WK-1: "Deutschland trug zweifellos große Schuld am Kriegsausbruch"

Entschuldigt mein angerichtetes Chaos. Ich hatte erst nach meinem Post die Forenregel über das Verlinken gelesen.

Hier nun noch mal auf andere Weise, um wen/was es ging:

Ich hoffe, auf diese Weise ist es ok? @El Quijote?
 
Du kennst es inhaltlich nicht und fällst trotzdem ein Urteil. Ich denke, das Erinnerungen von Zeitzeugen helfen können, die betrachteten Zeiträume, Ereignisse, Personen und deren Motive, zu verstehen.

Entschuldigung mal bitte.

Es war auf die Seite einer bekannten Onlinehandelsplattform verlinkt worden, auf einen Titel namens "Karl Theodor Helfferich: Weltkrieg Vorgeschichte" (Link aus bekannten Gründen nicht)

Das Werk wird dort unter anderem mit folgender Formulierung angepriesen:

"[...] Bis ins kleinste Detail geht der Kenner dieser Ereignisse der historischen Entwicklung in den beteiligten Staaten Russland, Serbien, Frankreich, England, Österreich-Ungarn, Deutschland und der Türkei nach. Ihm ist es wichtig, nachzuweisen, dass der deutsche Kaiser Wilhelm II. und die deutschen Politiker alles versucht haben, den drohenden Krieg zu verhindern, dass vielmehr vor allem Russland und Frankreich alle diese Bemühungen torpedierten. Als der Ausbruch des Krieges dann nicht mehr zu abzuwenden war, offenbarte sich die euphorische Begeisterung der von glühender Vaterlandsliebe beseelte Hurrah-Patriotismus jener Zeit. [...]"


Wie sollte man denn deiner Meinung nach, einen solchen hier beschreibenen Versuch der Entlastung des Kaisers und der Regierung Bethmann-Hollweg deuten, wenn nicht als Rechtfertigungsliteratur?

Behaupten Kaiser und Regierung "hätten alles versucht, um den drohenden Krieg zu verhindern", setzt wohl vorraus, den "Blankoschek" und das Ablehnen einer Großmächtekonferenz zur diplomatischen Bereinigung der Situation durch die Regierung Bethmann-Hollweg wohlwollend zu ignorieren oder irgendwie ins Gegenteil verdrehen zu wollen.


Alleine der Umstand, wo dieser Mann während und vor allem auch nach dem Ersten Weltkrieg stand, sprechen da Bände.

Er trat während des Krieges in die Regierung ein und wurde nach Ende des Krieges einer der Wortführer der DNVP, war über seinen Einfluss bei der "Kreuzzeitung" und sein Reichtagsmandat jemand, der durchaus seinen Anteil daran hatte die Dolchstoßlegende breit zu treten und dabei half unter anderem die Finanzierung rechtsextremer Freikorpsverbände ins Werk zu leiten, beschimpfte diejenigen, die den Krieg abgewickelt hatten öffentlich als "Novemberverbrecher" und dergleichen.


Wenn von dieser Seite dann zufällig "kenntnisreich" belegt wird, dass Kaiser und Deutsche Regierung am Krieg völlig unschuldig waren und immer schon versucht hatten das zu verhindern, während aber die Bösen Russen und Franzosen..................... dann denke ich brauchen wir uns über die Plausibilität dessen nicht zu unterhalten.

Zumal Helfferich während der Juli-Krise kein politischer Insider war. Er saß zu dem Zeitpunkt im Zentralausschuss der Reichsbank, nicht in der Regierung.
Hatte also keinenumfassenden Einblick in die Interna der deutschen Außenpolitik.
Insofern nicht zu erwarten, dass dort irgendwelche Insiderkenntnisse vorhanden waren, was den Juli '14 betrifft.


Wenn du der Meinung bist, ausgerechnet da einen wertvollen Beitrag zur Klärung der Sachlage zu finden, kannst du das gerne begründen.
 
Ich habe ganz generell meine Meinung zu Zeitzeugen und Quellen geäußert. Des Weiteren bevorzuge ich es mir selbst eine Meinung zu bilden, und nicht das mir vorgekaute eines Dritten zu übernehmen. Nicht selten, haben die nämlich auch eigene Präferenzen.

Den/die Links waren für mich zum Zeitpunkt des Schreibens meines Beitrages nicht vorhanden und somit auch nicht einsehbar. Aber wie gesagt: Ich bevorzuge es mir selbst eine Meinung zu bilden oder wenn ich eine Rezension lese, dann einer, der ich vertraue.
Wenn du der Meinung bist, ausgerechnet da einen wertvollen Beitrag zur Klärung der Sachlage zu finden, kannst du das gerne begründen.

Wie kommst zu dieser Ausführung? Wo habe ich irgendetwas in diese Richtung denn behauptet????

Das hier habe ich geschrieben! Vielleicht kannst du mir ja erläutern, was daran auszusetzen ist.
Natürlich ist bei Erinnerungen Vorsicht geboten und es kann selbstvertständlich nicht das Dargestellte einfach 1:1 übernommen werden.

Und bei Wikipedia ist ebenfalls große Vorsicht geboten. Eine Quelle vonlängst nicht immer zuverlässigen Wert. Dort hängt viel von denjenigen ab, die die Befugnis haben, Beiträge freizuschalten oder im Nachhinein zu korrigieren oder gar zu löschen.

Shinigami schrieb:
Das Werk wird dort unter anderem mit folgender Formulierung angepriesen:

Wer hat es so angepriesen?
 
Zuletzt bearbeitet:
Den/die Links waren für mich zum Zeitpunkt des Schreibens meines Beitrages nicht vorhanden und somit auch nicht einsehbar.

Deswegen habe ich das im vorangegangenen Posting noch einmal erläutert.

Ich habe ganz generell meine Meinung zu Zeitzeugen und Quellen geäußert
Du hast mir durch die Blume vorgeworfen Quellen zu ignorieren und ohne triftigen Grund abzuqualifizieren.

Abqualifiziert habe ich das, aber nicht ohne trifftigen Grund und der liegt vor allem darin, dass mir bekannt war, mit wem man es bei dem guten Herrn Helfferich zu tun hat und wie viel Liebe zur Wahrheit und zu den Tatsachen bei einem passionierten rechtsextremen Dolchstoßlegendenerzähler wohl in Sachen Kriegsschuldthematik zu erwarten sein wird.

Und bei Wikipedia ist ebenfalls große Vorsicht geboten. Eine Quelle vonlängst nicht immer zuverlässigen Wert. Dort hängt viel von denjenigen ab, die die Befugnis haben, Beiträge freizuschalten oder im Nachhinein zu korrigieren oder gar zu löschen.
Die relevanten Passagen im Wikiartikel, hinsichtlich der Organisation der Finanzierung äußerst zweifelhafter Gruppen und der Dolchstoßlegende sind dort ordentlich bequellt.

Im Gegensatz zu den postulierten Mordaufrufen, die sind nicht explizit bequellt, deswegen habe ich die auch nicht angeführt.
Du darfst mir durchaus zutrauen, dass ich bei Wiki-Artikeln darauf schaue, was mir fundiert genug und hinreichend bequellt erscheint.
 
Alleine der Umstand, wo dieser Mann während und vor allem auch nach dem Ersten Weltkrieg stand, sprechen da Bände.

Ich weiß, dass der Herr Mitglied der DNVP gewesen war. Da gibt es aber ganz andere Fälle. Soll ich diese aufzählen?

Behaupten Kaiser und Regierung "hätten alles versucht, um den drohenden Krieg zu verhindern", setzt wohl vorraus, den "Blankoschek" und das Ablehnen einer Großmächtekonferenz zur diplomatischen Bereinigung der Situation durch die Regierung Bethmann-Hollweg wohlwollend zu ignorieren oder irgendwie ins Gegenteil verdrehen zu wollen.

Möchtest du eine Diskussion über die Julkikrise starten? Deine kurze, emotionale Einlassung erinnert an Fritz Fischer. Da ließe sich so einiges entgegnen.
 
Du hast mir durch die Blume vorgeworfen Quellen zu ignorieren und ohne triftigen Grund abzuqualifizieren.
Vorgeworfen?? Wo?
Ich habe festgehalten, das du dir vorgekaute Meinung Dritter übernimmst. Würde ich so nicht machen.

Eine Diskussion um und über Helfferich habe ich überhaupt nicht begonnen. Meine Ausführungen waren genereller Natur.

Die relevanten Passagen im Wikiartikel, hinsichtlich der Organisation der Finanzierung äußerst zweifelhafter Gruppen und der Dolchstoßlegende sind dort ordentlich bequellt.

Das glaube ich. Wikipedia ist aber, ich spreche da aus Erfahrung, von Fall zu Fall sehr einseitig. Hängt immer von der jeweiligen Person ab. Ausführungen, die ebenfalls sehr sorgfältig und mehrfach belegt sind, werden entfernt und das mit unfassbar dümmlichen Begründungen.

Du darfst mir durchaus zutrauen, dass ich bei Wiki-Artikeln darauf schaue, was mir fundiert genug und hinreichend bequellt erscheint.

Man oh man; du bist ja arg auf dem Schlips getreten für nichts und wieder nichts. Du weißt doch gar nicht möglicherweise wie der Artikel mal ursprünglich ausgesehen hat. Bei Wikipedia ist m.E. nach Vorsicht geboten.
 
Ich weiß, dass der Herr Mitglied der DNVP gewesen war. Da gibt es aber ganz andere Fälle. Soll ich diese aufzählen?
Mach mal.

Zähl mal Fälle von republikfeindlichen DNVP-Lautsprechern, mit Dolchstoßlegenden- und Freikorpsaffinität auf, die in Sachen Kriegsschuldfrage einigermaßen ausgewogene Positionen vertreten haben.
Ich wäre gespannt.

Möchtest du eine Diskussion über die Julkikrise starten?
Diskussionsstränge, die dieses Thema erörtern haben wir doch hinreichend?

Deine kurze, emotionale Einlassung erinnert an Fritz Fischer. Da ließe sich so einiges entgegnen.

Ich dachte eigentlich in der Bewertung des Blankoscheks und dem Ablehnen der Konferenzlösung als nicht unbedingt "Kriegsvermeidend" wären wir uns einig?
Genau so wir darin, dass Fischers Hauptschuldpostulat, so wie er das vorgetragen hat auf Sand gebaut ist.


Aber bei aller berechtigten Kritik an Fischer, versuche die Deutsche Regierung aus der Verantwortung zu nehmen (damit meine ich, um das ganz klar zu machen, nicht dich, sondern Helfferichs Schrieb), sind jenseits dessen, was man als ausgewogene Betrachtung ernst nehmen könnte, bei der Sachlage.
 
Mach mal.

Zähl mal Fällen von republikfeindlichen DNVP-Lautsprechern, mit Dolchstoßlegenden- und Freikorpsaffinität auf, die in Sachen Kriegsschuldfrage einigermaßen ausgewogene Positionen vertreten haben.
Ich wäre gespannt.
Ich will hier Helffrich keinesfalls im Schutz nehmen. Dafür weiß ich viel zu wenig über ihn. Nur fälle ich nicht gleich Urteile, weil XYZ irgendetwas negatives geschrieben hat.

Gab es überhaupt jemanden, der nach dem Versailler Diktat eine ausgewogene Meinung und die eigene Schuld gesehen und anerkannt hat?
 
Frage an die Versierten: Hatte die Entente eigentlich detaillierte Pläne dafür in der Schublade, was zu tun wäre, wenn die Reichsregierung die Unterzeichnung des Vertrags von Versailles verweigert hätte? Ich meine damit nicht lose Absichtserklärungen bezüglich Annexionen oder dergleichen, sondern konkrete Konzepte zur Inbesitznahme mitsamt erforderlichem Kräfteansatz. Wenn man bspw. die Geschehnisse in Frankreich 1871 betrachtet, scheint es mir äußert fraglich, dass man signifikante Teile des Deutschen Reiches überhaupt langfristig hätte besetzen können. Jedenfalls nicht zu einem für die Siegermächte vertretbaren Preis.
 
Die Frage kann ich dir leider nicht zuverlässig beantworten.
Was ich weiß, ist, das die Briten ihre Bereitschaft für ein gemeinsames Vorgehen, insbesondere bei einer militärischen Konfrontation, eben wenn Deutschland sich weigern würde den Vertrag zu unterzeichnen, zunehmend infrage stellten.

Schwabe, Quellen zum Friedensschluss, Protokoll des Rates der Vier vom 02.06.1919, S.305-310
 
Frage an die Versierten: Hatte die Entente eigentlich detaillierte Pläne dafür in der Schublade, was zu tun wäre, wenn die Reichsregierung die Unterzeichnung des Vertrags von Versailles verweigert hätte? Ich meine damit nicht lose Absichtserklärungen bezüglich Annexionen oder dergleichen, sondern konkrete Konzepte zur Inbesitznahme mitsamt erforderlichem Kräfteansatz. Wenn man bspw. die Geschehnisse in Frankreich 1871 betrachtet, scheint es mir äußert fraglich, dass man signifikante Teile des Deutschen Reiches überhaupt langfristig hätte besetzen können. Jedenfalls nicht zu einem für die Siegermächte vertretbaren Preis.
So weit ich weiß gab es intern bei der Entente die Übereinstimmung sich in einem ersten Schritt auf Besetzungen deutschen Territorium westlich der Weser zu beschräken (Ruhrgebiet und die dortige Industrie als Faustpfand in die Hand bekommen), aber keine genauen Vorstellungen darüber, was passieren würde, wenn auch das nicht gefruchtet hätte, zumal es ja bei der Entente nach wie vor sehr unterschidliche Zielvorstellungen gab.
Von französischer Seite her hätte man ja zu gern idealerweise die Reichseinheit wider rückabgewickelt, oder jedenfalls weitere Territorien vom Reichsgebiet abtrennen wollen (Rheinischer Pufferstaat) und eine Wiederaufnahme der Kampfhandlungen durch Ablehnung des Vertrags wäre natürlich theoretisch die Gelegenheit gewesen (wenn das nicht möglicherweise zu Meutereien bei den Truppen geführt hätte), von im Besonderen britischer Seite her verfolgte man ja eher das Innteresse Deutschland intakt zu halten, von amerikanischer Seite her, sich zurück zu ziehen.

Das sehr wahrscheinlich für eine flächendeckende Besetzung Deutschlands über die westlichen Gebiete hinaus keine kaum Kräfte vorhanden waren, dürfte durchaus hinkommen.

Man war ja auch auf Seiten der Entente nach dem Ende der Kampfhandlungen Ende 1918 relativ zügig zu Teildemobilmachungen übergegangen.
Bei den Briten, die ja vor dem Weltkrieg keine Wehrpflicht hatten, schon aus dem Grund, dass das neue Landheer enorm kostenintensiv war, bei den Frazosen ja schon deswegen, weil es wegen der Verwüstungen schnell mit dem Wiederaufbau losgehen musste, im Besonderen was die durch den Krieg in Mitleidenschaft gezogene Industrie in französisch-lothringen und in den kriegsbetroffenen Nord-Departements angeht.

Zudem befanden sich Teile der aktiven Kräfte der Entente ja noch auf anderen Schauplätzen z.T. um die deutschen Kolonien und die Mandatsgebiete aus der Konkursmasse des Osmanischen Reiches in Besitz zu nehmen und zum Teil auch bereits in Russland, wo ja der Bürgerkrieg und die Interventionen der Westmächte noch liefen.


Eine Zurückweisung des Versailler Vertrags Seitens Deutschland hätte wahrscheinlich lediglich zu begrenzten territorialen Besatzungen Deutschen Gebietes im Westen geführt, allerdings hätte das mit dem Ruhrgebiet einen Großteil von Deutschlands Energiereserven (damit auch Stromversorgung und Eisenbshnsystem) und Industriekapazität betroffen und die Problematik "Seeblockade" wäre von deutscher Seite her ja auch nicht vom Tisch gewesen (allerdings verheerend wegen der Versorgungslage).

Von dem her, denke ich, dass die Entente-Mächte zur Durchsetzung der Forderungen auch nicht viel mehr benötigt hätten, als zunächst territorial relativ bescheidene Fauspfänder im Westen um sich durchzusetzen. In Sachen Versorgungslage hätte man Deutschland relativ schnell vollständig in der Hand gehabt.
Es sei denn der Beschluss zur Wiederaufnahme des Krieges und der Befehl wieder zu marschieren und Teile Deutschlands zu besetzen hätte bei den kriegsmüden noch verbliebenen Truppen zu Meutereien geführt.
 
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Frage an die Versierten: Hatte die Entente eigentlich detaillierte Pläne dafür in der Schublade, was zu tun wäre, wenn die Reichsregierung die Unterzeichnung des Vertrags von Versailles verweigert hätte? Ich meine damit nicht lose Absichtserklärungen bezüglich Annexionen oder dergleichen, sondern konkrete Konzepte zur Inbesitznahme mitsamt erforderlichem Kräfteansatz. Wenn man bspw. die Geschehnisse in Frankreich 1871 betrachtet, scheint es mir äußert fraglich, dass man signifikante Teile des Deutschen Reiches überhaupt langfristig hätte besetzen können. Jedenfalls nicht zu einem für die Siegermächte vertretbaren Preis.

Das ist sicher richtig, und die Ruhr-Besetzung zeigte, dass man so etwas eben auch nicht unbegrenzt wiederholen konnte.

Es hat die deutsche Delegation, es haben Leute wie Graf Brockdorf Rantzau ja durchaus ernsthaft erwogen, die Unterschrift zu verweigern, aber der Punkt war, dass die Verweigerung nichts als ein symbolischer Akt sein konnte.

Deutschland hatte bis fünf vor Zwölf Krieg geführt, es konnte keinen Widerstand mehr leisten, und es unterzeichnete den Vertrag, weil es musste, weil es gar keine Alternative mehr gab. Deutschland war geschlagen, Deutschland brauchte Frieden, und die Realitäten nicht zur Kenntnis zu nehmen, konnte seine Lage nicht verbessern, die Alliierten brauchten ja nur die Blockade aufrecht zu erhalten. Es sind während des Krieges mehrere Zehntausend Menschen an Unterernährung zugrunde gegangen. Unzählige Zivilisten, vor allem Kinder waren seit Jahren unterernährt. Eine Verweigerung machte die Friedensbedingungen nicht maßvoller, die D über kurz oder lang ohnehin würde hinnehmen müssen.

So gesehen hatte die deutsche Delegation gar keine andere Wahl, als zu unterschreiben. Eine Verweigerung konnte die deutsche Position nicht verbessern, wenn man dann einige Wochen oder Monate später gezwungen wäre, noch härtere Forderungen zu akzeptieren.

Das wäre gegenüber der Bevölkerung eben auch absolut unverantwortlich gewesen. Bei Blockade und Hungersnot und gleichzeitig grassierender spanischer Grippe wären die Folgen für die deutsche Bevölkerung noch weit desaströser und unzumutbarer gewesen.

Das war eben auch keine realistische Option, es blieb Deutschland gar nichts anderes übrig, als den Friedensvertrag zu unterzeichnen,
 
Was tragen Spekulationen darüber, was geschehen wäre, wenn der Versailler Vertrag nicht unterschrieben worden wäre und ob es da alliierte Planungen für diesen Fall gab, zum Fadenthema bei?
Ich verstehe das plötzliche wegdriften vom Thema nicht.
 
...noch eine irgendwie ärgerliche Impression: dass man textkritisch Intentionen/Haltungen eruiert, ist philologische Redlichkeit - dass aber retrospektiv eine willkürliche Gesinnungsprüfung über Texte/Autoren gestülpt wird (der war dann und dort später hier und da) und sie damit abgeurteilt werden, verlässt nach meinem Ermessen die Gepflogenheiten textkritischer Interpretation.
 
Frage an die Versierten: Hatte die Entente eigentlich detaillierte Pläne dafür in der Schublade, was zu tun wäre, wenn die Reichsregierung die Unterzeichnung des Vertrags von Versailles verweigert hätte?
Lt. Wiki wurde die Seeblockade einfach aufrecht erhalten um die Unterschrift zu erzwingen.

"Die effektive Seeblockade, die die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Chilesalpeter und Kolonialwaren im Allgemeinen sehr erschwerte,[6] wurde auch nach dem Waffenstillstand vom November 1918 bis zum 12. Juli 1919[7] fortgeführt, um die Zustimmung zur Unterzeichnung der Pariser Vorortverträge im Sommer 1919 zu erzwingen. Sie wurde erst danach aufgehoben.[8][9][10]"
 
Frage an die Versierten: Wurde in Berlin als Alternative zum Schlieffen-Plan zur Lösung der Zwei-Fronten-Problematik eigentlich jemals eine rein defensive Haltung im Westen durchexerziert? Und wenn ja, mit welchem Argument wurde sie verworfen?

Das Reich sah sich zwei Gegnern gegenüber – dem schnell mobilisierenden, aber kleineren Frankreich und dem langsamer mobilisierenden, aber wesentlich größeren Russland. Warum also nicht sich mit voller Kraft Russland zuwenden und Frankreich lediglich an der Überschreitung der Grenze hindern?

Ohne Verletzung der belgischen Neutralität wäre Großbritannien keineswegs automatisch aufseiten Frankreichs in den Krieg eingetreten, wenn ich die Ausführungen @Turgot's richtig verstanden habe.

Woher kam die Befürchtung, dass Frankreich sich im Westen alleine zwangsläufig durchgesetzt hätte, selbst unter den Bedingungen eines Zwei-Fronten-Krieges? Der vorbereitete Verteidiger ist dem Angreifer gegenüber immer in der besseren Ausgangsposition und kann eine Überlegenheit von 3:1 wettmachen. Kämpft er in schwierigem Gelände wie Wäldern, Gebirgen, Städten oder führt ein Verzögerungsgefecht, braucht der Angreifer sogar eine Überlegenheit von 7 bis 10:1, um sich durchzusetzen.
 
Frage an die Versierten: Wurde in Berlin als Alternative zum Schlieffen-Plan zur Lösung der Zwei-Fronten-Problematik eigentlich jemals eine rein defensive Haltung im Westen durchexerziert? Und wenn ja, mit welchem Argument wurde sie verworfen?
Bis April 1913 gab es auch den sog. Großen Ostaufmarsch-Plan als Alternative zum Schlieffenplan, der Defensive im Westen und Offensive im Osten vorsah. Ich finde es auch unverständlich, dass dieser Plan nicht zumindest als Alternative weiter gepflegt worden ist.

Ein Grund, weshalb man den Schlieffenplan präferierte, könnte gewesen sein, dass man aufgrund der Größe Russlands dort wohl keine militärische Entscheidung hätte erzwingen können, bevor Russland seine Mobilisierung abgeschlossen hatte und man hätte auch bei Erfolg des Plans einen Zweifrontenkrieg führen müssen, es sei denn, Frankreich wäre neutral geblieben, womit man aber wohl nicht rechnen konnte.

Das Reich sah sich zwei Gegnern gegenüber – dem schnell mobilisierenden, aber kleineren Frankreich und dem langsamer mobilisierenden, aber wesentlich größeren Russland. Warum also nicht sich mit voller Kraft Russland zuwenden und Frankreich lediglich an der Überschreitung der Grenze hindern?
Im Nachhinein betrachtet, wäre das sicher besser gewesen. Man hätte vermutlich relativ leicht Polen und Teile des Baltikums erobern können und hätte dann versuchen können, Frieden zu schließen ohne Grenzänderungen im Westen und begrenzten Änderungen im Osten.

Ohne Verletzung der belgischen Neutralität wäre Großbritannien keineswegs automatisch aufseiten Frankreichs in den Krieg eingetreten, wenn ich die Ausführungen @Turgot's richtig verstanden habe.
Die Verletzung des belgischen Neutralität war nicht der einzige Grund und eventuell auch nicht der Hauptgrund für den Eintritt Großbritanniens in den Krieg. Entscheidend war wohl die Überlegung, dass man, wäre man neutral geblieben, entweder mehr oder weniger allein einem siegreichen Deutschland gegenüber gestanden hätte oder Frankreich und Russland eben ohne das UK den Krieg gewonnen hätten und dann auf das UK als Partner nicht mehr angewiesen wären und aufgrund der Neutralität desselben sich vermutlich auch verraten gefühlt hätten.

Diese Überlegung wäre beim Ostaufmarschplan nicht weggefallen, aber dennoch denke ich, dass die Wahrscheinlichkeit für den Kriegseintritt Großbritanniens deutlich gesunken wäre. Für den Zaren zu sterben wäre im UK sicher nicht sehr populär gewesen.
 
Ohne Verletzung der belgischen Neutralität wäre Großbritannien keineswegs automatisch aufseiten Frankreichs in den Krieg eingetreten, wenn ich die Ausführungen @Turgot's richtig verstanden habe.

Zwei Tage vor Beginn des Krieges, ließ der britische König Georg V. den Außenmionister Sir Edward Grey zu sich kommen. Das Gespräch dauerte insgesamt 90 Minuten.
Grey hatte damals ausgeführt, er könne unmöglich sehen, welchen zu rechtfertigenden Grund England finden könnte, um in dem Krieg zu ziehen.
Georg V. hatte geantwortet:" Sie müssen einen Grund finden, Grey." Deutschland würde mit Frankreich aufräumen und, nachdem es Europa erledigt hätte, dieses Land vollständig domminieren. Deshalb sei es absolut notwendig, einen Grund zu finden, um sofort in den Krieg einzutreten.
Dieses bedeutende Dokument, es kann gar nicht von seiner Wichtigkeit unterschätzt werden, hat der Urgroßneffe von Sir Edward Grey Adrian Graves im Nachlass seines Großvaters Sir Cecil Graves, also den Schwager Greys, gefunden. Das maschinengeschriebene Blatt protokolliert ein Gespräch Graves und dem britischen König Georg V..vom 08.Oktober 1933. Graves publizierte dieses Dokument im Sommer 2014. Es wurd am 26.Juli 2014 vom Dailey Telegraph veröffentlicht. Es ist schon sehr eigenartig, das diese so wichtige Publikation für die Forschung praktisch keine Aufmerksamkeit erzeugte.

Jedenfallls wird klar, weshalb Großbritannien tatsächlich in dem Krieg zog. Belgien spielte dabei in den Überlegungen überhaupt gar keine Rolle; ebenso wenig wie Luxemburg, für das man ja auch bekanntermaßen 1867 eine die Neutralität garantiert hatte.

Großbritannien wäre also auf jeden Fall in dem Krieg eingetreten.

Hervorhebung durch mich.

Woher kam die Befürchtung, dass Frankreich sich im Westen alleine zwangsläufig durchgesetzt hätte, selbst unter den Bedingungen eines Zwei-Fronten-Krieges? Der vorbereitete Verteidiger ist dem Angreifer gegenüber immer in der besseren Ausgangsposition und kann eine Überlegenheit von 3:1 wettmachen. Kämpft er in schwierigem Gelände wie Wäldern, Gebirgen, Städten oder führt ein Verzögerungsgefecht, braucht der Angreifer sogar eine Überlegenheit von 7 bis 10:1, um sich durchzusetzen.

Ich verstehe nicht so ganz. Im deutschen Generalstab gab es m.W. nach keine Befürchtung, das sich Frankreich im Westen alleine, also alleine an der Westfront, gegen Deutschland durchsetzten könnte. Das Alpha und Omega des deutschen Angriffsplans war die Geschwindigkeit und die würde natürlich beeinträchtigt werden, wenn ein britisches Expeditionskorps von 100.000 Soldaten auf Seiten Frankreich kämpft. Schlieffen führte in der Großen Denkschrift von 190 aus, "es kommt darauf an, den Vormarsch des rechten Flügels zu beschleunigen. Eine beständige Aufmerksamkeit und eine geeignete Verteilung der Marschstraßen ist in den Armeeführern nötig."

"Wenn die Franzosen die Oise und Aisne geräumt und sich hinter die Marne, die Seine pp. zurückgezogen haben,...so würde dies zu einen endlosen Krieg führen." So weit Schlieffen.

Problematisch war das Straßennetz Belgiens für solch große Truppenmassen. Die 1.Armee des Generalobersten Alexander von Kluck am äußersten rechten Flügel legte zwischen den 18.August und dem 05.September 415 Kilometer zurück. Knapp 22 Kilometer pro Tag. Die Truppen sollten per Eisenbahn in die richtige Ausgangsposition für die große Schwenkung gebracht werden und über die belgischen und französischen Straßen in der sechsten Woche nach der Mobilmachung die Außenbezirke von Paris erreichen Dort würde aber ihre Stärke nur dann für eine siegreiche Entscheidungsschlacht ausreichen, wenn sie von acht Armeekorps, 200.000 Soldaten, begleitet würden, für die jedoch gar kein Platz vorhanden war.

Die tägliche Höchstleistung bei einem gewaltmarsch lag bei ca.32 km. Konnte ein Armekorps auf einer einzigen Straße nicht vorankommen, befan sich das Ende einer 29 km langen Marschkolonne am Ende des Tages immer noch in der Nähe des Abmarschpunktes. Auf zwei paralellen Straßen konnten die Letzten die Hälfte der Strecke zurücklegen. Im Idealfall mussten die Einheiten nicht hintereinander, sondern nebeneinander vorrücken, sodass am Ende des Tages alle das 32 km Tagesziel erreicht haben.Tatsächlich waren aber Paralellstraßen bestenfalls im Abstand von einen ioder zwei kilometern zu finden. Da eine große Schwenkungsbewegung über eine Frontbreite von 300 km mit 30 Armeekorps vorangetrieben werden sollte, verfügt jedes Korps über eine Frontlinie von mal eben 10 km, an der es vorrücken konnte. Dort gab es höchstens sieben paralelle Straßen. Das reichte nicht aus, Das war ein gravierender Nachteil, der es sehr, sehr schwer machte, in dem Radius der Schwenkung noch mehrTruppen hineinzuzwängen.

Wenn also die acht Armeekorps, die Schlieffen für die Umsetzung seines Planes benötigte, rechtzeitig auf dem entscheidenden Schauplatz eintreffen sollten, hätten sie nicht nur weiter, sondern auch deutlich schneller marschieren müssen; sie hätten auch dieselben Straßen benutzen müssen, auf denen aber schon andere Armeekorps marschierten.

Geschwindigkeit war das überragende Element. Was Schlieffen icht vorhersah, waren eben die Briten, die sich in die französische Front an einem Abschnitt einreihen würden, wo sie den deutschen Vormarsch erschweren würden. Das kann man Schlieffen aber nicht vorwerfen, denn die Besprechungen zwischen Frankreich und England begannen erst im Dezember 1905, als Schlieffen seine Große Denkschrift bereits abgeschlossen hatte.
 
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Frage an die Versierten: Wurde in Berlin als Alternative zum Schlieffen-Plan zur Lösung der Zwei-Fronten-Problematik eigentlich jemals eine rein defensive Haltung im Westen durchexerziert? Und wenn ja, mit welchem Argument wurde sie verworfen?
Es gab bis 1913, den sogenannten "Großen Ostaufmarsch" oder "Ostaufmarsch", der das anders herum geplant hätte, also Defensive im Westen gegen Frankreich, Offensive im Osten gegen Russland.

Ergänzend zu @Nikias

Der Aufmarsch Ost hätte einen Abnutzungskrieg vorrausgesetzt. Dies hätte, da die konventionelle Sprengstoffproduktion bis in den ersten Weltkrieg hinein auf chilenischem Salpeter basierte allerdings vorrausgesetzt die Atlantikrouten frei zu halten um Deutschlands Teilnahme am Weltmarkt weiterhin zu ermöglichen.

Das aber war ganz von der Haltung Großbritanniens zu einem Krieg abhängig, da klar war, dass wenn die Briten auf der Seite der Entente mitgehen und eine Seeblockade aufziehen würden, dass in einer Sackgasse enden musste, weil man gegen die britsiche Flotte nicht ankam und ohne die Aufrechterhaltung der Sprengstoff- und Munitionsproduktion nicht auf einen Erschöpfungskrieg setzen konnten.

Erschwerend hinzu kommem der Ausbau des strategischen Bahnnetzes in Russland und die russischen Heeresvermehrungen ab 1912, die es natürlich schwerer machten im Osten große Anfangserfolge zu erziehlen und möglichst große Teile von Polen und Litauen zu besetzen um den Krieg von deutschem Gebiet weg zu halten und Teile von Russlands Industrie (Polen) wegzunehmen.

Und dann kommt sicherlich noch das Risikio hinzu, dass der Ost-Aufmarsch immer bot und dass man einpreisen musste:

1. Befanden sich 70-75% der deutschen Einsenerzförderung im deutschen Teil von Lothringen. Wäre dass den Franzosen in die Hände gefallen, wäre das für die deutsche Waffen- und Munitionsproduktion tötlich gewesen.
Das Festungsareal Metz-Diedenhofen war zwar sehr gut ausgebaut, so dass es unwahrscheinlich war, dass die Franzosen hier kurzfristig etwas hätten ausrichten können.
Da es dahiner aber keine Verteidigungslinie mehr gab von wo aus man die wichtigen Erzvorkommen hätte sichern können, hätten die Festungen im Zweifel Monate bis Jahre franzsösischen Angriffen standhalten müssen, was natürlich die Gefahr erhöht hätte, dass die Frannzosen im Zeitablauf irgendeine Schachstelle hätten finden können.

2. Wenn man selbst mit dem Gedanken spielte via Luxemburg, Belgien und womöglich Teile der Niederlande anzugreifen (Schlieffens ursprüngliche Planung hatte noch einen Durchmarsch durch die niederländische Provinz Limburg enthalten), musste man natürlich damit rechnen, dass die Frannzosen möglicherweise auch so dachten.
Hätte Deutschland seine Hauptkräfte im Osten benötigt hätte das natürlich zu einer nummerischen Überlegenheit der Franzosen im Westen geführt oder führen können und die hätte man von französischer Seite, wenn das erkannt worden wäre natürlich nutzen können um vie Luxemburg und Belgien die deutschen Truppen nördlich zu umgehen und Deutschland damit zu zwingen Truppen aus dem Osten abzuziehen um im Rheinland kämpfen zu können, oder, falls nicht möglich, da alle gebunden, die eigenen Truppen zurück zu nehmen und die Erzgebiete preis zu geben.
Ein französisches Ausgreifen nach Belgien hätte zwar Großbritannien gegen Paris aufgebracht, aber selbst im Fall eines Kriegseintritts, standen den Briten ja kaum ad hoc Landtruppen zur Verfügung um sofort ein signifikantes Problem darzustellen.
D.h. Wenn den Franzosen ein schneller Einbruch ins Rheinland gelungen wäre, hätte das einen solchen Krieg durchaus entscheiden können.

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Hätte man die Ostplanung aufrecht erhalten können?

Möglicherweise ja. Das Haber-Bosch-Verfahren zur synthetischen Ammonikgewinnung, dass es später während des ersten Weltkriegs ermöglichte immer größere Teile der Sprengstoffproduktion auf dieser Basis, statt auf dem nicht mehr zu bekommenden Chile-Salpeter herzustellen, war 1911 erfunden und vorgstellt worden.
Damit hätte es grundsätzlich die Möglichkeit gegeben eine autonome Sprengmittelproduktion aufzubauen (zumal Ammoniak auch in Friedenszeiten in der Düngemittel-Produktion Anwendung finden kann, somit eine Förderung keine rein unproduktive Investition in Rüstungskapazitäten gewesen wäre).
Hätte man zeitig dafür gesorgt, dann hätte die Deutschlands Fähigkeit einen Erschöpfungskrieg tatsächlich zu führen, in weit geringerem Maße von der Haltung Großbritanniens abgehangen und dann hätte man guten Gewissens den Aufmarsch-Ost in der Planung weiterführen können.

Allerdings lag das natürlich nicht allein in der Hand Moltkes oder des Kriegsministeriums, dafür hätten natürlich Gelder aufgetrieben werden, zusammenarbeit mit der Industrie koordiniert werden müssen etc. etc. und hätte natürlich an den politischen Hürden scheitern können.

Wahrscheinlich wäre von liberaler Seite einseitige staatliche Intervention um diesen Industriezweig auszubauen kritisch betrachtet worden und bei der Sozialdemokratie, genau wie auch im Ausland hätte man das möglicherweise als einen Schritt der dezidierten Kriegsvorbereitung zum Zweck der Agression gewertet.

Wäre also die Frage, ob in so einem Versuch eine Lösung gelegen hätte. Außerdem wäre es natürlich das Eingesständnis des totalen Scheiterns des Flottenprogramms gewesen, denn dass war der deutschen Bevölkerung mit dem Argument verkauft worden, das Reich müsse Seemacht werden um seine Kolonien und seinen immer weiter wachsenden Handel schützen zu können.
Wenn man nun Förderung der chemischen Industrie wegen der Munitionsproduktion vorgeschlagen und für die Bewilligung von Geldern geworben und das Argument vorgebracht hätte, dass mit der Marine die Handelswege nicht zu schützen waren und im Kriegsfall eventuell Blockade drohte, hätte man sich natürlich die Frage gefallen lassen müssen, warum anderthalb Jahrzehnte lang Abermillionen für die Flotte verprasst und dazu zum Teil noch neue Steuern erfunden worden waren.

Und hinzu kommt natürlich, dass ein Erschöpfungskrieg auch größere Opferzahlen und größeren wirtschaftlichen Schaden bedeuten mussste, was selbstredend eine Präferenz für möglichst kurze Kriesszenarien nahelegt.


Moltke selbst wird den Ostaufmarsch vor allem deswegen aufgegeben haben, weil das West-Szenario das einzige war, was er mit seinen vorhandenen Mitteln verantworten konnte.
Mit dem Szenario-Ost weiter zu planen hätte unter diesen Umständen geheißen mit der Britischen Neutralität fest zu planen (ob das hätte gutgehen können, wissen wir nicht) oder auf Industrien zu setzen, die es noch nicht gab.
Beides nicht wirklich solide.
Und angesichts dessen, dass seit 1912 die militärskeptische SPD stärkste Partei im Reichstag war und Moltke sich schon in der Frage der Heeresvermehrungen (Reaktion auf die russischen Rüstungen) gegen Kriegsminister v. Heeringen nicht hatte durchsetzen können (Moltke wollte eigentlich Heeresvermehrungen um 300.000 Mann, auf Heeringens Betreiben hin wurde aber nur eine Heeresvorlage eingebracht, die eine erweiterung der Streitkräfte um lediglich 100.000 Mann vorsah), wird Moltke (wenn er Haber-Bosch überhaupt auf der Rechnung hatte) wenig Zutrauen in die Möglichkeit Ressortübergreifender Maßnahmen gehabt haben, deren Finanzierung der Reichstag und damit maßgeblich die SPD hätte billigen müssen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ohne Verletzung der belgischen Neutralität wäre Großbritannien keineswegs automatisch aufseiten Frankreichs in den Krieg eingetreten, wenn ich die Ausführungen @Turgot's richtig verstanden habe.
Das Problem ist, dass Großbritanniens Haltung in keiner Weise präzise einzuschätzen war.

Einerseits hätte ohne die Verletzung der Neutralität Belgiens und Luxemburgs natürlich der konkrete Anlass gefehlt.
Auf der anderen Seite war Großbritannien natürlich nach wie vor daran interessiert Deutschland in Europa nicht noch stärker werden zu lassen, als es ohnedies schon war.
Das hätte, zumindest wenn sich die Deutsche Regierung nicht von vorn herein bereit erklärt hätte auf jeden territorialen Vorteil zu verzichten und ein allgemeines Friedensangbot auf Basis des Status Quo ante zu akzeptieren, wahrscheinlich bei den Teilen von Parlament und Regierung die den strategischen, außenpolitischen Hauptgegner in Deutschland sahen wahrscheinlich trotzdem zu einer Tendenz geführt zu versuchen dass Land auf Kriegskurs gegen Deutschland zu bringen.

Ob es bei rein defensiver Haltung Deutschlands im Westen gelungen wäre der britischen Bevölkerung das zu vermitteln, dass wäre die Frage.

Man wird im Hinblick auf die britische Politik in der Juli-Krise konstatieren können, dass es jedefalls nicht möglich war von der britischen Regierung eine Garantie zu erwirken, dass sich Großbritannien neutral verhalten würde, wenn Deutschland im Westen rein reaktiv bliebe und seine Nachbarn in Ruhe ließe.

Das an und für sich ist natürlich keine Garantie dafür, dass Großbritannien bei deutschen Angriffsbemühungen lediglich im Osten tatsächlich in den Krieg eingetreten wäre.
Man darf dabei nicht vergessen, Londons Ziel war es Berlin zu einer Konferenz-Lösung oder zum Rückzug zu zwingen, nicht ihm einen lokalen Krieg im Osten zu ermöglichen.
Und auch, dass das möglicherweise nochmal anders hätte aussehen können, hätte eine eindeutige französische oder russische Agression vorgelegen.
Aber Planungssicherheit für eine britische Neutralität im Falle eines Ost-Szenarios war in jedem Fall nicht gegeben.
 
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