Patriotismus ist doch kein Phänomen abstiegsbedrohter Schichten. Das ist so offensichtlich Quark
-ismen/radikale Bewegungen entstehen, wie du sehr richtig und sehr simpel schreibst, wenn “Lebenswelten” bedroht werden. Das ist wirklich nichts neues.
Das ist natürlich bedauerlich, dass ich solch ein „Quark“ schreibe und das noch „sehr simpel“. Aber ich verspreche, hart daran zu arbeiten, in Zukunft weniger Quark, weniger simpel zu schreiben und den hohen Erwartungen gerecht zu werden. Ich bin ja – wenigstens – lernfähig und – immerhin – selbstkritisch.
Allerdings irritiert mich – trotz meiner schlichten Art - dennoch das harte ablehnende Urteil zu Habermas denn doch ein wenig, zumal er, angefangen mit der „Rekonstruktion des Historischen Materialismus“, über die „Theorie des kommunikativen Handels“ systematisch die „Sprechakttheorie“ von Searle und handlungstheoretische Konzepte von Mead, Schütz und Wittgenstein eine Synthese mit der struktur-funktionalistischen Systemtheorie von Parsons und von Luhmann vorgenommen hatte.
Und damit – international anerkannt – eine neue integrierende Theoriebildung vorgenommen hat, die sogar bis in die USA zurück gewirkt hat. Daß das nichts „Neues“ gewesen sein sollte, wie Du - irrig - vermutest, entbehrt nicht einer gewissen „Originalität“ des Urteils.
Wenn das tatsächlich die soziologische Annäherung an den Patriotismus ist, weiss ich wieder, warum ich bei der alleinigen Nennung der Soziologie Juckreiz kriege.
Man erkennt an diesen Zeilen – leider - die Wissensdefizite in Bezug auf die deutsche Geschichte nach 1866 und den damit zusammenhängenden Problemen der „inneren Reichsgründung“ (auf den „Sozialimperalismus“ wurde bereits verwiesen) Du unterschätzt oder verstehst nicht die Mechanismen, die eine Vergesellschaftung – und somit Nationalstaaten – erst überhaupt ermöglicht haben. Das Reich wurde zwar 71 gegründet, aber es war deswegen noch lange kein Nationalstaat mit einem einheitlichen Nationalismus und auch keinem einheitlichen staatstragenden Patriotismus, wie beispielsweise bei Hewitson, „National Identity and Political Thought in Germany“ dargestellt.
Und vor allem der letzte Aspekt war ein zentraler Punkt, den Tönnies und beispielsweise auch Durkheim aufgegriffen haben und diese Mechanismen der gesellschaftlichen Solidarität erst in ein konzeptionelles Raster integriert haben. Und beispielsweise bei Geulen im Rahmen einer ausführlichen Darstellung systematisiert wurde [3 ].
In diesem Sinne ist der Aufbau einer „patriotischen Haltung“ ein mehr oder minder gezielter Akt der politischen Sozialisation und wird über das kulturelle System vermittelt. Und dieses System, ist, wie Parsons m.E. zu Recht festhält, eng an das politische System gebunden und ermöglicht die Integrationsleistung, die bereits häufiger angesprochen worden ist [8, S. 284].
Und es ist ein Parsons [7, S. 26ff] der auf die enge Verbindung der Theorie von Freud zu Durkheim hinweist, um die Entwicklung der individuellen Werte im Kontext einer Gruppenidentität zu beschreiben. Dabei interagieren soziale und politische Normen auf das Engste, wie Elster betont [2, S, 209].
Es ist in diesem Zusammenhang m.E. nicht hilfreich, die Prozesse der Vergesellschaftung, die durch die Psychologie erklärt werden, gegen die Erklärungen der Sozialpsychologie bzw. Analytischen Soziologie oder der allgemeinen oder politischen Soziologie auszuspielen. Sie betrachten lediglich verwandte Phänomene aus unterschiedlichen Sichtwinkeln und kommen im günstigsten Fall zu komplementären Ergebnissen.
Und da mag der eine "Juckreiz" bekommen und der andere kann über die Erklärungen der Soziologie sich die relevanten Konstrukte erarbeiten, die die evolutionäre Entwicklung von Gesellschaften und National-Staaten erst erklären helfen.
Patriotismus ist doch kein Phänomen abstiegsbedrohter Schichten. Das ist so offensichtlich Quark, dass man schon gar keine Lust mehr hat, Beispiele wie das preussische Offizierskorps oder die us-amerikanische Wirtschaftselite anzuführen
Präzises Lesen kann da durchaus beim Verständnis helfen. Es wurde sehr konkret von mir eine bestimmte historische Situation angesprochen und versucht, die Radikalisierung der NS-Wähler nach 32 zu erklären, zumal die NSDAP vor der Wirtschaftskrise – also 28 - eine marginalisierte politische Partei war. Das Argument war, dass es nicht der für fast alle Wähler aller Parteien geltende Nationalismus war, der als Erklärung für ihren Erfolg taugte, sondern die Interaktion zwischen Nationalismus und wirtschaftlicher Deprivation, die Hitler demagogisch zielgruppenorientiert, teils auch konträr in den Inhalten, aufzubereiten und auszunutzen verstand.
Die weltweiten Gegenbewegungen gegen die Globalisierung können insofern als „patriotisch“ definiert werden, als sie ihre kulturelle Identität erhalten wollen, die an lokale, regionale oder auch überregionale politische Organisationen gebunden sein können. Und an diesem Punkt wurde lediglich die Ähnlichkeit einer defensiven Haltung erkannt, die sich teilweise aggressiv nach außen wendet. Dass es nicht selten eine enge Beziehung zwischen innen- und außenpolitischen Themen gibt, ist wohl Allgemeingut.
Andere Formen des Patriotismus, wie der Patriotismus eines Scharnhorst, zu anderen Zeiten und für andere sozialen Schichten sind überhaupt nicht angesprochen worden und es wurde auch keine „Theorie des Patriotismus“ thematisiert.
Es macht daher gar keinen Sinn Marxismus, Islamismus, Nationalsozialismus und andere -ismen unter Patriotismus zu subsummieren.
Gut, dass das nochmal festgestellt wurde. Nur, wer hatte das denn behauptet?
Es wurde argumentiert, dass „Patriotismus“ teilweise im Westen sehr eng mit dem „modernen Westen“ (ab ca. 18. Jahhundert) und dann mit dem „National-Staat“ verbunden wird. Und das ist aus einer Reihe von Gründen m.E. nicht korrekt. Historisch wurde beispielsweise von Dodge die Haltung der karthagischen Elitenmit einem „lack of patriotism“ [1, S. 15] bezeichnet und er beschreibt ebenfalls die politische Haltung der Römer im Rahmen des Konzepts des „Patriotimus“ mit Rom als gesellschaftlichem und politischem System, aber definitiv nicht als „National-Staat“. Ebenso spricht Wickham 9, S. 598] beispielsweise von einem „urban patriotism“, der sich lokal auf bestimmte politische Institutionen bezieht.
In diesem Sinne kann sich Patriotismus um sehr unterschiedliche ideologische Konstrukte herum anlagern. Und sofern beispielsweise Religion zur Identitätsstiftung für eine große Gruppe von Menschen herangezogen wird, wie im Rahmen der Mobilisierung einer politischen Bewegung [6] und sofern das auf die Gründung eines politisches Verbandes, beispielsweise auch auf einen Staat, hinausläuft, dann ist diese Religion analytisch als eine Form von Patriotismus anzusprechen, da sie eine staatstragende Einstellung ist.
Und in diesem Sinne ist es Unsinn, was bei Wiki steht und die Bezugnahme auf einen „National-Staat“ zum alleinigen Kriterium zu erheben.
Patriotismus als Oberbegriff für alle denkbaren radikalen Lösungsansätze zu definieren hilft niemand weiter. Im Gegenteil. Patriotismus ist doch recht schön mit “als ...emotionale Verbundenheit mit der eigenen Nation...“ (Wiki) definiert
Andererseits ist es natürlich legitim ist, eine enge Beziehung zwischen dem Nationalstaat und dem Patriotismus herzustellen, wie es die Operationalisierungen der entsprechenden Konstrukte bei Kostermann und Feshbach zeigen. [5 ]
1.Dodge, Theodore Ayrault (1993): Hannibal. A history of the art of war among the Carthaginians and Romans down to the Battle of Pydna, 168 B.C., with a detailed account of the second Punic War. London, England, Pennsylvania, USA: Greenhill Books; Stackpole Books.
2.Elster, John (2011): Norms. In: Peter Hedström und Peter S. Bearman (Hg.): The Oxford handbook of analytical sociology. Oxford, New York: Oxford University Press ([Oxford handbooks]), S. 195–217.
3.Geulen, Dieter (1989, ©1977): Das vergesellschaftete Subjekt. Zur Grundlegung der Sozialisationstheorie. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp
4.Hedström, Peter; Bearman, Peter S. (Hg.) (2011): The Oxford handbook of analytical sociology. Oxford, New York: Oxford University Press
5.Kosterman, Rick; Feshbach, Seymour (1989): Toward a Measure of Patriotic and Nationalistic Attitudes. In: Political Psychology 10 (2), S. 257–274.
6.Opp, Karl-Dieter (2009): Theories of political protest and social movements. A multidisciplinary introduction, critique, and synthesis. London, New York: Routledge.
7.Parsons, Talcott (1997): Sozialstruktur und Persönlichkeit. 5., unveränd. Aufl. Eschborn bei Frankfurt am Main: Klotz.
8.Parsons, Talcott; Jensen, Stefan (1976): Zur Theorie sozialer Systeme. Opladen: Westdt. Verl.
9. Wickham, Chris (2006): Framing the early Middle Ages. Europe and the Mediterranean, 400-800. Oxford, New York: Oxford University Press.