Deine Ausführung ist aber auch kein Gegenargument.
Ehrlich gesagt, sehe ich mich auch nicht dazu veranlasst da irgendwie gegenzuargumentieren, weil deine Gangart die Einlassung von House mal eben pars pro toto für die gesamte politische Szene nehmen zu wollen, ohnehin nicht halt- oder sinnvoll diskutierbar ist.
Für diese Ausführungen hast du leider keine argumentative Stütze. Es ist lediglich eine Kommentierung.
Ja, man kann natürlich ignorieren, was ich hierzu geschrieben hatte und so tun, als hätte ich es nicht geschrieben. Dadurch kommen allerdings der Ost-Aufmarsch und Schmidts Ignoranz dessen im genannten Kapitel bei der Darstellung von Poincarés Handlungsweisen nicht aus der Welt.
Du unterschätzt bei deiner Debatte völlig den Eisenbahnbau in Rußland. Auch der Ausbau der Infrastruktur um Warschau etc. Frankreich unterstützte und drängte Rußland zu dieser Politik geradezu. Wenn nun aber Rußland in der Lage ist, große logistische Aktionen vorzunehmen, dann war Deutschland aufgrund seiner deutlich kleineren Armee geradezu gezwungen panikartig loszuschlagen. Das ist eine ganz nüchterne Analyse der taktischen Lage.
In Frankreich war das Bild der russischen Dampfwalze, die über Deutschland hereinbricht eine Wunschvorstellung.
Nein, da bist du mit dem gleichen Tunnelblick unterwegs, den Schmidt in sein Buch hineingeschrieben hat.
Die Fakten referieren ist ganz nett, wenn es aber darum geht Handlungszwänge zu konstatieren und herauszustellen, nicht hinreichend, denn dann müssen auch die Möglichkeiten eruiert werden, die ein Akteur hatte um damit umzugehen, um festzustellen, ob denn nun tatsächlich Handlungszwänge vorlagen oder nicht.
Von deutscher Seite her hätte man:
- Mit entsprechenden Heeresvermehrungen und gegebenenfalls geringfügigier Verlängerung der Dienstzeit reagieren können um die eigene Mobilmachung noch weiter zu beschleunigen und mehr Truppen zu haben um die ersten potenteillen Angriffe Russlands im Osten abzufangen.
- Man hätte Österreich-Ungarn entsprechende Kredite bewilligen können, um das österreichische Eisenbahnnetz und die K.u.K.-Armee im Bezug auf ihre materielle Ausstattung aufzutüchtigen und die Flankenbedrohung für Russland zu verstärken.
- Man hätte den Festungsbau im Osten intensivieren können.
- Man hätte vorsorglich die eigenen Munitionsreserven aufstocken und vorsorglich mehr Maschinengewehre und Artillerie für die vorhandenen Formationen beschaffen können um nummerische Unterlegenheiten auszugleichen.
- Man hätte nach Aufkommen des Haber-Bosch-Verfahrens 1911 mit staatlichen Mitteln eine entsprechende Infrastruktur aufbauen können um sich in Sachen Munitionsproduktion von überseeischen Importen unabhängig zu machen.
- Man hätte in größerem Stil Kraftwagen zur Aufstellung motorisierter Formationen und einer verbesserten Naschschubabteilung anschaffen können, um den Erfordernissen des Bewegungskriegs besser gerecht zu werden und schneller vorran zu kommen.
etc. etc.
Man hätte ein ganzes Arsenal von Maßnahmen ergreifen können, um den russischen Rüstungen rechtzeitig entgegen zu wirken.
Und man hätte auch durchaus weiterhin mit der Alternative eines Ost-Aufmarschs planen können.
Gerade die Fortschritte in der chemischen Industrie, die es erlaubten die Munitionsproduktion vom Weltmarkt zu entkoppeln, hätte durchaus die Möglichkeit geliefert sich auf einen Erschöpfungskrieg einzustellen und geringere Manpower mit besser Ausrüstung und Feuerüberlegenheit auszugleichen.
Das man es in Deutschland, in Teilen aus innenpolitischen und finanzpolitischen Gründen verschlief hierauf rechtzeitig in entsprechender Weise zu reagieren schuf dann in der Konsequenz die Handlungszwänge des Schlieffenplans als einziger militärischer Option.
Das diese Entscheidungen so fielen, war aber nicht vorgezeichnet.
Deutschland hatte Möglichkeiten hier anders zu reagieren als damit alles auf den Schlieffenplan zu setzen und panisch loszuschlagen.
Das man es in Deutschland unterließ in solcher Weise auf die Aktionen Frankreichs und Russlands zu reagieren, konnte Poincaré nicht voraussetzen.
Die Handlungszwänge auf die hier abgestellt wurde, mussten von deutscher Seite erst noch geschaffen werden und das war anno 1912 nicht selbstverständlich.
Rainer F. Schmidt hat ein wichtiges Werk geschrieben.
Das hat auch niemand bestritten.
Es öffnet die Augen für die Denkweise der damaligen Akteure.
Ja, das mag ja sein.
Nur, neben den von Schmidt beleuchteten Akteuren gab es eben auch andere Akteure, die auf das Geschehen in anderer Weise einwirkten und sich ebenso hätten durchsetzen können, was dann gerade im Bezug auf Wechselwirkungen und Eruierung von Möglichkeiten zum Tragen kommt und da hat Schmidts Buch in meinen Augen Schwächen.
Z.B. dass Deutschland in Sachen Rüstungswettlauf ins Hintertreffen und damit in politische Handlungszwänge geriet, hat ja auch etwas damit zu tun, dass der damalige Kriegsminister Josias von Heeringen die v. Moltke verlangten Heeresvermehrungen ablehnte und mit weitgehenden Mitteln bekämpfte.
Das ist z.B. so etwas, was man von französischer Seite her sicherlich gerne mitnahm, aber nicht antizipieren konnte, also konnte man es auch nicht als Handlungszwang ohne weiteres voraussetzen.
Hätte das Kriegsministerium hier anders aggiert und wären die Heeresvermehrungen, auch in dem Umfang wie Moltke sich das vorstellte, zeitig als Vorlage eingebracht und abgesegnet worden, hätte man im Juli 1914 die Möglichkeit gehabt, das ganze wesentlich gelassener anzugehen.
Schmidt war ja nach eigener Aussage wichtig, dass Vorfeld zu bearbeiten, dass Clark nur ansatzweise behandelt hat.
Ist ja als solche auch durchaus verdienstvoll.
Allein, das Beleuchten der Denke bestimmter Persönlichkeiten ohne das Eruiren des Handlungsmöglichkeiten, kann dann das Gesamtbild einer Person verzerren und ich bin der Meinung, dass das bei Schmidts Darstellung von Poincaré insofern der Fall ist, wenn Schmidt ihn zum vorrausschauenden Strippenzieher dieser Gestalt stilisiert.
So beschreibt Schmidt zB. klar, dass Frankreich nach 1912 den Balkan als zukünftiges Spannungsfeld erkannt hat, und deswegen Serbien aufgerüstet hat.
Den Balkan nach Balkankrieg Nr.1 nicht als Spannungsfeld zu erkennen, wäre auch schwierig gewesen.
Die Aufrüstung Serbiens war aber gerade im Hinblick auf das Verhältnis zu Russland auch ein Risiko, weil Russlands traditioneller Juniorpartner auf dem Balkan bis 1913 Bulgarien war und die serbisch-bulgarischen Streitigkeiten wegen der mazedonischen Gebiete ja bereits in der Welt waren.
Sollte man gegebenenfalls berücksichtigen, wenn man mit Einkreisungsnarrativen um sich werfen möchte.
Wenn Deutschland seinen Verbündeten Österreich nicht verlieren wollte, musste Deutschland hier handeln.
Ja, es musste handeln, aber es war zu diesem Zeitpunkt noch absolut nicht darauf festgelegt wie.
Z.B. hätte man auf die französischen Rüstungsunterstützungen für Serbien mit der Militär- und Eisenbahnkrediten für Bulgarien reagieren können um den Effekt der französischen Rüstungsexporte zu egalisieren und Serbien zu zwingen seine neuen militärischen Potentiale auf den Schutz der eigenen Ostflanke zu verwenden.
Wo wäre das Problem gewesen?
Davon abgesehen, dass man, wie an anderer Stelle angemerkt auch gannz einfach mal grundsätlich hätte überdenken können, ob man dass Bündnis mit Österreich tatsächlich brauchte oder ob man sich mit diesem Bündnis nicht eher in Schwierigkeiten brachte, weil es genau die Probleme erzeugte, die man mittels dieses Bündnisses zu bekämpfen gedachte.
Aber darüber hatte ich mich ja anderswo schon ausgelassen.
Dieser Mechanismus wurde den Beteiligten klar, und die Zwangslage, in die Deutschland kommen würde, auch.
In die Zwangslage geriet Deutschland, weil seine Politiker und Militärs in der Zeit zwischen 1912 und 1914 so handelten, wie sie eben handelten.
Sie waren nicht gezwungen so zu handeln und das sind wir wieder bei den Schwächen des Buches.
Das Referieren von Denkmustern bestimmter Personen ist sicherlich wichig und verdienstvoll, um ihre Handlungsweisen zu erklären.
Es verstellt aber den Blick darauf, dass das durchaus nicht determiniert war und an dieser Stelle überzeichnet die Darstellung.
Poincaré konnte sich denken dass die Maßnahmen, die man bezüglich Russlands und Serbiens traf Deutschland wegen der Ost-Bedrohung den Schlieffenplan sehr erschweren musste.
Das man im Reichskreigsministerium aber Heeresvermehrungen zwecks Gegenrüstungen blockieren und die Wilhelmstraße andere politische Schritte unterlassen würde um die Probleme auszugleichen, dass konnte Poincaré nicht vorhersehen und deswegen die Handlungszwänge in die sich Deutschland durch diese Schritte erst begab, auch nicht vorwegnehmen.