Untergang der altägyptischen Religion

Ich stimme Chans Ausführungen auch zu. Nach allem, was ich als Islamwissenschaftlerin und später im Studium für Interkulturelle Kommunikation erfahren habe, ist eine grundsätzliche religiöse Offenheit polytheistischer Gruppen geradezu zwangsläufig. Ausnahmen traten dann auf, wenn politische Dinge mit ins Spiel kamen, wie eben im römischen Reich mit der gottgleichen Verehrung der Kaiser.
 
solche Verhaltensweisen sind absolut atypisch für polytheistische Religionen und nur aus der Unterdrückungssituation erklärbar, in welcher sich die Anhänger der alten Kulte befanden.

Was mich zum Einhaken veranlasst hat, war Chans Behauptung, die Verfolgung Andersgläubiger durch Polytheisten sei "nur durch die Unterdrückungssituation erklärbar":

So "absolut atypisch" ist das vielleicht nicht.
Ein ähnliches Vorgehen hatte schon Trajan dem Plinius empfohlen:
https://www.uni-due.de/~gev020/courses/course-stuff/pliniusjun.htm

Trajan & Plinius wurden sicher noch nicht von den Christen unterdrückt.
 
imho

Im großen Ganzen umreißt Chan viele Prinzipien antiken Polytheismus in diesem Thread lobenswert gut, seine Schlussfolgerungen gegenüber monotheistischen Religionen stehen dagegen auf sehr tönernen Füßen: Er kehrt Ursache und Wirkung in der Unvereinbarkeit von christlicher Religion und antikem Polytheismus einfach um. Er kennt die Unvereinbarkeit öffentlicher Kulte mit [christlich/]monotheistischer Religion für den Gläubigen nicht an und ordnet sie dem öffentlichen System des antiken Staates unter. Der Verweigerer des Opfers mutiert zum Täter der Intoleranz, nicht ein System, das ein Opfer im Zweifel auch mit Gewalt einfordert!
Es war im Wesentlichen ein Konflikt zwischen dem Staat und dem Gläubigen mit großer Dynamik. Die Praxis, dass politische Loyalität und (selbst) persönlicher Gottesglaube synonym zu sein hätten, führte später zur Verfolgung Andersgläubiger auch durch christliche Staaten… Das ist ein unleugbarer Fakt und Konstante im Konflikt zwischen Staat und persönlicher Religiosität in der Weltgeschichte, die Turandokht angesprochen hat. Wie weit antiker, religiöser Polytheismus „tolerant“ gegen andere Gottesanschauungen war, mag man auch am Prozess gegen den Philosophen Sokrates im antiken Athen bewerten…
 
Der Verweigerer des Opfers mutiert zum Täter der Intoleranz, nicht ein System, das ein Opfer im Zweifel auch mit Gewalt einfordert!

Der Punkt erinnert mich an heute übliche Forderungen, Gläubige mögen ihre religiösen Ge- und Verbote nicht über staatliche gesetze stellen; der Staat fordert, als wichtigster Setzer von gesellschaftlichen Normen und Vorschriften angesehen zu werden.

Gut, heute geht es dabei um konkrete Sachverhalte oder (Nicht-) Handlungen, nicht um eine allgemeine, symbolische Geste, deren Nicht-Befolgen staatliche Strafen nach sich zieht, und Löwen kommen auch nur noch selten zum Einsatz... (und das Rom kein Rechtsstaat im modernen Verständnis war haben wir ja auch schon festgetellt...)

Eigentlich alle antiken Staaten kannten einen Götterkult als staatliche Handlung. Diesen abzulehnen war ein "Boykott" des Staates, und damit va politisch problematisch, nicht religiös. Die "polytheistische Toleranz" (wenn man so was attestieren will) zeigte sich daran, dass jeder fast jede Gottheit verehren konnte, die er wollte; etwas, was das Christentum lange Zeit nicht kannte, da war oft die einzige geduldete religiöse Minderheit das Judentum (und die oft traurige Geschichte dieser Koexistenz dürfte bekannt sein). Eine Trennung von Staat und Religion (bzw kultischen Handlungen wie Opfer) war hingegen mWn nicht mals im Ansatz bekannt. Für den "Durchschnitts-Polytheisten" war es ja auch völlig unproblematisch, neben den eigenen Göttern bspw Jupiter oder dem Kaiser als Gott zu opfern.

Wie weit antiker, religiöser Polytheismus „tolerant“ gegen andere Gottesanschauungen war, mag man auch am Prozess gegen den Philosophen Sokrates im antiken Athen bewerten…

Interessante Frage; I.F. Stone (ein politischer Journalist, kein Historiker) behauptet in seinem Buch "Der Prozess des Sokrates" allerdings, der Hauptgrund für Sokrates Verurteilung sei seine feindliche Einstellung gegenüber der attischen Demokratie gewesen. Den Anklagepunkt "Blasphemie" bzw "Lästerung der Götter" erklärt er damit, dass es auch hier um den staatlichen Götterkult gegangen sei, der seiner Meinung nach mit der Demokratie (als staatliches System Athens) verbunden gewesen sei. So verweist er auf die Verehrung des Zeus als Zeus Boulaios (und damit Schutzherr des Rates), Zeus Agoraios (als Schutzherr der Agora, von Stone als Versammlungsplatz intrerpretiert, auf dem früher die Volksversammlungen abgehalten wurden), oder der Pleitho (als Verkörperung der Redekunst oder Beredsamkeit, nicht nur in erotischen Dingen, und damit sMn auch eine Verkörperung "demokratischer" Tugenden).

Eigentlich konnte jeder in Athen die Götter verehren, die er wollte, bzw sich über die Götter lustig machen, von denen er das wollte. Die attischen Komödiendichter sind da ein gutes Beispiel, wenn wir Aristophanes als Kronzeuge heranziehen. Von einem Vorgehen gegen derartige "Blasphemie" st allerdings nichts bekannt, oder nur bei entsprechender Quelleninterpretation. Ohne die reale Gefahr, die Sokrates für die attische Verfassung darstellte, wäre es nie zu einem Prozess oder einer Verurteilung gekommen, so Stones These. Und die war sMn 399 gegeben, nach den Tyranneien der Vierhundert (411) und der Dreißig (404/403) und dem verlorenen Krieg.
 
Zuletzt bearbeitet:
nun ja, wenn man Dauer ud Verbreitungsgebiet der ägyptischen Religion betrachtet, so ist deren Verschwinden im Prinzip an das Verschwinden anderer pantheistischen Religionen im Bereich des römischen Reiches gekoppelt und das brginnt mit Erhebung des monotheistischen Christentums zur Staatsreligion.des Imperiums.
aß monotheistische Religionen keine exernen Götter und Kulte anerkennen können liegt schon in ihrem wesen begründet.Das 1ste Gebot:" Ich bin der Herr Dein Gott und Du sollst keine anderen Götter haben neben mir !!!" ist das Paradimga aller Monotheisten und das bedeutet im Prinzip null Toleranz gegenüber anderen Glaubensrichtungen.
Das Judentum als erster Monotheismus war als strukturell bedingte Religion einer Minderheit nicht in der Lage sich durchzusetzen, das Christentum (und der Islam) mit universellen Zugangsvoraussetzungen hingegen schon.
Durch die Adaption dieser Religion durch die europäisch-mediterrane Supermacht als Staatsreligion war es möglich diesen Unversalanspruch im Imperium durchzusetzen und dadurch wurde den anderen Religionen,auch der ägyptischen ,Legitimation , staatlich Förderung und Duldung entzogen. Die bei den Legionen beliebten Kulte verschwanden oder wurden im christlichen Sinne umgewidmet. Staatlich geduldete oder durchgeführte Progrome gegen die "Heiden" taten ihr übriges.
 
nun ja, wenn man Dauer ud Verbreitungsgebiet der ägyptischen Religion betrachtet, so ist deren Verschwinden im Prinzip an das Verschwinden anderer pantheistischen Religionen im Bereich des römischen Reiches gekoppelt und das brginnt mit Erhebung des monotheistischen Christentums zur Staatsreligion.des Imperiums.

Man muss sich dennoch wundern, wie rasch uralte Religionen verschwanden und angesichts des Christentums dahinschmolzen. Über einen Zeitraum von rund 3000 Jahren (!) verehrten die Ägypter ihre Götter und errichteten gewaltige Denkmäler. Der Kult war im Volk tief verankert. Dann ruft der Kaiser des Imperium Romanum im Jahr 395 das Christentum zur Staatsreligion aus und binnen 100 Jahren verschwindet die gesamte ägyptische Religion von der Bildfläche.

Für mich ist das ein schwer zu begreifendendes Faktum, denn weder haben wir Kenntnis davon, dass die ägyptische Religion im Geheimen weiterhin ausgeübt wurde (einmal abgesehen vom Philae-Tempel), noch wird eine besondere Anhänglichkeit der Ägypter an ihre alte Religion sichtbar. Allein das Verbot heidnischer Religionen durch den Staat kann dafür nicht die Ursache sein, auch wenn heidnische Tempel geschlossen und Götterstatuen zerstört wurden.

Liegt es vielleicht daran, dass die Ägypter (und auch andere Völker) im Christentum eine Offenbarung und Hoffnung sahen, die sie in den tradierten Religionen nicht fanden? Überzeugte das Christentum durch sein Heilsversprechen und eine größere sittlich-moralische Kraft? Oder war es wirklich nur das mit Strafe bewehrte Verbot heidnischer Religionen, das den alten Religionen ein Ende bereitete? - Diese rasche Kapitulation vor dem Christentum finden wir ja auch bei den Germanen, obwohl besonders die Altsachsen und Skandinavier noch lange am germanischen Götterhimmel festhielten.
 
Eine sehr gute Frage. Gibt es dazu eventuell Literatur, die sich mit dieser Frage beschäftigt? Ich habe mir das oft so geklärt, dass die bestehenden polytheistischen Religionen bzw. Anhänger einfach offener gegenüber neuen Religionen bzw. Einflüssen waren und diese auch leicht mit einbezogen akzeptiert haben. Es gab bzw. gibt ja oft "Misch"-Versionen des Christentums.
 
Die Frage ist mE va deswegen interessant, weil es so viele Regionen waren, in denen das Christentum schnell nach seinem Auftauchen dermaßen erfolgreich war. Nicht nur die unterschiedlichen Regionen des römischen Reiches, sondern auch in Irland oder Gegenden in Germanien, die nie römisch waren. Ebenso wie später in Skandinavien; das liegt zeitlich zwar etwas später, aber Skandinavien ja auch etwas ab vom Schuss. Sobald versärkter Austausch mit "christlichen Gebieten" exitierte (und sei es durch Überfälle auf Klöster...) dauerte es nur noch wenige Jahrhunderte, und Odin, Thor & Compagnon waren selbst in Grönland oder Island Geschichte.

Punkte, die dabei von Interesse sein könnten und mE zusammenwirken:

- Die einheitliche Hierarchie (bzw die mehreren Hierarchien der verschiedenen Konfessionen, aber eine solche hatte eigentlich jede); antike Religonen kannten nur selten religiöse Organisationen, die über mehrere Städte oder Tempel hinweg was zu sagen hatten, obwohl gerade Ägypten dazu gehörte.

- Der einheitliche Textkanon (Bibel plus andere); nicht umsonst zählt man das Chrustentum zu den Schrift- oder Buchreligionen, die ägyptische Religion nicht, obwohl auch die natürlich Schriften hatten.

- Der Missionierungsdrang (den mWn eigentlich keine antike Religion in der Form oder Aggressivität kannte); damit zusammen hängt:

- Der Anspruch, die einzige "wahre" Religion zu sein, und die damit verbundene Abwertung aller anderen Religionen; ich glaub es war Paulus, dem in Athen vorgehalten wurde, ein "Atheist" zu sein, weil er die Existenz der vielen polytheistischen Götter leugnete.

- Die Konstruktion; in viel stärkerem Maße als bspw die ägyptische Religion ist das Christentum innerhalb ein recht kurzen Zeitspanne zu dem geworden, was es dann war (und im Grunde noch heute ist), und das durch konkrete Auseinandersetzungen darüber, was das Christentum in der Gesellschaft sein sollte und wollte. Durch die Schriften der Kirchenväter oder die frühen Konzile wurde eine Religion geradezu kreiert (im Zusammenhang mit Hierarchie und texten, so.o), die dann vielleicht besser geeignet war, den bedürfnissen der damaligen menschen zu entsprechen, als die Religionen, die sich über lange Zeit (und evtl anderen Bedingungen) entwickelt hatten. Gut, unter dem Preis, das es recht früh zwei "Christentume" gab (das römische und das orthodoxe), weil man sich halt nicht in allen Punkten einig war.

Apropos Ägypten: Da wurde das Experiment in gewisser Weise Jahrhunderte vorher schon mal durchgeführt, damals mit anderem Ausgang. Ich mein die Aton-Religion Echnatons, deren Einführung gescheitert ist, woran auch immer; dass die Priesterschaft nicht mitzog, dass die Leute nicht wollten...
 
- Die einheitliche Hierarchie (bzw die mehreren Hierarchien der verschiedenen Konfessionen, aber eine solche hatte eigentlich jede); antike Religonen kannten nur selten religiöse Organisationen, die über mehrere Städte oder Tempel hinweg was zu sagen hatten, obwohl gerade Ägypten dazu gehörte.


Dieser Aspekt spielt meiner Meinung nach im Römischen Reich eine wichtige Rolle, als Ersatz für die zusammenbrechende Staatsgewalt. Inwiefern dieser Punkt bei den Germanen eine Rolle spielen könnte, ist eine gute Frage. :grübel:
 
Bei den Nordgermanen Skandinaviens hängt die Christianisierung eng mit der Reichsbildung und damit einer politischen Zentralisierung zusammen; die Verknüpfungen liegen auf der Hand. Allerdings kann der Punkt bei den Ägyptern keine Rolle spielen, und inwieweit das Christentum dem reichsweiten Kaiserkult "Überlegen" war und warum es an seine Stelle trat wäre natürlich auch zu fragen.
 
Sicher?
Oder meinst Du ihre Nichte Julia Mamaea?
https://www.unifr.ch/bkv/kapitel52-20.htm


Ich erinnere mich dunkel, es hätten beide Damen mit Origines korrespondiert. Bei Julia Mamaea bin ich mir recht sicher, denn es überliefern Hippolyt und Eusebius von Caesarea persönliche Kontakte. Julia soll in Antiochia ad Orontem Origines getroffen haben, und Hippolyt von Rom widmete ihr einen Traktat über die Auferstehung.

Bei Julia Domna dagegen bin ich im Zweifel und erinnere mich nur vage an die Fundstelle. In Frage kommt Alfred Heuss überarbeitete Römische Geschichte und eine Vorlesung des Göttinger Professors Gustav Adolf Lehmann. Ich müsste dazu meine Bibliothek einsehen. Es kann sehr gut sein, dass ich Origines mit dem Philosophiehistoriker Diogenes Laertius verwechselt habe (Heuss 8. Auflage, Römische Geschichte S. 357)

Gegen Julia Domnas Korrespondenz mit Origines spricht das noch relativ junge Alter Origines. Dieser verlor seinen Vater in einer regionalen Christenverfolgung unter Septimius Severus. Eusebius überliefert eine Anekdote. Danach soll Origines nach Verhaftung seines Vaters ebenfalls das Martyrium gesucht haben, doch versteckte seine Mutter seine Kleidungsstücke, dass er nicht auf die Straße laufen konnte.
 
Punkte, die dabei von Interesse sein könnten und mE zusammenwirken:

Die von dir genannten Punkte spielen sicher eine große Rolle bei der schnellen Ausbreitung des Christentums.

Aber das kann nicht alles sein, denn etwas sehr zentrales kommt meines Erachtens noch hinzu: Das Christentum muss in seiner Lehre etwas enthalten haben, das die Menschen faszinierte, etwas, das die anderen "alten" Religionen nicht bieten konnten.

Was das gewesen sein mag, darüber lohnt es sich nachzudenken. :grübel:
 
Muss gleich weg, deshalb nur kurz: Ein Unterschied zu vielen (allen?) antiken Religionen ist der "Zug nach unten"; die Gestalten der Bibel sind (wie Jesus selbst) einfache Menschen, Fischer, Zimmerleute etc, und Leute am Rande der Gesellschaft. Das Christentum erfreute sich ja angeblich auch großen Zulaufs unter Sklaven. Gleichzeitig sprach es offensichtlich auch die Reichen und Mächtigen an (wofür ja die Akzeptanz der Sklaverei eine wichtige Rolle gespielt haben könnte), siehe Konstantin.

Moderation: Könnte man die letzten Beiträge, wo es primär um die Verbreitung des Christentums geht, und nicht um den Untergang der ägyptischen Religion, in einen eigenen thread abtrennen? Danke!
 
Man muss sich dennoch wundern, wie rasch uralte Religionen verschwanden und angesichts des Christentums dahinschmolzen. Über einen Zeitraum von rund 3000 Jahren (!) verehrten die Ägypter ihre Götter und errichteten gewaltige Denkmäler. Der Kult war im Volk tief verankert. Dann ruft der Kaiser des Imperium Romanum im Jahr 395 das Christentum zur Staatsreligion aus und binnen 100 Jahren verschwindet die gesamte ägyptische Religion von der Bildfläche.

Ist ja nun nicht so, dass das Christentum ab 395 von 0 auf 100 geschossen wäre, sondern dass es, als es 395 zur Staatsreligion erhoben wurde, bereits weit verbreitet war. Eben auch in Ägypten. Ist doch bemerkenswert: Eine vom Staat verfolgte, zunächst nur von einer Splittergruppe vertretene Religion wird - ohne dass es einen Systemwechsel gegeben hätte - zur Staatsreligion.
 
Moderation: Könnte man die letzten Beiträge, wo es primär um die Verbreitung des Christentums geht, und nicht um den Untergang der ägyptischen Religion, in einen eigenen thread abtrennen? Danke!

Zustimmung.

... seine Schlussfolgerungen gegenüber monotheistischen Religionen stehen dagegen auf sehr tönernen Füßen: Er kehrt Ursache und Wirkung in der Unvereinbarkeit von christlicher Religion und antikem Polytheismus einfach um. Er kennt die Unvereinbarkeit öffentlicher Kulte mit [christlich/]monotheistischer Religion für den Gläubigen nicht an und ordnet sie dem öffentlichen System des antiken Staates unter. Der Verweigerer des Opfers mutiert zum Täter der Intoleranz, nicht ein System, das ein Opfer im Zweifel auch mit Gewalt einfordert!

Dass ich nicht der Einzige bin, der die Christen (auch als Opfer) für ´intolerant´ hält, zeigt das von mir angeführte Assmann-Zitat, das ich übrigens erst nachträglich entdeckte. Ich verstehe ja, dass man mit dieser Logik Probleme hat, weil doch scheinbar die Christen das Ziel von Intoleranz waren. Deiner Kritik liegt aber - wie ich schon dem gleichfalls zweifelnden Ravenik schrieb - eine allzu moderne Auffassung von Toleranz zugrunde, darüber hinaus sogar, wie ich meine, ein Missverständnis des modernen Toleranzbegriffs.

Dieser Toleranzbegriff impliziert ebenso wie der altrömische eine Verpflichtung zur Wahrung gewisser basaler Werte - im modernen Fall die Grund- bzw. Menschenrechte, im römischen Fall das entsprechende Analogon, nämlich die Achtung der römischen Götter. Beide basalen Wertsysteme sind aus Sicht der jeweiligen Kultur absolut verpflichtend, da ohne ihre Beachtung das System zusammenstürzt - aus Sicht der Moderne, weil ohne Menschenrechte das Ziel der Kultur, dem Menschen größtmögliches Glück zu verschaffen, notwendig verfehlt wird, und aus Sicht der Römer, weil ohne die Achtung der römischen Götter (durch alle Bürger des römischen Reichs) die Harmonie mit diesen Göttern aus den Fugen gerät mit fatalen Folgen für Rom und seine Bürger.

Innerhalb dieses durch die römischen Götter (bzw. ihrer Priester) gesetzten Rahmens aber praktizierten die Römer eine sehr weitgehende Toleranz für fremde Kulte. Das ist positiv zu sehen, und es besteht kein Grund, ihnen Intoleranz vorzuwerfen, weil sie die Missachtung ihrer Götter nicht duldeten.

Die christliche Intoleranz - also die Nichtbeachtung, weil Leugnung der Existenz der römischen Götter - war den Römern natürlich unbegreiflich. Sie duldeten die christliche Position, die sie für eine Spinnerei hielten, aber für lange Zeit. Erst als die Verbreitung des Christentums einen - für die Römer - kritischen Wert überschritt, kam es zu Repressionen.

Die christliche Position intolerant zu nennen, ist keinesfalls tendenziös, sondern sachlich absolut korrekt. Denn es ist ja Fakt, dass Christen keine anderen Götter tolerieren. Wer etwas nicht toleriert, der ist - darauf bezogen - intolerant. So einfach ist das. Im Falle der Opferverweigerung handelte es sich um eine passive Intoleranz. Später, als die Christen zu nationalen Entscheidungsträgern wurden, zeigte sich ihre Intoleranz von der aktiven Seite. In beiden Situationen geht es um die gleiche Intoleranz - nämlich die gegenüber anderen Göttern.

Wo also ist das Problem?

Man muss sich dennoch wundern, wie rasch uralte Religionen verschwanden und angesichts des Christentums dahinschmolzen. Über einen Zeitraum von rund 3000 Jahren (!) verehrten die Ägypter ihre Götter und errichteten gewaltige Denkmäler. Der Kult war im Volk tief verankert. Dann ruft der Kaiser des Imperium Romanum im Jahr 395 das Christentum zur Staatsreligion aus und binnen 100 Jahren verschwindet die gesamte ägyptische Religion von der Bildfläche.
Für mich ist das ein schwer zu begreifendendes Faktum, (...) Allein das Verbot heidnischer Religionen durch den Staat kann dafür nicht die Ursache sein, auch wenn heidnische Tempel geschlossen und Götterstatuen zerstört wurden.

Die Gründe für den Untergang der ägyptischen Religion liegen doch offen zutage. Der erste ist das Verbot polytheistischer Kulte durch die christlich gewordenen Römer. Bedenkt man, mit welcher Härte gegen Nichtbefolgende vorgegangen wurde, erscheint dein Einwand, "allein das Verbot heidnischer Religionen durch den Staat (könne) dafür nicht die Ursache sein", mir unverständlich. Darüber hinaus wurde Ägypten ab Mitte des 7. Jahrhunderts vom Islam überrollt, der die letzten Reste des ägyptischen Glaubens, sofern noch vorhanden, hinwegmassakrierte.

Liegt es vielleicht daran, dass die Ägypter (und auch andere Völker) im Christentum eine Offenbarung und Hoffnung sahen, die sie in den tradierten Religionen nicht fanden? Überzeugte das Christentum durch sein Heilsversprechen und eine größere sittlich-moralische Kraft?

Hier sollte man aber unterscheiden zwischen freiwilliger Christianisierung und Zwangschristianisierung. Du stellst es fast so dar, als wäre von allen das Christentum mit offenen Armen empfangen worden. Das war historisch natürlich nicht der Fall. Diese Dinge sind aber so komplex, dass ich mich aus Zeitgründen auf diese Andeutungen beschränke.

Aber das kann nicht alles sein, denn etwas sehr zentrales kommt meines Erachtens noch hinzu: Das Christentum muss in seiner Lehre etwas enthalten haben, das die Menschen faszinierte, etwas, das die anderen "alten" Religionen nicht bieten konnten.

Hier spielen mehrere Faktoren zusammen, die sich nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen. Man muss auch unterscheiden zwischen den diversen Stadien der christlichen Lehre. Das Christentum des 4. Jahrhunderts war ein anderes als das des 2. Jahrhunderts, insbesondere was die Christologie betrifft. Mit dem Christentum des 2. Jahrhunderts wäre im wahrsten Sinne des Wortes kein Staat zu machen gewesen. Die Theologie und Christologie des 4. Jahrhunderts war bereits hochgradig hellenisiert.

Ist ja nun nicht so, dass das Christentum ab 395 von 0 auf 100 geschossen wäre, sondern dass es, als es 395 zur Staatsreligion erhoben wurde, bereits weit verbreitet war. Eben auch in Ägypten. Ist doch bemerkenswert: Eine vom Staat verfolgte, zunächst nur von einer Splittergruppe vertretene Religion wird - ohne dass es einen Systemwechsel gegeben hätte - zur Staatsreligion.

Diese historisch hochbedeutsame Wende hat einen Namen - die "Konstantinische Wende". Analysen dieses Prozesses sind logischerweise an der Person dieses Kaisers festzumachen - und nur an dieser.
 
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Innerhalb dieses durch die römischen Götter (bzw. ihrer Priester) gesetzten Rahmens aber praktizierten die Römer eine sehr weitgehende Toleranz für fremde Kulte. Das ist positiv zu sehen, und es besteht kein Grund, ihnen Intoleranz vorzuwerfen, weil sie die Missachtung ihrer Götter nicht duldeten.

Warum wird hier mit zweierlei Maß gemessen? Warum ist bei Monotheisten dasselbe Verhalten negativ zu bewerten, welches bei Polytheisten als positiv zu bewerten ist?

Die christliche Intoleranz - also die Nichtbeachtung, weil Leugnung der Existenz der römischen Götter - war den Römern natürlich unbegreiflich. Sie duldeten die christliche Position, die sie für eine Spinnerei hielten, aber für lange Zeit. Erst als die Verbreitung des Christentums einen - für die Römer - kritischen Wert überschritt, kam es zu Repressionen.
Sprich, als sie merkten "hey, da etabliert sich ein neuer Kultus"?

Die christliche Position intolerant zu nennen, ist keinesfalls tendenziös, sondern sachlich absolut korrekt.
Das hat auch niemand - zumindest tejason nicht - bestritten. Er hat lediglich anhand der historischen Faktenlage festgestellt, dass der Polytheismus genau solche Schwierigkeiten mit der Toleranz hatte, wie der Monotheismus. Diese Intoleranz gegenüber den Monotheisten als Toleranz zu verkaufen ist das, was bei so vielen Leuten Ungläubigkeit hervorruft.


Denn es ist ja Fakt, dass Christen keine anderen Götter tolerieren.
Den niemand bestreitet.
Wer etwas nicht toleriert, der ist - darauf bezogen - intolerant. So einfach ist das.
So einfach und so rabulistisch. Wunderbar argumentiert, dass das Opfer ja selber Schuld daran sei, dass es ja zum Opfer wurde.
Wo also ist das Problem?
Das Problem liegt darin, dass du die Opfer zu Tätern machst.



Die Gründe für den Untergang der ägyptischen Religion liegen doch offen zutage. Der erste ist das Verbot polytheistischer Kulte durch die christlich gewordenen Römer.
Aber warum sind sie denn (die Römer wie die Ägypter!) zu Christen geworden? Die Frage, warum die ägyptische Religion untergegangen ist, liegt wohl darin, dass die christliche Religion bereits in der Zeit der Christenverfolgung aus irgendeinem für uns heute unverständlichen(?) Grunde attraktiver war. Warum war es attraktiver? Weil ein rechtschaffendes Leben im Diesseits im Jenseits ein gutes ewiges Leben garantierte. In der ägyptischen Religion blieb der Pharao der Pharao und der Diener der Diener.
 
Warum wird hier mit zweierlei Maß gemessen? Warum ist bei Monotheisten dasselbe Verhalten negativ zu bewerten, welches bei Polytheisten als positiv zu bewerten ist?

Ich habe das mittlerweile schon 2 mal zu erklären versucht. Es handelt sich nicht um die gleichen Verhaltensweisen. Die Römer tolerieren den christlichen Gott, aber nicht das Verweigerungsverhalten der Christen. Die Christen tolerieren nicht die römischen Götter. Das sind sehr verschiedene Dinge. Wie kannst du da von "demselben Verhalten" sprechen?

Das hat auch niemand - zumindest tejason nicht - bestritten. Er hat lediglich anhand der historischen Faktenlage festgestellt, dass der Polytheismus genau solche Schwierigkeiten mit der Toleranz hatte, wie der Monotheismus. Diese Intoleranz gegenüber den Monotheisten als Toleranz zu verkaufen ist das, was bei so vielen Leuten Ungläubigkeit hervorruft.

Siehe oben. Vielleicht sollte man meinen vorigen Artikel nochmals durchlesen...

Das Problem liegt darin, dass du die Opfer zu Tätern machst.

Ich habe nirgendwo die Opfer zu Tätern gemacht. Ich habe lediglich auf die Intoleranz der Christen gegenüber anderen Göttern hingewiesen.

Aber warum sind sie denn (die Römer wie die Ägypter!) zu Christen geworden? Die Frage, warum die ägyptische Religion untergegangen ist, liegt wohl darin, dass die christliche Religion bereits in der Zeit der Christenverfolgung aus irgendeinem für uns heute unverständlichen(?) Grunde attraktiver war.

Frage: Bist du ein Christ?

Warum war es attraktiver? Weil ein rechtschaffendes Leben im Diesseits im Jenseits ein gutes ewiges Leben garantierte. In der ägyptischen Religion blieb der Pharao der Pharao und der Diener der Diener.

Auch in der ägyptischen Religion garantierte - schon Jahrtausende vor dem Christentum - "ein rechtschaffendes Leben im Diesseits im Jenseits ein gutes ewiges Leben" (ab dem MR für alle Ägypter, nicht nur die Elite) - und genau diesen Gedanken haben die Christen von den Ägyptern übernommen. Das habe ich in diesem Forum schon mehrmals dargestellt.

Auf die Schnelle eine Referenz:

http://de.wikipedia.org/wiki/Leben_nach_dem_Tod#Vorstellungen_in_fr.C3.BCheren_Religionen

Das „Lebensziel“ des Altägypters stellte die ewige Fortdauer im „Reich des Osiris“ dar, für die der Verstorbene die Einbalsamierung sowie Mumifizierung und die Zustimmung des Totengerichtes benötige. Ein zuvor gelebtes Leben in moralischer Perfektion symbolisierte „das Gute“, das nach „Überprüfung durch das Totengericht“ in das Jenseits übertreten durfte. Während der Körper im Grab verbleibt, verlassen der „Ka“ und der „Ba“ seinen Körper. In den mythologischen Vorstellungen seit dem Neuen Reich entschied sich nach dem Wiegen des Herzens, ob die Seele des Verstorbenen die Reise nach Sechet-iaru antrete oder der Vernichtung durch Ammit anheimfalle.
 
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=)=)=)

Kurz und schmerzlos!

Leider aber religionshistorisch inkorrekt, wenn man damit einen Gegensatz zwischen Christentum und ägyptischer Religion konstruiert. Ich sehe hier eine Tendenz, die Bedeutung der polytheistischen Religionen zugunsten des Christentums herunterzuspielen, das diesen Religionen mindestens 95 Prozent seiner Ideen verdankt.

Auf die Schnelle eine Referenz:

http://de.wikipedia.org/wiki/Leben_nach_dem_Tod#Vorstellungen_in_fr.C3.BCheren_Religionen

Das „Lebensziel“ des Altägypters stellte die ewige Fortdauer im „Reich des Osiris“ dar, für die der Verstorbene die Einbalsamierung sowie Mumifizierung und die Zustimmung des Totengerichtes benötige. Ein zuvor gelebtes Leben in moralischer Perfektion symbolisierte „das Gute“, das nach „Überprüfung durch das Totengericht“ in das Jenseits übertreten durfte. Während der Körper im Grab verbleibt, verlassen der „Ka“ und der „Ba“ seinen Körper. In den mythologischen Vorstellungen seit dem Neuen Reich entschied sich nach dem Wiegen des Herzens, ob die Seele des Verstorbenen die Reise nach Sechet-iaru antrete oder der Vernichtung durch Ammit anheimfalle.
 
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