschland anfangen sollen den Aufbau der russischen Industrie zu unterstützen und zu bezuschussen (mal abgesehen von den finanziellen Folgeschäden des Krieges, die Deutschland ohnehin gehabt hätte)?
Ob kommunistisch oder kapitalistisch, Deutschland hatte Wirtschaftsstrukturen, für die Zusammenarbeit mit Russland vor allem dann interessant gewesen wäre/war, wenn Russland Rohstofflieferant für die eigene deutsche Industrie geblieben wäre.
Hätte man Russlands Industrie aufgebaut, hätte Russlands Industrie die Rohstoffe des Landes selbst verwertet und der deutschen Industrie wäre ein potentieller Rohstofflieferant weggebrochen.

Das gleiche Problem beim Handel mit dem potentiellen kapitalistischen Ausland.
Wenn ein kommunistisches Deutschland da Rohstoffe hätte einkaufen müssen, um seine Industrien am Laufen zu halten, musste es doch besser sein, wenn es keine russischen Industrien gab, die in der Nachfrage konkurrierten oder vergleichbare Industriegüter für den Export anbieten konnten und damit potentiell die Nachfrage nach deutschen Industriegütern drückten?

Es hätte, wenn nicht gleich die ganze Welt revolutioniert worden oder sich alle sozialistischen/kommunistischen Staaten aufgelöst und zu einer Union zusammengeschlossen hätten automatisch in Konkurrenzverhältnisse geführt, die dafür gesprochen hätten sich nicht gegenseitig zu helfen, weil es den Lebensstandart der eigenen Bevölkerung bedroht hätte.

Ein Gedanke, den die Bolschewiki ausklammerten, unter der Annahme es würde entweder der Großteil der Welt revolutioniert oder aber (auf eine Revolution in Amerika und Großbritannien konnten sie eigentlich eher nicht hoffen) es würde sofort eine Art Systemkonflikt beginnen, der die kommunistischen Akteure auf dieser Basis zusammenschweißen und andere Überlegungen obsolet machen würde.
Aber für den Fall des Systemkonflikts wäre man wieder auf Machtmittel und Autorität angewiesen gewesen.
 
Zuletzt bearbeitet:
ad Shinigami (#177):
Nichts mehr zum dritten Punkt. Wir sind da meinungsmäßig so auseinander, dass ich da derzeit keine vernünftigen und kurzen Argumentationswege sehe. Vielleicht kann man das ja anderswo (marxistische Theorie ist das ja wirklich nicht mehr) diskutieren.
Zum 2. Punkt:
"Permanente Revolution" war in der realen Auseinandersetzung ebenso wie theoretisch der Gegenpol zum Stalinschen "Sozialismus in einem Land" - und beide knüpfen an die Erkenntnis der Bolschewiki an, daß die erhoffte Weltrevolution nicht eingetreten war. Vereinfacht gesagt: Bronstein sagte "Weiter versuchen" und Dschugaschwili "Geht nicht, machen wir unser eigenes Ding".
Der Organisationsdisput - Kader- versus Massenpartei - wäre dann wieder eine ganz andere Frage.
Zum 1. Punkt:
Ich kann hier nur - verkürzt und stark vereinfacht - die Meinung von M/E rezitieren und werd auch nur einen der Aspekte stark überzeichnend herausgreifen:
Die "Urgesellschaft" (oder wie immer wir das nennen wollen) war nur deshalb egalitär, weil nichts da war, was man besitzen konnte (kurz: alle lebten in etwa - besonders in schlechten Zeiten wie Winter etc. - am Existenzminimum; wenn - in besseren Zeiten - etwas überblieb, dann wurde es schlicht verfressen; "Konservierungsmittel", mit denen man Überfluß langfristig aufbewahren konnte, fehlten ja).
Mit neuen Produktionsmethoden (sprich Landwirtschaft und Viehzucht) ergab sich erstmals die Möglichkeit, langfristig Überschüsse über den unmittelbaren Lebensbedarf hinaus zu erzielen, sowie Möglichkeiten zu schaffen, diesen Überschuß zumindest mittelfristig aufzubewahren: Damit war auch die Möglichkeit geboren, sich diesen - am Anfang wahrscheinlich gemeinschaftlich verwalteten - Überschuß als "Besitz" privat anzueignen (um besser zu leben als die anderen) und ihn damit anderen Gesellschaftsmitgliedern vorzuenthalten: Macht, Herrschaft und Unterdrückung folgten auf den Fuß. Wahrscheinlich war das auch noch ein sich über Jahrhunderte ziehender schleichender Prozeß (etwa von der bloßen Verwaltung von Gemeineigentum über die symbolische bis zu letztlich realen Einverleibung). Durch "Vererbung" wurde dieses geschaffene Besitzungleichgewicht dann noch perpetuiert.
Dabei blieb die Menge des erzielten Überschusses im Vergleich zur Bevölkerung über Jahrhunderte und Jahrtausende gering (Wenn Sie sich vergewissern wollen, recherchieren Sie, wieviel Prozent der Bevölkerung etwa in Rom vonnöten waren, um den "Überbau" von Bessergestellten zu ernähren. Und: wie wichtig es war, daß die römischen Bauernsoldaten rechtzeitig zur Ernte wieder zuhause waren.). "Wohlstand" war deswegen immer nur für ganz wenige möglich und auch deren vollständige Enteignung hätte die Lebensverhältnisse der anderen nicht besonders gehoben (und im übrigen: wieder einige angespornt, sich möglichst viel Rosinen aus einem sehr kleinen Kuchen herauszupicken).
Das änderte sich erst mit der explosionsartigen Vermehrung der Produktion im Kapitalismus ("Sein historisches Verdienst", um M/E sinngemäß zu zitieren); erstmals ist es nun möglich durch Umverteilung ein "gutes Leben für alle" zu schaffen (nehmen sie als blasse Widerspiegelung davon nur den modernen Sozialstaat), was den Impuls, sich ein gutes Leben auf Kosten der "anderen" zu schaffen, dämpfen sollte. Ist man erst einmal soweit, wie es Marx für charakteristisch für den Kommunismus hält, daß jedem "nach seinen Bedürfnissen" gegeben werden kann, so fällt auch diese Motivation weg und man kann machen, was man als Mensch wirklich will ohne extra auf des Nachbarn Haus zu schielen (sinngemäß nach M.: "Fischen am Vormittag und Philosophieren am Abend").
 
Zum 2. Punkt:
"Permanente Revolution" war in der realen Auseinandersetzung ebenso wie theoretisch der Gegenpol zum Stalinschen "Sozialismus in einem Land" - und beide knüpfen an die Erkenntnis der Bolschewiki an, daß die erhoffte Weltrevolution nicht eingetreten war. Vereinfacht gesagt: Bronstein sagte "Weiter versuchen" und Dschugaschwili "Geht nicht, machen wir unser eigenes Ding".
Der Organisationsdisput - Kader- versus Massenpartei - wäre dann wieder eine ganz andere Frage.
Nein nein, das gehört zusammen.
Und das formiert sich in den Grundzügen bereits 10-15 Jahre bevor die Bolschewiki die Macht übernehmen.

Die Vorstellung der "Permanenten Revolution" erschöpft sich ja nicht in der Frage nach Innen- oder Außenfokus, sondern Teil des Postulats ist ja der unmittelbare Übergang der bürgerlich-demokratischen Revolution in eine Sozialistische, also gewissermaßen das Überspringen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsphase und genau dass, was die Bolschewiki ab 1917 versuchten, denn ansonsten hätten sie die provisorische Regierung ja nicht wegputschen müssen, sondern daran teilnehmen können.

Diese Vorstellung des fließenden unmittelbaren Übergangs, oder wenn man so möchte der Tansformation des Charakters der Revolution, war aber im Rahmen der Marx'schen materialistischen Geschichtsdeutung ein Ding der Unmöglichkeit, weil nach dieser es ja eine Phase der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung benötigt hätte, um überhaupt ein hinreichend starkes Proletariat hervor zu bringen, dass eine sozialistiche Revolution hätte anstoßen können.
Da das ausfiel, musste die "Avantgarde-Partei" als "Sachwalter" der weiteren Entwicklung her, um den Verlauf steuern zu können und damit auch die Diktatur, damit diese Vorstellung aufgehen konnte.

Zum 1. Punkt:
Ich kann hier nur - verkürzt und stark vereinfacht - die Meinung von M/E rezitieren und werd auch nur einen der Aspekte stark überzeichnend herausgreifen: [...}
Es ist nicht nötig mir das Konzept zu erklären, ich habe das schon verstanden. Das Problem ist nur, wie angerissen, dass es in sich nicht konsistent ist, schon weil menschliche Bedürfnisse keine Konstante sind.

Man kann damit argumentieren, dass sich eine spekulative Urgesellschaft mit quasikommunistischen Zügen aufgelöst habe, weil erkannt worden ist, dass andere Weisen zu wirtschaften, die individuellen Bedürfnisse oder auch die allgemeinen Bedürfnisse besser befriedigen.

Nur was waren die Bedürfnisse von Mitgliedern einer solchen Gesellschaft und waren sie in irgendeiner Form mit denen eines Mitglieds der Gesellschaften des 19. oder 20. Jahrhunderts vergelichbar gewesen?
Offensichtlich entwickeln sich Bedürfnisse im Rahmen komplexer und leistungsfähiger werdender Gesellschaften weiter und das betrifft auch die Definition von Grundbedürfnissen, was der Marx-Rezipient des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts durchaus daran sehen konnte, dass mittlerweile auch die Regierungen anfingen anzuerkennen, dass z.B. im Sinne von Sicherheit am Arbeitsplatz oder Bildung Mindeststandarts notwendig geworden waren, an die 100 oder 150 Jahre vorher noch kein Mensch in dieser Form gedacht hätte, dass politische Parteien und Gewerkschaften anfingen Forderungen nach Dingen zu erheben, die, so weit das historisch rekonstruierbar ist in früheren sozialen Bewegungen nicht unbedingt Thema waren.

Wenn aber menschliche Bedürfnisse keine anthropologische Konstante, sondern ein sich historisch fortentwickelndes Konzept sind, dass immer mehr Themenfelder adaptiert, dann ist die vollständige Befriedigung dieser Bedürfnisse unmöglich, da die Erfüllung bisheriger Ansprüche automatisch zur Ausbildung weiterer Bedürfnisse führt.
Das aber müsste bedeuten, dass auch eine kommunistisch verfasste Gesellschaft niemals alle Bedürfnisse erfüllen könnte und es also Anreize dafür geben müsste, aus der kommunistischen Gesellschaft wieder auszubrechen, wenn irgendwo Chancen gesehen werden, Bedürfnisse zu erfüllen, die die kommunistische Gesellschaft nicht erfüllen kann.
Und da asymetrische Verteilung für den Einzelnen die Erfüllung von mehr Bedürfnissen in Aussicht stellt, als für die Gesellschaft auf deren Kosten das geht, müsste der Schluss lauten, dass eine kommunistische Gesellschaft notorisch instabil sein und Renegaten produzieren müsste, die permanent versuchen sie zu unterlaufen.
Das aber würde bedeuten, dass die Kommunistische Gesellschaft entsprechender Zwingmittel bedürfte um sich dagegen zu verteidigen und zu stabilisieren, da sonst die Sehnsucht nach Befriedigung weiterer, wachsender Bedürfnisse ihrer Mitglieder dazu führen könnte sie zu delegitimieren und abzuschaffen.

In diesem Sinne, ist das Postulat vom primitiven Kommunismus/"Urkommunismus" und das Abstellen auf die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse als Triebfeder, aus meiner Perspektive eine Absage an die Fähigkeit einer spekulativen kommunistischen Gesellschaft sich zu stabilisieren, was aber grundlegend für ihre Demokratiefähigkeit wäre.

Und dass geht mit der Marx'schen Vorstellung vom Kommunismus als finalem Stadium menschlicher Gesellschaft nicht zusammen, zummindest, wenn man Marx so versteht, dass er das so gemeint habe und die kommunistische Gesellschaft für ihn ein außerhalb der Geschichte oder an ihrem Endpunkt stehendes Stadium der gesellschaftlichen Organisation und nicht wie alle vorrangegangenen Gesellschaftsformen lediglich ein vorrübergehender historischer Zustand sei.
 
ad Shinigami (#179)
Zum zweiten Punkt (der sich ja jetzt - auch durch meine Mitschuld - nach vorne gemogelt hat) nur ein paar letzte Anmerkungen (ich fürchte, das ufert sonst noch ins Endlose aus):
"Kader- vs. Massenpartei" ist eine Organisationsfrage, die hauptsächlich von den Möglichkeiten politischer Betätigung im zaristischen Russland induziert war (saßen ja trotzdem viele längerfristig in Sibirien ein und einige hingen am Galgen), und berührt die penible Einhaltung revolutionärer Etappen nur peripher.
"Permanente Revolution" fußt hauptsächlich auf den Gedanken, daß ein Stehenbleiben im revolutionären Prozeß oder dessen Einhegung auf nationale Entitäten nicht machbar sei.

Zum ersten Punkt (sorry Punkt, du bist heute wieder Zweiter)
Es ist nicht nötig mir das Konzept zu erklären, ich habe das schon verstanden.
Fein, dann habe ich mir die Mühe der reduktionistischen Zusammenfassung halt umsonst gemacht. Ich habe - um kurz zu bleiben - nur einen Aspekt des Denkens von M/E rezipiert (und nicht "rezitiert", wie oben von mir fälschlich behauptet); gegen diese spezifisch-partikulare Argumentation ist ihr Gegenargument "Unendlichkeit der menschlichen Bedürfnisse" valid (vorausgesetzt, dass wir beide jetzt von ökonomischen Bedürfnissen sprechen und emotionale Bedürfnislagen - Hass, Liebe udgl. - ausblenden).
Aber das ist ja nicht das einzige Argument, das M/E machen: "Klassengesellschaften", wie sie es nennen, sind immer Systeme struktureller Gewalt, in dem immer eine Gruppe von Menschen eine andere Gruppe von Menschen dazu zwingen kann, für sie zu arbeiten und einen Teil der Früchte ihrer Arbeit an sie abzutreten. Dabei variieren die Methoden (reine Gewalt meist mit Bezugnahme auf überirdische Entitäten früher, Angst ansonsten zu verhungern später, das Gefühl an den Rand des gesellschaftlichen Gefüges gedrängt und ausgegrenzt zu werden - auch in den bestentwickelten Sozialstaaten - heute). Im Laufe der Geschichte - so M/E - hätten zwar die privilegierten Gruppen gewechselt, aber der grundlegende Mechanismus sei - trotz aller Formenwechsel - im Prinzip gleichgeblieben. Würde jetzt ein Wandel zum Sozialismus/Kommunismus die bisher Ausgebeuteten ökonomisch befreien, dann würde - in ihrer Argumentation - keine benachteiligte Gruppe mehr übrig sein, die zu benachteiligen sei, und es darüberhinaus auch keinen Mechanismus mehr geben, der dies strukturell befördern könnte.
Man kann gegen das alles natürlich an verschiedenen Punkten argumentieren, es für falsch, utopisch und unrealistisch halten, aber - das muss man mMn. zugeben: es ist ein recht stringent durchdachter Entwurf, der inhärent logisch ist (Mit den "Tücken der Praxis" leben wir ohnehin schon länger).
 
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