Wir dürfen nicht vergessen, dass der die Menscheit betreffende Teil der Evolution im Vergleich zu gesamten Evolution einen sehr kurzen Zeitabschnitt ausmacht. Die fundamentalen Veränderungen des Skelettprinzips in den Jahrmillionen zuvor können nur sehr bedingt bis gar nicht mit der jüngeren Menscheitsgeschichte verglichen werden.
Vereinfacht ausgedrückt: Die Definitionsphase ist ebenso vorbei wie die Phase der Risikominimierung. Wir sind jetzt beim Feintuning.
Es gibt zahlreiche Sackgassen in der klassischen Evolution, die sich nicht mehr signifikant weiterentwickelt haben. Wenn man sich den Stammbaum der klassischen Evolution ansieht, dann fällt auf, dass es nicht die hochentwickelten Vertreter eines Zweiges sind, die für gewöhnlich neue Innovationen einführen und neue Zweige aufmachen. Woher wollen wir wissen, ob ausgerechnet wir Menschen uns evolutionär so stark weiterentwickeln? Vielleicht sind wir ja eine solche Sackgasse? Immerhin haben wir die technologischen Möglichkeiten erreicht, die Selektion uns betreffend auszuhebeln. Wir können mit negativen Veränderungen - oder zumindest Veränderungen, die im Vergleich zu dem, was die Evolution schon hervorgebracht hat, nicht positiv genug sind - gut überleben.
Ausgerechnet die Gegenwart und Zukunft des heutigen Menschen mit den Maßstäben der klassischen Selektion und Evolution zu erklären und zu messen ist schwierig.
Das mit den Kieferknochen ist zum Einen richtig, mir ist die Untersuchung, die Klaus und Beral genannt haben, auch bekannt. Das ist aber nicht weiter verwunderlich, denn stärkere Knochen in trainierten Körperteilen sind nicht außergewöhnlich, sondern völlig normal. (Die Beine, Rena, würden nicht notwendigerweise kürzer werden, sondern einfach schwächer) Das ist im Übrigen schon lange ein alter Hut in der Evolutionslehre. Dass die Evolution ausschließlich über rein zufällige Mutationen und deren anschließende Bewertung über die Selektion läuft, glaubt schon lange kein ernstzunehmender Biologe mehr. Dass es da auch irgendeinen aktiven Mechanismus geben muss, der gewisse Entwicklungen unterstützt oder im Detail sogar hervorruft, ist hochwahrscheinlich. Allein die Funktion dieses Mechanismus konnte noch keiner erklären.
Bei den Kiefern gibt es möglicherweise noch ein weiteres Phänomen, wegen dem sich das fehlende Training so auswirkt:
Im Laufe der Hominidenentwicklung ist tendenziell durch den ganzen Verlauf hindurch eine Verkleinerung der Kiefer nebst dazugehöriger Muskulatur zu erkennen, wohingegen der das Gehirn beherbergende Schädel tendenziell größer wurde. (tendenziell in Relation zur gesamten Körper- und Kopfform. Der Neandertaler etwa hatte rein vom Volumen gesehen ein größeres Gehirn als wir. Da war aber der ganze Kerl massiger)
Einer meiner Biologieprofessoren reduzierte das mal didaktisch auf folgenden Satz:
"Die Evolution hatte die Wahl: Gut Essi-Essi machen oder gut Denki-Denki machen."
Gut, über die Qualität dieser didaktischen Reduktion lässt sich im Detail streiten, aber sie bringt den Standpunkt der klassischen Evolutionslehre auf den Punkt.
Ich gebe zu bedenken, dass die Größe allein nicht unbedingt der konkurrierende Faktor zwischen Hirn und Kiefer ist. Es geht um mehr: Z.B. die Versorgung mit Blut entgegen der Schwerkraft und ebenso das dauernde Aufrechthalten des Gewichtes. (Die menschliche Wirbelsäule ist ja schon der momentanen Gewichtsverteilung des menschlichen Körpers nur bedingt gewachsen; der aufrechte Gang verlangt eigentlich noch ordentlich Nachbesserung) Jedenfalls sind durchaus Argumente für eine Begrenzung der Kopfparameter auf das aktuelle Maß zu finden. Ausreichender Raum für modernes Gehirn und kräftige Gorillakiefer bedürfte einer kompletten Überarbeitung des Designs. Vielleicht ist das ja einer der Punkte, bei dem die Evolutution etwas über den vernünftigen Kompromiss hinausgeschossen ist? Vielleicht pendelt sich das wieder ein über die nächsten paar 10.000 Jahre. Oder es ist die erwähnte Sackgasse.
Dass die Allgemeinbildung über Evolution mit der aktuellen Forschung nicht mithalten kann, ist ebenso nicht weiter verwunderlich. Das hat sie mit jeder modernen Forschungsdisziplin gemeinsam. Die Forschung schreitet mittlerweile schneller voran, als dass man alle neuen Erkenntnisse rechtzeitig lernen könnte. Das geht einfach nicht mehr, das schaffen ja schon die Fachleute selber nicht mehr, wie soll man es da von den Laien erwarten?
Geht mir ja in diesem Forum schon in Sachen Geschichte so:
Immer, wenn ich meine, etwas zu wissen, kommt garantiert ein Anderer mit neuen Erkenntnissen. Da kommt man sich schon regelmäßig ein bisschen doof vor.:weinen: