Wie weit in den Alltagleben reichte die Macht der Kirche(n)?

Wenn ich hier lese, das Christentum – mit seinen institutionellen Kirchen – hätte in Bezug auf Körperstrafen nur das getan, was auch in anderen Regionen und Religionen gang und gäbe war oder ist, dann ist das eine Verteidigungslinie, die vergessen machen will, dass die christlichen Kirchen in Deutschland es waren, die bis zuletzt das Prügelprivileg der Eltern und der Lehrer verteidigt haben.

Und dies wird nach wie vor verteidigt, denn noch im Jahr 2015 sagte der Papst Franziskus in einer Familien gewidmeten Generalaudienz Folgendes:

Ein guter Vater versteht zu warten und versteht zu vergeben, aus tiefstem Herzen. Sicher, er versteht es auch, entschieden zurechtzuweisen: Er ist kein schwacher, nachgiebiger, sentimentaler Vater. Der Vater, der es versteht, zurechtzuweisen, ohne zu entmutigen, versteht auch zu beschützen, ohne Mühen zu scheuen. Einmal habe ich in einer Versammlung von Ehepaaren gehört, wie ein Vater sagte: »Manchmal muss ich den Kindern einen Klaps geben … aber nie ins Gesicht, um sie nicht zu erniedrigen.« Wie schön! Er ist sich der Würde bewusst. Er muss bestrafen, er macht es auf die richtige Weise, und er geht weiter.

Darauf hat in Europa eine Empörung gegeben, doch der Vatikan verteidigte die Äußerung des Papstes – Zitat aus FAZ:

Nach Angaben des „Guardian“ verteidigte Pfarrer Thomas Rosica, ein Mitarbeiter der Pressestelle des Vatikan, die Äußerungen des Papstes. Das Kirchenoberhaupt habe offensichtlich nicht darüber gesprochen, Gewalt gegenüber einem Kind anzuwenden oder grausam zu sein. Sondern es gehe darum, „jemanden beim Wachsen und Reifen zu helfen.“
Rosica verwies zudem auf die Erfahrung vieler Eltern: „Wer hat nicht schon einmal sein Kind gezüchtigt oder ist in seiner Kindheit von den Eltern gezüchtigt worden?“


Kindern zu schlagen heißt, ihnen „beim Wachsen und Reifen zu helfen.“

Bei der katholischen Kirche ist alles wie ehedem.

Okay, nicht ganz: Ab 2018 ist nun auch die katholische Kirche für die Abschaffung der Todesstrafe. Zuvor hielt sie diese Strafe "als eine angemessene Antwort auf die Schwere einiger Verbrechen und als ein annehmbares, wenn auch extremes Mittel zur Wahrung des Gemeinwohls".

Das war ein bisschen spät, aber immerhin. Und: Diese Änderung der kirchlichen Lehre wurde maßgeblich von Papst Franziskus vorangetrieben!

Bislang hatte ich den Eindruck, dass du für einen großen Einfluss des Christentums und besonders der katholischen Kirche auf die Moralvorstellungen argumentiert hast.

Jetzt argumentierst du in die entgegengesetzte Richtung. Wenn die katholische Kirche den Moralvorstellungen hinterher hinkt, müssen sich unsere Moralvorstellungen ja unabhängig von der Kirche weiterentwickelt haben.
 
Wenn die katholische Kirche den Moralvorstellungen hinterher hinkt, müssen sich unsere Moralvorstellungen ja unabhängig von der Kirche weiterentwickelt haben.
Ja, die Moralvorstellung haben sie sich zumindest in Europa unabhängig von der Kirche weiterentwickelt: Sogar gegen den kirchlichen Widerstand.
Ich dachte, ich hätte das in meinem obigen Beitrag in Bezug auf Züchtigung der Kinder deutlich gemacht.

Was heute nur noch bei den christlichen Fundamentalisten zu finden ist, war vor 50 Jahren auch bei den Katholiken üblich – mit den gleichen Begründungen aus der Bibel.
 
Wenn ich hier lese, das Christentum – mit seinen institutionellen Kirchen – hätte in Bezug auf Körperstrafen nur das getan, was auch in anderen Regionen und Religionen gang und gäbe war oder ist, dann ist das eine Verteidigungslinie, die vergessen machen will, dass die christlichen Kirchen in Deutschland es waren, die bis zuletzt das Prügelprivileg der Eltern und der Lehrer verteidigt haben.
Das ist doch absurd. Niemand will irgendetwas vergessen machen, indem man zu Recht darauf hinweist, dass Körperstrafen eine globale Konstante und folglich ungeeignet sind, den Einfluss einer bestimmten Religion auf die Moralvorstellungen einer bestimmten Region nachzuweisen.
 
Körperliche Züchtigung als Erziehungsmethode ist ein globales Phänomen ohne Bindung an eine bestimmte Religion oder Kultur. Und physischen, psychischen oder sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen hat es in DDR-Kinderheimen, pakistanischen Madrasas und amerikanischen Sportschulen ebenso gegeben wie in kirchlichen Einrichtungen des christlichen Europas, das wir hier untersuchen.
Es geht hier nicht darum, was in anderen Regionen oder Religionen auch stattfand, sondern inwiefern das Christentum mit seinen Einfluss dazu beigetragen hat, dass es bei uns "physischen, psychischen oder sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen" so lange gab - dies auch in seinen Einflussbereichen in- und außerhalb Europas, denn Anfang des 20. Jahrhunderts regierte das christliche Europa in Form von Kolonien, Protektoraten und Dependancen über ca. 85 Prozent der Welt.

Und dabei sind schon mehr als 230 Jahre vergangen, seitdem die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte und fast zeitgleich (beide im Jahr 1789) die amerikanischen Bill of Rights verabschiedet worden sind.

Diese Rechte wurden während der napoleonischen Herrschaft auch in den besetzten Ländern Europas wirksam, von wo sie die Restauration der alten Ordnung nicht wieder ganz tilgen konnte. (Das wird von @Shinigami zwar in Abrede gestellt, ist aber trotzdem richtig).

Klar, es war nicht alles Gold, was in der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte stand – zum Beispiel wurden Frauen weiter diskriminiert –, aber ein Anfang war gemacht. Im 20. Jahrhundert folgten weitere Menschenrechtserklärungen, doch der Vatikan hat die UNO- und EU-Menschenrechtserklärungen nicht unterzeichnet. Als einer der wenigen Staaten!

Evangelischen Kirchen in Deutschland scheinen da weiter zu sein und zur Selbstkritik fähig – Zitat:

Die Kirchen gehören heute zu den zivilgesellschaftlichen Akteuren, die in vielen ihrer Arbeitsfelder die Menschenrechte verteidigen und zu ihrer Verwirklichung beitragen.

Dies war jedoch nicht immer so.

Ähnlich wie in ihrer Haltung zur Demokratie haben die Kirchen hierbei einen langen und konfliktreichen Lernprozess durchlaufen. So ist die Erkenntnis, dass der Einsatz und die Verteidigung von Menschenrechten auch eine kirchliche Aufgabe ist und bleibt u.a. den Bürgerrechtsbewegungen in den USA und in Südafrika in den 1960er und -70er Jahren zu verdanken, wie auch der Befreiungstheologie* Lateinamerikas.
(…)
Sicher liegen den Menschenrechten Vorstellungen zugrunde, die in der Botschaft der Bibel und christlichen Inhalte deutliche Bezugspunkte haben. Ihre Wurzeln haben sie jedoch in philosophischen und politischen Konzepten, die sich historisch oft gegen kirchliche Machtansprüche durchsetzen mussten.
(…)
Die christlichen Kirchen richteten sich lange auch aus theologischen Erwägungen gegen den Gedanken des freien und gleichen Individuums, da darin eine Hybris des Menschen gesehen wurde, der als ein sündiges und von Gottes Gnade abhängiges Geschöpf betrachtet wurde.


* Zur Befreiungstheologie – Zitat:

Lateinamerikanische Befreiungstheologen und Basisgemeinden haben die Kirchenhierarchie sowohl ihrer Staaten als auch in den reichen Industriestaaten angegriffen. Zur Analyse der eigenen Lage gehörte zwangsläufig die Kritik am Missbrauch der Religion als wesentlichen Stützpfeiler der Unterdrückung, zur Durchsetzung von Ausbeutungsinteressen und Verdummung der Armen. Befreiungstheologen kritisieren die traditionelle Verbindung von „Thron und Altar“, das heißt die politische Allianz von römisch-katholischer Hierarchie und rechtsgerichteten Parteien und Regimes in Lateinamerika, als eine Art von Klerikalfaschismus.
(…)
Der Vatikan lehnte die Befreiungstheologie in den 1970er-Jahren offiziell ab und entzog einigen prominenten Vertretern die Lehrbefugnis. Papst Johannes Paul II. setzte sich etwa durch Versetzung von Priestern, die ihr anhingen, oder durch Ernennung von Gegnern zu Bischöfen gegen die Befreiungstheologie ein.
 
Es geht hier nicht darum, was in anderen Regionen oder Religionen auch stattfand, sondern inwiefern das Christentum mit seinen Einfluss dazu beigetragen hat, dass es bei uns "physischen, psychischen oder sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen" so lange gab
...hat "das Christentum" als (hinter- & arglistiger) Akteur irgendwelche Anweisungen oder Direktiven hinterlassen, wie man Schutzbefohlene psychisch, physisch und sexuell missbraucht?

Pardon - - ich kann den oben zitierten Satz nicht ernst nehmen...
 
...hat "das Christentum" als (hinter- & arglistiger) Akteur irgendwelche Anweisungen oder Direktiven hinterlassen, wie man Schutzbefohlene psychisch, physisch und sexuell missbraucht?

Ein wirkliches Problem ist aber, dass das Christentum auch keine Anweisungen und Direktiven hinterlassen, die den psychischen, physischen und sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen eindeutig verurteilt und verhindert.

Das ist ein Problem, wenn Christen, das Christentum und die Bibel als moralischen Kompass benutzen. Und meiner Einschätzung nach sind es zumindest sehr viele gläubige Christen, die an eine objektive, gottgegebene Moral glauben. Das es nicht nur "das eine" Christentum gibt, bleiben die daraus resultierenden Glaubenssätze komplett der Interpretation überlassen. Deshalb konnte man anhand des Christentums sowohl die Sklaverei rechtfertigen, als auch sie bekämpfen. Es kann Hassgruppen mit God hate fags Schildern geben und LGBTIQ+ freundliche katholische Messen. Und wenn jetzt einer sagt, die anderen wären eben keine "echten" Christen, ist das nichts als die True-Scottsman-Fallacy. Das "wahre" Christentum gibt es eben nicht.

Um das mal durchzugehen:
a) psychische Gewalt ist es doch schon, den Menschen schreckliche Höllenvorstellungen einzupflanzen. In meinen Kirchen war das nicht im Vordergrund, aber es gibt tatsächlich eine Reihe ehemaliger Christen, die vorrangig damit zu kämpfn haben, auch wenn sie ihren Glauben bereitss verloren haben. Deshalb gibt es Organisationen wie Recovering from religion.
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b) Wie man mit dem Christentum physische Gewalt rechtfertigt habe ich oben anhand Friedrich Bodelschwinghs gezeigt.

c) Rechtfertigung, nicht Vertuschung, sexuellen Mißbrauchs gibt es sicher nur selten. Aber ich habe schon davon gehört. Wenn die 16-jährige, die vom evangelikalen Pastor "verführt" wurde, ist sie eben als Frau die Sünde und die Verführerin, die Buße tun muss. Victimblaming im Mantel des Glaubens.

Andere Christen haben gar keine Probleme mit der Hölle, lesen aus der Bibel die Weisung zu Sanftmut und Liebe sowie die Pflichte, die Schwachen zu schützen. Nur einen Kompass, der mal nach Süden und mal nach Norden zeigt, sollte man nicht zur Orientierung nutzen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es geht hier nicht darum, was in anderen Regionen oder Religionen auch stattfand, sondern inwiefern das Christentum mit seinen Einfluss dazu beigetragen hat
Eigentlich nicht. Eigentlich geht es in diesem Faden darum, wie weit der Einfluss der Kirche in das Alltagsleben der Menschen reichte.

Diese Rechte wurden während der napoleonischen Herrschaft auch in den besetzten Ländern Europas wirksam, von wo sie die Restauration der alten Ordnung nicht wieder ganz tilgen konnte. (Das wird von @Shinigami zwar in Abrede gestellt, ist aber trotzdem richtig).
Von Shinigami bestritten wurde deine Behauptung, die Aufklärung sei mit Napoléon "über Europa geschwappt".
Das ist und bleibt inhaltlich falsch, die Aufklärung begann 100 Jahre vor Napoléon in Europa Fuß zu fassen.

Und eben dieser von dir blind verehrte Napoléon hat erstmal den Großteil der deklarierten Menschenrechte wieder kassiert, in dem er Frauen faktisch davon ausnahm und zu mehr oder weniger unmündigen Personen degradierte und damit, dass er die Sklaverei wieder zuließ.

Auch sonst pfiff er gerne mal auf die Menschenrechte und andere Grundrechte, wenn ihm das gerade passte. Ich erinnere an den Fall des Herzogs von Enghien.
Hat es irgendwas mit Menschenrechten zu tun, wenn eine Regierung Personen rein auf Verdacht, zumal noch im Ausland de facto kidnappt und anschließend ohne ordentliches Gerichtsverfahren erschießen lässt?
Wenn dass das Resultat und die Segnungen der Aufklärung sind, liber Dion, dann taugt die Aufklärung und dieser Apostel derselben nicht viel.
Ich halte das ja eher für Mafiamethoden.
War es besonders aufgeklärt in den de facto von Frankreich abhängigen Staaten Europas Soldaten Presse zu lassen, damit der große Kaiser der Franzosen nen Bisschen Kanonenfutter hat, dass in Russland verheizt werden kann?
War es besonders aufgeklärt von der traditionellen Kriegsführund des "ancien régime" dazu überzugehen, Massenheere hemmungslos Plündern und der Zivilbevölkerung gegenüber Gewalt anwenden zu lassen?

Ich wundere mich ehrlich gesagt über deine unkritische Einstellung, was den guten Herren und das damalige Frankreich betrifft, im Besonderen, wenn man es damit verglicht, wie das mit deiner Beurteilung etwa der deutschen Kriegsverbrechen in Belgien 1914 kontrastiert.

Teile der belgischen Bevölkerung als angebliche Partisanen zu erschießen ist ein schwerwiegendes Verbrechen (So weit einverstanden von meiner Seite) das gleiche aber in Teilen mit aufmüpfigen Spaniern tun zu lassen (Napoléon) ist aber in Ordnung und ein aufklärerisches Verdienst?
Finde ich reichlich inkonsequent.
Und das ist nicht das einzige Beispiel, dass sich bieten würde.

doch der Vatikan hat die UNO- und EU-Menschenrechtserklärungen nicht unterzeichnet. Als einer der wenigen Staaten!
Ein Staat auf dessen Gebiet und unter dessen Jurisdiktion wie viele Menschen leben? 500?
Ja, die Nichtunterzeichnung der Menschenrechtserklärung dort wird sicherlich die ungeheuerlichsten Auswirkungen auf die Menschheit haben.

Mal davon abgesehen, dass der praktische Wert eines Stück Papiers auch immer erstmal zu beweisen ist.

Die Europäische Menschenrechtskonvention unterschrieben haben unter anderen Armenien und Azrbaijan, was die blutige Auseinandersetzung um Bergkarabach nicht verhindert hat, die Türkei, was Menschenrechtsverletzungen im Inland genau so wenig verhindert hat, wie etwa im Rahmen der nicht legalen militärischen Einmischung in Syrien, oder auch Großbritannien, das vor gerade einmal 20 Jahren so gar kein Problem damit hatte, dann einen völkerrechtlich nicht gedeckten Krieg gegen den Irak mit vom Zaun zu brechen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Offen gesagt, angesichts der offenen Missachtung dieser Rechte, durch verschiedene Signatarstaaten hält sich meine Empörung über die Nichtunterzeichnung in Grenzen.
Natürlich ist das kein Ruhmesblatt. Andererseits ist mir persönlich ein Akteur lieber, der offen Bedenken dagegen formuliert und dem nicht beitritt, sich dafür aber weitgehend der eigenen Bevölkerung gegenüber so weit man es beurteilen kann, immerhin so korrekt verhält, dass keine eklatanten Menschenrechtsverstöße von staatlicher Seite festzustellen sind, als Akteure, die diese Rechte hoch und feierlich beschwören um dann nach genau den Menschen, deren heilige und unveräußerliche Rechte sie eben noch verkündet haben Bomben zu werfen, frei nach dem Motto "was interessiert mich mein Geschwätz von Gestern?"
 
Zuletzt bearbeitet:
Ein wirkliches Problem ist aber, dass das Christentum auch keine Anweisungen und Direktiven hinterlassen, die den psychischen, physischen und sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen eindeutig verurteilt und verhindert.
Bei diesem Einwand kommt mir die heutzutage modische AGB-Flut in den Sinn. Doch davon abgesehen: kein Bäckerei-Cafe setzt seiner Kundschaft AGBs mit den von dir quasi angemahnten Direktiven vor - das bedeutet aber weder, dass dieses Bäckerei-Cafe diese Sorten von Missbrauch billigt, noch bedeutet es, dass in besagter Bäckerei ungehindert Missbrauch stattfinden kann oder gar darf, weil die AGBs besagte Direktiven nicht enthalten. (Ein schulischer wie auch kirchlicher (und mutmaßlich "christlicher") Pädagoge kann mit seinen Schutzbefohlenen zu Kaffee und Kuchen in besagter Bäckerei gehen, dergleichen ist weder verboten noch unüblich)
Der Bäcker/Gastronom, seine Angestellten, seine Kundschaft von minder- bis volljährig: sie alle wissen (hierzulande), dass psychischer, physischer und sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen (und nicht nur diesen allein) Straftatbestände sind; und wer das angeblich nicht weiss, den wird diese Unwissenheit laut Gesetz nicht vor Strafe bewahren. Dazu bedarf es keiner Bäckerei- & "Christentums"AGBs.

Rechtfertigung, nicht Vertuschung, sexuellen Mißbrauchs gibt es sicher nur selten. Aber ich habe schon davon gehört. Wenn die 16-jährige, die vom evangelikalen Pastor "verführt" wurde, ist sie eben als Frau die Sünde und die Verführerin, die Buße tun muss. Victimblaming im Mantel des Glaubens.
Heute noch vereinzelt "Rechtfertigungen"? Das vermag ich mir nicht vorzustellen, aber ich weiß es nicht - hast du Informationen dazu?
Früher - zweifelsohne. Der Themenkomplex Sünde/Sünder/Sünderin-Verführung/Verführer/Verführerin hat den perfiden immanenten Mechanismus, Verfehlungen dem Einfluss des Bösen anlasten zu können (versimpelt: "der Teufel hat den Schnaps gemacht / um uns zu verführen") Modern betrachtet: der Täter, der "der Versuchung" nicht zu widerstehen vermochte, stilisiert sich zum Opfer... und sein Opfer wird zum Werkzeug des Teufels deklariert.
...seien wir froh, dass heute vor Gericht kaum wer mit solchen Pseudoargumenten Strafminderung erreichen kann (vor einigen Jahren, wenn auch ohne Teufel, war das teils anders (Mitschuld wegen "aufreizender" Kleidung)

@Eumolp kennst du das Kapitel "die Beichte Stawrogins" aus Dostojewskis Roman "böse Geister" (die Dämonen)?
 
psychische Gewalt ist es doch schon, den Menschen schreckliche Höllenvorstellungen einzupflanzen.
Sind Jenseitsvorstellungen (auch eher unerfreuliche wie Hades, Hel, Hölle) aktiv und manipulativ konstruiert, also bewusst zweckgebunde Machtinstrumente? Wenn ja, so ist das schon sehr lange her: wusste man damals, was "psychische Gewalt" ist?
 
Bei diesem Einwand kommt mir die heutzutage modische AGB-Flut in den Sinn. Doch davon abgesehen: kein Bäckerei-Cafe setzt seiner Kundschaft AGBs mit den von dir quasi angemahnten Direktiven vor - das bedeutet aber weder, dass dieses Bäckerei-Cafe diese Sorten von Missbrauch billigt, noch bedeutet es, dass in besagter Bäckerei ungehindert Missbrauch stattfinden kann oder gar darf, weil die AGBs besagte Direktiven nicht enthalten.
Eine Bäckerei inszinert sich aber auch nicht als moralische Instanz. Was das Problem genau ist, habe ich ja im weiteren geschrieben. Von einem Gott gegebenen, moralischen Leitfaden für das eigene Leben, darf man das erwarten.
Heute noch vereinzelt "Rechtfertigungen"? Das vermag ich mir nicht vorzustellen, aber ich weiß es nicht - hast du Informationen dazu?
Ja, kann ich hier schlecht belegen, aber so etwas habe ich in den letzten Jahren aus dem evangelikalen Umfeld in den USA schon in den Nachrichten gehört. Ob heute oder früher ist auch nicht wirklich mein Punkt. Es geht mir, darum, dass man christlichen Glaubens sein und die (eigene) christliche Lehre für solche Rechtfertigungen nutzen kann. Ich würde victim-blaming nicht als typisch christlich bezeichnen. Die dahinterstheneden Mechanismen (Machtgefälle etc) greifen eher allgemein im Zwischenmenschlichen. Wenn man sich jetzt aber Gläubigen gegenüber auf eine Autorität wie Gott berufen kann, dann wird das Problem komplexer.
Sind Jenseitsvorstellungen (auch eher unerfreuliche wie Hades, Hel, Hölle) aktiv und manipulativ konstruiert, also bewusst zweckgebunde Machtinstrumente? Wenn ja, so ist das schon sehr lange her: wusste man damals, was "psychische Gewalt" ist?
Damit kann ich jetzt gar nichts anfangen. Davon habe ich auch nicht gesprochen.

Vielleicht ein Gedanke: Was ist wichtiger, die Absicht Schaden zu verursachen oder der Schaden, der verursacht wird?

Habe jetzt endlich damit angefangen, zu Freistatt künstlerisch zu arbeiten Ein Hausvater hatte stets einen großen Schäfer "zu seinem Schutz" an seiner Seite. Ob es jetzt der Zweck, dieses Hundes war, die Zöglinge einzuschüchtern oder nicht. Er hat dieses Ziel erreicht und das war auch eine Form psychischer Gewalt. Angst und Terror zu verbreiten.
 
@Eumolp kennst du das Kapitel "die Beichte Stawrogins" aus Dostojewskis Roman "böse Geister" (die Dämonen)?

Ich habe mir den text jetzt tatsächlich vorgenommen, aber er ist schon sehr lang. Dann müsste ich raten, was du mir damit sagen wolltest. Wenn du deinen Punkt noch machen willst, fass doch bitte kurz zusammen, auf was du dich denn genau beziehst und was dein Argument ist.

PS auch nach dem Lesen einer Zusammenfassung kann ich nur raten, was du vielleicht meinst.
 
Damit kann ich jetzt gar nichts anfangen. Davon habe ich auch nicht gesprochen.
Du hast folgendes mitgeteilt:
psychische Gewalt ist es doch schon, den Menschen schreckliche Höllenvorstellungen einzupflanzen.
(Unterstreichung und Fettmarkierung von mir) und dazu hatte ich dir zwei Fragen gestellt, die für mein Empfinden zu deiner (eher allgemein gehaltenen) Mitteilung passen:
(2) Sind Jenseitsvorstellungen (auch eher unerfreuliche wie Hades, Hel, Hölle) aktiv und manipulativ konstruiert, also bewusst zweckgebunde Machtinstrumente? (2) Wenn ja, so ist das schon sehr lange her: wusste man damals, was "psychische Gewalt" ist?
"einzupflanzen" suggeriert aktive, willentliche/wissentliche Manipulation.

Aus der Antike ist das Bonmot von den Göttern, welche Erfindungen weiser Staatsmänner seien, überliefert - könnte das für die Hölle auch angenommen werden? (Das wäre eine 3. Frage, welche dann passt, wenn die erste mit Ja beantwortet würde)
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Die "Beichte Stawrogins" ist kein Argument für oder gegen irgendwas in einer Disputations"schlacht", wo Argumente wie Schützenketten aufmarschieren - sie enthält ein besonders fies konstruiertes fiktives Missbrauchsszenario, welches decouvrierend mit Moralvorstellungen zum Themenkomplex Sünde/Verführung operiert (wobei zusätzlich verwirrend der Kontext beachtet werden muss) Ich habe mich daran erinnert und dich gefragt, ob du es kennst. (Nebenbei: der Umfang lesenswerter literarischer Texte sollte kein Hinderungsgrund sein)

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Zu meinem Einwand mit den "ABGs" später
 
Eine Bäckerei inszinert sich aber auch nicht als moralische Instanz.
Das kommt auf das Gschäftsmodell der Bäckerei an und ob sie viel wert auf Öko legt, würde ich meinen.
Was das Problem genau ist, habe ich ja im weiteren geschrieben. Von einem Gott gegebenen, moralischen Leitfaden für das eigene Leben, darf man das erwarten.
Es ging ja aber bei @dekumatland nicht um göttliche Leitfäden in Form religiöser Texte, sondern erstmal um die Kirche per se und was das angeht, würde ich ihm zustimmen.
Man darf von einer Organisation, die in diesem Land arbeitet, erwarten, dass sie es für selbstverständlich hält, sich an die geltenden Gesetze zu halten, auch ohne, dass sie jedem an der Tür eine schriftliche Versicherung in die Hand drückt, dass diese in den eigenen Räumlichkeiten beachtet würden und jeder der zuwiderhandelt rausfliegt.

Wenn jemand darauf verzichtet, weil er das albern findet oder es als beleidigenden Generalverdacht ansieht, wenn solche Erklärungen verlangt werden, ist das nicht unbedingt ein Grund das allein als verwerflich zu betrachten.

Von uns rennt ja auch niemand mit einem großen Zettel an der Stirn durch die Gegend auf dem für jeden lesbar die Versicherung steht, dass die Person an dessen Birne dieser Zettel klebt allen seine Gesetzestreue versichert und garantiert die Rechte seiner Mitmenschen zu achten und zu respektieren.
Jemanden in Misskredit bringen zu wollen, weil er das nicht tut, wäre in meinen Augen Unsinn.

Vielleicht ein Gedanke: Was ist wichtiger, die Absicht Schaden zu verursachen oder der Schaden, der verursacht wird?

Der Jurist würde sagen, wenn keine Absicht vorlag, handelt es sich um ein bedauerliches Ereignis, für dass aber niemanden im juristischen Sinne eine Schuld trifft, oder allenfalls auf Basis von Fahrlässigkeit, entsteht der Schaden allerdings auf Basis der Absicht ihn zu verursachen, handelt es sich um ein vorsätzliches und damit belangbares Handeln.

In diesem Sinne, würde ich sagen, wenn man bei Jenseitsvorstellungen ist und Ausübung psychischer Gewalt postuliert, wäre schon zu hinterfragen: Sind diese Dinge absichtlich als Machtinstrument kreiert worden um anderen zu Schaden, oder aber entstanden diese Dinge eher zufällig ohne dezidierte Absicht.
 
Die "Beichte Stawrogins" ist kein Argument für oder gegen irgendwas in einer Disputations"schlacht", wo Argumente wie Schützenketten aufmarschieren - sie enthält ein besonders fies konstruiertes fiktives Missbrauchsszenario, welches decouvrierend mit Moralvorstellungen zum Themenkomplex Sünde/Verführung operiert (wobei zusätzlich verwirrend der Kontext beachtet werden muss) Ich habe mich daran erinnert und dich gefragt, ob du es kennst. (Nebenbei: der Umfang lesenswerter literarischer Texte sollte kein Hinderungsgrund sein)

Disputations"schlacht", Schützenketten - also, das ist mir zu martialisch. Vielleicht sollte ich mal anmerken, dass mit dem Zitieren deines Beitrags eigentlich auch kein Angriff auf deine Position beabsichtigt war, sondern ich habe deinen Gedanken nur aufgegriffen. Mein Beitrag steht ja auch zu deinem in keinem inhaltlichen Widerspruch.

Ich kann das also als Lesempfehlung verbuchen. Was ich gelesen habe war tatsächlich auch ganz interessant und ich habe das Buch im Regal stehen. Wenn du damit keine inhaltliche Aussage verknüpft hast - der Gedanke ist ja nicht so abwegig - brauche ich auch nicht weiter darauf eingehen. Und natürlich ist der Umfang von Literatur ein Hinderungsgrund, wenn ees darum geht auf einen vagen Nebensatz in einem Forum einzugehen. Wenn denn eine Aussage mit so einem Verweis verknüpft wäre, ist es nicht zu viel verlangt, dass diese ohne umfangreiche Eigenrecherche zu verstehen ist.

"einzupflanzen" suggeriert aktive, willentliche/wissentliche Manipulation.

Nein, eigentlich nicht und da in ein Wort soviel reinzuinterpretieren ist ein wenig unlauter. Höllenvorstellungen können ein bewußt eingesetztes Machtinstrument sein, aber diese können auch weitergegeben und verbreitet werden, weil man eben selbst daran glaubt und den anderen vor der Hölle bewahren möchte. Der Effekt auf Menschen kann allerdings in beiden Fällen verheerend sein.

Die Vorstellung einer Hölle ist eine Drohung, eine Drohung, die zu schweren psychischen Schäden wie Angszuständen führen kann. Eine Drohung gilt als psychische Gewalt.

Und für Schaden, den ich verursache, bin ich (@Shinigami ) auch juristisch verantwortlich, unabhängig von meiner Absicht. Für das Opfer macht das sowieso keinen Unterschied.
 
Nein, eigentlich nicht und da in ein Wort soviel reinzuinterpretieren ist ein wenig unlauter.
diesem Gedanken kann ich nicht folgen.
psychische Gewalt ist es doch schon, den Menschen schreckliche Höllenvorstellungen einzupflanzen.
welche Deutung des Verbs einpflanzen schlägst du vor, wenn meine dir unlauter und inhaltlich nicht passend vorkommt?
Wenn du damit keine inhaltliche Aussage verknüpft hast - der Gedanke ist ja nicht so abwegig - brauche ich auch nicht weiter darauf eingehen.
Die "Beichte Stawrogins" (...) enthält ein besonders fies konstruiertes fiktives Missbrauchsszenario, welches decouvrierend mit Moralvorstellungen zum Themenkomplex Sünde/Verführung operiert (wobei zusätzlich verwirrend der Kontext beachtet werden muss) Ich habe mich daran erinnert und dich gefragt, ob du es kennst.
(ist darin zu wenig Inhalt/Information?)
 
Also, hier wird doch nur noch des Widersprechens willen widersprochen. Ist es denn Sinn eines Forums, den anderen willentlich misszuverstehen?

Mal ein Beispiel. Du hast Die Dämonen erwähnt. Aus ehrlichem Interesse, habe ich gefragt, was du mit deiner Frage aussagen möchtest. Du hast geantwortet, es handle sich nicht um ein Argument, unser Gespräch habe dich lediglich daran erinnert. Also habe ich das als freundliche Lesempfehlung verbucht. Was es da noch zu diskutieren gibt, erschließt sich mir nicht. Willentliches Mißverstehen: Ich spreche von einer bestimmten Aussage, die unser Gespräch weiterbringen könnte und du redest davon, ich hätte behauptet, dein Beitrag hätte keinen Inhalt. So dreht man sich nur im Kreis.


Gut, wenn er das in deinem Sinne gemacht hat, folgendes. Du hast nicht wie Shinigami behauptet von Kirche sondern von Christentum gesprochen. Das du "das Christentum" in Gänsefüßchen gesetzt hast, zeigt mit übrigens, dass du offenbar auch der Ansicht bist, dass es das wahre Christentum nicht gibt. Und wenn man es nicht "das Christentum" gibt, gibt es auch nicht "die Moralvorstellungen" des Christentums. Ergo lässt sich die Frage nach dem Einfluss auf das Alltagsleben kaum beantworten. Jedenfalls nicht allgemeingültig. Nichts anderes habe ich in meinem Beitrag zu formulieren versucht.

Zweites Mißverstehen: Ich habe gar nicht von Texten gesprochen, wie Shinigami behauptet, sondern von einem Leitfaden fürs Leben.

Der ganze Beitrag geht völlig an meiner Aussage vorbei. Viele Christen sehen Gott als moralische Instanz. Sehr oft hört man, dass menschliche Moral ja subjektiv wäre und nur Gott eine objektive Moral geben könne. Auch die Kirchen sehen sich auch als moralische Instanz. Hier geht es nicht um Gesetzestreue und AGBs, die das im voraus garantieren sollen. Es geht um den Selbstanspruch des Christentums und ob dieser gerechtfertigt ist.

welche Deutung des Verbs einpflanzen schlägst du vor, wenn meine dir unlauter und inhaltlich nicht passend vorkommt?
"Einpflanzen" bedeutet nicht automatisch von Machtintrumenten zu sprechen. Das gibt das Wort einfach nicht her. Zumal es sich um bildliche Sprache handelt. Das legst du, wie ich finde zu Unrecht, in das Wort hinein. Deine Frage habe ich bereits beantwortet, indem ich ein Beispiel genannt habe, in dem Höllenvorstellungen "weitergegeben" oder "eingepflanzt" werden, ohne dass es um Macht geht, sondern aus ehrlicher Sorge heraus.
 
So dreht man sich nur im Kreis.
dir ist aufgefallen, dass Stawrogins Beichte in den Kontext zu deinen Ausführungen über Sünder/Verführung und Missbrauch passt? Ich konnte nicht wissen, ob du diese kennst, deswegen hatte ich die inhaltliche Anknüpfung nachgereicht - ist das nun ein Grund, hier zornig zu poltern, zu schimpfen, Vorhaltungen zu machen? Ich denke: nein.
Das du "das Christentum" in Gänsefüßchen gesetzt hast, zeigt
primär deutliche Distanz zu den pauschalen Inhalten, auf welche ich mit Wie weit in den Alltagleben reichte die Macht der Kirche(n)? reagiert hatte.

"Einpflanzen" bedeutet nicht automatisch von Machtintrumenten zu sprechen. Das gibt das Wort einfach nicht her. Zumal es sich um bildliche Sprache handelt. Das legst du, wie ich finde zu Unrecht, in das Wort hinein. Deine Frage habe ich bereits beantwortet, indem ich ein Beispiel genannt habe, in dem Höllenvorstellungen "weitergegeben" oder "eingepflanzt" werden, ohne dass es um Macht geht, sondern aus ehrlicher Sorge heraus.
(mit Verlaub) willst du mir ernstlich weismachen, dass "einpflanzen" als "weitergeben (...) aus ehrlicher Sorge heraus" in diesem Satz
psychische Gewalt ist es doch schon, den Menschen schreckliche Höllenvorstellungen einzupflanzen.
aufzufassen sei???
Sollen wir eine linguistische Ersetzungsprobe machen: psychische Gewalt ist es doch schon, den Menschen schreckliche Höllenvorstellungen aus ehrlicher Sorge heraus weiterzu... ... das wird inhaltlich ziemlich unsinnig, wenn man sich das Subjekt des Satzes anschaut, oder?

Nebenbei: im Zusammenhang mit schrecklichen Höllenvorstellungen (@Dion hat sich ausführlich über Fegefeuer etc ausgelassen) habe ich darauf hingewiesen, dass unerfreuliche Jenseitsvorstellungen kein Alleinstellungsmerkmal des "Christentums" sind - Hades/Orkus und Hel sind unabhängig vom "Christentum" sehr unerfreuliche Aussichten für die ewige Ruhe gewesen. Erschreckende Jenseitsvorstellungen waren offenbar in verschiedenen Kulturkreisen ... wie soll man sagen ... vorhanden.

Und ich habe wieder "Christentum" in "" "" gesetzt - wir sind uns völlig einig, dass dieses aus vielen verschiedenen Facetten/Strömungen besteht, und diese sind sich nicht alle inhaltlich einig.
 
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