Unsere Mütter, unsere Väter

... Wären unsere Vorfahren im heutigen Sinne moralisch integer gewesen oder meinetwegen "normal" hätte dieser Krieg sicherlich von Beginn an einen anderen Verlauf genommen; man möchte sogar soweit gehen und darüber spekulieren ob er überhaupt stattgefunden hätte.

Moin

Das unsere Gesellschaft moralisch "normal" sein soll, ist aber mal ne gewagte These!

Das steckt eine gehörige Portion Selbstgefälligkeit drin. Anzunehmen, dass so etwas wie im 3. Reich heute nicht mehr passieren kann, weil wir ja alle sooo "moralisch integer" sind, ist ein gefährlicher Trugschluss!
Wenn ich sehe, wie gering die Bereitschaft der heutigen Bevölkerung ist, gegen Missstände auch mal auf die Straße zu gehen, dann muss ich sagen, dass die Gesellschaft in den 60er-70er Jahren (scheinbar) deutlich weiter war.

So wie wir heute in unsere Alltagsproblemen verstrickt sind (mit allen dazugehörigen Existenzängsten und täglichen Ablenkungen), so waren es die Deutschen 1933 eben auch (in Bezug auf Existenzängste sogar noch mehr). Wer kämpft denn heute rund um die Uhr gegen Missstände im Land/in der Welt, wenn er mit beruflichen Schwierigkeiten zu rechnen hat?
Eben, kaum einer!
Von wegen "moralisch integre" Gesellschaft. Wir sind heute so "normal" wie die Leute vor 70 Jahren.
 
@Huski: Die oben angesprochene moralische Integrität ist eine schwierige Frage. Mindestens müsste dabei berücksichtigt werden, welcher Indoktrination diese Generation im Dritten Reich unterlag. Ich würde da auch mindestens zwei "Generationen" in der Wehrmacht sehen, und den "Bestand" 1939 nicht mit dem von 1942-45 gleichsetzen.


Dass aber damals durchaus auch Normen und Werte galten, wie wir sie heute kennen, kann man daran sehen, dass Ende 1939 noch jemand vor ein Kriegsgericht gezerrt wurde, der einen Juden in Polen erschossen hatte. Was zwei Jahre später Alltag war, war damals also noch ein prozesswürdiges Verbrechen.

Hieran sieht man mE den "Verfall" der Wehrmacht, die Kollaboration mit dem System bis in den Vernichtungskrieg ab 1941. Die angesprochenen prozesswürdigen Verbrechen 1939 zielen zB auf die Verurteilung von Soldaten der SS-Verfügungstruppe im Polenfeldzug. Das war aber eine Frage von Normen und Werten, als vielmehr die Bedenken über die Auflösung von Disziplin und Ordnung in der Truppe, die zu solchen Verurteilungen führten. Die Empörung älterer Wehrmachtsoffiziere über die Massaker in Polen war idS nicht "wertegestützt", sondern basierten auf recht nüchternen Führungsüberlegungen. Im Ansatz wiederholte sich solche Bedenken - in wenigen Fällen - auch 1941.

Siehe Felix Römer: „Im alten Deutschland wäre solcher Befehl nicht
möglich gewesen
“ - Rezeption, Adaption und Umsetzung des Kriegsgerichtsbarkeitserlasses im Ostheer 1941/42, VfZ 2008, S. 53 (oder seine Monographie zum Kommissarbefehl).
 
Aber zur überzogenen Kritik: Natürlich ist es unwahrscheinlich, dass sich 5 Freunde an der riesigen Ostfront und ihrem Hinterland ständig über den Weg laufen, aber hier muss man nun mal Abstriche wegen der Dramaturgie machen. Sicher, man hätte es auch anders regeln können, aber die Macher des Dreiteilers haben es nun mal so gelöst. Wichtiger ist mir hier auch nicht die Kritik am dramaturgischen Konzept, sondern die Behauptung, der Dreiteiler würde verharmlosen. Und das tut er m.E. nicht. Er zeigt vielmehr, wie schleichend der Prozess ist, der aus ganz normalen Männern Massenmörder macht.

In diesem Abschnitt habe ich noch einen Punkt vergessen, den ich nicht unerwähnt lassen wollte. Was dem Film zugute zu halten ist, ist, dass er wiederholt das Partisanenproblem als hausgemacht beschreibt und darauf hinweist, dass dieselben Menschen, die die Deutschen 1941 als Befreier begrüßten, nun aufgrund der Untermenschen- und Besatzungspolitik als Partisanen den Deutschen das Leben im Hinterland schwer machten. Dies geschieht erstmals durch den deutschen Arzt, irgendwann mal durch Wilhelm und auch durch den Anführer der Partisanen, der meint, dass die Sowjets zwar zu einem Problem werden könnten, dass die Deutschen aber den Tod aller Polen bedeuteten.
 
Dass aber damals durchaus auch Normen und Werte galten, wie wir sie heute kennen, kann man daran sehen, dass Ende 1939 noch jemand vor ein Kriegsgericht gezerrt wurde, der einen Juden in Polen erschossen hatte. Was zwei Jahre später Alltag war, war damals also noch ein prozesswürdiges Verbrechen.

Am 9. Oktober 1939 richtete der Oberstabsarzt der Krankentransport-Abteilung 581, Dr. Möller, eine persönliche Meldung an Hitler als Obersten Befehlshaber der Wehrmacht, in der er über eine Erschießungsaktion unter Aufsicht eines SS-Sturmbannführers berichtete, Es seien 20-30 Polen erschossen worde, darunter 5-6 Kinder im Alter von 2-8 Jahren. Er und die übrigen Zeugen seien bereit, dies zu beeiden.

Die Heeresführung betrieb allerdings eine Politik des Wegsehens. und der OBdH von Brauchitsch befahl schon am 24. September 1939, "die Teilnahme von Angehörigen des Heeres an polizeilichen Exekutionen" zu verbieten. Damit kommt zum Ausdruck dass es eine solche Teilnahme gegeben hatte, wie auch die Tolerierung der Aktionen der SS-Verbände.
Dabei wurde erst am 26. Oktober eine Zivilverwaltung eingerichtet und bis zu diesem Zeitpunkt war allein die Wehrmacht für die Einhaltung des Kriegrechts gegenüber der polnischen Zivilbevölkerung verantwortlich.
Es gab deshalb auch immer wieder Proteste aus den Heeresverbänden gegen die Maßnahmen der SS, an der Spitze durch den Oberbefehlshaber Ost, Generaloberst von Blaskowitz, der schließlich im Mai 1940 abgelöst wurde. Heydrich bezeichnete dies als "kindliche Einstellungen" des Heeres.

Oder erinnert sei den Generalleutnant Mieth, der im Januar 1940 in einer Generalstabsbesprechung ausgeführt hatte, die SS habe in Polen Masssenerschießungen durchgeführt ohne dass es vorher ein Gerichtsverfahren gegeben habe. Damit sei "die Ehre der Wehrmacht beschmutzt" worden. Das sorgte für so große anhaltende Unruhe, dass Hess im März 1941 Brauchitsch und Keitel aufforderte, "im Fall Mieth die notwendigen Konsequenzen" zu ziehen.

In einem Urteil gegen einen SS-Sturmmann und einen Polizeiwachtmeister wegen eines Massakers hat die Anklage Mitte September 1939 auf die Todesstrafe plädiert, es erfolgte allerdings nur eine Verurteilung zu 9 Jahren bzw. einem Jahr Zuchthaus. Der OB der 3. Armee, von Küchler, hatte das Massaker vor den Kommandeuten der betreffenden SS-Einheit scharf verurteilt.

So gab es am Beginn des Krieges in Polen durchaus noch eine Kenntnis grundlegender Werte, ihre aktive Anwendung durch die Wehrmachtführung war aber von Beginn an durch politische Rücksichtnahmen gekennzeichnet..

Als dann am 4. Oktober 1939 Hitler eine Amnestie für alle Straftaten aussprach, die "aus Verbitterung wegen der von Polen verübten Greuel" erfolgt seien, war letztlich der Kriegsgerichtsbarkeit der Boden entzogen.
Auch im Falle des Todesurteils gegen den Major Richard Sahla, der vier Polinnen durch Genickschuss ermordet hatte, weil sie geschlechtskrank und damit minderwertig seien, griff Hitler persönlich ein und verminderte die Strafe auf 6 Jahre Zuchthaus.
Doch selbst drei Tage nach Hitlers Amnestieerlass verhandelte das Feldkriegsgericht der 31. Infanterie-Division noch gegen zwei Santäts-Unteroffiziere wegen der Erschießung zweier Juden und verurteilte sie zu 5 Jahren Zuchthaus bzw. 2 Jahren Gefängnis.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Fälle sind von Böhler, Broszat und anderen dargestellt worden. Es gibt allerdings keinen Hinweis, dass 1939 andere Prinzipien/"Werte" galten als das, was in der Eskalation zum schärferen Fall des späteren Kriegsgerichtsbarkeitserlasses von Römer ausgeführt wurde:

Jeder „Blutrausch“ und „unnötiges Scharfmachen“ der Truppe sei unerwünscht, beziehungsweise „nur soweit, als zur Sicherung der Truppe und raschen Befriedung des Landes erforderlich“.
Römer, S. 57.

"Die Bedenken bezogen sich allerdings mehr auf die möglichen Rückwirkungen des Erlasses auf die eigenen Truppen als auf die Konsequenzen, die der entrechteten Zivilbevölkerung im Operationsgebiet drohten. Man befürchtete, dass die geplante juristische Entgrenzung in den eigenen Reihen schnell einen drastischen Abfall der militärischen Disziplin nach sich ziehen würde, der unweigerlich die Funktionstüchtigkeit und Leistungsfähigkeit der Verbände beeinträchtigen musste. Nicht nur dem Oberbefehlshaber des Heeres, sondern auch den erfolgsorientierten Truppenführern des Ostheers ging es daher bei der Implementierung des Gerichtsbarkeitserlasses in erster Linie darum, die „Manneszucht, die Grundlage unserer Erfolge, zu erhalten“, während die geplante radikale Repressionspolitik in den besetzten Gebieten kaum Kritik hervorrief."
Römer, S. 63.

Das ist der gleiche Kontext, der auch bereits in Polen galt, und in dem Verurteilungen von "unnötigem" Blutrausch noch Praxis war. Es ging hier nicht um moralische Werte, weniger um politische Anbiederung, sondern knallhart um militärische Effizienz, unabhängig von der moralischen Empörung, mündlich oder schriftlich in den Eingaben "nach oben".
 
Das unsere Gesellschaft moralisch "normal" sein soll, ist aber mal ne gewagte These!

Habe ich nirgends behauptet! Lediglich gemessen an heutigen Wertvorstellungen, die natürlich nicht zwangsläufig den Ist-Zustand repräsentieren, kann man die Mentalität der Generationen 1900-1945 wohl kaum als integer in puncto "Menschenrechte" auffassen.

@Quijote: Gerade weil es eine Genese gab, wird deutlich dass die Grausamkeiten nicht vom Himmel fielen und das bloße Resultat körperlichen und psychischen Drucks waren sondern ideologisch fundamentiert... come on, das wird hier doch niemand leugnen wollen?
 
... gemessen an heutigen Wertvorstellungen, die natürlich nicht zwangsläufig den Ist-Zustand repräsentieren, kann man die Mentalität der Generationen 1900-1945 wohl kaum als integer in puncto "Menschenrechte" auffassen. ...

Moin

Und genau dies ist meiner Meinung nach ein Trugschluss!
Will das Thema jetzt hier nicht auswalzen, weil z.T. OT, doch eines möchte ich hier schon zu bedenken geben.

Unsere Wachsamkeit bezüglich Menschenrecht reicht vielleicht bis zum Gartenzaun (symbolisch gesehen). Wie sieht es aber hinterm Gartenzaun aus? Gerne nutzen wir günstige Produkte, die unter menschenunwürdigen Umständen gefertigt werden. Da heißt es "Geiz ist geil", Hauptsache ich profitiere davon!

Ich nehme mich selbst dabei nicht aus der Kritik heraus und dürfte mich später nicht beklagen, wenn man mir mal die moralische Keule um die Ohren hauen würde.
 
Es ging hier nicht um moralische Werte, weniger um politische Anbiederung, sondern knallhart um militärische Effizienz, unabhängig von der moralischen Empörung, mündlich oder schriftlich in den Eingaben "nach oben".

Bei der Kriegsgerichtsbarkeit ging es natürlich immer und zu allen Zeiten primär um die Aufrechterhaltung einer strikten Disziplin zum Zwecke einer möglichst hohen militärischen Effizienz der Truppe. 1939 kam bei den Truppenführern noch die Furcht vor Auflösungserscheinungen hinzu, die sie Ende 1918 erlebt hatten.

Laut einer Übersicht der Wehrmachtsrechtsabteilung über die in der Zeit vom 26.8. - 18.11. 1939 durch Wehrmachtsgerichte zum Tode verurteilten Personen erfolgte in 13 Fällen die Verurteilung wegen Plünderung und in 5 Fällen wegen Mord oder Selbstverstümmelung Bei den Morden wird leider nicht gesagt, ob es sich um Morde an Polen oder Deutschen handelt, sicher ist darunter aber der Major Sahla, dessen Strafe Hitler dann herabsetzte.

Für die 4. Armee existiert ebenfalls eine Statistik, die allerdings vom 26. September 1939 bis zum 9. Mai 1940 reicht, also auch Straftaten enthalten kann, die im Westen vor Beginn des Frankreichfeldzuges verübt wurden. Hier gab es zwei bestätigte und vollstreckte Todesurteile, eines wegen vollendeter und versuchter Notzucht und eines wegen Plünderung und Fahnenflucht. Die Verurteilung zu längeren Haftstrafen erfolgte ebenfalls wegen vers. Notzucht, Plünderung , Raub und verschiedenen Sittlichkeitsvergehen.

Die Ratio bei diesen Urteilen ist immer letztlich die Erhaltung der militärischen Effizienz, selbst ein Nazi wie von Reichenau hat ein Urteil des Gerichts der 10. Armee vom September 1939 wegen der Erschießung von Juden als zu niedrig aufgehoben.

Immerhin ist aber doch nicht von Anfang an ein grundsätzliches Zurückweichen der Gerichte und auch der bestätigenden Truppenführer vor der Einführung weltanschaulicher Maximen in die Urteilsfindungen festzustellen. Und dies hatte sicher auch mit der moralischen Bewertung der Straftaten durch die handelnden Personen zu tun.
 
Die Ratio bei diesen Urteilen ist immer letztlich die Erhaltung der militärischen Effizienz ... Immerhin ist aber doch nicht von Anfang an ein grundsätzliches Zurückweichen der Gerichte und auch der bestätigenden Truppenführer vor der Einführung weltanschaulicher Maximen in die Urteilsfindungen festzustellen. Und dies hatte sicher auch mit der moralischen Bewertung der Straftaten durch die handelnden Personen zu tun.

Das sehe ich auch so, dass die moralische Bewertung mitgeschwungen haben wird. Mir ging es darum, die Priorität der militärischen Führung klar herauszustellen, nicht darum, moralische Bewertungen rundherum auszuschließen.

Die Verbrechen an Zivilisten haben darüber hinaus einen weiteren Aspekt, der noch nicht angesprochen wurde: neben den "weltanschaulichen" Morden gab es speziell in Polen die Franktireur-Phobie, zT durch die Führung in den entsprechenden Handbüchern verschuldet bzw. forciert bei einer Truppe, die am 1.9.1939 keine Gefechtserfahrung hatte. Den Aspekt hat Böhler herausgestellt und neben die sonst initiierten Verbrechen gestellt. Der Aspekt ist deshalb wichtig, weil gerade hier die ("nervöse") Truppe der Führung "entglitt" und eben nicht die "gefechtsperfekte" Wehrmacht "glatt" durch die Lande operieren sah.

Das gehört zum Kontext der weltanschaulichen Morde, die nach Ansicht der Führung dieses Führungsproblem einer disziplin-gelösten Truppe verschärfte.
 
Das ist der gleiche Kontext, der auch bereits in Polen galt, und in dem Verurteilungen von "unnötigem" Blutrausch noch Praxis war. Es ging hier nicht um moralische Werte, weniger um politische Anbiederung, sondern knallhart um militärische Effizienz, unabhängig von der moralischen Empörung, mündlich oder schriftlich in den Eingaben "nach oben".

Genau das. Man hatte eher die Befürchtung, dass sich die Soldaten lieber mit dem Massakrieren der Bevölkerung beschäftigen, anstatt feindliche Soldaten zu bekämpfen.

Im Buxch "Soldaten" von
Sönke Neitzel/Harald Welzer gibt es ein Kapitel namens "Soldatenwelt" unterteilt in "Der Referenzramen des <<Dritten Reiches>>" und "Der Referenzramen des Krieges" das sehr gut wieder gibt wie die Menschen in Deutschland damals tickten und warum.
 
neben den "weltanschaulichen" Morden gab es speziell in Polen die Franktireur-Phobie, zT durch die Führung in den entsprechenden Handbüchern verschuldet bzw. forciert bei einer Truppe, die am 1.9.1939 keine Gefechtserfahrung hatte.

Nun, die Auffassungen zur kriegsvölkerrechtliche Stellung von Freischärlern ist bis heute ja nicht übereinstimmend.

In Polen hatte das Problem ja gleich zu Beginn mit der Verteidigung der polnischen Post in Danzig begonnen. Hier wurden alle überlebenden Verteidiger zu Tode verurteilt, auch solche, die nicht mit der Waffe gekämpft hatte.
Und weiter problematisch wurde es durch Aufrufe der polnischen Regierung an die Zivilbevölkerung, sich an der Verteidigung zu beteiligen. Das hatte zur Folge, dass mindestens nach einer der wesentlichen Ansichten zum Kriegsvölkerrecht das Privileg einer spontanen Volkserhebung nach Art. 2 HLKO entfiel und die Regierung für die Einhaltung des Art. 1 durch alle Kämpfer zu sorgen hatte.

Was ich für schwerwiegend in diesem Zusammenhang halte, ist die von Brauchitsch am 12. September 1939 herausgegebene "Verordnung über Waffenbesitz", die für das Gebiet westlich des San und der mittleren Weichsel mit sofortiger Wirkung galt, Soldaten wie Zivilisten betraf und bei Androhung der Todesstrafe die Ablieferung von Waffen binnen 24 Stunden verlangte. Damit war für Zivilisten wie auch für versprengte Soldaten, ja selbst Truppeneinheiten hinter der Front das Kriegsrecht praktisch aufgehoben.
Die Wehrmachtsstatistik weist allerdings nur 12 Todesurteile durch Standgerichte nach dieser Vorschrift aus. Wahrscheinlich ist aber, dass die Zahl der Erschossenen ohne ein Standgerichtsurteil oder auf Grund von Repressionsmaßnahmen weit höher lag.
 
Er (der Dreiteiler) zeigt vielmehr, wie schleichend der Prozess ist, der aus ganz normalen Männern Massenmörder macht.
Hier sind zwei Dinge zu bedenken:
1. Der Krieg macht Mörder. Aber der Krieg allein kann die Massenmorde im Osten nicht erklären.
2. Ganz normale Männer? Der Jahrgang 1920 hatte 1941 vier Jahre Jungvolk und vier Jahre HJ auf dem Buckel. Indoktrinierter ging es kaum!
Mindestens müsste dabei berücksichtigt werden, welcher Indoktrination diese Generation im Dritten Reich unterlag.
Meine Kritik lautet, dass UMUV diese Indoktrination weder zeigt noch spüren lässt. Im Gegenteil: man/frau ist mit einem Juden befreundet. Und wenn frau dann doch eine Jüdin verrät, dann geschieht dies aus Unbedachtheit, Naivität, etc.
Zudem gibt es eine Genese des Holocaust.
Zunächst haben wir eine Phase der Entrechtung und Ausplünderung der Juden von 1933 bis 1938/39, die schließlich mit der massenhaften Einweisung von jüdischen Männern nach Buchenwald, Dachau, Sachsenhausen und der Zusammenfassung der Juden in sogenannten Judenhäusern endet, dann haben wir eine zweite Phase, die des eigentlichen Holocaust, die damit beginnt, dass man jüdische Männer erschießt, weil man eine gewisse Paranoia herangezüchtet hat, diese Erschießungen werden allmählich ausgeweitet und es wird schnell klar, dass diese Massenerschießungen den Schützen gegenüber unzumutbar sind (ja, das sind tatsächlich Beobachtungen damals gewesen) und dass außerdem die Gewehre heiß laufen... und dann fängt man an zu experimentieren, bis man schließlich bei verschiedenen Methoden der Vergasung landet.
Im Grund ein völlig absurder Prozess, den diese Genese des Holocaust durchläuft.
Nein, eben nicht. Die Ausgrenzung der Minderheit durch die Mehrheitsgesellschaft ist eine notwendige Voraussetzung für den Massenmord an der Minderheit. Nur wenn diese von der Mehrheit als störend und gefährlich wahrgenommen wird, kann die Mehrheitsgesellschaft motiviert werden, die Minderheit auszuschalten und zu vernichten. Der einzelne Täter sieht sich dann in Übereinstimmung mit der Mehrheitsmoral und kann sein Handeln als "gut"/"sinnvoll" bewerten. Er kann dann auch selbständig tätig werden oder sich zum Morden zur Verfügung stellen. Es müssen nur noch die situativen, sozialen und handlungsdynamischen Bedingungen dafür geschaffen werden, dass diese Bereitschaft in Handeln umschlägt.
Gut, aber wie ist es mit diesem "Menschenmaterial" dann gelungen nach 1945 eine funktionierende Demokratie aufzubauen und zu etablieren?
Demütigung/Zwang (Niederlage, Besatzung, Entnazifizierung der Behören [die Renazifizierung kam erst mit dem G131]), Demütigung/Moralbombing (von 45 bis 55 waren die Deutschen mit dem Wiederaufbau ihrer Städte beschäftigt), Abhängigkeit im “Kalten Krieg“ (lieber dem Amerikaner gefällig sein, als vom Russen besetzt zu werden), "Umerziehung", Zuckerbrot (Marshall-Plan) , etc. etc.
 
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Hier sind zwei Dinge zu bedenken:
1. Der Krieg macht Mörder. Aber der Krieg allein kann die Massenmorde im Osten nicht erklären.

Ich habe die Massenmorde nicht allein mit dem Krieg erklärt und UMUV imho ebenfalls nicht.

2. Ganz normale Männer? Der Jahrgang 1920 hatte 1941 acht Jahre Jungvolk und acht Jahre HJ auf dem Buckel. Indoktrinierter ging es kaum!
Sind ja nicht nur zwanzigjährige in den Krieg gezogen. Mal abgesehen davon, dass es auch in der Nazizeit, vor allem in den ersten Jahren, noch andere, nichtnazistische Einflüsse gab. Jeweils vier Jahre Jungvolk und HJ würde bedeuten, dass jemand direkt nach 1933 ins Jungvolk gegangen wäre und danach in die HJ. Das mag vielfach der Usus gewesen sein, und die Pflichtteilnahme an Veranstaltungen der HJ setzte aber erst 1936 ein, die Auflösung anderer Jugendorganisationen dauerte noch bis 1938.

Ich halte es für fahrlässig anzunehmen, die späteren Mörder seien nur Sadisten oder in ihrer Jugend indoktronierte Menschen gewesen. Die Forschungen von Browning, den ich nicht umsonst zitiert habe, haben ein anderes Bild ergeben. Lohnt sich wirklich zu lesen. In seinen und in Welzers auf Browning aufbauenden sozialpsychologischen Untersuchungen sehe ich auch den pädagogischen Imperativ, den uns der Vernichtungskrieg und andere Ereignisse (Rwanda, Bosnien, Vietnam, 'Iraq...) hinterlässt.

Meine Kritik lautet, dass UMUV diese Indoktrination weder zeigt noch spüren lässt. Im Gegenteil: man/frau ist mit einem Juden befreundet. Und wenn frau dann doch eine Jüdin verrät, dann geschieht dies aus Unbedachtheit, Naivität, etc.

Aber diese Freundschaften hat es gegeben. Und dass man zwischen bekannten Juden und anonymen Juden unterschied, hat Himmler auf den Punkt gebracht:
"Und dann kommen sie alle an, die braven 80 Millionen Deutschen, und jeder hat seinen anständigen Juden. Es ist ja klar, die anderen sind Schweine, aber dieser eine ist ein prima Jude."
Sicher, dieser Punkt der Erzählung mag ein wenig abwegig sein. Die Frage ist hier die Darstellungsabsicht. Verrät Charlotte die Ärztin wirklich aus Naivität? So habe ich das jedenfalls nicht verstanden, ich hatte vielmehr den Eindruck, dass sich, als der Verrat Konsequenzen trug, in ihr schon ein Stück weit ein Wandel vollzogen hat. Ich hatte nicht den Eindruck, dass der Verrat in irgendeiner Form entschuldigt wird.

Die Ausgrenzung der Minderheit durch die Mehrheitsgesellschaft ist eine notwendige Voraussetzung für den Massenmord an der Minderheit. Nur wenn diese von der Mehrheit als störend und gefährlich wahrgenommen wird, kann die Mehrheitsgesellschaft motiviert werden, die Minderheit auszuschalten und zu vernichten. Der einzelne Täter sieht sich dann in Übereinstimmung mit der Mehrheitsmoral und kann sein Handeln als "gut"/"sinnvoll" bewerten. Er kann dann auch selbständig tätig werden oder sich zum Morden zur Verfügung stellen. Es müssen nur noch die situativen, sozialen und handlungsdynamischen Bedingungen dafür geschaffen werden, dass diese Bereitschaft in Handeln umschlägt.
Hier bin ich ganz bei dir.
 
Zuletzt bearbeitet:
Sind ja nicht nur zwanzigjährige in den Krieg gezogen. Mal abgesehen davon, dass es auch in der Nazizeit, vor allem in den ersten Jahren, noch andere, nichtnazistische Einflüsse gab. Jeweils vier Jahre Jungvolk und HJ würde bedeuten, dass jemand direkt nach 1933 ins Jungvolk gegangen wäre und danach in die HJ. Das mag vielfach der Usus gewesen sein, und die Pflichtteilnahme an Veranstaltungen der HJ setzte aber erst 1936 ein, die Auflösung anderer Jugendorganisationen dauerte noch bis 1938.

Ich halte es für fahrlässig anzunehmen, die späteren Mörder seien nur Sadisten oder in ihrer Jugend indoktronierte Menschen gewesen. Die Forschungen von Browning, den ich nicht umsonst zitiert habe, haben ein anderes Bild ergeben.

Die Zuspitzung bringt es doch auf den Punkt: nur Indoktrinierte sind nicht erforderlich. Wir haben es bei Wehrmacht, Polizei, SD-Einsatzgruppen, Totenkopfverbände etc. mit straff organisierten Gruppen zu tun, bei denen nicht erforderlich ist, bei allen die oben angesprochenen "Mentalitäten" als psychologische Prädispositionen, sozusagen die Basis der Verbrechen, vorauszusetzen.

Hier reicht eine "kritische Masse", die mit der Entgrenzung der Gewalt (eben durch Indoktrination gefördert) kein Problem hat, und vorangeht. Gruppenpsychologisch teilt sich der Rest in Mitläufer, Passivität und - begrenzt innerhalb der straff organisierten Struktur in wenige, ausserhalb in mehr - Widerstand auf.

Die Ausnahmen passen in das differenzierte Bild, ebenso wie die Passivitäten. So erklärt sich, dass gewöhnliche Hamburger Polizisten mit gewöhnlichem familiärem Hintergrund, und über alle Altersstufen und politische Orientierungen vor 1933 greifend, am Massenmord beteiligt waren. Für diese Dynamik, für diese Entgrenzung der Gewalt ist es keinesfalls erforderlich, von der Vorstellung auszugehen, dass das homogene Gruppen waren, die sämtlich ähnlich indoktriniert zum Massenmord schritten.

Die "Mehrheitsgesellschaft" des Dritten Reiches mit Ausgrenzung der Minderheiten als Vorstufe zur Vernichtung funktioniert damit in dem Sinne - grob vereinfacht -, dass 1 bis 2 Mio von 80 als "Treiber" funktionieren, damit sich die Mehrheitsgesellschaft "beteiligt" oder das "Treiben" in Hitlers Volksstaat mindestens "billigt" oder zwecks Passivität "verdrängt". In dieser Sortierung wird man weiterhin im Verlauf des Dritten Reiches - sozusagen dynamisch betrachtet - Übertritte zwischen den grob sortierten Gruppen und der persönlichen Verhaftung in den unterschiedlich straffen Organisationsstrukturen finden.

Vor dem Hintergrund kann man sich wieder der Froschperspektive, den biographischen Verläufen zuwenden, und kann nicht überrascht sein, das ganze Spektrum vorzufinden.
 
Die Zuspitzung bringt es doch auf den Punkt: nur Indoktrinierte sind nicht erforderlich. Wir haben es bei Wehrmacht, Polizei, SD-Einsatzgruppen, Totenkopfverbände etc. mit straff organisierten Gruppen zu tun, bei denen nicht erforderlich ist, bei allen die oben angesprochenen "Mentalitäten" als psychologische Prädispositionen, sozusagen die Basis der Verbrechen, vorauszusetzen.

Nicht vergessen werden sollte die Einstellung, besonders von Beamten, Polizisten, Staatsdienern, die gar nichts mit einer direkten politischen oder ideologischen Indoktrination zu tun hat. "Ich habe nur Befehlen gehorcht", dürfte eines der bekanntesten Schlagworte sein, die aus dem Zusammenhang bekannt ist. Dahinter steht eine erst mal unpolitische, nicht-sadistische Sichtweise, die besagt: Gehorche Deinen Vorgesetzten! Diese Gesinnung war im preussisch-deutschen Beamtenapparat inkl. der Polizei doch sehr weit verbreitet, und ganz ohne eine entsprechende Subordination unter Vorschriften und bürokratische Hierarchien ist eine moderne Verwaltung auch nur schwer vorstellbar. Ohne eine "Grundrechtsbindung" kann sie aber auch direkt in die autoritäre Katastrophe führen.
 
Verrät Charlotte die Ärztin wirklich aus Naivität? So habe ich das jedenfalls nicht verstanden, ich hatte vielmehr den Eindruck, dass sich, als der Verrat Konsequenzen trug, in ihr schon ein Stück weit ein Wandel vollzogen hat. Ich hatte nicht den Eindruck, dass der Verrat in irgendeiner Form entschuldigt wird.

Der Stabsarzt beklagte doch kurz vorher, dass nun schon wieder zwei Packungen Morphium verschwunden seien und äußerte die Vermutung, dass diese möglicherweise gestohlen worden seien und zu den Partisanen geschmuggelt würden.

Ich habe das in Verbindung mit dem Verrat gesehen, also als Motiv für den Verrat etwa gleichrangig die Tatsache, dass es sich bei der Ärztin um eine Jüdin handelte, und der Verdacht, sie könnte heimlich für die Partisanen arbeiten.
 
auch wenn ich Frauen schlecht wiedererkenne:

Charlotte stellte wohl denjenigen Charakter dar, der die ideologischen und gesellschaftlichen Um/Missstände dazu benutzt, seine persönlichen Komplexe und etwaige Minderwertigkeitsgefühle zu kompensieren.

Ohje ich glaub mir fehlen 3-6 studiengänge um das richtig zu erklären...

Sie ist einfach ganz normal Eifersüchtig auf die Jüdin, die ja als Ärztin schonmal kompetenter ist als Charlotte als Krankenschwester.
Dazu ist sie nett und nicht überheblich sondern eher bescheiden, was solch ein Neidgefühl nur noch schlimmer macht.

Wäre es nicht gerade die Zeit der Arier und Nicht-Arier gewesen, hätte es sie wohl nicht groß gestört - aber hier macht Gelegenheit auch manchmal Diebe.

Das man dann im Nachhinein die eigene persönliche Unzulänglichkeit der "Perfidie des Systems" in die Schuhe schiebt, (und damit das System an sich bagatellisiert)
oder anführt "sonst wäre man der nächste gewesen" - das sind dann die Schutzbehauptungen die ihr (die Historiker) dann im Kontext überprüfen müsst.
 
Ich habs eher so verstanden, dass Charlotte vermutet hat, dass die Ärztin/Jüdin das Morphium klaut und in der Schatulle versteckt. Morphium hat sie keines gefunden, wohl aber ein Bild, was sie als Jüdin verrät.
Pflichtbewusst (und wohl auch angestänkert, dass sie belogen wurde) hat sie die Ärztin verraten. Auch wohl deshalb weil Juden ja ach so böse sind und garantiert das Morphium klauen (ihre Krankenschwester Kolleghin hat sie ja auch dahingegend aufgestachelt).

Und im Gespräch mit ihr hat Charlotte dann feststellen müssen, dass die Ärztin/Jüdin ja doch ein guter Mensch ist. Aber die Gewissensbisse kamen dann zu spät.
 
Hier bin ich ganz bei dir.
Wirklich? Das den Massenmord ermöglichende gesellschaftliche Klima wird doch erst durch Indoktrination, Propaganda, dem Schüren von Ängsten etc. geschaffen. Damit wären wir wieder bei diesem Thema.
Ich halte es für fahrlässig anzunehmen, die späteren Mörder seien nur Sadisten oder in ihrer Jugend indoktronierte Menschen gewesen. Die Forschungen von Browning, den ich nicht umsonst zitiert habe, haben ein anderes Bild ergeben. Lohnt sich wirklich zu lesen. In seinen und in Welzers auf Browning aufbauenden sozialpsychologischen Untersuchungen sehe ich auch den pädagogischen Imperativ, den uns der Vernichtungskrieg und andere Ereignisse (Rwanda, Bosnien, Vietnam, 'Iraq...) hinterlässt.
Ich schrieb von einer Generation, die kaum indoktrinierter sein konnte. Das bedeutet weder dass jeder, der dieser Generation angehörte, indoktriniert gewesen wäre, noch dass die Mörder des Dritten Reiches (nur) indoktrinierte Menschen gewesen wären.

Wenn ein Film von fünf Angehörigen dieser Generation erzählt, wäre es naheliegend gewesen, von dieser Indoktrination und ihrer Wirkung auf die fünf zu erzählen und es irritiert, dass dies ausblieb und gleichzeitig vom Antisemitismus der anderen erzählt wird. Im Hinblick auf die Freundschaft zwischen Viktor und den übrigen vier Hauptdarstellern wäre es naheliegend gewesen, zu erzählen, wie sich diese in diesem gesellschaftlichen Klima erhalten konnte. Selbstverständlich war dies nicht. Hier hilft auch nicht der Hinweis auf Himmlers Posener Rede über die Deutschen, die alle einen „guten Juden“ kennen würden, weiter. Nicht Himmler sondern UMUV hätte von dieser Freundschaft erzählen müssen. Gelungen ist dies nur hinsichtlich Greta und Viktor. Was Friedhelm mit Viktor verbindet, blieb unklar, hätte aber klar sein sollen, um die Szene nachvollziehen zu können, als sich beide bewaffnet gegenüber standen.

Und irritierend war auch, dass der „Prozess (…), der aus ganz normalen Männern Massenmörder macht“, im Film alternativloser erzählt wurde als er in Wirklichkeit häufig war.
 
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