Wie weit in den Alltagleben reichte die Macht der Kirche(n)?

Das ist Bullshit!

Als Schüler eines deutschen Internates in den frühen 1970er Jahren fand "Kirche/Religion" nicht statt, das war kein Thema in unserer Schule.
Andere haben andere Erfahrungen gemacht. Ein Mitglied des Schriftsteller-Vereins, in dem ich auch bin, hatte vom Leben in einem katholischen Internat in Niederbayern geschrieben. Und weil er schon als Jugendlicher Tagebuch führte, konnte er sehr detailreich berichten, wie die Schüler von Patres drangsaliert worden sind. Er war 1957 Jahrgang und war wie du in den 1970er im Internat.
Er ist unerwartet früh gestorben und wurde gerade heute in seiner Heimatstadt Passau begraben. Deswegen erinnere ich mich auch an seine Erzählungen. Die Dinge, die er im Internat erlebt hatte, waren keinesfalls Bullshit, sondern bittere Realität.
 
Moin Dion,

die Verantwortlichen sind Staub und Asche, allesamt, man kann diese Menschen und Lehrer nicht mehr belangen. Und es ist gut wie es ist.
All das ist ein halbes Jahrhundert her, die Hälfte der Lehrer waren alte Nazis, der Rest waren die Angehörige ehemals Verfolgter. Es gab einige wenige Lehrer, die uns junge Schüler auf einen richtigen Weg führten, uns die Augen öffneten.

Micha
PS Die "Kinderheim" Erinnerungen aus den 1960er Jahren sind ein anderes Thema, aber dafür gibt es wichtigere und bessere Internetseiten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Andere haben andere Erfahrungen gemacht. Ein Mitglied des Schriftsteller-Vereins, in dem ich auch bin, hatte vom Leben in einem katholischen Internat in Niederbayern geschrieben. Und weil er schon als Jugendlicher Tagebuch führte, konnte er sehr detailreich berichten, wie die Schüler von Patres drangsaliert worden sind. Er war 1957 Jahrgang und war wie du in den 1970er im Internat.
Er ist unerwartet früh gestorben und wurde gerade heute in seiner Heimatstadt Passau begraben. Deswegen erinnere ich mich auch an seine Erzählungen. Die Dinge, die er im Internat erlebt hatte, waren keinesfalls Bullshit, sondern bittere Realität.

In deutschen Schulen hatte sich vielfach bis in die 1980er Jahre noch nicht so recht rumgesprochen, dass die Prügelstrafe eigentlich abgeschafft war. In Baden Württemberg, Bayern und Hessen hielt sie sich bis 1976 oder 77 in Bayern und Hessen bis 1980 oder 81.

Das war nicht mehr wie in den 1950ern, und in den 1970ern gewannen weniger autoritäre Konzepte Breitenwirkung zu zeigen.

Aber ich wage mal die Prognose, dass wer in den 1970ern zur Schule ging, hat mindestens einen Lehrkörper, männlichen wie weiblichen Geschlechts kennengelernt, wo nach Herzenslust Haare gerauft, Backpfeifen oder Kopfnüsse gegeben wurden, wo es o0hrfeigen und Schellen hagelte, wo Schlüsselbunde tief flogen und zuweilen auch noch ganz klassisch auf Hilfsmittel wie Lineale und grausamere Gerätschaften zurückgegriffen wurde.

Das alles oft mit ausdrücklicher Billigung der Eltern

So völlig unberührt kam man da nicht durch die Schulzeit, selbst wenn man 1. ein sehr braves Kind war und 2. Liberale Eltern hatte.
 
Aber ich wage mal die Prognose, dass wer in den 1970ern zur Schule ging, hat mindestens einen Lehrkörper, männlichen wie weiblichen Geschlechts kennengelernt, wo nach Herzenslust Haare gerauft, Backpfeifen oder Kopfnüsse gegeben wurden, wo es o0hrfeigen und Schellen hagelte, wo Schlüsselbunde tief flogen und zuweilen auch noch ganz klassisch auf Hilfsmittel wie Lineale und grausamere Gerätschaften zurückgegriffen wurde.
Also tieffliegende Schlüsselbunde, kenne ich noch aus den frühen 2000ern, wenn auch die anderen aufgezählten Dinge nicht mehr.

Dafür einige andere Ticks, von denen ich nicht der Meinung bin, dass das der Weisheit letzter Schluss sein kann, was allerdings sicherlich kein Plädoyer für die oben aufgezählten Methoden sein soll.
 
Gemessen an den Zuständen die vielfach noch in den 1970ern in der Heim- und Fürsorgeerziehung herrschten, waren deutsche Schulen, an denen Ohrfeigen in der Luft hingen noch geradezu Oasen des Friedens und der Kinderrechte.

Da waren auch eine ganze Reihe von Einrichtungen dabei, die von Kirchen geleitet wurden.


Einen besonders finsteren Ruf hatten die sogenannten Magdalenen-Heime in Irland

Seit der frühen Neuzeit wurden Heime für Prostituierte, gefallene Mädchen in zahlreichen europäischen Staaten gegründet.

In GB fehlten zunächst solche Einrichtungen. Kirchliche Gerichte hatten ihre Zuständigkeit verloren und die Prostitution wurde entweder relativ locker wie in London oder extrem repressiv gehandelt, je nach Einstellung. Seit 1700 gab es auch in GB Heime für "gefallene Mädchen" und seit der Katholikenemanzipation 1829 betrieb auch die Katholische Kirche solche Einrichtungen.

Seit dieser Zeit betrieb die Kirche die Magdalenenheime. Häufig handelte es sich dabei um Wäschereibetriebe. Insassen waren nicht nur Prostituierte, sondern vor allem ledige Mütter, oder Frauen aus schwierigen Verhöltnissen, bei denen Verwahrlosung unterstellt werden konnte. Bis in die 1990er Jahre waren mehrere 10.000 Frauen Ausbeutung, Gewalt und sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Sie mussten bis zu 7 Tage ohne Lohn arbeiten und wurden vielfach misshandelt.

Die Zustände wurden in Irland kaum wahrgenommen, Irland hat sehr strenge Abtreibungsgesetze, und die Magdalenenheime wurden als gemeinnützig anerkannt, obwohl es de facto Sklavenarbeit war.

 
Scorpio.
was du dir vorstellst ist "Bullshit"!

Wir haben all das selbst erlebt, als kleine Jungs in den 1960er Jahren, der damalige Missbrauch war an der Tagesordnung. die "Tanten" waren notgeile Frauen, die Kinder missbrauchten zu ihrem eigenen Vergnügen, Es war genau so. Das "Waschen" der nackten Kinder war an der Tagesordnung, Jungen wurden gewaschen bis zu einer Ejakulation, ich erinnere all das das sehr gut.

All das ist heute ein Tabu-Thema, wir Jungs wurden in diese Kinderheime geschickt, weil wir aufsässig waren, außer Kontrolle.
Dort wurden wir alle missbraucht, von erwachsenen Männern und Frauen, an jedem Tag, in diesen "Ferien".

Und das ist kein "Bullshit" ich habe es selbst erlebt.

Micha
PS Es gab damals die Androhung einer Verschickung in eine "Anstalt" im Emsland, es gibt einen Spielfim über all das, der Film ist sehr unlustig...
Der Titel ist "Freistatt": Freistatt (Film) – Wikipedia

Ein guter Spielfilm...

PS Der Film ist ein Spiegelbild unserer Kinderjahre, es war unser Glück, nicht "dorthin" geschickt zu werden, ich kenne hunderte Frauen und Männer, die genau dort endeten...
 
Zuletzt bearbeitet:
Also tieffliegende Schlüsselbunde, kenne ich noch aus den frühen 2000ern, wenn auch die anderen aufgezählten Dinge nicht mehr.

Dafür einige andere Ticks, von denen ich nicht der Meinung bin, dass das der Weisheit letzter Schluss sein kann, was allerdings sicherlich kein Plädoyer für die oben aufgezählten Methoden sein soll.

Ich kann mich an einen ganz alten Thread aus meiner Anfangszeit 2006 erinnern:

Welche Disziplinarmaßnahmen gab es an deutschen Schulen. Vielleicht findest du den Thread noch, mit vielen Schwelgereien in Erinnerungen.

Übrigens gab es da trotz der Systemkonkurrenz und dem Verbot der Prügelstrafe in den beiden deutschen Staaten bemerkenswerte Übereinstimmungen und die Forenfreunde aus Thüringen Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg haben durchaus ähnliche Erfahrungen gesammelt wie in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern.

Die schlimmste, die ich je kennenlernte, war eine schwäbische Walküre. Ich habe den Namen vergessen, ich hatte aber gleich am ersten Tag vergeigt.

Die anderen Kinder nannten sie die Trollinger-Hilde, und sie warnten mich: "Du, Martin, nimm di in Acht vor d´r Trollinger Hilde, die isch fei brudal!
Ich wusste damals noch nicht, dass das ein Rotwein ist, und Hilde gerne in der großen Pause sich im Trollinger Stüble mit ihrer besten Freundin sich ein Viertele und einen Schwarzwälder Kirsch genehmigte.

Ich frage die Walküre, Frau Trollinger, wo soll ich mich hinsetzen"
 
Scorpio.
was du dir vorstellst ist "Bullshit"!

Wir haben all das selbst erlebt, als kleine Jungs in den 1960er Jahren, der damalige Missbrauch war an der Tagesordnung. die "Tanten" waren notgeile Frauen, die Kinder missbrauchten zu ihrem eigenen Vergnügen, Es war genau so. Das "Waschen" der nackten Kinder war an der Tagesordnung, Jungen wurden gewaschen bis zu einer Ejakulation, ich erinnere all das das sehr gut.

All das ist heute ein Tabu-Thema, wir Jungs wurden in diese Kinderheime geschickt, weil wir aufsässig waren, außer Kontrolle.
Dort wurden wir alle missbraucht, von erwachsenen Männern und Frauen, an jedem Tag, in diesen "Ferien".

Und das ist kein "Bullshit" ich habe es selbst erlebt.

Micha

Also die Zustände in der Heimerziehung in Deutschland in den 1950er bis 1970er Jahren sind nun wirklich gut dokumentiert, Günther Wallraff hat Anfang der 1970er Jahre dazu recherchiert, ist u. a. auch damit bekannt geworden. Es gibt Tausende Fälle von Misshandlungen, und auch die sind teilweise von Heimleitungen selbst dokumentiert. Kritik an überkommenen Erziehungsmethoden wurde recht früh laut. Fürsorgeerziehung war auch ein Thema, zu dem Ulrike Meinhof ausgiebig geforscht hat, womit sie auch bekannt wurde.


Auch die Zustände in den irischen Magdalenenheimen sind dokumentiert, Ausbeutung, physische und psychische Gewalt, sexuelle Übergriffe und Missbrauch sind massenhaft vorgekommen, von daher kann ich überhaupt nicht nachvollziehen wie man das als Hirngespinste oder Bullshit abtun kann.

 
Ich kenne alle diese Links, die frühere Androhung war immer "Erziehungsanstalt", um uns unter Kontrolle zu bringen, eine Art "Kmast" für Kinder und Jugendliche, genau so war es, diese Zeiten sind vorbei!
Gut!

Micha
 
Gemessen an den Zuständen die vielfach noch in den 1970ern in der Heim- und Fürsorgeerziehung herrschten, waren deutsche Schulen, an denen Ohrfeigen in der Luft hingen noch geradezu Oasen des Friedens und der Kinderrechte.

Da waren auch eine ganze Reihe von Einrichtungen dabei, die von Kirchen geleitet wurden.
Ja, ich muss da an Freistatt, eine Einrichtung von Bethel denken. Ich habe Freistatt vor 2 Jahren besucht,da hat man mir auch das Buch "Endstation Freistatt" aus dem Bethel-Verlag geschenkt. Ich habe schon einmal künstlerisch zur Psychiatrie in Bethel während der 1930er bis 1950er Jahre in Kooperation mit dem Hauptarchiv Bethel gearbeitet. Freistatt sollte mein nächstes Thema werden, aber die Akten im Hauptarchiv sind noch nicht frei zugänglich.

Kerstin Stockhecke, Leiterin des Hauptarchivs, kommt in einer Doku zu Freistatt zu Wort. Man kann sie auf YT finden:

Endstation Freistatt - Das Erziehungslager im Moor​

Schwere körperliche Mißhandlung psychischer Mißbrauch waren an der Tagesordnung. Dazu Zwangsarbeit im Moor. Mit Kollektivstrafen wurde auch die Dynamik unter den Jugendlichen ausgenutzt. In der Doku fällt der Vergleich mit einem "Wolfsrudel".

Zur RAF:

Als Folge der Heimkampagne sieht sich die Leitung in Bethel gezwungen, die geschlossene Heimunterbringung zu beenden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nichts für ungut, aber führt uns nicht zu weit von der Thematik fort, was auf den letzten zwei, drei Seiten geschrieben wurde? Körperliche Züchtigung als Erziehungsmethode ist ein globales Phänomen ohne Bindung an eine bestimmte Religion oder Kultur. Und physischen, psychischen oder sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen hat es in DDR-Kinderheimen, pakistanischen Madrasas und amerikanischen Sportschulen ebenso gegeben wie in kirchlichen Einrichtungen des christlichen Europas, das wir hier untersuchen.
 
Na ja, die Thematik dieses Threads Einfluss der Kirche auf das Alltagsleben ist ja auch ziemlich schwammig, und ein Einfluss auf Werte, Normen, Brauchtum und Feste kann durchaus ein beachtlicher sein, ohne dass damit auch ein Einfluss auf das Privatleben Einzelner zu folgern wäre.

Wenn die Kirche eine Regelung trifft, wann Christen Ostern feiern, dann hat sie natürlich einen erheblichen Einfluss auf Hunderttausende von Menschen, auf Feste, Brauchtum ohne dass damit auch ein übergriffiger Eingriff in die Privatsphäre des Einzelnen gegeben wäre.

Viele Beiträge in diesem Thread tun aber so, als seien Einfluss auf den Alltag und Übergriffe auf das Privatleben des Einzelnen das Gleiche, es wird so getan, als würde aus einem Ausspruch eines Apostels, Papstes oder Kirchenfürsten schon eine Kausalkette und als würde ein Paulus-Zitat hinreichend eine in Jahrhunderten gewachsene Kirchenhierarchie erklären.

Natürlich gibt es Missbrauch und Gewalt in allen Institutionen. Es bleibt aber festzuhalten, dass sich in kirchlichen Einrichtungen solche Vorfälle häuften, dass gewalttätige, homosexuelle Pädophile in solchen Einrichtungen geradezu ideale Bedingungen vorfanden. Dass Kontrolle nicht funktionierte, dass Opfern nicht geglaubt wurde, dass Täter oft ungehindert weiter machen konnten, dass sie versetzt wurden, dass man versuchte, Fehlverhalten zu vertuschen.

Da kann von "Einzelfällen" keine Rede sein, und es spricht durchaus viel dafür, dass dieses Versagen systemisch bedingt war.
 
Nichts für ungut, aber führt uns nicht zu weit von der Thematik fort, was auf den letzten zwei, drei Seiten geschrieben wurde? Körperliche Züchtigung als Erziehungsmethode ist ein globales Phänomen ohne Bindung an eine bestimmte Religion oder Kultur. Und physischen, psychischen oder sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen hat es in DDR-Kinderheimen, pakistanischen Madrasas und amerikanischen Sportschulen ebenso gegeben wie in kirchlichen Einrichtungen des christlichen Europas, das wir hier untersuchen.
Danke @muck für die Überleitung. Ich hatte schon immer mal vor, ein eigenes Thema zu Bethel aufzumachen. Hier allerdings noch einmal zu Freistatt was ich gestern versucht habe zu verstehen.

Bethels Name lautet ja vollständig: Die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel. Viele glauben, Friedrich von Bodelschwingh hätte die Einrichtung gegründet, atsächlich hat er ihr nur ihren Namen gegeben und natürlich auch ordentlich seinen Stempel aufgeprägt. Er ist in Bethel allgegewärtig. Sein Portrait wacht auch über meine bescheidenen Beiträge zum "Guten Werk" im Büro für Leichte Sprache.

1872 wurde er Leiter der 1867 gegründeten Evangelischen Heil- und Pflegeanstalt für Epileptische bei Bielefeld. Die von ihm 1874 in Bethel (hebräisch: Haus Gottes) umbenannte Anstalt (inzwischen v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel) machte er zusammen mit dem Mutterhaus Sarepta und dem Bruderhaus Nazareth zu einer der bedeutendsten Einrichtungen der Inneren Mission.
Eben dieser Bodelschwingh hat sich bereits 1929 zum Thema Strafen von Zöglingen geäußert. Der entsprechende Aufsatz, sollte die Unklarheit bei der Verwendung körperlicher Strafen und den "Unmut und die Verunsicherung beim Erziehungspersonal" adressieren. Und er argumentiert dann in der Folge eben in "Absehung von säkular-vernünftigen Argumenten" und rein theologisch. "Nur der fange an, ein Erzieher im Sinne des Evangeliums zu sein, der 'bei sich und bei anderen die Wirklichkeit der Sünde sieht.'" Er geht dabei vor allem vom Beispiel Jesu am Kreuz aus, der den beiden Verbrechern an seiner Seite zwar vergeben habe, ihre Bestrafung durch die Römer aber auch nicht verhindert. Man dürfe nicht mit "falscher Weichlichkeit" vorgehen, aber immer strafen in Verbindung mit Vergebung. Er sieht den strafenden Erzieher und den betraften Zögling zwar insofern auf Augenhöhe, als dass beide "von Natur aus" sündig seien, aber es sei gerade um der Liebe willen nötig, die Strafe zu vollziehen. "Der Strafende sollte an Gottes Stelle handeln, aber mit gebrochenem Selbstverständnis, nämlich in dem Bewusstsein, selbst Strafe verdient zu haben"

Meine persönliche Meinung: Hier spiegelt sich vieles, was ich an dem Christentum pervers und kritikwürdig halte. Hichens sagt dazu: we are created sick, and commanded to be well.

Noch zum Abschluss ein Zitat, das das Problem auf den Punkt bringt: "Bleibt doch zu fragen, was solche Reflexionen ind er Grauzone der Gewalt auszurichten mochten, die sich inn den Erziehungshäusern etabliert hatte. Kam dort womöglich nur das Signal an: Körperstrafen sind erlaubt, falsche Weichlichkeit sei fehl am Platz?"

Quelle:
Titel: Endstation Freistatt : Fürsorgeerziehung in den v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel bis in die 1970er Jahre / hrsg. von Matthias Benad .. Person(en): Benad, Matthias (Herausgeber); Schmuhl, Hans-Walter (Herausgeber); Stockhecke, Kerstin (Herausgeber)
Ausgabe: 2. Aufl.
Verlag: Gütersloh : Verl. für Regionalgeschichte - Bielefeld : Bethel-Verl.


Spricht Bodelschwingh jetzt für alle Christen? Wohl kaum. Hier wird oft so argumentiert, als gäbe es nur eine Kirche und ein Christentum. Ich glaube, es gibt so viele Varianten des Christentums, wie es Christen gibt. Man kann also nicht ständig ein Kirchendogma nennen und annehmen, man könne es auf die Vorstellungen aller nominellen Christen übertragen. Etwa: In den 30er Jahren waren 95% der Deutschen nominell Christen, also hatten 95% folgende von der katholischen Kirche vertretene Moralvorstellung. Vielmehr müsste ja der Einfluss am Einzelnen nachgewiesen werden. Das ist schwer bis unmöglich, warum @Dion diesen Punkt auch stets umgeht.
Manchmal kommt mir @Dion Argumentation so vor, als glaube er tatsächlich an einen allmächtigen Gott, der irgenwann dem Menschen bis dahin fremde Moralvorstellungen vorgegeben hätte. Ich halte die Bibel für ein von Menschen geschriebenes Buch und in der Folge von Menschen interpretiertes Buch, in das immer die Moralvorstellungen eben dieser Menschen einflossen. Beispiel Homophopbie: Sind Menschen homophob, weil es in der Bibel steht oder steht es in der Bibel, weil Menschen homophob sind? Ist die Haltung Bodelschwinghs zu Körperstrafen Ausdruck christlicher Moralvorstellungen, oder nutzt er nur die Schrift, um seine Vorstellungen zu untermauern?
 
Natürlich gibt es Missbrauch und Gewalt in allen Institutionen. Es bleibt aber festzuhalten, dass sich in kirchlichen Einrichtungen solche Vorfälle häuften, dass gewalttätige, homosexuelle Pädophile in solchen Einrichtungen geradezu ideale Bedingungen vorfanden. Dass Kontrolle nicht funktionierte, dass Opfern nicht geglaubt wurde, dass Täter oft ungehindert weiter machen konnten, dass sie versetzt wurden, dass man versuchte, Fehlverhalten zu vertuschen.

Da kann von "Einzelfällen" keine Rede sein, und es spricht durchaus viel dafür, dass dieses Versagen systemisch bedingt war.
Jein. Manche wollen ja einen Zusammenhang zwischen dem Zölibat und sexuellem Missbrauch sehen. Der besteht, aber anders, als in der vereinfachten Vorstellung (untervögelte Zölibatere, die sich aus sexuellem Frust an Wehrlosen vergreifen). Das Priesteramt war für sexuell Deviante katholischer Konfession in den letzten Jahrhunderten ein guter Schutz, um nicht in eine ungewollte heteronormative Beziehung eingehen zu müssen. Eben nicht bloß für Homosexuelle, sondern auch für Pädosexuelle. Wer dann kriminell geworden ist, der wurde das aber nicht, weil er underfucked war, sondern weil die Kontrollmechanismen (die inhärenten, wie die sozialen) nicht funktionierten.

Was der Kirche vorzuwerfen ist, ist, dass sie aus Angst, ihren Status als moralische Instanz zu verlieren, die Verfehlungen ihrer Mitglieder nicht verfolgt hat (wer beichtet, aber sich nicht stellt, sondern ggf. wieder fehlt, bei dem ist spätestens beim zweiten Vergehen keine echte Reue erkennbar. Und weil es immer mal wieder den ein oder anderen gibt, der sich exaltierten empört, darüber, dass ich schrieb, dass spätestens beim zweiten Vergehen keine echte Reue erkennbar sei, sei hier noch mal deutlich aber eigentlich überflüssigerweise das Selbstverständliche herausgestrichen: Auch das erste Mal hätte nicht passieren dürfen). Statt sie zu verfolgen, war es jahrzehntelange Praxis, die entsprechenden Fehlenden in eine andere Gemeinde zu versetzen, wo sie dann weiter machen konnten. Und da wurde dann die Verfehlung des Einzelnen zur Verfehlung der Institution.

Das Problem aber ist: das Phänomen betrifft andere gesellschaftliche Institutionen nicht minder: mittlerweile hat auch die evangelische Kirche begriffen, dass sie dieselben systemischen Fehler begangen hat, wie die katholische Kirche und wie wenig das ganze mit religiösen Gemeinschaften zu tun hat, mag man daran sehen, dass auch nichtkonfessionelle Internate (siehe Odenwaldschule) und Sportvereine dieselbe Problematik (einschließlich des systematischen Vertuschens und der Täter-Opfer-Umkehr, bzw. dass dem Opfer oft die Glaubwürdigkeit abgesprochen wurde) aufweisen. Die meisten Fälle von Kindesmissbrauch tauchen im Nahbereich auf: Eltern, Verwandte, Betreuer aller Art (Kindergarten, Schule, Kirchengemeinde, Sportverein...).
 
Ich kann mich an einen ganz alten Thread aus meiner Anfangszeit 2006 erinnern:

Welche Disziplinarmaßnahmen gab es an deutschen Schulen. Vielleicht findest du den Thread noch, mit vielen Schwelgereien in Erinnerungen.

Übrigens gab es da trotz der Systemkonkurrenz und dem Verbot der Prügelstrafe in den beiden deutschen Staaten bemerkenswerte Übereinstimmungen und die Forenfreunde aus Thüringen Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg haben durchaus ähnliche Erfahrungen gesammelt wie in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern.

Die schlimmste, die ich je kennenlernte, war eine schwäbische Walküre.

Ich wollte eigentlich, was das angeht, kein Fass aufmachen. Was mich bei dem Thema nur, weil das meine eigene Lebenserfahrung tangiert, stört, ist dass Debatten darum in die völlig falsche Richtung laufen.

Das schlimmste, was ich im Rahmen schulischer Disziplinarmaßnahmen kennen lernen musste, war die weitgehende Abwesenheit jeglicher Form vonn Disziplinarmaßnahmen, weil man es in Reaktion auf frühere Zustände an den Schulen damit den Lehrern entsprechende Handhabe abzunehmen, vollkommen übertrieben hat.
Mittlerweile dürfen Lehrer unbootmäßige Schüler, die sich komplett daneben benehmen ja von rechtswegen her nicht mal mehr konsequent nachsitzen lassen oder ähnliches.

Die Folge davon ist, dass die Autorität der Lehrer im Klassenraum häufig gegen Null tendiert und dass man wenn man heute zur Schule geht, vielleicht keinen Prügelnden Lehrer mehr hat, dafür aber gleich ein Dutzend völlig ungeniert prügelnder Mitschüler, die sich austoben, weil sie ganz genau wissen, dass das für sie keine Konsequenzen hat.
Lehrer die sich noch trauen würden irgendwie dazwischen zu gehen und zu versuchen irgendwelche Disziplinarmaßnahmen zu verhängen um wenigstens ruimentär die Ordnung aufrecht zu erhalten (und damit meine ich nicht Methodenn à la Rohrstock, sondern eben im Zweifel mal ein paar Tage lang Nachsitzen o.ä), gibt es kaum noch, weil alle samt Angst haben, dass man sie dann vor den Kadi zerren könnte, weil sie damit ihre Befugnisse überschreiten.

Was ich dafür von Seiten der Lehrer (nicht alle, aber viele) sehr oft erlebt habe, ist, dass diese, wahrscheinlich auch aus dieser Problematik heraus, dazu neigen Probleme auf andere abzuwälzen.
Z.B. dadurch, dass dann die Eltern mit Empfehlungen bombardiert werden ihr Kind wegen jeden Mist, und sei es nur deswegen, weil es dadurch, in welcher Form die Mitschüler zur ungenierten Gewaltätigkeit neigen und es das regelmäßig abbekommt, nervlich fertig ist, doch bitte zum Psychologen zu schleifen.

Das sind so die Nettigkeiten, die ich erleben durfte. Verglichen damit, waren mir Lehrer aus den älteren Semestern bei denen dann schonmal der Schlüsselbund oder der Kreidevorrat durch den Klassenraum flogen, aus meiner damaligen Perspektive als Schüler heraus persönlich eher sympathisch, sorgte nämlich immerhin dafür, das wenigstens ab und an die sonstige Anarchie mal Pause hatte.

Würde ich heute anders sehen, tieffligende Schlüsselbünde müssen wirklich nicht sein, das Problem ist aber, dass die Thematik immer nur einseitig diskutiert wird und von der falschen Seite her.
Nämlich immer nur von der Warte her welche furchtbaren Disziplinarstrafen Lehrer früher verhängt haben, wie demütigend das war (dieser Teil des Diskurses hat seine Berechtigung) und (und an dieser Stelle wird es problematisch), wo man noch irgendwelche Formen von Autorität des Lehrer ausfindig machen kann, die man abbauen könnte.
Das damit aber jede Form von Ordnung flöten geht und die Schüler selbst, da Sanktion nicht mehr stattfindet, dadurch nachgerade zu gewaltätigem Verhalten gegeneinander eingeladen werden, dass wird dabei nicht gesehen.
Stattdessen wird weiterhin so getan, als würde man in diesem Land gesellschaftlich irgendwo in den 1960er hängen geblieben sein und müsse deswegen noch antiautoritärer werden, was im Hinblick auf die realen Zustände an Schulen vor allem bedeutet, die Möglichkeiten für Gewalträume auszuweiten.

Wenn ich persönlich aus meiner Schulzeit und Dingen, im Hinblick auf Autorität und Disziplinarmaßnahmen etwas gelernt habe, dann dass Laissez Faire und Anarchie keine anstrebenswerten Zustände sind.

Ist jetzt länger geworden, als ich wollte und gehört eigentlich auch nicht wirklich in die Diskussion, kann daher auch wieder weg, ich wollte hierzu nur einmal meinen Standpunkt erklärt haben.
 
Jein. Manche wollen ja einen Zusammenhang zwischen dem Zölibat und sexuellem Missbrauch sehen. Der besteht, aber anders, als in der vereinfachten Vorstellung (untervögelte Zölibatere, die sich aus sexuellem Frust an Wehrlosen vergreifen). Das Priesteramt war für sexuell Deviante katholischer Konfession in den letzten Jahrhunderten ein guter Schutz, um nicht in eine ungewollte heteronormative Beziehung eingehen zu müssen. Eben nicht bloß für Homosexuelle, sondern auch für Pädosexuelle. Wer dann kriminell geworden ist, der wurde das aber nicht, weil er underfucked war, sondern weil die Kontrollmechanismen (die inhärenten, wie die sozialen) nicht funktionierten.

Was der Kirche vorzuwerfen ist, ist, dass sie aus Angst, ihren Status als moralische Instanz zu verlieren, die Verfehlungen ihrer Mitglieder nicht verfolgt hat (wer beichtet, aber sich nicht stellt, sondern ggf. wieder fehlt, bei dem ist spätestens beim zweiten Vergehen keine echte Reue erkennbar. Und weil es immer mal wieder den ein oder anderen gibt, der sich exaltierten empört, darüber, dass ich schrieb, dass spätestens beim zweiten Vergehen keine echte Reue erkennbar sei, sei hier noch mal deutlich aber eigentlich überflüssigerweise das Selbstverständliche herausgestrichen: Auch das erste Mal hätte nicht passieren dürfen). Statt sie zu verfolgen, war es jahrzehntelange Praxis, die entsprechenden Fehlenden in eine andere Gemeinde zu versetzen, wo sie dann weiter machen konnten. Und da wurde dann die Verfehlung des Einzelnen zur Verfehlung der Institution.

Das Problem aber ist: das Phänomen betrifft andere gesellschaftliche Institutionen nicht minder: mittlerweile hat auch die evangelische Kirche begriffen, dass sie dieselben systemischen Fehler begangen hat, wie die katholische Kirche und wie wenig das ganze mit religiösen Gemeinschaften zu tun hat, mag man daran sehen, dass auch nichtkonfessionelle Internate (siehe Odenwaldschule) und Sportvereine dieselbe Problematik (einschließlich des systematischen Vertuschens und der Täter-Opfer-Umkehr, bzw. dass dem Opfer oft die Glaubwürdigkeit abgesprochen wurde) aufweisen. Die meisten Fälle von Kindesmissbrauch tauchen im Nahbereich auf: Eltern, Verwandte, Betreuer aller Art (Kindergarten, Schule, Kirchengemeinde, Sportverein...).

Ich sehe durchaus nicht im Zölibat oder untervögelten Klerikern die Ursache des Problems. Ich bin auch der Ansicht, dass die Ursachen vor allem auf mangelnde Kontrolle und mangelnden Aufklärungswillen zurückzuführen sind. Wenn der Staat sich aus seiner Fürsorgepflicht herauszieht und das kirchlichen Institutionen überträgt, die dann mit der Autorität des Staates, der Autorität der Kirche und einem gewaltigen Vertrauensbonus der Gesellschaft, der Elternschaft im Rücken praktisch unumschränkte Gewalt über Kinder, Jugendliche, ledige Mütter, Homosexuelle und andere "Randgruppen" in die Hand gedrückt bekommt, dann wäre es ein Wunder, wenn unter solchen Bedingungen kein Missbrauch stattfinden würde.

Missbrauch von Macht, sexueller Missbrauch das tritt in allen Institutionen auf. Wenn in einer Institution eine repressive, verklemmte Sexualmoral bereits angelegt ist, und diese Institution und führende Vertreter schwarzer Pädagogik verhaftet sind und Kontrollmechanismen konterkariert werden, durch den Vertrauensbonus, der der Institution und ihren Vertretern zugebilligt wird, dann ist eine solche Institution sehr anfällig für (Macht)Missbrauch. Wenn dann eine solche Institution die eigene Autorität und das eigene Ansehen über das Wohl von Kindern stellt wird, wenn Täter, und wir sprechen von dem wohl widerlichsten Verbrechen, nicht gehindert werden, nicht zur Verantwortung gezogen werden und jahrelang immer weiter machen können, dann wird man durchaus von systemischen Ursachen sprechen können.
 
Die erst vor kurzer Zeit veröffentlichte Studie zu den Missbrauchsfällen in der Evangelischen Kirche hat klar festgestellt, dass der Zölibat keine große Rolle spielt und Priester nicht zu Tätern macht. Wie @Scorpio ganz richtig sagt, Missbrauch von Macht kommt überall vor, wo gewachsene Strukturen ihn begünstigen und Kontrollmechanismen fehlen.
 
Die erst vor kurzer Zeit veröffentlichte Studie zu den Missbrauchsfällen in der Evangelischen Kirche hat klar festgestellt, dass der Zölibat keine große Rolle spielt und Priester nicht zu Tätern macht.
Sag ich ja, war aber auch schon vorher klar. Also vor der angesprochenen Studie.
Was die RK Kirche von anderen Institutionen unterscheidet, ist, dass der Zölibat für sexuell deviante Menschen (vor allem Männer, aber auch Frauen) einen Rückzugsraum bietet, ohne sich ggf. erklären zu müssen, warum man denn unverheiratet bleibt.
 
Wenn ich hier lese, das Christentum – mit seinen institutionellen Kirchen – hätte in Bezug auf Körperstrafen nur das getan, was auch in anderen Regionen und Religionen gang und gäbe war oder ist, dann ist das eine Verteidigungslinie, die vergessen machen will, dass die christlichen Kirchen in Deutschland es waren, die bis zuletzt das Prügelprivileg der Eltern und der Lehrer verteidigt haben.

Und dies wird nach wie vor verteidigt, denn noch im Jahr 2015 sagte der Papst Franziskus in einer Familien gewidmeten Generalaudienz Folgendes:

Ein guter Vater versteht zu warten und versteht zu vergeben, aus tiefstem Herzen. Sicher, er versteht es auch, entschieden zurechtzuweisen: Er ist kein schwacher, nachgiebiger, sentimentaler Vater. Der Vater, der es versteht, zurechtzuweisen, ohne zu entmutigen, versteht auch zu beschützen, ohne Mühen zu scheuen. Einmal habe ich in einer Versammlung von Ehepaaren gehört, wie ein Vater sagte: »Manchmal muss ich den Kindern einen Klaps geben … aber nie ins Gesicht, um sie nicht zu erniedrigen.« Wie schön! Er ist sich der Würde bewusst. Er muss bestrafen, er macht es auf die richtige Weise, und er geht weiter.

Darauf hat in Europa eine Empörung gegeben, doch der Vatikan verteidigte die Äußerung des Papstes – Zitat aus FAZ:

Nach Angaben des „Guardian“ verteidigte Pfarrer Thomas Rosica, ein Mitarbeiter der Pressestelle des Vatikan, die Äußerungen des Papstes. Das Kirchenoberhaupt habe offensichtlich nicht darüber gesprochen, Gewalt gegenüber einem Kind anzuwenden oder grausam zu sein. Sondern es gehe darum, „jemanden beim Wachsen und Reifen zu helfen.“
Rosica verwies zudem auf die Erfahrung vieler Eltern: „Wer hat nicht schon einmal sein Kind gezüchtigt oder ist in seiner Kindheit von den Eltern gezüchtigt worden?“


Kindern zu schlagen heißt, ihnen „beim Wachsen und Reifen zu helfen.“

Bei der katholischen Kirche ist alles wie ehedem.

Okay, nicht ganz: Ab 2018 ist nun auch die katholische Kirche für die Abschaffung der Todesstrafe. Zuvor hielt sie diese Strafe "als eine angemessene Antwort auf die Schwere einiger Verbrechen und als ein annehmbares, wenn auch extremes Mittel zur Wahrung des Gemeinwohls".

Das war ein bisschen spät, aber immerhin. Und: Diese Änderung der kirchlichen Lehre wurde maßgeblich von Papst Franziskus vorangetrieben!
 
Zurück
Oben