Reichseinheit und Tetrarchie
So weit auseinander sind wir in vielen Punkten gar nicht lieber Dieter. Doch einige Punkte sehe ich deutlich Anders!
Diese "Reichseinheit" bestand nur noch formal fort. Beide Hälften - die westlich-lateinische und die östlich-griechische - hatten sich im 4. und 5. Jh. bereits weit voneinander entfernt. Das ist vergleichbar mit dem Ost- und Westfränkischen Reich, die auch noch formal eine Einheit bildeten, aber in der Praxis zwei getrennte Staaten repräsentierten.
Die Reichseinheit war mehr als nur Formal. Zahlreich sind die Beispiele wo vor allem Heere der Westhälfte helfend im Osten eingriffen. Auch dass beim Ausfall eines Kaisers der überlebende Kaiser oft einen Nachfolger in der verwaisten Reichshälfte einsetzte spricht Bände. Dass die Teilung endgültig wurde, geschah einerseits aus dem Druck der Ereignisse und Andererseits durch die Etablierung einer Dynastie von Kindkaisern in der Nachfolge des Kaisers Theodosius d. Gr. Dadurch hatten naturgemäß der Hof und die Verwaltung der Reichshälfte die tatsächliche Politik in den Händen, was die Trennung erst vertiefte. Letzteres geschah in einer relativ kurzen Zeit. Ein weiterer, sehr alter Schwachpunkt des römischen Militärs war schon immer ihre starke Regionalisierung in getrennte „Heeresgruppen“ gewesen, die einem effektiven und länger andauernden Austausch von Truppen und Offizieren sehr skeptisch und Ablehnend gegenüberstanden. Diese sich selbst separierenden „Heeresgruppen“ waren vor allem die drei großen Heereskonzentrationen an Rhein, Donau und Euphrat, die durch Einführung von am Ende fast schon erblichen Ämtern der Heermeister noch weiter vertieft wurden.
Kurz: Die Schwäche der Kaiser führte durch die Eigendynamik ihrer Verwaltungseinrichtungen innerhalb relativ kurzer Zeit zu einer praktischen Trennung der beiden Reichshälften. Dieser Prozess begann relativ spät, innerhalb von knapp 2 Generationen unmittelbar vor dem Untergang des Westens.
Die Tetrarchie hat ja gerade nicht funktioniert, sodass sie wieder aufgegeben wurde. Man kann hier modern von einer "Überdehnung" in administrativer, militärischer und logistischer Hinsicht sprechen, die mit damaligen Miiteln nicht oder nur äußerst schwer zu bewältigen war.
Die Erklärung der Überdehnung ist gut, ich würde sie um den Punkt erweitern, dass die Mittel des Reiches der gesteigerten Bedrohungslage ebenfalls nicht mehr gewachsen waren. Das Krisenmanagement, indem beide Reichshälften einander beistanden wurde ohne Gefährdung des eigenen Reichsteils nicht mehr möglich.
Die Tetrarchie war mehr als nur eine Organisationsstruktur. Gerade die Nachfolgeregelung für Kaiser als Maßnahme gegen Usurpationen hat niemals funktioniert. Überraschenderweise hat die Gliederung der Teilreiche durch Diokletian verwaltungstechnisch dagegen Bestand gehabt und bildete daher eher zufällig die „Sollbruchstelle“ zwischen dem späteren Weströmischen Reich und dem Oströmischen Reich.
Eine „Teilung“ des Reiches zeichnete sich in dieser Hinsicht bereits unter den Soldatenkaisern ab, durch die „Sonderreiche“ des Postumus in Gallien 260 (Bestand bis 274) und dem Versuch eines „Palmyrischen Großreiches“ durch Kaiserin Zenobia (bis 272). Wenn man so will auch durch ihrem 267 ermordeten Mann, dem Exarchen Odaenathus der den Osten Roms gegen die Perser verteidigt hatte. Insofern hatte die Teilung des Reiches also eine gewisse Tradition, ohne die Reichseinheit dauerhaft zu gefährden. Ich muss mal sehen ob ich mich durchringen kann, auf den Zusammenhang zwischen Usurpationen lokaler Militärführer und der Reichseinheit einzugehen.
Das Ergebnis von Justinian I. und seinem Versuch das komplette Reich wieder unter seiner eigenen Herrschaft zu vereinen hat Dieter sehr gut zusammen gefasst. Zu seiner Zeit gab es das Weströmische Reich auch gar nicht mehr. Justinian selbst war dessen nomineller Erbe geworden. Seine Handlungen beschleunigten nur die idelle Loslösung der überlebenden Foederatenreiche aus der byzantinischen Oberherrschaft.
Bereits in der antiken Zwangsherrschaft Diokletians trat die Schwäche Roms unverhüllt hervor. Der Niedergang hatte die Wirtschaft, Gesellschaft und das Finanzwesen erfasst, unerträgliche Steuerlasten führten zur Entvölkerung und zur Verödung weiter Landflächen, die Städte starben ab, da die städtischen Eliten vor den Steuereintreibern fluchtartig das Feld räumten. Das Heer war inzwischen völlig barbarisiert, sodass sich auf beiden Seiten der Reichsgrenze häufig Germanen gegenüberstanden. Die finanziellen Mittel, mit der dieses Heer unterhalten werden musste, fraß auf der anderen Seite das Staatswesen auf.
Ich denke die Reformen Diokletians haben die genannten Schwächen des Reiches zu beheben versucht indem eine Art von „Territorialisierung“ im Reich und eine umfassendere Erfassung und Nutzung seiner Kräfte dadurch bewirkt. Dass dieses Potential nicht ausreichte, war nicht zwingend voraus zu sehen. Es gab aber m.E. keine Alternative dazu. Neben die Geldwirtschaft trat nun eine Ableistung von Staatsabgaben zunehmend in Naturalien und damit erst war Rom in der Lage die notwendigen Kräfte zu mobilisieren das Reich erhalten zu wollen.
Über die ‚Germanisierung’ des Heeres als Chance und die Nutzung von für den Fiskus weitaus günstigeren Foederatenkriegern („Vertragskrieger“), habe ich bereits Anderswo ausführlich geschrieben. Ich denke nicht dass diese Maßnahmen zum Untergang Roms beitrugen, sondern die Überlebensdauer beider Reichshälften sogar verlängerten. Es war nicht zuletzt Roms eigene Schuld, dass es häufig die Loyalität der Foederaten verlor und erst mühsam wieder erringen konnte.
DAS war die (west)römische Realität. Beim ersten großen Angriff durch ein gotisches Heer wurde diese düstere Realität sichtbar, denn die Katastrophe von Adrianopel 378 leitete den endgültigen Untergang ein - nur noch rund 100 Jahre hatte danach Westrom bestand!
Ein ideales Beispiel für meine Arumentation, die du da anführst:
Es war nicht der erste große Angriff durch ein gotisches Heer, aber das ist nicht wichtig. Wichtiger ist der Umgang der Statthalter Kaiser Valens mit den Goten, die aus erklärten und willigen Verbündeten und Gefolgsleuten Roms aus Not gewachsene, furchtbare Feinde hatte werden lassen.
Diese Katastrophe betraf nämlich das östliche Hofheer und deren thrakische Feldheer: Beides Truppen der östlichen Reichshälfte. Es war erst mit Mitteln des Westens (Kaiser Graitan) und dem von ihm eingesetzten Kaiser Theodosius I. möglich die Lage wieder zu stabilisieren. Zum ersten Mal seit langem konnte Theodosius das Reich auch wieder formal unter seiner Herrschaft einen und ganz entscheidend dabei halfen ihm dabei die foederierten Goten, so das erstmals seit langem sich wieder ein östlicher Kandidat gegen das Westheer durchsetzen konnte. Das ist für mich ein augenfälliger Beweis für die von mir festgestellte Einheit des Reiches, die weit über formale Lippenbekenntnisse hinweg gehen.
@JetLeechan:
Die Militär-& Verwaltungsreformen der Tetrarchie blieben im Wesentlichen in Kraft und wurden durch Kaiser Konstantin d. Gr. abgerundet und weitgehend Abgeschlossen. Auch danach setzten der/die Augusti (Oberkaiser) in gewissen Regionen Unterkaiser (Caesaren) ein. Auch wenn nach der Empörung Julian Apostatas niemals mehr ein Caesar eingesetzt wurde, sondern gleich ein Augusti blieb das Prinzip ähnlich erhalten und war ein Mittel in dem die Reichseinheit ihren Ausdruck finden konnte.
Was sich nicht bewährt hatte - und sich m.E. auch niemals bewähren konnte - war das Prinzip der Rotation an der Spitze. Also die festgesetzten "Amtszeiten" der (Ober- & Unter-) Kaiser. Das war aber ein wesentliches Prinzip der Reform von Diocletian und Namensgeber für die Tetrarchie (Viererherrschaft). Dieses System sollte Usurpationen verhindern, indem tüchtige Männer die Chance hatten mit der Zeit selbst Kaiser zu werden ohne sich gegen den legitimen Herrscher zu empören. Diocletian hatte damit versucht die häufige Schwächeung des römischen Staates durch Empörer zu regulieren. Diese Kämpfe zehrten gewaltig an den Kräften des Reiches und sind als Faktor bei dessen Niedergang nicht zu unterschätzen!