Der "Revolutionär" Wagner
Als nach 1945 mit Wagner, dem Nationalisten und Rassisten, nicht mehr so gut Geschäfte zu machen und staatliche Förderungstöpfe anzubohren waren, galt es, sein Bild einigermaßen verfassungskonform neu zu pinseln.
Dass da nicht irgendwelche Leute die Federführung übernahmen, die unvoreingenommen das Material untersuchten, dafür sorgte man in Bayreuth schon. So durfte etwa Curt von Westernhagen, den Udo Bermbach als einen der schlimmsten Naziautoren bezeichnet, noch mehr als dreißig Jahre nach dem Krieg für Bayreuth publizieren. Seine Wagnerbiografie wurde bis 1979 gedruckt, eine englische Ausgabe ist mir sogar aus dem Jahr 1981 bekannt. Westernhagen war es wohl auch, der die ehrenvollen Parallelen des „Rings“ zu Aischylos’ Orestie erfand und den Ruf Wagners als eines zweiten Aischylos begründete.
Was von Westernhagen noch sehr kurz abtat, wurde nach ihm allmählich hoffähig und schick: Wagner als Revolutionär, Sozialrevolutionär, ja als Kämpfer für soziale Gerechtigkeit – dass da etwas mit dem Dresdner Aufstand von 1849 war, wusste ohnehin jedes Kind. Da muss man nur noch vor einer Fülle biografischer Fakten die Augen schließen, und schon kann man den Meister gar nach Kuba verkaufen.
Richard Wagners (von der Familie selbstverständlich geächteter) Enkel Gottfried rückt endlich in seinem Buch „Du sollst keine fremden Götter neben mir haben“ die Dinge zurecht.
Grund für seine Einmischung in die revolutionären Aktivitäten, so Gottfried Wagner, waren vor allem seine ziemlich ungebremste Emotionalität und die Tatsache, dass es gerade mit seiner Karriere höchst unrund lief („aus Frustration und in der Hoffnung, seiner stagnierenden Karriere neuen Schwung zu geben. Er hatte nichts mehr zu verlieren.“).
In seiner Selbstüberschätzung blieb er sich aber treu: Kaum hatte er von seinem Schwager Röckel das sozialistische und anarchistische Gedankengut eingetrichtert bekommen, verkündete er der staunenden Öffentlichkeit schon: „Ich bin die Revolution, ich bin das ewig schaffende Leben, ich bin der einige Gott, den alle Wesen erkennen...“ usw.
Freilich, als die Revolution gescheitert war, da wusste er sehr schnell wieder, wo der warme Ofen steht. So bat er den Schauspieler Eduard Devrient bereits in der ersten Maihälfte 1849, sich beim sächsischen König dafür einzusetzen, dass der flüchtige Revolutionär nach seiner Rückkehr wieder seinen Kapellmeisterposten bekleiden darf. „Grundunehrlich“ nennt Devrient das. Und Gottfried Wagner kommt zu dem klaren Gesamturteil: „Seinen [scil. Wagners] fünftägigen Ausflug auf die Dresdner Barrikaden zum Anlass zu nehmen, ihn als linken Vorkämpfer der Demokratie und als Menschheitsbeglücker hinzustellen, ist ganz und gar abwegig.“
Wie es weiterging, ist ja bekannt: Als Wagner dann Anschluss an die einst bekämpften Mächtigen gefunden hatte, da war weniger das Glück der Massen als das höchst luxuriöse Material seiner Morgenmäntel, Unterhosen und Tapeten Gegenstand der täglichen Sorge, und das früher so leidenschaftlich vermaledeite Geld war ihm nur dann unangenehm, wenn er es körbeweise aus der königlichen Schatulle nach Hause transportieren musste (die Hofbeamten hatten sich da nämlich einen bösen Scherz erlaubt und Tausende von Talern in kleiner Währung ausgegeben).