Phys. & psych. Folgen des Krieges (z.B. Kriegszitterer)

Wieso kam es eigentlich durch den 1. Weltrkrieg zum viel beachteten Aufkommen der Kriegszitterer, während über vergleichbare Krankheiten nach dem 2. Weltkrieg nichts bekannt ist.

Doch, auch über vergleichbare Krankheitsbilder nach dem 2. Weltkrieg ist etwas bekannt, nur wurde das anders genannt:

war fatigue, battle fatigue, Kriegsneurose, „neurozirkulatorische Asthenie” sind da die Stichpunkte laut Posttraumatische Belastungsstörung – Wikipedia

Ein paar Hinweise zu Studien hier: TIZ: Traumata: Der zweite Weltkrieg
 
@floxx, ich wüsste nicht, dass solche extremen Erscheinungen nach dem Zweiten Weltkrieg gehäuft auftraten.
YouTube - kriegszitterer avi
Posttraumata irgendwelcher Art hatten doch mehr oder weniger fast alle Deutschen, die den Krieg erlebten. Die Chancen, so etwas mitzubekommen war für die Zivilisten im Bombenhagel mindestens genauso groß wie für Soldaten.

By the way, posttraumatische Störungen kriegen ja heute schon viele Bundeswehrsoldaten attestiert, die in Bosniern oder Afghanistan waren und wahrscheinlich dort nie einen Schuss gehört haben.
 
@floxx, ich wüsste nicht, dass solche extremen Erscheinungen nach dem Zweiten Weltkrieg gehäuft auftraten.

Könnte das nicht auch an der Wahrnehmung dieser Traumata in der Öffentlichkeit liegen, in Verbindung mit den äußeren Umständen 1945-1949?

Von den medizinischen Aspekten verstehe ich nichts: allerdings waren die Bombennächte nicht "ohne Fluchtmöglichkeit monatelang andauernd", wie das für die Kriegszitterer beschrieben wird. Beschriebene Traumata aus dem Bombenkrieg gehen doch eher in Richtung Klaustrophobie, Angstreaktionen auf Sirenengeheul, explosionsartige Geräusche, Schlafstörungen etc.
 
Das habe ich mich auch schon oft gefragt. Es muss am Stellungskrieg liegen, mit tagelangem Trommelfeuer.

Da ist was dran.

Magnus Hirschfeld hat das Phänomen in den 1920er Jahre untersucht* und ist - verkürzt dargestellt - zu folgender Schlussfolgerung gekommen:
- Die jahrelangen Grabenkriege haben den Soldaten ein Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit beschert, vor allem bei den häufigen Trommelfeuern. Dieses Gefühl des dem-Schicksal-ausgeliefert-sein hat zu Verhaltenausffälligkeiten führen können.
- Verschüttungen in Gräben und Unterständen waren häufig. Viele Verschüttete litten an klaustrophobischen Zuständen, die sich schließlich zu einer Neurose entwickelten.
- Das Zittern oder Schütteln war eine typische Verhaltensform - übrigens bei allen Kriegsparteien.

Hirschfeld war einer der ersten (wenn nicht sogar der erste), der diese Erscheinung als Erkrankung diagnostizierte. Bis dahin hatten Mediziner aller kriegsführenden Länder die Zitterer als Feiglinge und Drückeberger betrachtet und deren "unmännliches Getue" mit kalten Wassergüssen, Stromstößen und ähnlichen Mitteln zu kurieren versucht.

Vor einigen Jahren habe ich einen Artikel über PTBS gelesen, in dem auch über Erscheinungsformen des 1. WK berichtet wurde. Die heutigen Psychologen gehen von der instinktiven Verhaltensnorm FOF ("fight or flee") aus. In Situationen, die denen man jedoch weder kämpfen noch fliehen kann, können sich physische und psychische Schäden entwickeln, vor allem, wenn diese Situationen schwerwiegend sind, länger andauern oder sich häufig wiederholen (und das war in den Grabenkämpfen 14/18 ja durchaus der Fall).

Natürlich hat es solche Erscheinungsformen auch in späteren Kriegen gegeben; besonders ausgeprägt waren sie jedoch im 1. WK.

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* Magnus Hirschfeld: "Die Sittengeschichte des Weltkrieges".
 
By the way, posttraumatische Störungen kriegen ja heute schon viele Bundeswehrsoldaten attestiert, die in Bosniern oder Afghanistan waren und wahrscheinlich dort nie einen Schuss gehört haben.

Das mag sein (ich kenne mich da mit den Zahlen nicht aus), das ist mir aber lieber als der frühere Zustand. Da musste man ewig darum kämpfen, und bekam es am Ende doch nicht bestätigt, dass man eine PTBS hatte und diese einen soweit einschränkt, dass man zu gewissen Tätigkeiten einfach nicht mehr fähig war.

Im Übrigen ist es nicht zwingend nötig, in einen Schusswechsel verwickelt worden zu sein, um "gezeichnet" aus einem Einsatz zurückzukehren.
Alleine die Anspannung, dass es jedem Moment passieren könnte, ist schon - auf nicht unerhebliche Weise - belastend.
 
Wir haben das hier schon mal diskutiert.

Irgendwann mal habe ich gelesen, dass zB das sogenannte "Schleudertrauma" nach Autounfällen, lediglich aus Ländern bekannt ist, wo die Haftpflichtversicherungen dafür bezahlen. In Ländern, wo die Haftpflichtversicherungen hierfür nichts bezahlen, dieses Krankheitsbild weitgehend unbekannt ist.
Der Autor hat dann auf die Zitterer nach dem 1. WK und dem praktisch fehlenden Krankheitsbild nach dem 2. WK abgehoben.

In meiner Kindheit gehörte einer dieser Zitterer zum Straßenbild, wie er mit seinem weißen Pudel an der Leine spazieren gegangen ist. Der Pudel muss fast verrückt geworden sein, die Leine hat ständig gewackelt.
Wir Kinder haben ihn nachgeäfft,
es ist kein Problem sich dieses Zittern anzueignen, so nachhaltig, dass es einer schallenden mütterlichen Ohrfeige bedurfte, um die "Krankheit" zu heilen:red:.
 
Wir haben das hier schon mal diskutiert.
...und zwar hier : http://www.geschichtsforum.de/f34/kriegstraumata-14089/.

Ich habe damals auf die Interpretation hingewiesen, dass die geschundene Seele sich solche Symptome sucht, die ihr Leiden für das Publikum plausibel darstellt. Wenn sich die Erwartungen der Anderen aus kulturellen Gründen ändern, ändern sich auch die Symptome.

Beispiel : Der "Veistanz", den Hysterikerinnen zu Freuds Zeiten aufführten, verschwand mit den gesellschaftlichen Normen vor dem 1. WK, und ist anderen "Ausdrucksformen" gewichen.
 
Lebt mal mindestens 100 Tage im Schützengraben im Stellungskrieg. Das Zuhause sind die Gräben, tagtäglich vor Artillerie-, Giftgas- und Scharfschützenattacken Angst haben. Dann kommen die Tage, wo man selbst im Angriff rauslaufen sollte, um im MG-Feuer umgeblasen zu werden oder wenn Panzer auf einem zurollen. Spätestens im Angriff oder der Verteidigung bzw. im Nahkampf bricht dann die Psyche zusammen. Manche drehen vorher durch und können von Glück reden nicht von eigenen Leuten erschossen worden zu sein.
Es gibt eben solche und andere Menschen.
CSR nennt sich die Krankheit im anglo-amerikanischen Raum.
Im amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865) gab es das da Costa-Syndrom.

Im Zweiten Weltkrieg war die Stressmedizin in den USA und Großbritannien schon weiter, nachdem man die psychischen Auswirkungen des Ersten Weltkrieges neurologisch und psychiatrisch auswertete.
Forschungsmaterial aus der Sowjetunion nach dem 2. Weltkrieg ist meines Wissens nicht zugänglich oder nicht vorhanden. Einige männliche Generationen haben den Zweiten Weltkrieg zwar als Soldat überlebt, aber die Jahre und Jahrzehnte im Zivilleben kaum verkraftet.
Auch Friedenszeiten können jahrelang kampferprobte Soldaten zu psychischen Wracks machen.
 
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