Scorpio
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Ich würde das Reichsopiumgesetz von 1929 nicht als besonders lax bezeichnen. D hatte an den Internationalen Opiumkonferenzen von Shanghai (1909) und Den Haag 1911/12 teilgenommen und dabei die Position der USA unterstützt. D hatte aber die Haager Opiumkonvention nicht ratifiziert und wurde erst nach dem Vertrag von Versailles dazu gedrängt. Erfasst wurden im Opiumgesetz Rohopium, Morphin und seine Derivate, Heroin, Kokain, Kokapaste, Kokablätter und Ekgonin ( ein Spaltprodukt von Kokain) und Cannabis. Alle diese Substanzen durften nur noch für medizinische Zwecke eingeführt und verarbeitet werden. Das Reichsopiumgesetz von 1929 unterschied sich kaum von ähnlichen Bestimmungen in den USA, GB, F oder anderen europäischen Staaten. Die Substanzen die geregelt wurden, auch die Bestimmungen, dass sie nur für medizinischen Gebrauch eingeführt und verarbeitet werden durften, waren in den meisten europäischen Ländern ziemlich identisch. Ich würde das Reichsopium-Gesetz nicht als besonders lax einstufen, eher schon würde ich sagen, dass das BtMG, die Neufassung von 1971/72 besonders restriktiv war. Die Gesetze nach dem Weltkrieg hatten das Ziel, den Drogenhandel zu beschränken, zu kontrollieren, die Verarbeitung und den Verkauf möglichst auf medizinische Zwecke zu beschränken. Es war aber nicht ihr Ziel, die Welt vollkommen trockenzulegen und einen solchen Drahtverhau von Paragraphen zu ziehen, den man dann nur noch überwinden konnte, wenn man todkrank war.Naja, das kam sicherlich drauf an, wie jemand mit einer Morphium-Abhängigkeit das anging.
Wie gesagt, es gab ja in Deutschland einige hunderttausend Kriegsinvalieden, denen wahrscheinlich kaum ein Arzt ein Rezept für Schmerzmittel verweigert hätte, wenn die angaben, dass ihre amtlich dokumentierte Kriegsverletzung wieder Probleme machte.
Und gleichzeitig gab es natürlich keine mit heute vergleichbare einigermaßen zentrale Datenerfassung und Vernetzung der Ärzte untereinander, so dass es einem Junkie damals wahrscheinlich möglich gewesen wäre, irgendwo einen Kriegsversehrten Companion aufzutreiben, Rezepte auf diesen ausstellen und von diesem das Betäubungsmittel aus der Apotheke holen zu lassen, bzw. gleich mehrere Ärzte und Apotheken abzuklappern und auf Vorrat zu beschaffen.
Insofern ja auch die Invalidenrenten nicht üppig waren, die Hyperinflation in 1923 massiv Ersparnisse vernichtete und gerade für nicht mehr voll leistungsfähige Kriegsversehrte die Massenarbeitslosigkeit seit Beginn der Weltwirtschaftskrise ein Problem war, weil die am wenigsten leistungsfähigen Arbeitskräfte nach betriebswirtschaftlichen Logiken als erste wegrationalisiert werden, wird es wahrscheinlich, in den 1920er und 1930er Jahren auch genügend Kriegsversehrte gegeben haben, die bereit gewesen sein dürften sich auf sowas einzulassen, wenn dafür ein paar warme Mahlzeiten heraussprangen.
Die Freiheit der Ärzte war recht groß, und die beinhaltete auch das Recht, dass ein Arzt nach Gutdünken Morphin auch an Morphinisten verschreiben durfte. Die Bereitschaft, Morphin zu verschreiben, war wohl auch groß, Louis Levin warnte in den 1920ern Berliner Ärzte davor, Morphin zu sorglos zu verschreiben. In biographischen Berichten von Morphinisten aus der Zeit zwischen den Weltkriegen habe ich bisher nie gelesen, dass Süchtige sich einen Schmerzpatienten suchen musste, der von seinem Vorrat abgab. Das war doch gar nicht nötig! Es gab ja gar nicht die Regulation, dass einem Arzt vorgeschrieben wurde, an wen er Morphin verschreiben durfte, es gab keine Regularien, die eine bestimmte Klientel von der Verschreibung ausschlossen.