Zu „Qui bono?“ muss man wohl keine Belege bringen, oder? Außer Shinigami bringt sie für seine Andeutung, auch andere hätten ein Motiv gehabt, Reichstag anzuzünden.
Die Sache liegt nun wirklich auf der Hand. Wie viele Menschen im Land waren zu dem Zeitpunkt von der Wirtschaftskrise in ihrer Existenz betroffen und hätten daher ein Motiv gehabt, ihren Frust auf die Regierung zu projizieren und an dieser oder ihren Symbolen auszulassen?
Warum genau ist die Theorie, dass jemand in fehlgeleiteter Weise gegen die NS-Herrschaft ein Fanal setzen und so zur Revolution aufrufen wollte per se unplausibel?
Wie viele Menschen gibt es, die einfach eine pyromanische Veranlagung mitbringen und Spaß haben zu zündeln?
Wenn man sich ausschließlich auf "cui bono?" einschießt, blendet man derlei Möglichkeiten von vorn herein aus und ist in seiner Schlussfolgerung eo ipso voreingenommen.
Dass
die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ zur „Abwehr der kommunistischer staatgefährdender Gewaltakte“ geschrieben, unterschrieben und im Reichsgesetzblatt veröffentlich am Tag nach dem Brand über die Bühne ging, sollte Faksimile dieses Dokuments genügen:
Außerdem hält auch Shinigami es für möglich, dass diese Verordnung schon vorgefertigt in der Schublade lag, womit er das, was ich Bezug dazu geschrieben habe, bestätigt.
Hier verdrehst du nun wirklich den Sinn dessen, was ich schrieb. Ich schrieb, dass es angesichts des notorisch und offen staatsfeindlichen Verhaltens und der rechtsgerichteten Gesinnung von Regierung, Kanzler und Präsident, nicht überraschend wäre, hätten diese vorab ein Konzept entwickelt, wie mindestens die KPD bei Gelegenheit auszuschalten sein.
Du machst daraus nun ein Indiz dafür, dass man diese Gelegenheit bewusst herbei geführt hätte, dem würde die Frage gegenüberstehen, wozu es nötig gewesen sei sich in der Art zu kompromitieren, konnte man doch aus der Erfahrung der Vergangenheit durchaus damit rechnen dass die KPD mit ihrer verfassungsfeindlichen Haltung, einen Anlass bei Zeiten liefern würde.
Wirfst du einen Blick auf das präsentierte Reichsgesetzblatt, diehst du, dass das kein expiziter Bezug zur Brandstiftung am Reichstag genannt wird. Sieht daher mehr nach einem Katalog allgemeiner "Notstandsmaßnahmen" aus, der nicht viel Improvisation bedurft hätte, sondern so einen Text kann man auch blanco in der Schublade liegen haben, mit Lücken beim Anlass ("Abwehr kommunistischer Staatsgefährder") und bei den Unterschriften eben ausfüllen und ab in die Druckerei damit.
Angesichts der Geschichte der Weimarer Republik und der bisher erlebten Umstzurversuche, wie auch des aufgeheitzten Klimas im Gefolge der Weltwirtschaftskrise, wohl nicht völlig unplausibel, auf solche Dinge vorbereitet zu sein.
Was du dabei nicht verstanden zu haben scheinst, ist, dass ich damit nicht bestätige, was du schreibst, sondern dem diametral wiederspreche, weil in diesem Fall:
a) Zu hinterfragen wäre ob es einen näheren Zusammenhang zwischen der Entstehung der Verordnung und dem Reichstagsbrand gibt oder ob diese für den Fall erneuter Umsturzversuche von kommunistischer Seite mehr oder minder vorhanden war.
b) Im Falle das sie vorhanden war oder auch nur als Konzept existierte, würde dein Argument mit der Zeit der Ausarbeitung entfallen, dass implizit mindestens Mitwisserschaft an der Brandstiftung postulliert.
Auf den Einwand von Shinigami sage ich, dass man das nur für das halbe Jahr nach der Verurteilung von van der Lubbe gelten lassen kann, nach dem Tod des Reichspräsidenten von Hindenburg aber nicht mehr.
Gegen wen hätte man es zu diesem Zeitpunkt denn wenden sollen, eingedenk der Tatsache, dass KPD und SPD zu dem Zeitpunkt bereits weitgehend zerschlagen, ihre Funktionäre geflüchtet oder verhaftet und die Reste der Organisationen in den Untergrund getrieben waren?
Gegen das Zentrum oder die DNVP vielleicht, respektive das, was davon übrig war? Die Haltung der Nazis, Kommunisten und Sozialdemokraten als "Marxisten" nicht näher differenziert in einen Topf zu werfen, war vom Standpunkt politischer Theorie her schon höchst abenteuerlich, bedenkt man die Revisionismusdebatte in der SPD seit der zweiten Hälfte des Kaiserreichs. Den Konservativen oder sonst wem unterstellen zu wollen, es habe Mitwirkung an kommunistischen Umsturzversuchen gegeben, hätte niemand mehr für voll genommen. Andere Innenpolitische Zielscheiben von herausragender BEdeutung waren aber nicht mehr da.
Das Problem damit, was du im Bezug auf den Reichstagsbrand formulierst ist, dass du:
1. "cui bono?" als einzige Erklärungshypothese wirkich verfolgst. Dabei kann aus der Tatsache des Reichstasbrandes an und für sich nicht einmal sicher bewiesen werden, dass es sich um eine politisch motivierte Tat handelte, es könnte auch einfach die Tat eines Geisteskranken oder persönlich Frustrierten ohne näheres politischess Anliegen gewesen sein.
Es könnte auch verschiedene politische Strategien verfolgen und demnach verschiedenen politischen Akteuren zuzuweisen sein, dass schließt du in deinem Erklärungsversuch aber von vorn herein aus.
2. Angesichts der Art, in der du argumentierst und den aufgezeigten Problemen im Bezug auf die von dir selbst präsentierte Quelle liegt der Verdacht nahe, dass du diese nicht gründlich überdacht hast, sondern einfach zur Rechtfertigung eines Schlusses benutzt, der für dich im Vorhinein bereits feststand. Andernfalls müsste dir der fehende konkrete Bezug des Textes zum Reichstagsbrand aufgefallen sein und die Tatsache, dass die Aufstellung von Konzepten zur Abwehr etwaiger Umsturzversuche in einem Staat, der bereits mehrere erlebt hatte und gerade angesichts der Wirtchaftskrise mit erheblichen sozialen Spannungen herumschlug, für den Fall, das man sie benötigte, nicht unplausibel erscheint.
Auch das blendest du als Möglichkeit zu Gunsten deiner eigenen Interpretation aber vollständig aus, obwohl damit dein Zeit-Argument, an dem du eine Mitwisserschaft aufhängst, als zwangsweise vorhandene Prämisse für diese Gesetzgebung im Grunde vom Tisch ist.