Re-Gallisierung?

Bei den Beispielen ist Caesarodunum doch der einzige, in dem der alte keltische Name aufgegeben wurde, auch wenn die Endung -dunum keltisch ist. Divodurum (Metz) und Durocortorum (Reims) sind doch bestimmt keltische Namen.

Das verstehe ich nicht. Der alte keltische Name Divodururum wurde aufgegeben (die Stadt heißt jetzt Metz), der alte keltische Name Durocortorum wurde auch aufgegeben (die Stadt heißt jetzt Reims).
Caesarodunum ist kein alter keltischer Name, der Name wurde garantiert erst in römischer Zeit vergeben.


Ich vermute, dass die vorgenannten Städte jeweils die Hauptorte ihrer civitas waren, die nach dem jeweiligen Keltenstamm benannt wurden. In der Spätantike dürfte dann der Name der civitas den eigentlichen Stadtnamen ersetzt haben.

Ja, die eigentlichen keltischen Städtenamen wurden aufgegeben.
 
Das verstehe ich nicht. Der alte keltische Name Divodururum wurde aufgegeben (die Stadt heißt jetzt Metz), der alte keltische Name Durocortorum wurde auch aufgegeben (die Stadt heißt jetzt Reims).
Caesarodunum ist kein alter keltischer Name, der Name wurde garantiert erst in römischer Zeit vergeben.

Dann habe ich Dich wohl mißverstanden. Ich meinte: bei Divodururum (Metz), Durocortorum (Reims), Lutetia (Paris) wurde im Rahmen der Romanisierung nach der Eroberung Galliens durch Caesar und unter Augustus oder Tiberius der alte keltische Name behalten, während bei Caesarodunum (Tours) ein neuer lateinischer Name gewählt wurde (aber mit der keltischen Endung -dunum).

In der Spätantike haben dann all die vorgenannten Städte ihren Namen nach der jeweiligen Civitas (abgeleitet vom Namen der früheren keltischen Stämme) benannt.

Dass man bei Caesarodunum einen neuen lateinischen Namen genommen hat, liegt wahrscheinlich daran, dass die Stadt ex nihilo (ohne unmittelbare gallische Vorgängersiedlung) gegründet wurde, sprich auf der grünen Wiese. Es gab da zwar eine gallische Siedlung, die aber schon über 100 Jahre zuvor aufgegeben wurde. Da dürfte also schon länger das sprichwörtliche Gras darüber gewachsen sein. Zumindest steht das in der französischen Wikipedia:

Un peuplement gaulois, et peut-être même une véritable agglomération, a déjà occupé cet emplacement entre 180 av. J.-C. et 120 av. J.-C., mais les données disponibles en 2007 semblent indiquer qu'il avait disparu bien avant la fondation de Caesarodunum et rien ne permet d'affirmer que sa présence entre en ligne de compte dans le choix du site antique​


Ähnlich sieht es übrigens bei Augustodunum (Autun) aus, das auch ex nihilo als neue Stadt mit einem lateinischen Namen gegründet wurde. Allerdings gab es hier keinen Namenswechsel zur Bezeichung der Civitas. Das dürfte wahrscheinlich die Civitas Haeduorum (Häduer) gewesen sein, aber hier habe ich auf die Schnelle keinen Beleg finden können.

Bei einer anderen Stadt mit fast gleichen Namens, nämlich Augustodurum (Bayeux - vor allem bekannt durch den sog. Teppich von Bayeux, der die Schlacht von Hastings darstellt), ist allerdings der Name in der Spätantike nach der Civitas der Baiokassen geändert worden (s. Bayeux — Wikipédia ) Auch hier ist die Stadt eine römische Neugründung ohne vorherige gallische Siedlung.
 
Bin schon wieder da :)

Hier mal ein römischer Meilenstein:

Imp(eratori) Caes(ari) C(aio) Iul(io) V/ero Max(i)mino Pi/o Felic(i) Aug(usto) Germa/nico max(imo) Sarmatic/o max(imo) Dacico ma/x(imo) pont(ifici) max(imo) tri/b(unicia) pot(estate) III co(n)s(uli) pro/co(n)s(uli) p(atri) p(atriae) Optimo M/aximoque pri/nc(ipi) n(ostro) civit(as) Seg(usiavorum) libera / l(eugas) IIII​
Also.
Das ist nun ein recht überzeugendes Argument. Hatte mich wohl zu fest auf diese Befreiungsbetrebungen konzentriert und da etwas hineininterpretiert …
Bleibt die Frage, ob sich die Änderungen in den Städtenamen einfach aus Bequemlichkeit ergaben, oder auch um sich bewusst von Rom zu distanzieren. Eben, warum wird es sonst so ausdrücklich erwähnt?

Man sollte bei solchen "Archaismen" immer vorsichtig sein. Manchmal sind Archaismen nämlich jünger, als man denkt.
Es ist ja durchaus so, dass auch die Römer sich nach Orakeln richteten (etwa die Auguren, die Vogelschau betrieben). Es gibt keltische Fluchtäfelchen in Gallien und Britannien, also Tafeln, auf denen Leute verflucht wurden, über die man sich ärgerte. Das klingt also eher nach Magie und Ritual als nach Recht. Zu beachten ist hier aber auch die Quellengattung: eine Komödie.
Miraculix 02.gif


Ja gut, aber hier wird eindeutig von der (neuerlichen) Gesetzeslosigkeit entlang der Loire gesprochen. Und vielleicht war in noch früheren Zeiten ja Magie, Ritual und Recht viel enger miteinander "verquickt", da sprachen ja die ehrwürdigen Druiden das Recht.

Fazit: Bin dennoch überzeugt, dass diese Aufstände in erster Linie Sezessionsbestrebungen waren (klar gab es auch sonst Rebellionen, Gründe dafür gab es ja zur Genüge).

Will sagen: Wenn du Tatort-Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) beim Ermitteln in einem niedersächsischen Dorf zusiehst, ...
Gerne, ist eine meiner Lieblingsschauspielerinnen : )

Habe hier noch etwas gefunden:
Den Bagauden gelang es sogar, kleine autonome Republiken zu schaffen (die sog. Bagaudicae), wo alle Entscheidungen gemeinschaftlich getroffen und deren Magistrate vom Volke gewählt wurden (wobei Entscheidungen bei gemeinsamen Treffen beraten wurden) und wo alle Gewalt Bauern- und Soldaten-Versammlungen anvertraut war.

("I Bagaudi riuscirono persino a creare piccole repubbliche autonome (le cosiddette Bagaudicae), in cui tutte le decisioni venivano prese in comune, in cui i magistrati erano eletti dal popolo (con decisioni ricontrollate in incontri collettivi) e con tutto il potere affidato ad assemblee di contadini e soldati.")

aus: "Gli straccioni feroci: i Bagaudi e l'utopia dimenticata, di Lawrence M.F. Sudbury, BarBar

Also. : )
 
Das bedeutet nur, dass sie sich selbstverwalteten, nicht dass sie sich abspalten wollten. (Zum Vergleich: Der Schweizer Kanton Tessin nennt sich offiziell auch „Republik“, ohne dadurch seine Zugehörigkeit zur Schweiz infrage zu stellen. In Deutschland wiederum gibt es mehrere „Freistaaten“, nicht nur Bayern – das vielleicht ein schlechtes Beispiel wäre -, sondern auch Sachsen und Thüringen.)
Über Magnus Maximus und Britannien z.B. heisst es:

… his practical course was to transfer local authority to local rulers. Welsh legend supports that this happened, with stories such as "Breuddwyd Macsen Wledig" (English: "The Dream of Emperor Maximus"), where he not only marries a wondrous British woman (thus making British descendants probable), but also gives her father sovereignty over Britain (thus formally transferring authority from Rome back to the Britons themselves).
aus: Magnus Maximus - Wikipedia

Kann ja auch sein, dass er Gallien und weitere Teile des Imperiums für sich wollte, und in Britannien Kleinkönige unter seiner Oberhoheit … weiss da zu wenig Bescheid.
Nicht nur „kann“. Sein Ende kam, als er sich nicht mehr mit Gallien und Britannien begnügen, sondern auch noch Italien seinem Herrschaftsbereich hinzufügen wollte. (Das war übrigens typisch: Die meisten Truppen nahm er mit, für den Schutz Galliens ließ er nur eine Minimalbesatzung zurück. Die Franken nutzten das prompt für einen Einfall. Die ihnen nachsetzenden römischen Truppen erlitten eine schwere Niederlage.) Also nichts mit „Sezession“ von Gallien und Britannien. Er war einfach nur einer von mehreren rivalisierenden Kaisern, der übrigens zeitweise durchaus um ein Einvernehmen mit seinen Kollegen bemüht war.

Was in späteren britischen Sagen über ihn berichtet wurde, darf man natürlich nicht ernst nehmen.
Dass Honorius die Briten aufforderte, für sich selbst zu sorgen, scheint ein weitverbreitetes Missverständnis zu sein; heute nimmt man an, dass der Brief wahrscheinlich an die italienische Stadt "Bruttium" gerichtet war, die sich von Alarich bedroht sah. Einzig Zosimus berichtet darüber, und auf Griechisch heisst Britannien "Brettania" und Bruttium "Brettia".
Hier z.B. Was Honorius’ Letter Really Sent to Britain?
Das ist bestenfalls umstritten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das bedeutet nur, dass sie sich selbstverwalteten, nicht dass sie sich abspalten wollten.

Es gab damals noch nicht das Konzept des Nationalstaates. In dem Sinne wollte man sich sicherlich nicht abspalten.

Es ging für die Bagauden in erster Linie darum, sich von der Unterdrückung durch die (Gallo-)Römische Oberschicht zu befreien, vor allem nach den Gesetzesverschärfungen durch Theodosius.

Es heißt dann aber genauso wenig darum, dass man Wert darauf legte, weiterhin Bestandteil des Imperiums zu sein, also um eine Art innere Autonomie.

Solche Konzepte wirken für die Situation viel zu weit hergeholt.


Etwas völlig anderes sind die Abspaltungen diverser Usurpatoren. Hier ging es darum, die römische Lebensart lokal fortzuführen, wenn man schon nicht das ganze Imperium haben konnte.
 
Es gab damals noch nicht das Konzept des Nationalstaates. In dem Sinne wollte man sich sicherlich nicht abspalten.

Es ging für die Bagauden in erster Linie darum, sich von der Unterdrückung durch die (Gallo-)Römische Oberschicht zu befreien, vor allem nach den Gesetzesverschärfungen durch Theodosius.

Es heißt dann aber genauso wenig darum, dass man Wert darauf legte, weiterhin Bestandteil des Imperiums zu sein, also um eine Art innere Autonomie.

Solche Konzepte wirken für die Situation viel zu weit hergeholt.
Das bedeutet nicht, dass es kein Konzept von Staatlichkeit oder Reichszugehörigkeit gab, schon wegen des Reichsbürgerrechts.
Innere Autonomien (insbesondere von Städten) waren für das Römische Reich wesentlich, wenngleich sie gerade in der Spätantike ausgehöhlt wurden. Sie wurden von einer zunehmend durchorganisierten Verwaltung überlagert.
Etwas völlig anderes sind die Abspaltungen diverser Usurpatoren. Hier ging es darum, die römische Lebensart lokal fortzuführen, wenn man schon nicht das ganze Imperium haben konnte.
Mir ist kein Fall bekannt, in dem sich ein Usurpator vom Reich abspalten wollte, auch nicht das sog. „Gallische Sonderreich“ oder Britannien unter Carausius und Allectus. (Ein Sonderfall ist das kurzlebige Palmyrenische Reich, aber da handelte es sich auch nicht um eine Sezession, sondern Herrscher eines expandierenden Vasallenreiches übernahmen den Kaisertitel.) Manche Usurpatoren versuchten das ganze Reich unter ihre Kontrolle zu bringen, andere gaben sich mit dem zufrieden, was sie realistischerweise behaupten konnten. Aber dass sie sich weiterhin als Teil des Reiches betrachteten, ergibt sich schon daraus, dass sie (wie die meisten frisch zur Würde gelangten Kaiser) ehestmöglich das Konsulat (das ehrwürdigste traditionelle römische Amt) übernahmen (wenngleich sie seine Anerkennung außerhalb ihres Machtbereiches meist nicht durchsetzen konnten) und auch selbst Konsuln designierten.
 
Das bedeutet nicht, dass es kein Konzept von Staatlichkeit oder Reichszugehörigkeit gab, schon wegen des Reichsbürgerrechts.

Es war von den Bagauden die Rede. Da geht es um das tägliche Brot, nicht um Staatlichkeit oder Reichsbürgerrecht.
Natürlich gab es diese Konzepte, aber auf ganz anderer Ebene.


Mir ist kein Fall bekannt, in dem sich ein Usurpator vom Reich abspalten wollte


Habe ich auch nicht behauptet.

Hier ging es darum, die römische Lebensart lokal fortzuführen, wenn man schon nicht das ganze Imperium haben konnte.
 
Civitates liberae gab es häufiger. Das war ein Rechtsstatus.

hier findet sich noch etwas dazu:

Die civitates wurden in drei große Untergruppen gegliedert, wobei auch hier die genauen Merkmale nicht immer klar und wohl oft auf die jeweilige Anfangsphase der Beziehung zu Rom zurückzuführen sind. Man unterschied:

  • civitas stipendiaria (abgabepflichtige Gemeinde)
  • civitas foederata (verbündete Gemeinde)
  • civitas libera (freie Gemeinde)
  • civitas sine foedere (ohne „beschworenes“ Bündnis)
aus: Civitas – Wikipedia

Merkwürdig: Erst wird von drei Untergruppen geschrieben, dann werden aber vier aufgezählt

Ein wenig ausführlicher ist die englische Wiki:

There were three categories of autonomous native communities under Roman rule: the highest, civitates foederatae ("allied states"), were formed with formally independent and equal cities, and sealed by a common treaty (foedus); next came the civitates liberae ("free cities"), which indicated communities that had been granted specific privileges by Rome, often in the form of tax immunity (hence liberae et immunes); the final, and by far most common group, were the civitates stipendariae ("tributary states"), which while retaining their internal legal autonomy were obliged to pay tax.​


und noch etwas speziell zur civitas libera:

Free city (classical antiquity) - Wikipedia - allerdings beziehen sich die Angaben alle auf die östliche Reichshälfte mit griechischer Tradition.
 
Es ging für die Bagauden in erster Linie darum, sich von der Unterdrückung durch die (Gallo-)Römische Oberschicht zu befreien, vor allem nach den Gesetzesverschärfungen durch Theodosius.

Bingo! Genau darum geht es mir, fürchtete nur, dann ellenlange Erklärungen abgeben zu müssen.

Es ist mir weniger wichtig, welcher der ganaue rechtliche Status jeweils war (autonom, halbautonom etc.), sondern vielmehr, dass man die röm. Gesetze - vor allem die neuen Religionsgesetze - ablehnte (und darum eine Loslösung von Rom anstrebte).

Das war vielleicht auch der Grund, warum die Bagauden jetzt einige Erfolge erzielen konnten: es war nicht mehr nur die ärmste Unterschicht, die revoltierte, sie hatten die Unterstützung auch von höheren Gesellschaftsschichten (hier z.B.: https://www.jstor.org/stable/650121)

Und zu diesen zähle ich eben auch Aegidius, vielleicht nicht direkt zu den Bagauden, aber er hat sich von Rom losgesagt, als Libius Severus, ein frommer Christ, Kaiser wurde.

(Auch der Ostkaiser Leo I. und Marcellinus von Dalmatien weigerten sich, den neuen Kaiser anzuerkennen, wohingegen sie Anthemius, der das Heidentum wieder aufblühen lassen wollte, anerkannten und förderten. Dalmatien bekannte sich selbst noch nach Theodosius' Edikten von 380 und 391/2 offen zum Heidentum.)
 
P.S. Ich habe nicht generell etwas gegen ellenlange Erklärungen und Diskussionen, sind oft ganz interessant - nur gegen "unlautere". Habe schon öfter erlebt, dass ich, sobald ich etwas äussere, das nach Kirchenkritik tönt (auch wenn es simple Fakten sind), in ellenlange Diskussionen verwickelt werde, die rein nichts bringen, da es offensichtlich ist, dass es dem Gegenüber nicht ums Diskutieren geht, sondern um eine Agenda.
 
....dass man die röm. Gesetze - vor allem die neuen Religionsgesetze - ablehnte (und darum eine Loslösung von Rom anstrebte).

Nein, darum ging es nicht. Es ging ganz konkret um die Landarbeiter und Kleinbauern, die teilweise einen schlechteren Status als Sklaven hatten:

Codex Theodosianus, 17.1:
Sogar die Kolonisten selbst, die eine Flucht in sklavische Verhältnisse in Erwägung ziehen, werden mit eisernen Fesseln belegt, so dass sie gezwungen sind, die offiziellen Pflichten freier Menschen zu erfüllen, was eine sklavische Verurteilung verdient.

Da spielte Religion oder gar Loslösung von Rom eine untergeordnete Rolle.
 
Bingo! Genau darum geht es mir, fürchtete nur, dann ellenlange Erklärungen abgeben zu müssen.

Es ist mir weniger wichtig, welcher der ganaue rechtliche Status jeweils war (autonom, halbautonom etc.), sondern vielmehr, dass man die röm. Gesetze - vor allem die neuen Religionsgesetze - ablehnte (und darum eine Loslösung von Rom anstrebte).

Das war vielleicht auch der Grund, warum die Bagauden jetzt einige Erfolge erzielen konnten: es war nicht mehr nur die ärmste Unterschicht, die revoltierte, sie hatten die Unterstützung auch von höheren Gesellschaftsschichten (hier z.B.: https://www.jstor.org/stable/650121)

Und zu diesen zähle ich eben auch Aegidius, vielleicht nicht direkt zu den Bagauden, aber er hat sich von Rom losgesagt, als Libius Severus, ein frommer Christ, Kaiser wurde.

(Auch der Ostkaiser Leo I. und Marcellinus von Dalmatien weigerten sich, den neuen Kaiser anzuerkennen, wohingegen sie Anthemius, der das Heidentum wieder aufblühen lassen wollte, anerkannten und förderten. Dalmatien bekannte sich selbst noch nach Theodosius' Edikten von 380 und 391/2 offen zum Heidentum.)

Ravenik (?) hat aber doch schon darauf hingewiesen, dass Aegidius mit Kaiser Maiorianus auf gutem Fuße stand? Wenn er sich vorwiegend wegen Ricimer vom weströmischen Reich abwandte (den oströmischen Kaiser scheint er ja anerkannt zu haben), dann ist das doch eher ein Zeichen für seine fortdauernde Bindung an die römische Welt, oder?
 
Und zu diesen zähle ich eben auch Aegidius, vielleicht nicht direkt zu den Bagauden, aber er hat sich von Rom losgesagt, als Libius Severus, ein frommer Christ, Kaiser wurde.

(Auch der Ostkaiser Leo I. und Marcellinus von Dalmatien weigerten sich, den neuen Kaiser anzuerkennen, wohingegen sie Anthemius, der das Heidentum wieder aufblühen lassen wollte, anerkannten und förderten. Dalmatien bekannte sich selbst noch nach Theodosius' Edikten von 380 und 391/2 offen zum Heidentum.)
Das hatte wesentlich profanere Gründe:
Ricimer beseitigte Kaiser Maiorianus und ersetzte ihn durch Kaiser Libius Severus. Marcellinus (mit Machtbasis vor allem in Illyrien) war auf Ricimer nicht gut zu sprechen, weil dieser ihm seine Truppen weggenommen hatte. Aegidius wiederum war erstens nicht von Ricimers Vorgehen erbaut (schließlich war er anscheinend von Maiorianus eingesetzt worden) und wurde zweitens von Ricimer in seiner eigenen Stellung in Gallien bedroht. Der oströmische Kaiser Leo I. wiederum hatte generell ein Problem damit, wenn Ricimer nach eigenem Gutdünken Kaiser einsetzte. Schließlich wurde formal an der Reichseinheit festgehalten, wobei der Kaiser in Konstantinopel den Vorrang beanspruchte. Ein neuer Kaiser im Westen sollte also nur mit Zustimmung des Kaisers im Osten eingesetzt werden. Anthemius war der Kandidat des Ostens. Er stand dem Heidentum zwar tolerant gegenüber, aber dass er es "wieder aufblühen lassen wollte", wäre übertrieben. (Ehe er Kaiser wurde, machte er Karriere in Ostrom, wo er in enger Verbindung zum Kaiserhaus stand und sogar die Tochter von Leos Vorgänger Marcianus geheiratet hatte. Das wäre zu dieser Zeit nicht mehr denkbar gewesen, wenn er selbst praktizierender Heide gewesen wäre.) Ein neuer Iulianus war er nicht. Dass er von Marcellinus unterstützt wurde, lag aufgrund von dessen Gegnerschaft zu Ricimer auf der Hand, außerdem wurde Marcellinus von Anthemius (der ihn als Gegengewicht zu Ricimer aufbaute) gefördert.
 
Nein, darum ging es nicht. Es ging ganz konkret um die Landarbeiter und Kleinbauern, die teilweise einen schlechteren Status als Sklaven hatten:

Codex Theodosianus, 17.1:
Sogar die Kolonisten selbst, die eine Flucht in sklavische Verhältnisse in Erwägung ziehen, werden mit eisernen Fesseln belegt, so dass sie gezwungen sind, die offiziellen Pflichten freier Menschen zu erfüllen, was eine sklavische Verurteilung verdient.

Da spielte Religion oder gar Loslösung von Rom eine untergeordnete Rolle.
Gewiss, den Kleinbauern ging es wohl ganz konkret um ein einigermassen würdiges und sicheres Leben und Religionsstreitigkeiten gingen ihnen wohl am … vorbei. Darum meinte ich auch:
Das war vielleicht auch der Grund, warum die Bagauden jetzt einige Erfolge erzielen konnten: es war nicht mehr nur die ärmste Unterschicht, die revoltierte, sie hatten die Unterstützung auch von höheren Gesellschaftsschichten (hier z.B.: https://www.jstor.org/stable/650121)

Zuvor war an eine (grössere) Rebellion wohl nicht einmal zu denken.

Aber jene, die genug zu essen hatten, sprich "höhere Gesellschaftsschichten", denen ging es denke ich sehr wohl vor allem um diese neuen Religionsgesetze. Es ist wohl kein Zufall, dass genau nach den Edikten von 391 in manchen Gegenden solche Tumulte ausbrachen. Eben: "An der Loire gibt es das Gesetz nicht mehr", um eine der sonst praktisch nicht vorhandenen Quellen aus dieser Zeit zu zitieren. Von einer "rätselhaften Lücke in der Quellenlage" habe irgendwo gelesen. (Klar kann man wieder einmal einzig die "Invasion der Barbaren" dafür verantwortlich machen.)

Und: vor allem im Süden Galliens waren ja neuerdings - seit Konstantin I. - die Grossgrundbesitzer vielfach Bischöfe aus dem neuen gallischen "Senatorenadel". Auch Martin von Tours soll 20'000 Sklaven (wohl eher Leibeigene?) "besessen" haben.

Ich meinte zwar nicht direkt ihn, aber seit seinem letzten Beitrag hatte ich schon den leisen Verdacht, er könnte einer der "Adressaten" sein, ja.

Was in späteren britischen Sagen über ihn berichtet wurde, darf man natürlich nicht ernst nehmen.
Aber man darf natürlich forschen, wieviel Wahrheit dahinter steckt.
 
Das hatte wesentlich profanere Gründe:
Ricimer beseitigte Kaiser Maiorianus und ersetzte ihn durch Kaiser Libius Severus. Marcellinus (mit Machtbasis vor allem in Illyrien) war auf Ricimer nicht gut zu sprechen, weil dieser ihm seine Truppen weggenommen hatte. Aegidius wiederum war erstens nicht von Ricimers Vorgehen erbaut (schließlich war er anscheinend von Maiorianus eingesetzt worden) und wurde zweitens von Ricimer in seiner eigenen Stellung in Gallien bedroht. Der oströmische Kaiser Leo I. wiederum hatte generell ein Problem damit, wenn Ricimer nach eigenem Gutdünken Kaiser einsetzte. Schließlich wurde formal an der Reichseinheit festgehalten, wobei der Kaiser in Konstantinopel den Vorrang beanspruchte. Ein neuer Kaiser im Westen sollte also nur mit Zustimmung des Kaisers im Osten eingesetzt werden. Anthemius war der Kandidat des Ostens. Er stand dem Heidentum zwar tolerant gegenüber, aber dass er es "wieder aufblühen lassen wollte", wäre übertrieben. (Ehe er Kaiser wurde, machte er Karriere in Ostrom, wo er in enger Verbindung zum Kaiserhaus stand und sogar die Tochter von Leos Vorgänger Marcianus geheiratet hatte. Das wäre zu dieser Zeit nicht mehr denkbar gewesen, wenn er selbst praktizierender Heide gewesen wäre.) Ein neuer Iulianus war er nicht. Dass er von Marcellinus unterstützt wurde, lag aufgrund von dessen Gegnerschaft zu Ricimer auf der Hand, außerdem wurde Marcellinus von Anthemius (der ihn als Gegengewicht zu Ricimer aufbaute) gefördert.

Ja ja, immer der Ricimer …

Erstens darf bezweifelt werden, dass er Majorian umgebracht haben soll, Prokopius von Caesarea meint, er sei an der Ruhr gestorben.

Anthemius war ganz klar nicht nur tolerant dem Heidentum gegenüber, sondern selber Heide, inoffiziell natürlich, offiziell durfte man es ja da nicht mehr sein.

Auch von ihm heisst es ja, entweder Ricimer oder Gundobaud hätten ihn 472 umgebracht: er habe zuvor eine Revolte in Rom angezettelt, die mehrere Monate andauerte und mit dem Tode Anthemius' endete (11. Juli 472). Am 19. August 472 - also etwa einen Monat später - sei dann Ricimer "eines natürlichen Todes", an anderer Stelle "of a sudden hemorrhage" gestorben. Da lachen ja die Hühner!

Zu der Zeit war Simplicius Papst in Rom, und eine kurze Bemerkung in Wikipedia könnte auf die wahren Gründe der Revolten hinweisen: "Papst Simplicius gerät 472 in einen Konflikt mit Kaiser Anthemius."

Auf Anthemius folgte 472 Olybrius, wieder ein Katholik, und auch er wurde von Leo I. nicht anerkannt.
 
Es ist mir weniger wichtig, welcher der ganaue rechtliche Status jeweils war (autonom, halbautonom etc.), sondern vielmehr, dass man die röm. Gesetze - vor allem die neuen Religionsgesetze - ablehnte (und darum eine Loslösung von Rom anstrebte).

Das war vielleicht auch der Grund, warum die Bagauden jetzt einige Erfolge erzielen konnten: es war nicht mehr nur die ärmste Unterschicht, die revoltierte, sie hatten die Unterstützung auch von höheren Gesellschaftsschichten (hier z.B.: https://www.jstor.org/stable/650121)

Und zu diesen zähle ich eben auch Aegidius, vielleicht nicht direkt zu den Bagauden, aber er hat sich von Rom losgesagt, als Libius Severus, ein frommer Christ, Kaiser wurde.

Gibt es denn Quellen, aus denen hervorgeht, dass die Bagauden wegen der Religionsgesetze rebellierten? Ich vermute, hier ist Cunctos populos – Wikipedia gemeint. Laut Wiki haben sich die Bagauden zum einen als Protest gegen die hohen Steuerlasten zu wehren, zum anderen aber auch als lokale Milizen gegen die Bedrohung durch einfallende Germanen, die bis tief nach Gallien und sogar Hispanien ihre Plünderungszüge unternahmen. Von einer Bewegung zurück zu den heidnischen Göttern wird da nichts erwähnt.

Aegidius lebte übrigens nach der Zeit der Bagauden und war Katholik, von einer Rebellion aus religiösen Gründen konnte ich auch nichts lesen. Gäbe es denn dazu eine Quelle?
 
@WandaS ich komme nicht mehr hinterher und verstehe nicht, worauf du hinaus willst: geht es um die Bagaudenaufstände zu Beginn der Spätantike (Diocletian) oder um die Aufstände im krisengebeutelten 5.Jh.?
Erstaunlich fand ich, dass sich im 5.Jh. Bagaudengruppen den marodierenden "Invasoren" (allerlei einfallende Kriegergruppen) angeschlossen hatten, dass sie aber zu keiner identitätsstiftenden Großgruppe a la exercitus wurden. Mir schwirrt da gerade das Heer vom Ostgotenkönig Totila durch den Sinn, welches er quasi "bagaudisch" aufstockte.
 
Aber jene, die genug zu essen hatten, sprich "höhere Gesellschaftsschichten", denen ging es denke ich sehr wohl vor allem um diese neuen Religionsgesetze. Es ist wohl kein Zufall, dass genau nach den Edikten von 391 in manchen Gegenden solche Tumulte ausbrachen. Eben: "An der Loire gibt es das Gesetz nicht mehr", um eine der sonst praktisch nicht vorhandenen Quellen aus dieser Zeit zu zitieren. Von einer "rätselhaften Lücke in der Quellenlage" habe irgendwo gelesen. (Klar kann man wieder einmal einzig die "Invasion der Barbaren" dafür verantwortlich machen.)
Hast Du die Stelle im Zusammenhang eingesehen? Hier: Aulularia; sive, Querolus, Theodosiani Aevi Comoedia Putilio dedicata : Peiper, Rudolf, 1834-1898 : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive
Querolus ist unzufrieden mit einem Dasein in den Zwängen des bürgerlichen Lebens, das bei ihm ein Gefühl der Ohnmacht erzeugt, und sehnt sich nach einem Leben, in dem er sich etwas erlauben kann. Sein Lar familiaris schlägt ihm ein Leben nach dem "ius gentium" an der Loire vor, das er als urwüchsiger hinstellt. Von einer Ablehnung des Christentums oder christlicher Religionsedikte kann ich nichts herauslesen.
Aber man darf natürlich forschen, wieviel Wahrheit dahinter steckt.
Wenn man zeitnahe Quellen hat und Jahrhunderte später entstandene, liegt schon nahe, den zeitnahen mehr zu glauben.
Anthemius war ganz klar nicht nur tolerant dem Heidentum gegenüber, sondern selber Heide, inoffiziell natürlich, offiziell durfte man es ja da nicht mehr sein.
Belege?
 
Zuletzt bearbeitet:
Gibt es denn Quellen, aus denen hervorgeht, dass die Bagauden wegen der Religionsgesetze rebellierten? Ich vermute, hier ist Cunctos populos – Wikipedia gemeint. Laut Wiki haben sich die Bagauden zum einen als Protest gegen die hohen Steuerlasten zu wehren, zum anderen aber auch als lokale Milizen gegen die Bedrohung durch einfallende Germanen, die bis tief nach Gallien und sogar Hispanien ihre Plünderungszüge unternahmen. Von einer Bewegung zurück zu den heidnischen Göttern wird da nichts erwähnt.
Nicht dass ich wüsste, aber heidnische Quellen wurden ja zuhauf vernichtet.

Und eben, fragt sich, wen man zu den Baugauden zählt, den ärmeren (praktisch versklavten) Schichten ging es wohl zunächst nicht um Religion, und in Wikipedia z.B. liest man "nur" über diese (eben wegen der Steuerlasten und sonstigen erdrückenden Massnahmen).

Mit den Gesetzen oder Edikten Theodosius' meine ich "Cunctos populos" von 380, mit dem er das Christentum zur Staatsreligion erhob, aber noch keine antiheidnischen Massnahmen traf.
391/2 aber erliess er dann mehrere Edikte, die sehr einschneidend waren und heidnisches Leben unmöglich machten, mit Strafen wie Bussen (Mindestbusse 5 kg Gold), Verbannung und Konfiszierung allen Vermögens bis hin zur Todesstrafe.
Alle heidnischen Tempel wurden geschlossen, er liess den Siegesaltar in der röm. Kurie, wo sich der Senat versammelte, definitiv entfernen und das "ewige Feuer", das die Vestalinnen hüteten, erlosch erstmals nach 2000 Jahren!

Das alles liess man sich nicht so ohne weiteres gefallen.

Aegidius lebte übrigens nach der Zeit der Bagauden und war Katholik, von einer Rebellion aus religiösen Gründen konnte ich auch nichts lesen. Gäbe es denn dazu eine Quelle?

Zu der Zeit musste man ja als Reichsbürger Katholik sein, was man dann aber inoffiziell war, war oft etwas anderes. Und wieder: ich weiss von keiner Quelle dazu, da eben fast nur christliche Quellen überlebten. Aber von genügend Hinweisen (für mich weingstens): er sagte sich eben von Rom los, als Libius Severus, ein frommer Christ, Kaiser wurde. Und auch wen Leo I. (und Marcellinus von Dalmatien) anerkannte und wen nicht, spricht dafür. (Neuerdings vielleicht sogar der Name seines Sohnes, wer nennt schon seinen Sohn "Wildschwein", ausser er wolle damit etwas ausdrücken, war ja ein keltisches Symbol.)

Und er war ja bei weitem nicht der einzige, es gab noch sehr viele Heiden, die nur "offiziell" Katholiken waren, selbst in hohen Reichspositionen.
 
Ich komme nicht mehr hinterher und verstehe nicht, worauf du hinaus willst: geht es um die Bagaudenaufstände zu Beginn der Spätantike (Diocletian) oder um die Aufstände im krisengebeutelten 5.Jh.?
Ja, um die im 5. Jh. (unglücklicherweise werden alle diese Aufständischen "Bagauden" genannt)

Erstaunlich fand ich, dass sich im 5.Jh. Bagaudengruppen den marodierenden "Invasoren" (allerlei einfallende Kriegergruppen) angeschlossen hatten, dass sie aber zu keiner identitätsstiftenden Großgruppe a la exercitus wurden. Mir schwirrt da gerade das Heer vom Ostgotenkönig Totila durch den Sinn, welches er quasi "bagaudisch" aufstockte.
Dass sie sich den marodierenden Invasoren (allerlei einfallenden Kriegergruppen) anschlossen, ist mir auch neu, höchst interessant. Hast Du zufällig einen Link zur Hand? Auch über Totila weiss ich noch nicht Bescheid, ich befasse mich noch nicht sehr lange mit römischer Geschichte und bin vorläufig nur bis etwa zu Odoaker gekommen. Wäre toll, wenn Du auch einen Link zur "bagaudischen Aufstockung" hast. Nur wenn Du sie gleich zur Hand hast, sonst suche ich selber.
 
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