Das habe ich mich auch schon oft gefragt. Es muss am Stellungskrieg liegen, mit tagelangem Trommelfeuer.
Da ist was dran.
Magnus Hirschfeld hat das Phänomen in den 1920er Jahre untersucht* und ist - verkürzt dargestellt - zu folgender Schlussfolgerung gekommen:
- Die jahrelangen Grabenkriege haben den Soldaten ein Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit beschert, vor allem bei den häufigen Trommelfeuern. Dieses Gefühl des dem-Schicksal-ausgeliefert-sein hat zu Verhaltenausffälligkeiten führen können.
- Verschüttungen in Gräben und Unterständen waren häufig. Viele Verschüttete litten an klaustrophobischen Zuständen, die sich schließlich zu einer Neurose entwickelten.
- Das Zittern oder Schütteln war eine typische Verhaltensform - übrigens bei allen Kriegsparteien.
Hirschfeld war einer der ersten (wenn nicht sogar der erste), der diese Erscheinung als Erkrankung diagnostizierte. Bis dahin hatten Mediziner aller kriegsführenden Länder die Zitterer als Feiglinge und Drückeberger betrachtet und deren "unmännliches Getue" mit kalten Wassergüssen, Stromstößen und ähnlichen Mitteln zu kurieren versucht.
Vor einigen Jahren habe ich einen Artikel über PTBS gelesen, in dem auch über Erscheinungsformen des 1. WK berichtet wurde. Die heutigen Psychologen gehen von der instinktiven Verhaltensnorm FOF ("fight or flee") aus. In Situationen, die denen man jedoch weder kämpfen noch fliehen kann, können sich physische und psychische Schäden entwickeln, vor allem, wenn diese Situationen schwerwiegend sind, länger andauern oder sich häufig wiederholen (und das war in den Grabenkämpfen 14/18 ja durchaus der Fall).
Natürlich hat es solche Erscheinungsformen auch in späteren Kriegen gegeben; besonders ausgeprägt waren sie jedoch im 1. WK.
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* Magnus Hirschfeld: "Die Sittengeschichte des Weltkrieges".