War Merseburg einst römische Exklave ?

Oberhalb von Sundershausen findest du im Comitatus die als Haletta verzeichneten Berge, auf deren Nordseite dann Hadielbich und Gellingen, das heutige Hachelbich und Göllingen, kartiert wurden.
 
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Zur Frage römischer Lager ist vielleicht folgender Hinweis interessant. Paul Grimm schreibt: "Nowothnik hat am Heidenstieg (Goslar-Nordhausen) Viereckschanzen beobachtet, denen er bereits karolingisches Alter zuweisen möchte." Nordwestlich Nordhausens verläuft dieser Weg als Niederungsweg im Tal der Zorge.
 
Zielführend dürfte in Hinblick auf das Thema zudem die weiter oben in # 262 gemachte Beobachtung des Hermundure sein :
Meiner Meinung nach waren die Germanen der späten Kaiserzeit hier in Mitteldeutschland und in Unterfranken romanisiert - auf jeden Fall deren Oberschicht. Das zeigen zum einen die von ihnen angelegten burgi (Mitteldeutschland-Oberbeuna), villae rusticae (Unterfranken-Frankenwinheim) und fabricae (Thüringen_Haarhausen) aus diesem Zeitraum (3. Jh. n.Chr.). Das ist bisher einzigartig für die Germania Magna.

Jan Bemmann bemerkt in seinem Beitrag über Die Frühzeit der Thüringer 2009, S. 75 - 76 jedoch : "Eine Überprägung der einheimischen Sachkultur und ein Zuzug einer vermutlich aus dem Rheinland stammenden [merowingischen] Führungsschicht ... ist nicht vor dem letzten Drittel des 6. Jahrhunderts zu beobachten." Die Frühzeit der Thüringer

Dieser von Bemmann vermutete Zuzug aus dem Rheinland muss jedoch früher erfolgt sein, denn Brotuff zufolge drängten ab der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts die Wenden in das Gebiet von Sachsen-Anhalt und Thüringen vor : 'Chronica Vnd Antiquitates des alten Keiserlichen Stiffts der Römischen Burg Colonia vnd Stadt Marsburg an der Salah in Obern Sachssen Mit viel alten sonderlichen seltzamen Historien vnd Geschichten dieser Lande : Sampt einem ordentlichen Cathalogo aller Bischoffe vnd Administratorn zu Marsburg. Jn zwey Bücher mit ... alten Wapen gezieret' - Digitalisat | MDZ

Dies legt auch die Fränkische Historie des Gregor von Tours nahe, welcher im 3. Buch, Kapitel 7 berichtet, dass sich die Thüringer im Jahre 531 n. Chr. unter ihrem König Herminefred dem ins Land eingedrungenen Merowingerkönig Chlotachar und seinem Bruder Theuderich I. entgegen stellten, dabei jedoch an der Unstrut (Onestrudis fluvium) eine vernichtende Niederlage erlitten. Gregorij Turonici Historiae Francorum libri decem : in quibus non solum Francorum res gestae, sed etiam martyrum cum infidelibus bella, & ecclisiae cum haereticis concertationes ex ponuntur ; Adonis Viennensis Chronica : Gregory, Bishop of Tours, Saint, 538-594, author : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive

Auch Widukind von Corvey berichtet in der von ihm verfassten Sachsengeschichte Liber I, Kapitel IX, Absätze 12-13 über diese im Jahre 531 n. Chr. erlittene Niederlage der Thüringer und konkretisiert, dass das Heer des König Herminefred am Runenberg (Runibergun) bei Scithingi an der Unstrut (Scithingi, sita super fluvium quod dicitur Unstrod) geschlagen worden sei. bibliotheca Augustana Gemäß dem im 9. Jh. angelegten Zehntverzeichnis des Klosters Hersfeld befand sich der bei Widukind genannte Ort Scidinge westlich Merseburg im Friesenfeld des Hassegau und wird im allgemeinen mit Burgscheidungen identifiziert Hersfelder Zehntverzeichnis – Wikipedia

Aus dem als De exidio Thuringiae bekannten Klagelied der Radegunde überlieferte Venantius Fortunatus : "Oh du trauriges Los des Krieges, du neidisches Schicksal. In wie plötzlichem Sturz sinken doch [ganze] Reiche dahin. Lange gesicherte Stätten des Glücks, hochragende Giebel liegen, vom Sieger verbrannt, kläglich in Trümmern und Schutt. Und das Gehöft des Palastes, das einst von Leben erfüllt war, ist von Gebäuden nicht mehr, nein, [ist] nur von Asche bedeckt. Und die Firsten der Dächer, die sonst rotgolden geschimmert, sind nun zu Boden gestürzt, sind nur Asche und Staub. ... ." De Excidio Thuringiae

Die von Venantius Fortunatus überlieferten, mit Kupferplatten gedeckten Dächer des königlichen Palastes könnten sich durchaus in dem östlich von Scidinge gelegenen Merseburg befunden haben, denn der an der Unstrut gelegene Kampfplatz des Jahres 531 lag nur einen Tagesmarsch westlich davon, wie die hier dazu in den Anhang gestellte Karte zeigt. Das der von Bemmann (2009) angenommene Zuzug einer aus dem Rheinland stammenden Oberschicht zeitlich nach den De exidio Thuringiae im Klagelied der Radegunde beschriebenen Verwüstungen in das Gebiet von Thüringen und Sachsen-Anhalt eingesetzt haben könnte, ist mit Brotuff vermutlich auszuschließen. Daher dürfte die in Thüringen und Sachsen-Anhalt festgestellte Romanisierung also, wie Hermundure weiter oben im # 262 ganz richtig bemerkte, nicht erst in merowingischer Zeit, sondern bereits deutlich früher eingesetzt haben.

Jan Bemmann : Mitteldeutschland im 5. und 6. Jahrhundert. In : Dieter Geuenich : Die Frühzeit der Thüringer, Berlin 2009. Helmut Castritius, Dieter Geuenich und Matthias Werner (Hrsg.): Die Frühzeit der Thüringer. Archäologie, Sprache, Geschichte, Berlin / New York 2009. | Fundberichte aus Baden-Württemberg
 

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Du zauberst ernsthaft wieder Renaissance-Autor Brotuff aus der Tasche?
Hermundure weiß im Übrigen auch, dass Johne meint, dass die römischen Handwerksbetriebe in Haarhausen wohl kaum auf freiwillige Ansiedlung zurückzuführen sind: Dušek hatte gemutmaßt, dass römische Handwerker aus dem Donauraum als dort der Absatzmarkt nichts mehr hergab, ins Barbaricum gegangen seien. Johne macht aber auf das Kulturgefälle aufmerksam: es wäre kaum glaubhaft, dass Römer anstatt dem Geld hinterherzuziehen ins noch ärmere Barbaricum gingen, um dort zu töpfern, ergo habe es sich um Römer gehandelt, die offenbar verschleppt worden seien. Dušek hatte mit den traditionell guten Beziehungen von Römern und Hermunduren argumentiert, Johne stellt dagegen klar, dass diese guten Beziehungen nur bei Tacitus dokumentiert sind, dass 200 Jahre späte diese guten Beziehungen noch existiert hätten, dafür gäbe es keine Belege.
 
Dušek hatte gemutmaßt, dass römische Handwerker aus dem Donauraum als dort der Absatzmarkt nichts mehr hergab, ins Barbaricum gegangen seien.

Marita Reichardt hat 2023 in Jena ihre Dissertation über "Römische Funde im westlichen Thüringer Becken" publiziert und dabei auf ein Manuskript von Sigrid Dusek abgehoben. https://www.gw.uni-jena.de/phifakme...e-sose2023-vortragsprogramm-aktuell-08-05.pdf Das von Dusek 2008 / 2009 in Weimar erstellte Manuskript selbst blieb jedoch bislang unveröffentlicht und liegt beim Thüringischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie. Seine Veröffentlichung wäre nicht nur eine Festgabe für die frühere Landesarchäologin Sigrid Dusek (1937-2009), sondern sicherlich auch eine wünschenswerte Bereicherung für den bei Jan Bemmann (2009), S. 63 beschriebenen Sachstand zur kulturgeschichtlichen Auswertung Thüringens.
 
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Reichardt beteiligte sich 2017 an den in Arnstadt, nahe Haarhausen stattgefundenen archäologischen Ausgrabungen. Nachgewiesen wurde dort unter anderem rot glänzendes und plastisch verziertes römisches Luxusgeschirr, welches im 2. und 3. Jahrhundert nach Thüringen eingeführt worden war. In den ebenfalls nachgewiesenen Webhäusern fanden sich Webgewichte zur Beschwerung der Kettfäden vertikaler Webstühle, welche aus der Zeit des in # 403 geschilderten Reiches der Thüringer stammen. Diese Webhäuser gehören dem 6. Jahrhundert an und könnten ihre Textilien also durchaus in der Zeit des Herminefred und der Radegunde produziert haben. Die Anfänge von "Arnestati" gehören damit also der römischen Zeit des 2. und 3. Jahrhunderts, sowie dem 6. Jahrhundert an. Archäologische Ausgrabungen in Arnstadt
 
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