Allein, daß der Hessen-Name im Frühmittelalter ausschließlich auf ein eng begrenztes Gebiet angewendet wurde, zeigt, daß er nicht von vorn herein automatisch auf die weit größeren Gebiete der ehemals von den Chatten bewohnten Gegenden anwendbar ist.
Das stimmt ja nun nicht, denn es gab ja den so genannten "hessischen" und "sächsischen" Hessengau, zusammen geben beide eine recht ansehnliche Fläche. Da sich eine wirkliche Grenze zwischen Sachsen und Merowingerreich erst vor oder sogar während der unzähligen Sachsenfeldzüge ab Karl Martell ergab, dürften die Siedlungsländereien der Hessen tatsächlich zerteilt worden sein.
Dieses im 9. Jh. unter angelsächsischen Einfluß geratene Gebiet um die Reichsabteien Fulda und Hersfeld galt bis dato auch unter dem Frankenreich als zum Amtsherzogtum Thüringen gehörig.
Auch hierfür ist die Quellenlage äußerst spärlich und schließt Annahmen ein; unter anderem die, dass Heden II. oder Theotbald oder beide (s. Vita des Bonifatius) tatsächlich auch Herzöge in Thüringen waren (völlig sicher ist dies nämlich nicht, auch wenn ich es im Falle Hedens für wahrscheinlich halte). Ich will jetzt nicht allzu kleinkariert werden, aber Fulda und Hersfeld liegen zudem in Buchonien, dessen Zugehörigkeit zu Althessen strittig ist.
Somit ist hier zwar nicht automatisch auf eine Zugehörig keit vor 531 zu Thüringen zu schließen, macht es aber viel wahrscheinlicher, als eine Zugehörigkeit zu den heute südhessischen, damals zum Herzogtum Ostfranken gehörigen Gebiet.
Das stimmt. Was sich definitiv unterschreiben lässt und alle Befunde - ob historisch, ob archäologisch, ob toponymisch - nahelegen, dass es beträchtliche Unterschiede zwischen den Gebieten im einstigen Limesbogen und denen nördlich davon gab.
Die Ausbreitung des Namens Hessen auf ein scheinbar den ehemalig den Chatten (1.-3. Jh.) zugeschriebenes Gebiet hatte vielmehr dynastische Ursachen vor allem nach 1243, nachdem die Landgrafschaft Thüringen in einen Ost- und einen Westteil getrennt wurden, wobei die bedeutenderen Orte der thüringischen Landesgeschichte, wie z.B. Marburg und Fritzlar als Erbe an Sophie von Brabant kamen, der letzten Erbin der Ludowinger. Wäre es nicht zu dieser Teilung gekommen, würde heute in "Nordhessen" kein Mensch von Hessen reden. Das wäre sozusagen "Ur-Thüringen" mit dem Wallfahrtsort zur Heiligen Elisabeth.
Nein, das ist so nicht richtig. Der Hessengau wird ja nun schon wesentlich früher erwähnt, wenn ich richtig informiert bin, liegt die früheste Auflistung der dortigen Orte im Hersfelder Breviarium S. Lulli aus der Zeit um 800 vor. Man könnte sich nun lange streiten, ob dies nur eine geografische Bezeichnung ist, aber Willibald erwähnt eben auch den "populus hassiorum" in seiner Vita des Bonifatius.
Gerade die Ähnlichkeit der im mitteldeutschen Raum und in Hessen auftretenden Ortsnamen (gerade bei dem Namen Geismar) macht eine gewisse Homogenität der Bevölkerung wahrscheinlich, da in beiden Gebieten Ortsnamen auftreten, die es nur in diesen beiden Gebieten gibt.
Möglich. Aber gerade die -lar und -mar-Namen in Nordhessen sowie einige andere eigentümlichen Toponyme werden andererseits als aus der vorrömischen Zeit stammend gedeutet.
In der Regel sind die ältesten heute noch dem Namen zumindest nach bestehenden Siedlungen in Hessen und Thüringen, sowie in Franken für das 5.-6. Jh. wahrscheinlich. Und gerade diese weisen eine starke Ähnlichkeit auf.
Keine Ahnung, hier fehlt mir die Kenntnis der thüringischen Ortsnamen. Die "typischen" -heim und -ingen-Namen in fränkischen und alemannischen Gebieten sind in Nordhessen allerdings spärlicher. Es wird angenommen, dass solche Siedlungen erst im 7. oder 8. Jahrhundert entstanden.
Sollten diese alle ausgerechnet "Hessen" auslassen, daß sich ja wie ein Riegel westlich vor dem mittleren Thüringen befand ? Die Heerstraßen gingen nun einmal nicht um Nordhessen herum, sondern auch mitten hindurch.
Das mit den Straßen stimmt zwar, doch gab es eben in der Ost-West-Richtung eben auch bedeutende Heerwege nördlich und südlich davon. Persönlich finde ich es sehr auffällig, dass die damals bedeutendste Verkehrsachse der Region von Mainz nach Paderborn erst ab dem späten 7. Jahrhundert, dann aber wirklich massiv mit zahlreichen - provisorischen oder dauerhaften - Burgen befestigt wird. So scheint es doch ein wenig so, als sei zuvor die strategische Bedeutung dieser Straße für eine Weile nicht allzu groß gewesen.
Die Chatten, die um den Beginn der Zeitrechnung erwähnt wurden, sind wohl kaum in völlig von der Außenwelt abgelegenen Gebirgstälern ansässig gewesen. Dazu wären die Nahrungsgrundlagen viel zu dürftig gewesen.
Na ja. Das Fritzlarer Becken ist eine alte Lößlandschaft. Außerdem waren damals noch die Voraussetzungen anders. Die Alemannen, Franken und Hunnen interessierten sich für die Schätze und Errungenschaften des zusammenbrechenden Römerreiches, nicht so sehr für ein paar ärmliche hessische Dörfer. Im übrigen lässt die Siedlungsintensität nach archäologischem Befund ab dem 3. Jahrhundert n. Chr. auch tatsächlich nach. Ob sich die Erträge verschlechtert haben oder es eben auch Chatten gab, die sich den Zügen anderer Stämme anschließen (wie es auch eine kontrovers diskutierte Textstelle zum Jahr 393 nahelegt) muss offen bleiben.
Außerdem war ein Austausch an Waren und Waffen usw. auf intensive Weise notwendig, sonst hätte sich in dieser Isolation über mehrere Jahrhunderte eine völlig andere Sprache entwickelt, die für die umliegenden Stämme vollkommen unverständlich gewesen wäre.
Weiß nicht, wie lange eine Sprache braucht, um sich so stark zu verändern. Vielleicht war es sogar so, mit dem Bau der Burgen in Nordhessen setzt auch eine intensive Siedlungstätigkeit ein, die bezeichnenderweise zu einer fränkisch-sächsischen, nicht hessisch-sächsischen Sprachgrenze führt.
Auf jeden Fall gibt es für das 5.-7. Jahrhundert in den nordhessischen Grabfunden kaum Hinweise auf Austausch oder Importgüter. Münzen aus dem Reich oder Byzanz wurden z.B. nicht nördlich der Wetterau gefunden; selbst was die Keramik betrifft, verwendeten die Menschen in der Region "Hessen" lange Zeit eine altertümliche handgeformte Ware. Einige an einer Hand abzählbare Gräber zeigen Nord-Süd-Kontakte an, besonders ein Frauengrab aus Fritzlar, und alle diese Gräber stammen bezeichnenderweise schon aus dem 7. Jahrhundert.
Keine Spuren hinterlassen ? Dem ist ja eben nicht so, siehe ähnliche Sprache, ähnliche Ortsnamen des 5./6. Jh.
Siehe oben. Es gibt einfach keinerlei Hinweise, dass Franken oder Thüringer in der Zeit vor 650 bis 700 irgendwas mit diesen Gebieten anzufangen wussten. Klar fehlt die Quellenüberlieferung, aber auch archäologisch gibt es für das 6. und frühe 7. Jahrhundert nichts, was besonders ins Gewicht fällt. Abgesehen davon ist es zumindest zweifelhaft, dass das Amtsherzogtum durchgehend nach 530 existierte; der erste namentlich bekannte Herzog ist doch der Franke (!) Radulf, der die Autonomie vorantreibt, und der ja erst um ca. 635 durch König Dagobert I. eingesetzt wurde. Was davor war, weiß man wiederum nicht genau.