@ Maelo:
Cassius Dio schrieb seine Romanika Historia mehr als zweihundert Jahre nach der Varusschlacht. Diese zeitliche Distanz gab ihm sicherlich die Möglichkeit dieses Geschehen vor seinen Lesern zu verschleiern und zu Idealisieren. Eventuell gab es für ihn in seiner Zeit auch keine detaillierten Aufzeichnungen mehr, auf denen er sich berufen konnte.
Zu Dios Bericht: mit einer sehr kritischen Sichtweise kann man das auch so sehen - ich will gar nicht sagen, dass das so "richtig" oder "falsch" ist. Nur der letzte Satz "Eventuell... etc." Freilich schreibt Dio über 200 Jahre nach der Varusschlacht. Aber: er war seit seiner Jugend Beamter, später sogar Proconsul (auch das ist strittig, aber meiner Meinung nach die wichtigste Position nach dem Kaiser), und ich bin sicher, dass er zumindest die Möglichkeiten hatte, alles Material einzusehen, was über die Varusschlacht vorhanden war - und irgendwas muss da noch gewesen sein, sonst hätte er das Thema überhaupt nicht aufgegriffen. Das soll nicht heißen, dass er nicht versucht hätte, es in beschönigender Weise auszuschmücken. Aber immerhin muss man dem Rechnung tragen, dass er nicht alles erfunden hatte.
Das bringt uns zu deinem Zitat. Zumindest diesen Teil
"die Bäume standen dicht und überhoch gewachsen, so dass die Römer schon vor dem feindlichen Überfall mit dem Fällen der Bäume, dem Bauen von Wegen und Brücken, wo es sich erforderlich machte, große Mühe hatten." halte ich nicht für unrealistisch, denn waldreich mag das Gebiet ohne Zweifel gewesen sein.
Ich kann nicht daran glauben, dass es sich so zugetragen hat. Und aus diesem Grund muss man alle Äußerungen von Dio stark in Zweifel ziehen, und sogar teilweise gänzlich ablehnen.
Ein grundsätzliches Problem - wir haben diesen Text als ausführlichsten Bericht. Deswegen muss man sich schon darüber im klaren werden, wie wertvoll diese Informationen sind, denn die Varus-Schlacht hat es ohne Zweifel gegeben. Zusätzliche Informationen kann m.e. nur die archäologische Forschung geben - Kalkriese und dessen Interpretation ist eine Möglichkeit.
Wenn man jedoch nur die aussagekräftigen Aufzeichnungen des Paterculus, Strabo, Frontinius, Sueton und Tacitus zur Findung der Örtlichkeit der Varusschlacht hinzuzieht, und Dio vollständig ausgrenzt, dann ergibt sich ein vollständig anderes Bild der beschriebenen Örtlichkeiten, die sich dann auf eine bestimmte Gegend eingrenzen lassen.
Na ja, widersprechen würde ich nicht sagen - nur sind nahezu alle Berichte wenig kongruent, sie enthalten insgesamt zu wenig Fakten, um sie so zusammenfügen zu können, dass sie sich zu so einem Bild zusammenfügen, dass der Ort sicher lokalisiert werden kann. Sueton hat übrigens keinerlei Wertigkeit - er spricht nur davon, dass die Legionen verloren wurden und dies Augustus sehr besorgt habe, trifft aber keinerlei Aussagen über Ort und Einzelheiten der Schlacht. Auch Paterculus und Strabo haben m.e. wenig beizutragen bei der Lokalisierung, etwas anders ist es mit Tacitus.
Ich bin in der Lokalisierung völlig offen, auch was Kalkriese betrifft. Es gibt sehr gewichtige Argumente gegen Kalkriese, aber andererseits könnte man die Münzen auch so interpretieren, dass es zutrifft - zudem sind Schlachtfelder archäologisch ohnehin schwer zu lokalisieren. Dort gibt es viele Spuren, aber bisher fehlen sozusagen noch "Vergleichswerte" von anderen Schlachtfeldern. So finde ich den Fund schon bemerkenswert - und angesichts der Vielzahl der Spuren mag sich dort tatsächlich so eine große Schlacht zugetragen haben.