Der Dschihad-Begriff ist leider ein wenig komplexer, will man ihm gerecht werden.
aus:
Der Islam: Geschichte und Gegenwart - Google Buchsuche
"Ǧihād
Durch die islamistischen Bewegungen hat auch der mittelal-
terliche Begriff des Ǧihād eine Wiederbelebung und Umdeu-
tung erfahren. Das Wort, das „Anstrengung, Einsatz“ bedeu-
tet – also nicht „heiliger Krieg“ –, kommt in dieser Form oder
in verschiedenen Formen des verwandte Verbum Ǧāhada „sich
einsetzen“ mehrfach im Koran vor, aber durchaus nicht im-
mer in kriegerischer Bedeutung. Allerdings wird auch der
„Einsatz auf dem Wege Gottes“ (Ǧihād fī sabīl Allāh) den
Muslimen als gottgefällig empfohlen; in Koran 9, 24 und 9,
81 werden diejenigen getadelt, die sich weigern, ihr Vermögen
und ihre Person auf dem Wege Gottes, d. h. um Gottes willen,
einzusetzen.
Welcher Art nun dieser „Einsatz“ sein soll, das war und ist
vielfältiger Interpretation offen. Die Koranstellen beziehen
sich meist auf den Kampf gegen die heidnischen Mekkaner.
Später hat man die Eroberungskriege (futūh) ebenso als Ǧihād
aufgefaßt wie alljährliche Raub- und Beuteexpeditionen an
der Grenze oder Sklavenjagden. Aber schon der Theologe al-
Ġazzālī (1058–1111) hat den bloß militärischen Einsatz für
den Islam als den „kleinen Ǧihād“, den Kampf gegen die eige-
ne Triebseele als den „großen“ und eigentlich verdienstvollen
bezeichnet.
Die Worthülse Ǧihād läßt sich also mit mancherlei Inhalt
füllen. Im modernen Sprachgebrauch wird es oft wie unser
Wort
Kampagne gebraucht, das ja auch ursprünglich aus dem
militärischen Jargon stammt: Ǧihād gegen die Armut, gegen
die Krankheit, das Analphabetentum. Militante Gruppen
kommen dagegen häufig wieder auf den militärischen Sinn
zurück: jeder Befreiungskampf, jedes Kommandounterneh-
men, jeder Selbstmordanschlag oder revolutionäre Umsturz-
versuch läßt sich leicht mit dem Etikett Ǧihād versehen und so
mit einer religiösen Legitimation ausstatten; dabei erhalten
die bei solchen gewaltsamen Aktionen zu Tode Kommenden
den Nimbus von Märtyrern."
aus:
Islam zur Einführung - Google Buchsuche
"Der Dschihad
...Häufig wird er mit der Formulierung »Hei-
liger Krieg« wiedergegeben. Für den Islam stellt der Dschihad
zunächst die einzige erlaubte Form militärischer Auseinander-
setzungen dar. Er darf nur gegen Nichtmuslime geführt werden.
Kriege unter Muslimen oder zwischen muslimischen Staaten ge-
stattet das islamische Recht nicht.
Islamische Gelehrte führen bis in die Gegenwart lebhafte
Diskussionen darum, ob der Dschi-
had eine religiöse Pflicht wie das Gebet oder das Fasten ist oder
ob er nicht zu den »Säulen des Islams« gehört. An zahlreichen
Stellen des Korans ist vom Dschihad die Rede. ...
Wie diese Feststellungen des Korans im Einzelnen interpretiert wer-
den, ist ein Thema, mit dem sich die Gelehrten immer wieder aus-
einander setzen. Die islamischen Rechtsgelehrten beschrieben in
ihrer Mehrheit als Ziel des Dschihad zunächst die Verteidigung
der Muslime gegen Angriffe von außen und die Verbreitung des
Islams mit Waffengewalt. In den im Koran angesprochenen Aus-
einandersetzungen mit den Polytheisten, den Einwohnern der
Stadt Mekka, war das Ziel durchaus auch eine zwangsweise Be-
kehrung zum Islam. Wer sich dem verweigerte, wurde getötet oder
versklavt. Doch schon hier begannen sich die Geister zu schei-
den. Muslimische Gelehrte sind heute überwiegend der Meinung,
dass mit der Verbreitung des Islams die Ausbreitung eines politi-
schen und juristischen Systems gemeint ist, nicht etwa die Ver-
breitung einer religiösen Überzeugung. Nach dem ebenfalls im
Koran zu findenden Satz »Es gibt keinen Zwang in der Reli-
gion« verzichtete man auf Zwangsbekehrungen. Vor allem stellt
der Koran fest, dass die Angehörigen der so genannten Buchreli-
gionen nicht unter Zwang zum Islam bekehrt werden dürfen. Sie
werden zur Abgabe der »Jizya« verpflichtet, genießen aber im Üb-
rigen Religions- und Ritualfreiheit.
Zunächst war der Dschihad als religiöse Pflicht aller Muslime
verstanden worden. An einer Stelle wird er mit dem Gottesdienst
der christlichen Mönche verglichen. »Dschihad ist das Mönch-
tum im Islam.«
Der Dschihad wird als eines der »Tore zum Para-
dies« betrachtet. Diejenigen Muslime, die im Dschihad ihr Leben
lassen, sind Märtyrer des Glaubens. Es können aber auch Nicht-
muslime, die unter islamischer Herrschaft leben, zum Dschihad
aufgerufen werden. Seit der Etablierung der ersten islamischen
Dynastien im 7. Jahrhundert wurde der Dschihad dann die be-
sondere Verpflichtung der islamischen Herrscher, der Kalifen. Da-
raus entwickelte sich dann ein Konzept, nach dem der Dschihad
als kollektive Pflicht der gesamten islamischen Gemeinschaft an-
gesehen wurde. Pflicht des einzelnen Muslims war er nur noch
insofern, als jener seinen Beitrag dazu leisten musste, dass der
Kampf überhaupt durchgeführt werden konnte. Selbst in den
Kampf zu ziehen gehörte nicht mehr zu den Glaubenspflichten.
Auch betonen die islamischen Rechtsgelehrten immer wieder, dass
die Ausbreitung des Islams nicht notwendigerweise durch mili-
tärische Mittel erfolgen sollte. Auch die friedliche Verbreitung
seiner Lehren und Praktiken durch Predigt, Vorbild und gedul-
dige Überzeugungsarbeit wird nun als eine Form von Dschihad
verstanden. Bei einigen Theoretikern des Dschihad findet man in
diesem Zusammenhang die Formulierung »Krieg der Worte«. Die
Pflicht zum Dschihad kann erfüllt werden durch das Herz, die
Zunge und die Hände, aber eben auch durch das Schwert. Der
Gläubige erfüllt die Glaubenspflicht des Dschihad durch das Herz,
indem er sich bemüht, den Teufel zu bekämpfen und sich gegen
dessen Verführungen zum Bösen zur Wehr zu setzen. Der Dschi-
had der Zunge und der Hände besteht darin, dass der Gläubige
das Gute befördert und das Böse zu verhindern sucht. Der Dschi-
had des Schwertes schließlich ist der militärische Kampf unter
Aufopferung des eigenen Besitzes und sogar des Lebens. Alles in
allem sehen die Gelehrten den Dschihad als eine Form religiöser
Propaganda, in der sowohl spirituelle als auch materielle Mittel an-
gewendet werden können.
Mit der Auflösung eines islamischen Einheitsstaates und der
Ausbreitung des Islams in weite Teile Afrikas und Asiens ergaben
sich Konsequenzen auch für die Lehre vom Dschihad. Es kam zu
einer Regionalisierung der Verpflichtung dieser Glaubenspflicht,
die den damaligen Kommunikationsbedingungen entsprach, aber
auch den im Inneren der verschiedenen islamischen Staaten gege-
benen Verhältnissen, die häufig durch widerstreitende wirtschaft-
liche und gesellschaftliche Kräfte gekennzeichnet waren. Das is-
lamische Recht formulierte in etwa die folgende Lösung: Falls
eine genügend große Gruppe von Muslimen sich zusammenfindet,
um den Bedingungen eines speziellen lokalen oder regionalen
Konflikts zu begegnen, besteht für die übrigen Muslime der Welt
keine Verpflichtung mehr, sich an dieser Auseinandersetzung zu
beteiligen. Die individuelle Pflicht zum Dschihad obliegt vielmehr
denen, die sich einem Feind am nächsten gegenübersehen. Je stär-
ker allerdings die Zahl der unabhängigen islamischen Emirate,
Sultanate oder Fürstentümer anwuchs, umso schwieriger war die
Frage zu beantworten, wer das Recht hatte, festzustellen, dass die
Notwendigkeit zum Dschihad bestehe. Die Mehrheit der musli-
mischen Rechtsgelehrten sah dieses Recht bzw. diese Pflicht bei
dem jeweiligen Herrscher. Daraus schlossen sie, dass der Dschi-
had für den Herrscher, im Gegensatz zu den Untertanen, eine in-
dividuelle Pflicht wie das Gebet oder das Fasten im Ramadan sei.
Die Ausrufung des Dschihad durch den Herrscher, der Eroberun-
gen zum Ziel hatte, war freilich mit einer Reihe von genau fest-
gelegten Voraussetzungen verbunden, die ein ausgesprochen
hohes Maß an Realitätssinn zeigen. Zu ihnen gehört, dass die mi-
litärischen und strategischen Bedingungen vorhanden sein muss-
ten, die ein deutliches Indiz für einen erfolgreichen Ausgang des
Unternehmens darstellten. War der Feind bereit, eine entspre-
chende Summe zu zahlen, konnte vom Dschihad auch abgesehen
werden. Auch aus dieser Regel wird deutlich, dass es im Dschi-
had des Mittelalters nicht in erster Linie um die »Ausbreitung des
Islams« als Glaube, sondern um die Ausbreitung der Herrschaft
der Muslime, also um politische, wirtschaftliche oder strategische
Ziele ging, die mit religiösen Fragen im Grunde nur wenig zu tun
hatten, ja häufig nicht mehr als eine ideologische Basis für macht-
politische Überlegungen bildeten. Die Verpflichtung zum Dschi-
had ist andererseits auch immer mit einer gewissen eschatologi-
schen Tendenz verbunden gewesen. Der Muslim ist erst dann nicht
mehr an diese Pflicht gebunden, wenn alle Menschen sich zum
Islam bekehrt oder die vorgeschriebenen Unterwerfungsgesten
und -praktiken vollzogen haben. Erst dann kann auch das Ende
der Welt eintreten."