Unrechtsbewußtsein und Gewissen im Mittelalter

Eine interessante Sichtweise ist die psycho-historische. Ich lese gerade "Der Seelenraum des Ungeborenen" von Ludwig Janus. Er skizziert die Veränderungen vom Mittelalter bis heute etwa so :

Im Mittelalter gab es wegen der ständigen physischen Bedrohung kaum kontinuierliche Eltern-Kind-Beziehungen. Ein Teil des Ichs wurde daher auf Gott & auf Könige externalisiert. Erst mit der Aufklärung kam es zu einer Individuation und damit zu einer Internalisierung von individuellen Beziehungen, Gefühlen und Gewissen.

Die Aufklärung kam zeitgleich mit der industriellen Revolution, dem damit verbundenen materiellen Wohlstand und der Verringerung der physischen Bedrohtheit auf. Erst dadurch konnte das Individuum diese Eigenverantwortung überhaupt aushalten und brauchte den Halt in der kollektiven Heilsordnung nicht mehr so dringend.

Dieser allmähliche kulturelle Wandel verlief parallel - bzw. wurde tradiert - über eine Veränderung der Wertschätzung und Behandlung von Kindern, deren sich dadurch verändernde Selbstwahrnehmung Motor dieses kulturellen Wechsels wurde.

Fazit : "Unrechtsbewusstein und Gewissen im Mittelalter" müssen anders gesehen werden als heute, nämlich nicht im Rahmen einer individuellen Verantwortung, sondern in kollektiv auf höhere Mächte projizierte Entsprechungen.
 
Und genau das Wissen, darum, dass es ganz normale Männer waren, die mordeten, ist, was für uns heute daran noch wichtig ist. Daraus können wir nämlich ableiten, dass es eben nicht eine natürliche Dispostion zum Massenmord gibt, sondern dass man beinahe jeden dazu bringen kann zum Massenmörder zu werden, solange man es schafft, einen Sinn zu vermitteln. Nur das Durchschauen solcher Mechanismen kann letztlich ähnliche Verbrechen verhindern.

In dem Dokumentarfilm "Shoah" von Claude Lanzmann sagte einer der interviewten SS-Männer der Vernichtungslager aus, dass er und seine Kameraden am Anfang angesichts der Schreie der sterbenden Juden in den Vergasungslastwagen weinten. Sie wurden von dem Ereigniss erschlagen, weil sie niemand, quasi, vorwarnte.
Es muss also ein Bewusstsein... ich weiß jetzt nicht welches Wort ich benutzen kann (Unrecht, Mitleid?)... vorhanden gewesen sein. Es setzte dann ein Gewöhnungs- oder Verdrängungsprozess ein, der durch dass Pflichtbewusstsein begünstigt oder ermöglicht wurde.
 
Ich möchte freundlichst darauf hinweisen, dass die Zeit des Nationalsozialismus in der Mitte des 20. Jahrhunderts und nicht im Mittelalter anzusiedeln ist.
Wäre es nicht sinnvoll, diesen Thread in zwei aufzuspalten ?
 
Eine interessante Sichtweise ist die psycho-historische. Ich lese gerade "Der Seelenraum des Ungeborenen" von Ludwig Janus. Er skizziert die Veränderungen vom Mittelalter bis heute etwa so :

Im Mittelalter gab es wegen der ständigen physischen Bedrohung kaum kontinuierliche Eltern-Kind-Beziehungen. Ein Teil des Ichs wurde daher auf Gott & auf Könige externalisiert. Erst mit der Aufklärung kam es zu einer Individuation und damit zu einer Internalisierung von individuellen Beziehungen, Gefühlen und Gewissen.

Die Aufklärung kam zeitgleich mit der industriellen Revolution, dem damit verbundenen materiellen Wohlstand und der Verringerung der physischen Bedrohtheit auf. Erst dadurch konnte das Individuum diese Eigenverantwortung überhaupt aushalten und brauchte den Halt in der kollektiven Heilsordnung nicht mehr so dringend.

Dieser allmähliche kulturelle Wandel verlief parallel - bzw. wurde tradiert - über eine Veränderung der Wertschätzung und Behandlung von Kindern, deren sich dadurch verändernde Selbstwahrnehmung Motor dieses kulturellen Wechsels wurde.

Fazit : "Unrechtsbewusstein und Gewissen im Mittelalter" müssen anders gesehen werden als heute, nämlich nicht im Rahmen einer individuellen Verantwortung, sondern in kollektiv auf höhere Mächte projizierte Entsprechungen.

Das trifft - in wissenschaftlicher Nomenklatur - den Kern meiner Meinung und Aussage.

Gruß Ri :winke:
 
Fazit : "Unrechtsbewusstein und Gewissen im Mittelalter" müssen anders gesehen werden als heute, nämlich nicht im Rahmen einer individuellen Verantwortung, sondern in kollektiv auf höhere Mächte projizierte Entsprechungen.
Die Außengeleiteten sind wohl auch heute noch in der Überzahl, denkt man an das Milgram-Experiment.
Milgram-Experiment – Wikipedia
Weder waren die mittelalterlichen Menschen gewissenlose Golems, noch sind wir heute besonders intrinsisch.

Was die Seele Ungeborener anging, hatte man im Mittelalter allerdings tatsächlich andere Vorstellungen und Prioritäten
War eine Nottaufe dieser Art nicht möglich, versuchte man sogar die ungeborenen Kinder mit Hilfe von Taufspritzen im Mutterleib zu taufen.
aus:
Völklingen im Wandel - DIE INFO-WEBSITE ÜBER VÖLKLINGEN
 
Zuletzt bearbeitet:
Fazit : "Unrechtsbewusstein und Gewissen im Mittelalter" müssen anders gesehen werden als heute, nämlich nicht im Rahmen einer individuellen Verantwortung, sondern in kollektiv auf höhere Mächte projizierte Entsprechungen.
Nicht nur das Unrechtsbewusstsein und das Gewissen im Mittelalter, sogar schon das Unrechtsbewusstsein und Gewissen vor 20 Jahren ist anders zu bewerten und zu gewichten. Wir sprechen ja hier nicht über eine Herzklappe oder einen Lungenflügel, die seit Jahrtausenden bei allen gesunden Menschen gleich sind, sondern um ein theoretisches Konstrukt, welches erst entwickelt und ausgeprägt werden muss (Moral und Gewissen werden nicht angeboren, Lorenz gilt in dem Zusammenhang als widerlegt). Und das geschieht nun mal unter Einfluss der Umwelt und ist eben nicht irgendwann mal abgeschlossen, sondern entwickelt sich weiter.

Das trifft - in wissenschaftlicher Nomenklatur - den Kern meiner Meinung und Aussage.
So lese ich deine bisherigen Beiträge zum Thema allerdings nicht. Es mag ja deine Meinung sein, ausgesagt hast du aber etwas anderes...
 
@ Lili: Ich sehe eigentlich in meinen bisherigen Aussagen keine Diskrepanzen. Aber es steht doch fest, dass wir bei allem heutigem Wissen, das u. a. auch durch das breite Band der Medien ermöglicht wird, in unseren Lippenbekenntnissen und Handlungen divergieren:
Kinderarbeit ist immer noch auf der Welt "Gang und Gäbe",ebenso von den Kirchen u. anderen Institutionen verschwiegener und nie gerichteter Kindesmissbrauch.
Es ist mitten in Europa wieder ein Genozid im Kosovo möglich gewesen,
ebenso seit Jahrzehnten im Sudan.
Kein Unrechtsbewusstsein hinterlassen Steuerhinterziehungen in Millionenhöhe.
Und das alles trotz des Fortschritts auf allen Ebenen und wider besseres Wissen.
Was unterscheidet uns von dem Bauern des Mittelalters, der täglich darum kämpfte, genug erzeugen zu können, um seiner Abgabepflicht nachkommen zu können, satt zu werden, ein Dach über dem Kopf zu haben ... Da blieb keine Zeit der Fürsorge für die Kinder, jede Hand musste helfen, da gab es in dieser Hinsicht auch bei den Bauern des fr. 20. Jhdts. keinen Unterschied zum mittelalterlichen Bauern. Sein Blick war immer ein besorgter nach oben - zu mehr oder weniger gnädigen Fürsten und Landesherrn - ob sie wieder einmal die Felder verwüsteten und dann doch den 10. einforderten oder der besorgte Blick zum Himmel, ob von dort wieder einmal Ungemach drohte und dadurch die Ernte vernichtet wurde.
Von den Menschen des Mittelalters unterscheidet uns nur der technische Fortschritt. Und trotz aller Hinwendung zum Kind: Die Kinder der "smokey mountains" auf den Philippinen, die Straßenkinder Südamerikas oder auch die der großen Städte Europas, die Verwahrlosung und Verrohung unserer Jugendlichen quer durch alle Schichten in Deutschland sprechen aller philosophischen Weisheit und Erkenntnis Hohn.
In dieser Hinsicht sehe ich eine Diskrepanz: Der mittelalterliche Mensch hatte keine Wahl. Der Mensch von heute hat die Erkenntnis und die Wahl - jedoch wie sieht es mit dem heutigen Unrechtsbewusstsein in der Realität aus?

Gruß Ri:heul:
 
Ich will es einmal ganz knapp zu formulieren versuchen:

In dem Moment, in dem die höchste Autorität, der Papst, sagte: Gott will es!, wurde diese Aussage des Stellvertreters Gottes auf Erden nicht hinterfragt.

Das Hinterfragen, der Gebrauch der Vernunft, die Trennung von Welt und Kirche ist eine aufklärerische Art zu denken.

Man stelle sich vor, der zur Zeit amtierende Papst würde diesen Satz fallen lassen...

a) Käme er nicht auf die Idee

und

b) wäre der Aufschrei nicht zu überhören!
 
Kein Unrechtsbewusstsein hinterlassen Steuerhinterziehungen in Millionenhöhe.
...jedoch wie sieht es mit dem heutigen Unrechtsbewusstsein in der Realität aus?

Gruß Ri:heul:
Und wieviele Autofahrer halten sich aus (Un-)Rechtsbewusstsein an Geschwindigkeitsbeschränkungen und wieviele, weil irgendwo ein Blitzer stehen könnte, den sie nicht rechtzeitig sehen könnten. Selbst das Gewissen einer Bischöfin brauchte jüngst Nachhilfe.

Ich will es einmal ganz knapp zu formulieren versuchen:

In dem Moment, in dem die höchste Autorität, der Papst, sagte: Gott will es!, wurde diese Aussage des Stellvertreters Gottes auf Erden nicht hinterfragt.

Das Hinterfragen, der Gebrauch der Vernunft, die Trennung von Welt und Kirche ist eine aufklärerische Art zu denken.

Man stelle sich vor, der zur Zeit amtierende Papst würde diesen Satz fallen lassen...

a) Käme er nicht auf die Idee

und

b) wäre der Aufschrei nicht zu überhören!
In jüngster Zeit sind andere "höchste Autoritäten" zuständig, dem gemeinen Volk die Gewissensentscheidung ab- und die "Verantwortung" zu übernehmen. Die Personen wechseln, aber die Terminologie klingt bekannt: Kreuzzug, Reich oder Achse des Bösen.
 
[mod]In den letzten Beiträgen wurde kräftig gegen die Forenregeln verstoßen. Ich möchte diese hiermit noch mal in Erinnerung rufen und dazu auffordern, zu historischen Themen zurückzukehren.[/mod]
 
Wie schwer müssen es denn erst die Leute im Mittelalter gehabt haben! Woran hätten sie erkennen können, ob sie Unrecht tun oder nicht. An den Zehn Geboten? An der Bergpredigt und anderen? An Gesetzesbüchern wie dem Sachsenspiegel? Wenn nein, warum nicht?

Da es im Thread schon ziemlich hin und her ging, möchte ich noch mal zum Anfang zurückkehren.
Es ist ja richtig, dass das Gewissen nicht angeboren, sondern kulturell erworben wird. Auch richtig ist die Abhängigkeit des Unrechtsbewußtsein von Zeit, Umfeld, Religion, Ideologie etc. Ich kann mich sogar Lili anschließen und konstatieren, dass sich das Unrechtsbewußtsein z.B. bei Alkohol am Steuer oder Rauchen in geschlossenen Räumen in den letzten Jahren grundsätzlich gewandelt hat.
Nur geht es doch bei der Eingangsfrage um Tötung im Mittelalter.
Dazu und zu 5-6 anderen Tatbeständen machen die 10 Gebote doch sehr klare Aussagen. Und diese Ansagen sind nicht neu, die gab es so ähnlich schon vorher und auch woanders.

Wenn ja - wer waren damals die "Ideologen"? Und was ist mit deren Unrechtsbewußtsein und deren Schuld? Ist am Ende gar keiner schuld?
Die 10 Gebote wurden dem einfachen Volk des Sonntags vom Pfarrer von der Kanzel gepredigt. Dass man auf höher gestellte Personen und Autoritäten zu hören hatte, muß gerade für Menschen im Mittelalter zwingend gewesen sein, denn sie lebten in einen klar gegliederten System mit festgeschriebenen Rechten und Pflichten.
Und die soziale Kontrolle wird auf den Dörfern dafür gesorgt haben, dass alle wußten, was sich gehört und was man zu lassen hatte.

Also jschmidt, ich glaube, die Menschen im Mittelalter hatten es leichter.
 
Da es im Thread schon ziemlich hin und her ging, möchte ich noch mal zum Anfang zurückkehren.
Es ist ja richtig, dass das Gewissen nicht angeboren, sondern kulturell erworben wird. Auch richtig ist die Abhängigkeit des Unrechtsbewußtsein von Zeit, Umfeld, Religion, Ideologie etc.
Ich würde hier sogar noch einen Schritt weiter gehen und das Bewusstsein Unrecht zu tun mit der Komponente "Wahrscheinlichkeit erwischt/bestraft zu werden" erweitern. Ein Dieb weiß in aller Regel, dass er Unrecht tut, wenn er stiehlt, für ihn überwiegt aber subjektiv die Wahrscheinlichkeit, dass sein Unrechttun nicht aufgedeckt und damit auch nicht für andere offenbar wird (ansonsten würde er nicht stehlen). Moral ist nicht nur ein intrinsischer Maßstab, sondern auch extrinsisch. Es gibt so etwas wie eine gesellschaftliche Erwartungshaltung an der andere gemessen werden.

Ich kann mich sogar Lili anschließen und konstatieren, dass sich das Unrechtsbewußtsein z.B. bei Alkohol am Steuer oder Rauchen in geschlossenen Räumen in den letzten Jahren grundsätzlich gewandelt hat.
Das habe ich nicht gesagt...

Nur geht es doch bei der Eingangsfrage um Tötung im Mittelalter.
Dazu und zu 5-6 anderen Tatbeständen machen die 10 Gebote doch sehr klare Aussagen. Und diese Ansagen sind nicht neu, die gab es so ähnlich schon vorher und auch woanders.
Nur muss man da einfach auch genauer hinterfragen. Wer wurde getötet, vor welchem Hintergrund und durch wen? Nur dann kann man versuchen - und dabei liegt die Betonung für mich wirklich auf "versuchen" - das Handeln im Hinblick auf den historischen Kontext zu durchleuchten und zu diskutieren. Alles andere würde nur zu stereotypisierenden Pauschalurteilen und damit zwangsläufig irgendwann zu einer Diskussion auf Stammtischniveau führen ("die Bauern", "die Adeligen", "die Frauen", "die Autofahrer", "die Steuerhinterzieher" - nein, das konnte ich mir jetzt wirklich nicht verkneifen). Das grundsätzliche Problem bei Diskussionen die in diese Richtung gehen, dürfte sein, dass wir schnell mit heutigen Maßstäben von Moral, Recht, Unrecht etc.pp. die Menschen anderer Zeiten bemessen und genau da sehe ich den Fehler, weil man doch eigentlich nur den gültigen Maßstab anlegen kann und den haben wir nicht, den können wir höchstens noch lückenhaft rekonstruieren (mangels Quellen).
 
Nicht nur das Unrechtsbewusstsein und das Gewissen im Mittelalter, sogar schon das Unrechtsbewusstsein und Gewissen vor 20 Jahren ist anders zu bewerten und zu gewichten. Wir sprechen ja hier nicht über eine Herzklappe oder einen Lungenflügel, die seit Jahrtausenden bei allen gesunden Menschen gleich sind, sondern um ein theoretisches Konstrukt, welches erst entwickelt und ausgeprägt werden muss (Moral und Gewissen werden nicht angeboren, Lorenz gilt in dem Zusammenhang als widerlegt). Und das geschieht nun mal unter Einfluss der Umwelt und ist eben nicht irgendwann mal abgeschlossen, sondern entwickelt sich weiter.

Ich kann mich sogar Lili anschließen und konstatieren, dass sich das Unrechtsbewußtsein z.B. bei Alkohol am Steuer oder Rauchen in geschlossenen Räumen in den letzten Jahren grundsätzlich gewandelt hat.

Das habe ich nicht gesagt...

Nicht genau das, ich habe ein wenig interpretiert und wollte auf eine Differenzierung der Tatbestände überleiten.
Das Tötungsverbot gibt es länger als 20 Jahre.
 
Nicht genau das, ich habe ein wenig interpretiert und wollte auf eine Differenzierung der Tatbestände überleiten.
Das Tötungsverbot gibt es länger als 20 Jahre.
Ok, so bin ich bei dir, auch wenn ich persönlich die Beispiele etwas unglücklich gewählt finde. Wenn wir uns einen fiktiven Tatbestand rausgreifen, dann sollte es schon etwas sein, dass über einen sehr langen Zeitraum gesehen Unrecht ist/war. Mord oder Diebstahl bspw. Die 20 Jahre waren nur ein fiktives Beispiel von mir, um die Kurzlebigkeit moralischer Vorstellungen darzustellen (ich hatte kurz vorher einen Aufsatz zum § 218 in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts gelesen...).
 
Hat sich wirklich das Unrechtsbewußtsein gewandelt, oder nur der gesellschaftliche und persönliche Umgang damit? :grübel:

Früher hieß es "da tät ich mich der Sünden fürchten", weil der Mensch nichts so sehr fürchtete, wie in die Hölle zu fahren; heute nehmen einige Personenkreise Gesetzesübertretungen eher"sportlich", sehen viele Gesetze und Regelungen als Beamtenwillkür, gegen die man sich zwar nicht öffentlich wehrt, aber die man zu umgehen versucht. Nach dem Motto "wo kein Kläger, da kein Richter". Manche protzen sogar mit ihren Strafzetteln.

Speziell was die Todesstrafe angeht, befürchtet wohl kaum mehr ein angeblich christlicher Mörder am Tag des jüngsten Gerichtes in die Hölle zu fahren, sie fürchten lediglich das weltliche Gericht, und nicht einmal das, obwohl sich ein Mörder natürlich immer bewußt ist oder war (egal in welchem Jahrhundert), dass Mord verwerflich ist.

Wirklich interessant wäre es, die verschiedenen Bevölkerungsschichten (z.B. Adel, hohes Bürgertum, mittleres Bürgertum, untere Stände bzw. Unterschicht)zu vergleichen, in welchen sind/waren mehr Gesetzesübertretungen zu verzeichnen, und inwieweit hat sich das zwischen Mittelalter, Aufklärung, Industrialisierung und bis heute verändert? Der Ablasshandel wäre dabei gesondert zu betrachten. Galt er für manche vielleicht sogar als Freifahrtschein, weil man sich der "Sünde" wieder "entledigen", zumindest freikaufen konnnte, wenn nur genug im Geldsäckel war? :grübel:
 
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Hat sich wirklich das Unrechtsbewußtsein gewandelt, oder nur der gesellschaftliche und persönliche Umgang damit? :grübel:
Guck mal mein Beitrag von gestern 22:32 Uhr ;)

Früher hieß es "da tät ich mich der Sünden fürchten", weil der Mensch nichts so sehr fürchtete, wie in die Hölle zu fahren; heute nehmen einige Personenkreise Gesetzesübertretungen eher"sportlich", sehen viele Gesetze und Regelungen als Beamtenwillkür, gegen die man sich zwar nicht öffentlich wehrt, aber die man zu umgehen versucht. Nach dem Motto "wo kein Kläger, da kein Richter". Manche protzen sogar mit ihren Strafzetteln.
Ich steh ja auf Definitionen... :fs: Wir sollten hier sauber trennen zwischen Gesetz, Recht, Rechtsempfinden und Moral. Nur weil etwas gesetzlich geregelt ist, muss es noch lange nicht rechtlich sein, nur weil etwas rechtlich ist, muss man es nicht zwingend mit dem eigenen Rechtsempfinden vereinbaren können und nur weil man irgendetwas mit dem eigenen Rechtsempfinden vereinbaren kann, heißt es noch lange nicht, dass es moralisch gesehen richtig ist. Mal einige plakative Beispiele dazu: die Rassengesetze während der NS-Zeit waren Gesetz, waren sie auch Recht? Bewertete damit jeder seinem Rechtsempfinden zufolge die Rassengesetze auch als richtig? Waren die Rassengesetze moralisch als richtig zu bewerten? Was ist in dem Zusammenhang mit der Todesstrafe? Was mit Diebstahl? Wie würde sich deine Einschätzung zum Diebstahl ändern, wenn du weißt, dass der Dieb Lebensmittel gestohlen hat, weil er am verhungern ist?

Speziell was die Todesstrafe angeht, befürchtet wohl kaum mehr ein angeblich christlicher Mörder am Tag des jüngsten Gerichtes in die Hölle zu fahren, sie fürchten lediglich das weltliche Gericht, und nicht einmal das, obwohl sich ein Mörder natürlich immer bewußt ist oder war (egal in welchem Jahrhundert), dass Mord verwerflich ist.
Hier behaupte ich mal - in Fortsetzung meines obigen Beitrages - dass ein Mörder (geistig gesund vorausgesetzt) ersmal gar keine Strafe fürchtet, weil er ja bis zum Entschluss zum Mord die Vor- und Nachteile abgewogen hat, sich einen entsprechenden Plan zurechtgerückt hat und beim Verüben der Tat davon ausgeht, nicht erwischt/nicht bestraft zu werden, ansonsten würde er ja nicht morden.

Wirklich interessant wäre es, die verschiedenen Bevölkerungsschichten (z.B. Adel, hohes Bürgertum, mittleres Bürgertum, untere Stände bzw. Unterschicht)welchen sind/waren mehr Gesetzesübertretungen zu verzeichnen, und inwieweit hat sich das zwischen Mittelalter, Aufklärung, Industrialisierung und bis heute verändert?
Mit Sicherheit interessant, aber ich fürchte etwas derartiges werden die Quellen wohl nicht her geben.

Der Ablasshandel wäre dabei gesondert zu betrachten. Galt er für manche vielleicht sogar als Freifahrtschein, weil man sich der "Sünde" wieder "entledigen", zumindest freikaufen konnnte, wenn nur genug im Geldsäckel war? :grübel:
Ich fürchte da bewertest du Beichte und Buße zu einfach, ganz so leicht war es nun ja doch nicht... Interessant wäre hier auch, ob man denn wirklich immer sein Seelenheil im Fokus hatte, oder ob nicht einfach profanere Ängste bei der Abwägung des eigenen Tuns im Vordergrund standen. (Anmerkung zum Begriff "Sünde": auch den könnte man noch in den o.g. Begriffsreigen mitaufnehmen)
 
Das Gewissen ist ein soziales Gleichgewichtsorgan (Bert Hellinger)

Die Betonung liegt hier auf "sozial", betrifft also das Verhältnis zu anderen Menschen, nicht das zu einer göttlichen oder als Instinkt angeborenen Instanz.

Ein schlechtes Gewissen ist eher die Furcht vor sozialer Ächtung und nimmt die soziale Abstrafung vorweg (ist also gefühlsmäßig eine Schwester der Trauer).

Der Gegenstand des sozialen Abstrafens hängt aber von der Situation und vom außeren Umfeld ab, kann sich also relativ leicht ändern. Nackt durch die Stadt zu rennen führt zu sozialer Ächtung, aber 100 Meter weiter im Saunapark ist man so - in den Augen der sozialen Umwelt - korrekt gekleidet. Selbst die Beurteilung von schwerwiegendem Abweichen von sozialen Verhaltensweisen, wie Mord, erfährt in einer Kriegssituation eine andere Wertung durch die umgebenden Mitmenschen.
 
Was mit Diebstahl? Wie würde sich deine Einschätzung zum Diebstahl ändern, wenn du weißt, dass der Dieb Lebensmittel gestohlen hat, weil er am verhungern ist?
Da gab es bis vor kurzem den "Mundraub", der meist nicht geahndet wurde.

Man kann einen Schritt weitergehen: Wenn mein Zuckerspiegel zu niedrig ist und mir schwindlig ist, und ich greife am Markt nach einem Brötchen oder Apfel, damit ich nicht umkippe, habe aber kein Geld dabei, ist das Diebstahl oder handelt es sich dabei um einen Notfall? Wäre der Händler verpflichtet mir zu helfen? Wenn er mir das Essen verweigert und ich habe einen schweren Kollaps, falle in Ohnmacht oder Ähnliches, gilt das dann als "unterlassene Hilfeleistung"?

Ich denke mal, es kommt mithin darauf an Was und in welchen Mengen gestohlen wird. Heutzutage muß keiner verhungern, aber akuter "Zuckermangel" kann dennoch relativ häufig verkommen.

Ein anderes Beispiel: Eine Servicekraft steckt Lebensmittel oder Speisen ein, die das Restaurant vernichten würde/müsste. Ist das Diebstahl? Manchmal sind die Grenzen schwer zu ziehen.
 
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Da gab es bis vor kurzem den "Mundraub", der meist nicht geahndet wurde.

(...)

Ein anderes Beispiel: Eine Servicekraft steckt Lebensmittel oder Speisen ein, die das Restaurant vernichten würde/müsste. Ist das Diebstahl? Manchmal sind die Grenzen schwer zu ziehen.

Den "Mundraub" gibt es in der (dt.) Rechtsprechung nicht! Grundsætzlich ist Diebstahl eben Diebstahl, ob Du einen Apfel nimmst oder ein Auto.
Es wære zu untersuchen, ob es "Mundraub" irgendwann mal gegeben hat.
Edit: Es gab diesen Straftatbestand laut Wiki tatsæchlich, aber er wurde eben auch bestraft.

Wie die gængige Rechtsprechung zeigt, ist dein genanntes Beispiel Diebstahl. Das hat, um historisch zu bleiben, sich meines Wissens nie geændert.

Gruss, muheijo
 
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