Auf jeden Fall sehe ich keinen "Masterplan" der einen vorgeschriebenen Weg vom Herrscher Frankreichs zum Weltherrscher beschreibt.
Dazu scheint mir auch sein Wesen, seine Politik zu sprunghaft und impulsiv. Wir haben eigentlich nur eine Konstante, den Kampf gegen England.
Das sehe ich etwas anders. Nicht dass es mir daran liegt, Napoléons Leistungen zu schmälern oder seine grundsätzliche Politik zu kritisieren, aber es unübersehbar, dass Frankreich (ob Republik oder Kaiserreich) wie auch schon vor der Revolution eine hegemoniale Stellung in Europa anstrebte. Und diese Stellung erreichte Napoléon auch, zumindest in der Zeit zwischen 1807 bis 1812.
Und da fællt mir eine Regierung ein, die -um sich die eigene "Weltherrschaft" zu sichern und ausbauen zu kønnen, niemals mit Napoleon hat arrangieren wollen, sondern tatsæchlich unversøhnlich war.
Wer aber findet sich gern mit einer Hegemonialmacht ab? Ein Friedensschluss mit Frankreich hätte für England die Anerkennung der französischen Vorherrschaft in Europa bedeutet - genauso gut kann man kritisieren, dass die Griechen der Antike sich nie mit der persischen Monarchie arrangieren wollten.
Nun aber genug genörgelt.:devil:
Den Hauptpunkt sehe ich nämlich woanders:
Napoleons und Frankreichs Hauptproblem, das jeden dauerhaften Friedensschluss zumindest mit den kontinentalen Mächten verhindert war, dass sich auf den Schlachtfeldern der Napoleonischen Epoche zwei grundsätzliche Ideologien bekämpften.
Auf der einen Seite das moderne Frankreich, das versuchte, die Französische Revolution (bzw. die 95% davon, die die napoleonische beibehalten hatte) zu exportieren, auf der anderen Seite aber die alten Monarchien Europas, die Liberalismus, Nationalismus und Freihandel als Bedrohung ansahen.
War Napoleon tatsæchlich ein Kriegstreiber, war er wirklich der "geborene" Tyrann, nur von dem Wunsche beseelt, die ganze Welt zu erobern und zu beherrschen?
Woher kommt eigentlich sein Ruf als Tyrann? Viele seiner Reformen, die übrigens erst durch seine Kriege und Siege ermöglicht wurden, bilden zusammengelegt eher das Bild eines Republikaners und Revolutionärs auf dem Kaiserthron. Es fängt ja schon bei der Bauernbefreiung an, die, mit gewissen Abstrichen, in Westphalen und Berg um einiges gründlicher durchgeführt wurde als z. B. in Preußen.
Weiter geht es mit dem Aufbau eines modernen Staates, der diesen Namen verdient - eine einheitliche Verwaltungsstruktur, ein allgemeines Recht (und damit Rechtssicherheit), eine unabhängige Justiz (Geschworenengerichte), Anfänge des Parlamentarismus, Ansätze von Menschen- und Bürgerrechten, die Grundlagen eines allgemeinen Bildungswesens etc.
Kann man da noch von einer Tyrannei sprechen? Nicht einmal Aufgeklärter Absolutismus scheint mir da noch passend - immerhin haben es die "aufgeklärten" Monarchen nie gewagt, an der Stütze ihrer Macht zu rütteln. Charakterisieren könnte sein System ein "Republikanischer Absolutismus" oder "Plebiszitärer Cäsarismus".
Sein Wirken als General, im Auftrag seiner Regierung, kann man kaum kritisieren. Im Krieg erfolgreich zu sein, kann kein Kriterium sein, jemanden als "Kriegstreiber" zu stigmatisieren.
Wenn, dann muessen wir seine Politik als Regierungschef unter die Lupe nehmen.
Und da fallen mir eine ganze Menge Friedensschluesse ein, die jeweils von der Gegenseite genau so lange akzeptiert wurden, bis man der Meinung war, wieder einen Waffengang wagen zu können.
Ich denke die Bewertung von Napoléons Kriegen hängt auch davon ab, welchen allgemeinen Punkt man zum Krieg vertritt.
Gesteht man "Befreiungskriegen" ein Existenzrecht ein, so wie es z. B. die polnischen Soldaten Napoléons* taten, so war die "Kriegstreiberei" Frankreichs durch ein höheres Ziel legitimiert: Die Verteidigung der Französischen Revolution, das Ende der österreichischen Herrschaft in Italien, das Ende der preußischen Herrschaft in Warschau, das Ende des Feudalismus in Deutschland, nicht zu vergessen das Ende von Inquisition und Absolutismus** in Spanien.
* Ich denke hierbei an die polnische Nationalhymne
**Letzteres zumindest offiziell
Anders sahen das bestimmt die vielen Wehrpflichtigen, die in Frankreich und seinen Satellitenstaaten zu den Waffen gerufen wurden und ihr Leben/ihre Gesundheit auf den Schlachtfeldern Spaniens und Russlands ließen. Die Wehrpflicht war in vielen Fällen sogar der Hauptvorbehalt gegen die französische Herrschaft (während andere Maßnahmen mit Freude aufgenommen wurde) - aber ohne die Wehrpflicht hätte die Grande Armée nie die Stärke erreicht, die sie benötigte, um die Siege zu erringen, die sie schließlich errungen hat.
Letztendlich war es ein Teufelskreis - ohne Wehrpflicht und Belastungen keine Siege, aber ohne Siege auch keine Modernisierung und Entlastungen. Und das kann man ja wohl Napoléon nicht anlasten.