Rainer F Schmidt und seine Beurteilung von Poincarre, Buch Kaiserdämmerung

Es stellt sich auch die Frage, ob dieser Feldzug des Balkanbundes tatsächlich auch den russischen Interessen überhaupt entsprach?

Eigentlich nicht.
Eigentlich stellt sich nur die Frage ob er für Russland verschmerzbarer war als die Konsequnezen, die sich daraus hätten entwickeln können, wenn Russland mit aller Gewalt, letztendlich also auch Militärischer versucht hätte das aufzuhalten.

Ob Griechenland und Bulgarien die "Seiten gewechselt hätten" sei dahingestellt.
Griechenland hätte, da wegen Rhodos und der ägäischen Inseln mit Italien im Clinch lag möglicherweise noch ein Interesse daran gehabt es sich mit St. Petersbrug nicht völlig zu verderben.

Aber Bulgarien?
 
Hmmh, aber Deutschland hatte auf der Botschafterkonferenz in London genau das gegenüber seinen Verbündeten Wien getan; im Sinne der Erhaltung des Friedens. Warum sollte die Sängerbrücke dies gegenüber den mittleren Mächten, mit Ihnen war man ja nicht einmal verbündet, des Balkans nicht tun können?
Weil der der ganz junge, 'wilde' Nationalismus bekanntlich nicht den eingeübten, gegenseitig anerkannten und eingeforderten Spielregeln der anerkannten Großmächte und ihrer beiden Gruppen folgte und sich davon auch nicht hat bändigen oder beeindrucken lassen. Die Großmächte hatten ja derweil verschiedenen andere Projekte miteinander verhandelt, teils gelöst. Ganz typisch die Armenierfrage.

Dazu lohnen sich die überlieferten Zeilen von der Unterhaltung zwischen Sasonov und Poincaré bei dessen Staatsbesuch in Moskau im August 1912, Stieve, Diplomatische Schriftwechsel Iswolskis, Bd. 2, Dok 401, S. 223f, Abschnitte Der bulgarisch-serbische Vertrag und Die möglichen Verwicklungen auf dem Balkan.
 
Was hätte die Sängerbrücke denn deiner Meinung nach tun können um das zu verhindern, ohne gleichzeitig das eigene gute Verhältnis zu den Balkanstaaten vollkommen zu zerstören?
Vor allem interagierte die zusätzlich zeitgleich hochkochende Vorstellung vom Panslawismus auf dem Balkan mit der innerrussischen Öffentlichkeit und dem teilweisen Moskauer Selbstbild u.a. als wichtigster Beschützer und 'Gottvater' der Slawen.
 
Frankreich konnte Rumänien Kapital zur Verfügung stellen und Paris hatte Einfluß in Peterburg.

Rumänien brauchte kein Kapital, Rumänien brauchte angesichts seiner geographischen Lage zwischen Österreich, Russland und Bulgarien Bündnisperspektiven, auch über einen eventuellen Krieg hinaus.

Natürlich, man hätte sich mit Russland verbünden können.
Wenn man sich aber mit Russland verbündete und in einen Krieg geriet, der Österreich-Ungarn als Machtfaktor auf dem Balkan ausschaltete oder entscheidend schwächte, an wen hätte man sich anschließend als Schutzmacht wenden können, hätte sich Russland im Anschluss dazu entschlossen, sich im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit Bulgarien auf die bulgarische Seite zu schlagen?

Nachdem es die Streitigkeiten mit Bulgarien wegen der Dorbudscha einmal eskaliert hatte und diese jederzeit wieder aufbrechen konnten, machte es keinen Sinn für Bukarest sich so sehr auf die Entente einzulassen, dass Österreich keine mögliche Rückfalloption mehr darstellte, so lange nicht ein Krieg das Verhältnis zwischen Russland und Bulgarien endgültig ruinierte.

Zumal Russland Frankreichs lediglich zur Ausschaltung Österreichs auf dem Balkan und des Zweibunds bedurfte, aber nicht darüber hinaus.

Deine Einwände ergeben Sinn, wenn man sie genau bis zum Beginn eines möglichen Krieges, aber nicht darüber hinaus denkt.
 
Rumänien hatte im Lauf seiner Entwicklung häufig mit großen finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Der Drang nach Modernisierung hatte Ausgaben notwendig gemacht, die von den Einnahmen nicht gedeckt waren. Es gab Phasen wo die Ausgaben wuchsen, dann wieder Phasen strikter Sparsamkeit. Rumänien hatte sei 1864 über 3 Milliarden Lei an Anleihen aufgenommen; vorwiegend bei deutschen Banken.
Es kann also nicht per se behauptet werden, Rumänien benötigte kein Kapital.
 
Sehr interessanter Link. Dankeschön.

Rumänien hatte also in den Jahren vor dem Krieg, genauer zwischen 1900 und 1914, sechs Kredite, die von der Diskonto-Gesellschaft, Bleichröder und Rothschild vermittelt wurden, über 1,1 Milliarden Lei aufgenommen, die zum Erwerb von deutschen Rüstungsgütern und rollenden Material verwendet worden waren.
 
Ganz kurz hierzu eine Antwort:

Rumänien hatte im Lauf seiner Entwicklung häufig mit großen finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Der Drang nach Modernisierung hatte Ausgaben notwendig gemacht, die von den Einnahmen nicht gedeckt waren. Es gab Phasen wo die Ausgaben wuchsen, dann wieder Phasen strikter Sparsamkeit. Rumänien hatte sei 1864 über 3 Milliarden Lei an Anleihen aufgenommen; vorwiegend bei deutschen Banken.
Es kann also nicht per se behauptet werden, Rumänien benötigte kein Kapital.

Ich möchte nicht behauptet haben, Rumänien habe kein Kapital benötigt, wohl aber das Kaptial keinen Ersatz für Sicherheitspolitik darstellen konnte.

Du hast damit argumentiert, dass man sich in Rumänien sehr stark nach einer bündnispolitischen Anlehnung und einer Partnerschaft mit Frankreich sehnte.
Mag wohl sein, dass das in weiten Teilen der Bevölkerung auf Grund tatsächlicher oder imaginierter kultureller Ähnlichkeiten (gleiche Sprachfamilie) oder finanzieller Vorteile etc. eine engere Anlehnung an Frankreich wünschte.
Halte ich sogar für hochgradig wahrscheinlich, ähnliche Sentiments gab es ja auch in Deutschland immer wieder, etwa im Hinblick auf Großbritannien.

Jedem, der aber tatsächlich die rumänischen Außenbeziehungen zu leiten hatte, musste aber auch klar sehen, dass auch wenn man sich Frankreich gegebenenfalls nah fühlte, Frankreich aber niemals die Rolle eines Seniorpartners und einer Schutzmacht auf dem Balkan würde übernehmen können.
Und auch, dass es sich im Fall, dass wenn Russland sich in Sachen Dorbudscha möglicherweise irgendwann auf die bulgarische Seite schlagen würde, Frankreich sich der rumänischen Interessen wegen niemals mit Russland anlegen würde, nachdem es schon mit Deutschland über kreuz lag.

Jedem Rumänischen Außenminister, Regierungschef, etc. musste aus perspektivischen und strategischen Gründen klar sein, dass so lange man nicht entweder die Streitereien mit Bulgarien aus der Welt schaffte oder Russland und Bulgarien miteinander in Krieg gerieten, so dass jeder Verständigungswunsch mit Sofia für St. Petersburg in sehr weite Ferne rücken musste, Rumänien es sich nicht leisten konnte alle Brücken zu Wien abzubrechen, geschweigedenn sich im Rahmen der Entente an Österreichs völliger Ausschaltung am Balkan zu beteiligen.

Einfach weil Bukarest, ob es den Politikern und der Bevölkerung gefiel oder nicht irgendeine Großmacht als Rückendeckung benötigte, für den Fall, dass man perspektivisch mit Russland aneinander geriet (Bulgarien als potentieller Brandbeschleuniger) sonst damit rechnen musste mit ziemlich kurzem Hemd dar zu stehen.
Wie hätte Frankreich diese Rolle ausführen können?
Und welche Veranlassung hätte man in Paris haben sollen sich potentiell wegen Rumänien mit Russland zu verzanken, nachdem man wegen der Probleme mit Deutschland auf die Rückendeckung der russischen Landmacht angewiesen war und es mittelfristig auch bleiben würde.


Insofern unterstellst du der gesamten rumänischen Außenpolitik extrem kurz gedacht zu haben, wenn man nicht gerade die gesonderte Situation des Weltkriegs zum Maßstab nimmt, in der die Beziehungen zwischen Bulgarien und Russland kriegsbedingt komplett in die Binsen gehen mussten und du gleichzeitig eine hochgradige Wahrscheinlichkeit eines kompletten Bruchs Rumäniens mit Wien außerhalb dieser sehr speziellen Umstände unterstellst.
 
Zuletzt bearbeitet:
Rumänien brauchte kein Kapital, Rumänien brauchte angesichts seiner geographischen Lage zwischen Österreich, Russland und Bulgarien Bündnisperspektiven, auch über einen eventuellen Krieg hinaus.

ch möchte nicht behauptet haben, Rumänien habe kein Kapital benötigt, wohl aber das Kaptial keinen Ersatz für Sicherheitspolitik darstellen konnte.

Ja, was denn nun.
Rumänien war durch das Bündnis mit den Mittelmächten doch abgesichert.

Du hast damit argumentiert, dass man sich in Rumänien sehr stark nach einer bündnispolitischen Anlehnung und einer Partnerschaft mit Frankreich sehnte.

Ich habe geschrieben, das die Sympathie Frankreich galten. Mit Frankreich verband Rumäninien eine enge Freundschaft, die vor allem von der liberalen Partei Bratianus unterstützt wurde. Frankreichs Sprache, Kultur, Gesetzgebung und Lebensgewohnheiten waren, schon durch die gemeinsame romanische Abstammung, weitgehend Bestandteil des rumänischen Alltags geworden.

Bratianu war der Mann, der den Seitenwechsel herbeiführte.

Zunächst akzeptiert Rumänien den Bündnisfall im Jahre 1914 nicht.
Rumänien ließ sich 2 Jahre um werben, behandelte Angebote rein dilatorisch, um auf bessere Angebote und eine günstige militärische Ausgangsposition zu warten. Diese schien nach Meinung der Regierung in Bukarest nach Verdun, der Brussilow Offensive und der Südtirol Offensive gegeben zu sein. Ein folgenschwerer Irrtum.

Im August 1916 wurde dann mit der Entente einen Bündnisvertrag unterschrieben, der Rumänien Siebenbürgen, das Banat und beträchtliches ungarische Territorium bis zu Theiß als Belohnung zusicherte. Bethmann sprach in diesem Kontext vom Aasgeier Rumänien. Rumänien behandelte den Bündnisvertrag wie Italien, so als ob es diesen gar nicht gäbe.
 
Ich möchte nicht behauptet haben, Rumänien habe kein Kapital benötigt, wohl aber das Kaptial keinen Ersatz für Sicherheitspolitik darstellen konnte.
Sicherheitspolitik, Diplomatie, Eingliederung in Bündnisse, stets unter Berücksichtigung der vorhandenen Möglichkeiten: das war Ende des 19. Und Anfang des 20. Jhs. die schwierige Aufgabe der rumänischen Außenpolitik. Eine der Schwierigkeiten, vielleicht gar die ärgste, war: was kann ein viel schwächerer BündnisPartner (also Rumänien) einbringen, ohne die eigene Selbständigkeit aufzugeben.

Der Zugang zum schwarzen Meer und die beginnende Landesbefestigung (strategische Ausrichtung: russische Annexionsversuche und Angriffe aufhalten. Dafür mussten Bedingungen geschaffen werden, und das geriet sehr kostspielig: wir haben in anderen Fäden schon ausgiebig diskutiert, welche wirtschaftlichen Belastungen die militärische Aufrüstung nach der Brisanzkrise darstellte - eine hohe! Unter dem Zwang, starke Eigeninitiative zu präsentieren, musste Rumänien sehr hohe Kosten stemmen, höhere als es ad hoc aufbringen konnte (trotz Industriegesetz um 1870 war Rumänien noch kein "Industriestaat") - @Turgot erwähnt zurecht die hohen Kredite, die aufgenommen wurden.

Dass Rumänien schnell und teils "modern" militärische Zwänge zu bedienen versuchte, zeigt die Art und Weise der Landesbefestigung: Bukarest als brialmontsche Gürtelfestung (18 Forts, 18 Zwischenwerke projektiert, alle mit gepanzerter Artillerie) sowie der Bau der seinerzeit (um 1890) hochmodernen und vielbeachteten Serethlinie (Befestigungsgruppen gestaffelt als Linearbefestigung a la Schumann, vergleichbar mit den Linearbefestigunen des dt. Kaiserreichs um Boyen und bei Kleve)

Interessant hierzu eine "Begutachtung" von 1893:
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Screenshot_20220926_104833.jpg

Screenshot_20220926_104852.jpg
 
So, von mir aus kann es hier wieder weitergehen:)

Rumänien war durch das Bündnis mit den Mittelmächten doch abgesichert.

Ja natürlich, aber nur so lange es bei diesem Bündnis auch blieb. Du hast ja mehrfach die Perspektive eines französischen Bündnisses und eines Zusammengehens mit der Entente bezüglich Rumäniens ins Spiel gebracht.

Ein Rumänien, dass sich die österreichische Karte aber zumindest offen hielt, konnte in einen rein russisch dominierten Balkanblock, wie du das an die Wand gemalt hattest, keineswegs integriert werden.
Gleichzeitig, hätte sich Rumänien völlig auf Frankreich eingelsassen und mit Wien gebrochen, hätte es die Ausschaltung der einzigen potentiellen Gegenmacht zum mächtigen Nachbarn auf dem Balkan riskiert und damit seine vollständige Abhängigkeit von Russland, denn darauf Frankreich als antirussischen Gegenspieler auf den Balkan zu bringen konnte niemand ernsthaft hoffen.

Im August 1916 wurde dann mit der Entente einen Bündnisvertrag unterschrieben, der Rumänien Siebenbürgen, das Banat und beträchtliches ungarische Territorium bis zu Theiß als Belohnung zusicherte. Bethmann sprach in diesem Kontext vom Aasgeier Rumänien. Rumänien behandelte den Bündnisvertrag wie Italien, so als ob es diesen gar nicht gäbe.

Ja, im Rahmen des Kontextes des 1. Welrkriegs, nachdem Russland bereits gegen Bulgarien Krieg führte.
Es ist aber völlig bedeutungslos für die von dir aufgemachte Perspektive, nach der die völlige Bindung an die Entente auch ohne diesen Umstand ein mittelfristig realistisches Szenario gewesen wäre, dem im Prinzip nur König Carol im Wege stand.
 
Dazu lohnen sich die überlieferten Zeilen von der Unterhaltung zwischen Sasonov und Poincaré bei dessen Staatsbesuch in Moskau im August 1912, Stieve, Diplomatische Schriftwechsel Iswolskis, Bd. 2, Dok 401, S. 223f, Abschnitte Der bulgarisch-serbische Vertrag und Die möglichen Verwicklungen auf dem Balkan.

In der Tat. Poincaré bringt sein Besorgnis zum Ausdruck, da er in dem Bündnis der Serben und Bulgaren mehr einen aggressiven als defensiven Charakter sieht.

Und Sasnow informierte darüber, er hatte also etwas getan, das die Sängerbrücke Bulgarien und Serbien darüber in Kenntnis gesetzt habe, dass das Zarenreich dieses Bündnis nur als Defensivbündnis, eben für einen Angriff Österreich-Ungarns, anerkennten wollte und nicht die Hand für irgendwelche Angriffspläne reichen wolle.

Und Poincaré klärt Sasonow darüber auf, das der casus foederis nur gegeben sei, wenn Deutschland bei einem mögliche Balkankrieg beteiligt ist. Etwas anderes würde die französische Öffentlichkeit der Regierung nicht erlauben.


Sehr informativ.
 
dass das Zarenreich dieses Bündnis nur als Defensivbündnis, eben für einen Angriff Österreich-Ungarns, anerkennten wollte und nicht die Hand für irgendwelche Angriffspläne reichen wolle.

Und Poincaré klärt Sasonow darüber auf, das der casus foederis nur gegeben sei, wenn Deutschland bei einem mögliche Balkankrieg beteiligt ist. Etwas anderes würde die französische Öffentlichkeit der Regierung nicht erlauben.

Und dabei bleiben beide. Daher lehnen beide ab, den eigenmächtigen serbischen Truppenvormarsch auf albanisches Gebiet im Rahmen des sehr erfolgreichen 1. Balkankrieges (Okt.-Nov. 1912) gegen die militärischen Drohungen ÖUs und der Beistandserklärung Berlins für Wien zu schützen/Garantien zu geben usw.
Die ganzen Treue-Versicherungen gelten vor allem für den Fall, dass die ÖU-Verantwortlichen grundlos oder mit nicht ausreichend anerkannten Gründen Serbisches Staatsgebiet (Serbische Truppen?) selber angreift. Das ist kein Blankoscheck, auch keine Art Blankoscheck Poincarés für die russ. Administration.
 
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