# 77,78
Die Ausführungen lassen ein Grundverständnis der englischen Strategie allgemein und im Weltkrieg vermissen. Eine periphere Strategie und eine Strategie auf dem Kontinent schließen sich grundsätzlich aus. Das hat in Jahrhunderten kein englischer maßgebender englischer Staatsmann oder Militär anders gesehen. Das Besondere am 1. Weltkrieg war, dass man sich auf dem Kontinent engagieren musste (fiel Frankreich, war der Krieg verloren – die Lage war anders als im 2. Weltkrieg) und man nur über die Verklammerung mit Russland zum Erfolg kommen konnte (mir ist kein Engländer bekannt, der ernsthaft glaubte, England und Frankreich könnten Deutschland 1914 landmilitärisch besiegen – im Gegenteil, Sir John French hielt es selbst unter besonders günstigen Annahmen für unmöglich). Das Ostsee-Unternehmen war die im Prinzip richtige Strategie (hat auch niemand bezweifelt, es ging immer um die Machbarkeit). Ich verstehe #77 so, dass es keinen Ostseeplan gab, das ist eine Auffassung, die nichts mehr mit Historie zu tun hat.
War man auf dem Kontinent gebunden, gab es keine periphere Strategie (d.h. kein Unternehmen, dem wesentliche Kräfte zugeführt werden können) mehr. An der Peripherie konnten nur noch sog. Demonstrationen (Nebenunternehmen) durchgeführt werden. Das alles hat in England niemand bestritten. Die dahinter stehende Frage ist die des Einsatzes knapper Ressourcen, da war man nicht frei. Daher hatte auch Lord Fisher nichts gegen ein Dardanellen-Unternehmen einzuwenden. Das wurde anders als die Dinge aus der Hand glitten. Konsequenterweise reichte er im Mai 1915 seinen Abschied. Auch Churchill konnte und wollte kein Hauptunternehmen daraus machen, er glaubte aber das Problem managen zu können. Konnte er nicht. Asquiths Regierung geriet in die Krise, Ian Hamiltons (Chef der Mittelmeerstreitkräfte) Karriere endete – wie auch die von Churchills (im Juli 1917 wurde er wieder ein Ministeramt).
Zur Beschießung Helgolands # 76. Der Gedanke einer Beschießung 1917 ist mir völlig neu, er kann höchstens ein Kommandounternehmen zur Verblockung von U-Boot-Fahrlinien gewesen sein. Man sollte sich die Grundzüge des Weltkriegs vergegenwärtigen. Der 1. Weltkrieg war nicht – wie der Zweite – eine allmähliche Niederringung Deutschlands. Das Gegenteil war der Fall, Deutschland hat seine Gegner allmählich niedergekämpft – bis die USA eingriff (im letzten Moment). Ich verkenne nicht, dass der Krieg permanent auf Messers Schneide stand, die Alliierten hatten die echte Siegeschance 1916 und Anfang 1917. Der unbeschränkte U-Boot-Krieg ab Februar 1917 war zweifelsohne eine Entscheidung aus der Not, aber sie brachten die Engländer an den Rand des Abgrunds. Als sich abzeichnete, dass Russland im Lauf des Jahres 1917 als Kriegspartei ausschied, sah die Sache für die Westalliierten alles andere als gut aus. Die materielle Hilfe aus den USA brachte doch nichts mehr, wenn 1 Million kampferprobter Deutscher von der Ostfront zur Westfront wechselten (die Deutschen wären doch trotz aller Widrigkeiten stärker als 1914 gewesen). Ohne amerikanische Soldaten in ausreichender Zahl auf dem Kontinent war der Krieg für Frankreich und England verloren. Dazu wurde die Navy gebraucht, die Überführung der amerikanischen Truppen wurde zur eigentlichen Kriegsaufgabe der Navy. Wozu sollte die jetzt anfangen Helgoland zu beschießen? Die Hochseeflotte war unbeschädigt, die mehrfach angedeuteten Probleme der Navy (#72) ungelöst, die gefürchteten Kleinkriegsmittel (insbesondere U-Boote und Minen) nur besser geworden, und Helgoland selbst mit seinen Geschützen wirkte doch wie mehrere – allerdings unsinkbare – Dreadnoughts. In der Admiralität saßen nüchterne Leute, keine Spinner.
Die weite Blockade war auch nach englischer Ansicht völkerrechtswidrig, da das Merkmal der Effektivität fehlt. Eine weite Blockade ist seiner Natur nach ineffektiv. As bedeutet, dass Neutrale über Gebühr belastet werden, was letztlich ein Verstoß gegen das Mare Librum Prinzip ist. Das ist allerdings der juristische Grundpfeiler des Empires. Daher war man in der Anwendung der weiten Blockade sehr vorsichtig (sie zeigte Anfangs nur geringe Wirkung, sie war eigentlich eine Ausfuhr- und Kommunikationsblockade) und begann sie auszuweiten, nachdem man meinte, die USA mit der eigenen Sache fest verbunden zu haben. Das war übrigens die selbe Strategie, die Tirpitz beim U-Boot-Krieg anwenden wollte (langsame und regional beschränkte Einführung).
Zu Uhle-Wettler: Ich habe diesen Autor zur Frage zitiert, wer das Ostsee-Unternehmen in der deutschen Nachkriegsliteratur darstellte. Ich kenne keinen weiteren und habe dies als subjektive Auffassung gekennzeichnet (es wurde bislang auch kein weiterer erwähnt). Ich kann mich nicht erinnern mich jemals auf Uhle-Wettler berufen zu haben. Letztlich bin ich interessierter Laie, der Originaldokumente, Zeitzeugen oder Professoren anerkannter Universitäten liest. Zu diesem Thema berief ich mich im Wesentlichen auf den Engländer Andrew Lambert (an Marinegeschichte interessierte muss Lambert nicht beschrieben werden, in #72 bin ich kurz auf ihn eingegangen; er ist Inhaber des Laughton-Lehrstuhls, also des bedeutendsten Lehrstuhls für Marinegeschichte im Königreich). Silesias Interesse ist die politische Verarbeitung von Geschichte, mein Interesse ist Geschichte. Diskussionen zwischen uns – das hat die Vergangenheit gezeigt - sind unfruchtbar. Wer eine sachliche Geschichtsdiskussion führen will, sollte auch die Auffassung von Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein zeigen (DER SPIEGEL - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten). Wer eine politische Diskussion führen will, wird das natürlich nicht tun, er hat andere Ziele.
Im Übrigen möchte ich militärische Sachverhalte zumindest auch von einem Militär beschrieben bekommen (Uhle-Wettler war Generalleutnant in der Bundesrepublik, d.h. Besoldungsgruppe B 9, also wie ein Botschafter, Bundesbankdirektor, Präsident des BKA, Ministerialdirektor, etc.; er war Kommandeur des NATO Defence Colleges, der Generalstabsschule der NATO, das wird mit nicht gegen den Willen der USA und auch nicht, wenn man kein anerkannter militärischer Fachmann ist). Es scheint keinen hochrangigen Berufsoffizier außer Uhle-Wettler zu geben, der in den letzten Dekaden über das hier interessierende Thema geschrieben hat (Rahn, ein Kapitän zur See, schrieb über das hier behandelte Thema nicht, Schulze-Hinrichs, ebenfalls Kapitän zur See, schrieb 1958 sechs Seiten zum Kriegsausbruch aus Tirpitz Sicht geschrieben ohne dieses Thema zu behandeln). Dafür kann ich allerdings nichts.
Die Ausführungen lassen ein Grundverständnis der englischen Strategie allgemein und im Weltkrieg vermissen. Eine periphere Strategie und eine Strategie auf dem Kontinent schließen sich grundsätzlich aus. Das hat in Jahrhunderten kein englischer maßgebender englischer Staatsmann oder Militär anders gesehen. Das Besondere am 1. Weltkrieg war, dass man sich auf dem Kontinent engagieren musste (fiel Frankreich, war der Krieg verloren – die Lage war anders als im 2. Weltkrieg) und man nur über die Verklammerung mit Russland zum Erfolg kommen konnte (mir ist kein Engländer bekannt, der ernsthaft glaubte, England und Frankreich könnten Deutschland 1914 landmilitärisch besiegen – im Gegenteil, Sir John French hielt es selbst unter besonders günstigen Annahmen für unmöglich). Das Ostsee-Unternehmen war die im Prinzip richtige Strategie (hat auch niemand bezweifelt, es ging immer um die Machbarkeit). Ich verstehe #77 so, dass es keinen Ostseeplan gab, das ist eine Auffassung, die nichts mehr mit Historie zu tun hat.
War man auf dem Kontinent gebunden, gab es keine periphere Strategie (d.h. kein Unternehmen, dem wesentliche Kräfte zugeführt werden können) mehr. An der Peripherie konnten nur noch sog. Demonstrationen (Nebenunternehmen) durchgeführt werden. Das alles hat in England niemand bestritten. Die dahinter stehende Frage ist die des Einsatzes knapper Ressourcen, da war man nicht frei. Daher hatte auch Lord Fisher nichts gegen ein Dardanellen-Unternehmen einzuwenden. Das wurde anders als die Dinge aus der Hand glitten. Konsequenterweise reichte er im Mai 1915 seinen Abschied. Auch Churchill konnte und wollte kein Hauptunternehmen daraus machen, er glaubte aber das Problem managen zu können. Konnte er nicht. Asquiths Regierung geriet in die Krise, Ian Hamiltons (Chef der Mittelmeerstreitkräfte) Karriere endete – wie auch die von Churchills (im Juli 1917 wurde er wieder ein Ministeramt).
Zur Beschießung Helgolands # 76. Der Gedanke einer Beschießung 1917 ist mir völlig neu, er kann höchstens ein Kommandounternehmen zur Verblockung von U-Boot-Fahrlinien gewesen sein. Man sollte sich die Grundzüge des Weltkriegs vergegenwärtigen. Der 1. Weltkrieg war nicht – wie der Zweite – eine allmähliche Niederringung Deutschlands. Das Gegenteil war der Fall, Deutschland hat seine Gegner allmählich niedergekämpft – bis die USA eingriff (im letzten Moment). Ich verkenne nicht, dass der Krieg permanent auf Messers Schneide stand, die Alliierten hatten die echte Siegeschance 1916 und Anfang 1917. Der unbeschränkte U-Boot-Krieg ab Februar 1917 war zweifelsohne eine Entscheidung aus der Not, aber sie brachten die Engländer an den Rand des Abgrunds. Als sich abzeichnete, dass Russland im Lauf des Jahres 1917 als Kriegspartei ausschied, sah die Sache für die Westalliierten alles andere als gut aus. Die materielle Hilfe aus den USA brachte doch nichts mehr, wenn 1 Million kampferprobter Deutscher von der Ostfront zur Westfront wechselten (die Deutschen wären doch trotz aller Widrigkeiten stärker als 1914 gewesen). Ohne amerikanische Soldaten in ausreichender Zahl auf dem Kontinent war der Krieg für Frankreich und England verloren. Dazu wurde die Navy gebraucht, die Überführung der amerikanischen Truppen wurde zur eigentlichen Kriegsaufgabe der Navy. Wozu sollte die jetzt anfangen Helgoland zu beschießen? Die Hochseeflotte war unbeschädigt, die mehrfach angedeuteten Probleme der Navy (#72) ungelöst, die gefürchteten Kleinkriegsmittel (insbesondere U-Boote und Minen) nur besser geworden, und Helgoland selbst mit seinen Geschützen wirkte doch wie mehrere – allerdings unsinkbare – Dreadnoughts. In der Admiralität saßen nüchterne Leute, keine Spinner.
Die weite Blockade war auch nach englischer Ansicht völkerrechtswidrig, da das Merkmal der Effektivität fehlt. Eine weite Blockade ist seiner Natur nach ineffektiv. As bedeutet, dass Neutrale über Gebühr belastet werden, was letztlich ein Verstoß gegen das Mare Librum Prinzip ist. Das ist allerdings der juristische Grundpfeiler des Empires. Daher war man in der Anwendung der weiten Blockade sehr vorsichtig (sie zeigte Anfangs nur geringe Wirkung, sie war eigentlich eine Ausfuhr- und Kommunikationsblockade) und begann sie auszuweiten, nachdem man meinte, die USA mit der eigenen Sache fest verbunden zu haben. Das war übrigens die selbe Strategie, die Tirpitz beim U-Boot-Krieg anwenden wollte (langsame und regional beschränkte Einführung).
Zu Uhle-Wettler: Ich habe diesen Autor zur Frage zitiert, wer das Ostsee-Unternehmen in der deutschen Nachkriegsliteratur darstellte. Ich kenne keinen weiteren und habe dies als subjektive Auffassung gekennzeichnet (es wurde bislang auch kein weiterer erwähnt). Ich kann mich nicht erinnern mich jemals auf Uhle-Wettler berufen zu haben. Letztlich bin ich interessierter Laie, der Originaldokumente, Zeitzeugen oder Professoren anerkannter Universitäten liest. Zu diesem Thema berief ich mich im Wesentlichen auf den Engländer Andrew Lambert (an Marinegeschichte interessierte muss Lambert nicht beschrieben werden, in #72 bin ich kurz auf ihn eingegangen; er ist Inhaber des Laughton-Lehrstuhls, also des bedeutendsten Lehrstuhls für Marinegeschichte im Königreich). Silesias Interesse ist die politische Verarbeitung von Geschichte, mein Interesse ist Geschichte. Diskussionen zwischen uns – das hat die Vergangenheit gezeigt - sind unfruchtbar. Wer eine sachliche Geschichtsdiskussion führen will, sollte auch die Auffassung von Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein zeigen (DER SPIEGEL - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten). Wer eine politische Diskussion führen will, wird das natürlich nicht tun, er hat andere Ziele.
Im Übrigen möchte ich militärische Sachverhalte zumindest auch von einem Militär beschrieben bekommen (Uhle-Wettler war Generalleutnant in der Bundesrepublik, d.h. Besoldungsgruppe B 9, also wie ein Botschafter, Bundesbankdirektor, Präsident des BKA, Ministerialdirektor, etc.; er war Kommandeur des NATO Defence Colleges, der Generalstabsschule der NATO, das wird mit nicht gegen den Willen der USA und auch nicht, wenn man kein anerkannter militärischer Fachmann ist). Es scheint keinen hochrangigen Berufsoffizier außer Uhle-Wettler zu geben, der in den letzten Dekaden über das hier interessierende Thema geschrieben hat (Rahn, ein Kapitän zur See, schrieb über das hier behandelte Thema nicht, Schulze-Hinrichs, ebenfalls Kapitän zur See, schrieb 1958 sechs Seiten zum Kriegsausbruch aus Tirpitz Sicht geschrieben ohne dieses Thema zu behandeln). Dafür kann ich allerdings nichts.